Urteil des LSG Bayern vom 24.04.2003

LSG Bayern: ende der frist, krankenkasse, effektivität, behandlung, dienstleistung, versicherungsverhältnis, versorgung, kausalzusammenhang, einverständnis, sozialhilfe

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 18 KR 319/97
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 126/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 5. April 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung für eine kinesiologische Testung in Höhe von 160,00 DM in Euro.
Die am 1955 geborene und bei der Beklagten bis 31.12.1999 pflichtversicherte Klägerin lebt als arbeitslose
Diplomingenieurin nach ihren Angaben unter anderem von der Sozialhilfe.
Am 08.01.1997 beantragte sie Kostenerstattung für eine kinesiologische Testung. Die Beklagte verwies im Schreiben
vom 22.02. 1997 auf ein zu einem früheren entsprechenden Leistungsantrag eingeholtes Gutachten des
Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK), wonach die Effektivität dieser Methode nicht belegt
sei, bat die Klägerin aber um weitere Angaben zu dieser Methode. Am 10.02.1997 legte die Klägerin die Rechnung der
Ärztin B. vom 04.02.1997 vor, wonach kinesiologische Testungen am 30.12.1996 und 07.01.1997 durchgeführt
wurden; das Gesamthonorar betrug 160,00 DM. Das vom MDK (Dr.B.) erstellte Gutachten vom 30.03.1997 kam
bezüglich der Kinesiologie zu dem Ergebnis, es gebe weder kontrollierte klinische Untersuchungen, die einen
spezifischen Zusmmenhang zwischen Muskelwiderstand und der erkrankten Organe nachweisen könnten, noch
kontrollierte klinische Studien, die die diagnostische Genauigkeit des Verfahrens mit positivem Ergebnis bestätigt
hätten. Mehrere Studien hätten die Behauptungen der angewandten Kinesiologie nicht belegt.
Mit Bescheid vom 21.03.1997 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses Gutachten Kostenerstattung ab. Auf
den Widerspruch der Klägerin erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 14.05.1997 ein weiteres Mal die fehlende
Übereinstimmung der durchgeführten Behandlung mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.1997 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, die
Klägerin habe keinen Kostenerstattungsanspruch; sie nehme an der Erprobungsregelung nicht teil. Die kinesiologische
Testung sei eine Außenseitermethode, deren Effektivität nicht belegt sei.
Die Klägerin hat hiergegen am 12.08.1997 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und Prozesskostenhilfe
beantragt. Das Gutachten des MDK sei unwissenschaftlich und in toxikologischer Hinsicht nicht verwertbar. Die
Kinesiologie lasse Unverträglichkeiten durch biogenetische Zusammenhänge im Muskelsystem erkennen und diene
der Beurteilung der Effektivität eines Medikaments. Der Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe und das
Ablehnungsgesuch waren ohne Erfolg.
Das SG hat das vorliegende Verfahren mit anderen Streitsachen verbunden und den Rechtsstreit unter dem Az.: S 18
Kr 42/97 fortgesetzt. Es hat mit Gerichtsbescheid vom 05.04.2002 die Klagen unter Bezugnahme auf den
Widerspruchsbescheid abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 30.05. 2002, mit der sie wieder geltend macht, die Beklagte
habe ihr die Kosten der kinesiologischen Testung zu erstatten. Unverträglichkeiten der Zahnmaterialien und
Brillenmaterialien seien bestätigt worden. Es handle sich hier um eine therapeutisch zweckmäßige
Behandlungsmethode einer besonderen Therapierichtung, deren Kosten die Beklagte zu übernehmen habe.
Sie beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts München vom
05.04.2002 sowie der Bescheide vom 21.03.1997 und 14.05.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10.07.1997 zu verurteilen, die Kosten der kinesiologischen Testung in Höhe von 160,00 DM in Euro zuzüglich der
Auslagen zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -). Der gesamte Wert des Beschwerdegegenstandes der Berufung übersteigt vor der Trennung den Betrag von
500,00 EUR. Die Berufung ist fristgerecht eingelegt worden, da das Ende der Frist auf einen gesetzlichen Feiertag
gefallen ist und damit die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages endet (§ 64 Abs.3 SGG). Mit Einverständnis der
Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs.2 SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Gemäß § 13 Abs.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) darf die Krankenkasse anstelle der Sach- und Dienstleistung Kosten
nur erstatten, soweit es dieses Buch vorsieht. Dies ist hier nicht der Fall. Die Klägerin nahm als
versicherungspflichtiges Mitglied nicht an der Erprobungsregelung des § 64 SGB V teil. Es liegen auch nicht die
Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V vor, wonach eine Kostenerstattung davon abhängt, dass die Krankenkasse
entweder eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt
hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. In beiden Alternativen sind
diese Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Unaufschiebare Leistungen sind Notfälle im krankenversicherungsrechtlichen Sinne (§ 76 SGB V) sowie
Systemstörungen oder Versorgungslücken. Anhaltspunkte für diese Umstände bietet der vorliegende Sachverhalt
nicht. Insbesondere liegen Systemstörungen oder Versorgungslücken nicht vor, wenn sich aus dem
Versicherungsverhältnis selbst Leistungsschranken ergeben. Es ist nicht zu erkennen, dass die kinesiologische
Testung Gegenstand der regulären vertragsärztlichen Versorgung ist. Sie ist vom Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen in den NUB-Richtlinien nicht als zweckmäßig anerkannt worden (i.d.F. vom 04.12.1999 BArBl.2/1991
S.33). Dies ergibt sich auch daraus, dass der Arzt Dr.J. hierfür eine Leistungsnummer der GOÄ analog angewendet
hat und schließlich aus der gutachterlichen Stellungnahme des MDK, die erhebliche Zweifel an der Effektivität dieser
Methode geäußert hat. Diese Stellungnahme lässt hier den Schluss zu, dass die kinesiologische Testung
unzweckmäßig ist, als solche nicht mit dem Wirtschaftlichkeitsangebot (§ 12 SGB V) zu vereinbaren ist und auch
nicht den Anforderungen des § 2 Abs.1 Satz 4 SGB V, nämlich dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Erkenntnisse genügt (Bundessozialgericht (BSG) vom 16.09.1997, BSGE 81, 54). Es spricht auch nichts dafür, dass
die kinesiologische Testung sich in der Praxis durchgesetzt hat; anderenfalls wäre sie nicht unter analoger
Anwendung der GOÄ abgerechnet worden.
Die Beklagte hat die streitige Leistung auch nicht rechtswidrig abgelehnt. Nach der ständigen Rechtsprechung des
(BSG) zu dieser zweiten Alternative der Kostenerstattung des § 13 Abs.3 SGB V sind Kosten für eine
selbstbeschaffte Leistung im Regelfall nicht zu erstatten, wenn der Versicherte sich die Leistung besorgt, ohne zuvor
mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (BSG vom 24.09.1996, BSGE 79,
125). § 13 Abs.3 2. Alternative SGB V schließt eine Kostenerstattung für die Zeit vor der Leistungsablehnung generell
aus. Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit sie nicht ausnahmsweise unaufschiebbar war, sind nur zu
ersetzen, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte. Ein Kausalzusammenhang und
damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des
vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit der Krankenkasse ins Benehmen zu
setzen und deren Entscheidung abzuwarten. Dies hat die Klägerin nicht getan, da die streitigen Leistungen bereits vor
der Antragstellung durchgeführt worden sind.
Damit entfällt auch ein Anspruch auf Zinsen und Auslagenerstattung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).