Urteil des LSG Bayern vom 18.01.2001

LSG Bayern: kündigung, verfassungskonforme auslegung, beendigung, arbeitslosigkeit, aufnehmen, belastung, fortdauer, gefährdung, auffordern, arbeitslosenhilfe

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.01.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 37 AL 1598/96
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 66/00
I. Die Bescheide vom 18.05.1999, 24.06.1999 und 04.08.2000 werden auf Klage hin aufgehoben. II. Die Beklagte hat
dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung des der ehemaligen Arbeitnehmerin B. des Klägers für die Zeit vom 21.02.
bis 31.12.1995 bewilligten Arbeitslosengeldes (Alg) streitig.
Der Kläger beschäftigte vom 01.04.1982 bis 19.01.1995 die am 22.12.1935 geborene B ... Er kündigte mit Schreiben
vom 01.08. 1994 den Arbeitsvertrag wegen notwendiger Betriebsschließung mit dem Zusatz, er bitte B. um Mitteilung,
ob sie das Arbeitsverhältnis zum 21.02.1995 zu den alten Vertragsbedingungen wieder aufnehmen möchte. Zur
Beantwortung dieser Anfrage durch Ankreuzen der entsprechenden Erklärung wurden auf dem Kündigungsschreiben
die Sätze vorgegeben: "Ja, ich möchte das Arbeitsverhältnis zum 21.02.1995 wieder aufnehmen; nein, ich möchte
das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen."
B. meldete sich am 11.01.1995 arbeitslos und beantragte Alg. Sie machte von der Möglichkeit Gebrauch, das ihr ab
20.01.1995 bewilligte Alg gemäß § 105 c des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) unter erleichterten Voraussetzungen
zu beziehen. Die Beklagte bewilligte Alg bis 31.12.1995, seit 01.01.1996 bezieht B. Altersrente.
Mit Bescheid vom 18.03.1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dieser habe die für die Zeit vom 20.01. bis
31.12.1995 gezahlten Leistungen zu erstatten. Mit weiterem Bescheid vom 18.03. 1996 forderte sie die Erstattung von
7.716,73 DM, nämlich ein Drittel der B. erbrachten Leistungen. Den Widerspruch, mit dem sich der Kläger bereit
erklärte, die für die Zeit vom 21.01. bis 20.02.1995 erbrachten Leistungen zu erstatten, wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 10.10.1996 als unbegründet zurück.
Mit der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, B. sei seit 01.03.1992 als
Bedienung beschäftigt gewesen. Grund für die Kündigung sei die vollständige Betriebsschließung am 16.01.1995 im
Zusammenhang mit einem umfangreichen Umbau gewesen. Im dem vom Kläger betriebenen Hotel habe es ab dem
16.01.1995 weder Personal in der Küche noch im Service noch auf den Zimmern gegeben, lediglich an der Rezeption
seien wenige Personen beschäftigt worden. Die Kündigung sei unter Einhaltung der tarifvertraglichen Frist
ausgesprochen worden. Wegen der Schließung des Betriebes sei diese Kündigung auch sozialgerechtfertigt gewesen.
B. habe es nur deshalb ausgeschlossen, ab dem 21.02.1995 wieder beim Kläger zu arbeiten, weil ihr bei der
Arbeitslosmeldung von Seiten des Arbeitsamtes erklärt worden sei, dass sie nicht mehr vermittelbar sei.
Die Beklagte hat während des Klageverfahrens B. nach Einschränkungen des Leistungsvermögens im
Erstattungszeitraum befragt, wobei diese angegeben hat, in den letzten zwei Jahren des Beschäftigungsverhältnisses
keine krankheitsbedingten Fehlzeiten gehabt zu haben, auch seien für die Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses gesundheitliche Gründe nicht maßgebend gewesen; auch nach Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses sei sie nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Die Beklagte hat sodann mit Bescheid
vom 18.05.1999 die Erstattungspflicht in Höhe von 23.150,19 DM, die sich aufgrund der Gesamtzahl der Beschäf-
Klägers hin erließ sie den Abänderungsbescheid vom 24.06.1999, der die Erstattung von 7.716,73 DM fordert.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 30.12.1999 die Bescheide vom 18.03.1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 10.10.1996 aufgehoben. Die Beklagte sei nicht befugt, mit einem so genannten
Grundlagenbescheid isoliert über die Erstattungspflicht zu entscheiden. Der Erstattungsbescheid selbst sei ebenfalls
aufzuheben, weil der Kläger vorher nicht ordnungsgemäß angehört worden sei.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Beklagte Berufung eingelegt und mit Schreiben vom 23.05.2000 bzw. 20.07.2000
den Kläger erneut angehört.
Mit Bescheid vom 04.08.2000 hat sie die Richtigkeit des Bescheides vom 18.05.1999 und die Erstattungspflicht für
die Zeit vom 20.01. bis 31.12.1995 bestätigt.
Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, für die wegen einer vorübergehenden Betriebsschließung
ausgesprochene Kündigung bestehe keine soziale Rechtfertigung; für die einmonatige Betriebsschließung hätten
andere Gestaltungsmöglichkeiten bestanden. Dass B. von der Wiedereinstellungszusage keinen Gebrauch gemacht
habe, befreie den Kläger ebenfalls nicht von der Erstattungspflicht. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch
Kündigung der B. könne hierin nicht gesehen werden. Der Kläger trage das Risiko, dass ein Arbeitnehmer eine
Wiedereinstellungszusage nicht nutze.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten übereinstimmend das Berufungsverfahren für
erledigt erklärt sowie bestätigt, dass Gegenstand des Verfahrens auf Klage hin nur die Bescheide vom 18.05.1999,
24.06.1999 und 04.08.2000 sein sollen. Der Kläger hat die Klage hinsichtlich der Zeit vom 21.01. bis 20.02.1995
zurückgenommen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat beantragt,
die Bescheide vom 18.05., 24.06.1999 und 04.08.2000 bezüglich der Zeit nach dem 20.02.1995 aufzuheben.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zunächst erhobene Berufung war zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) , ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) lag nicht vor.
Zu entscheiden war nur noch über die Bescheide vom 18.05., 24.06.1999 und 04.08.2000. Die Bescheide vom 18.05.
und 24.06.1999 waren zwar gemäß § 96 SGG bereits Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG geworden, jedoch
bis zum Erlass des Gerichtsbescheides offensichtlich nicht zur Kenntnis des SG gelangt. Mit Einverständnis der
Beteiligten war über diese Bescheide nach eingelegter Berufung auf Klage hin zu entscheiden (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 6.Aufl., Rdnr.12 zu § 96), ebenso über den Bescheid vom 04.08.2000, der gemäß § 153 Abs.1 iVm § 96 SGG
Gegenstand des vor dem Senat anhängigen Verfahrens geworden ist. Diese Klage erweist sich als begründet, da eine
Erstattungspflicht hinsichtlich des für die Zeit nach dem 20.02. 1995 bewilligten Alg nicht besteht.
Gemäß § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.3, eingefügt durch das Gesetz vom 18.12.1992 (BGBl.I S.2044), entfällt die
Erstattungspflicht Arbeitslose das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet und weder eine Abfindung noch eine
Entschädigung oder ähnliche Leistung wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten oder zu beanspruchen
hat. Diese Vorschrift ist im vorliegenden Fall entsprechend anzuwenden, auch wenn das Arbeitsverhältnis durch die
Kündigung des Klägers als Arbeitgeber beendet worden ist. Der Kläger muss sich die aufgrund seiner Kündigung
eingetretene Arbeitslosigkeit der B. nur für die Zeit bis 20.02.1995 zurechnen lassen. Weil er nämlich mit seiner
Kündigung das Angebot der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen Bedingungen ab 21.02.1995
verbunden hat, hing die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bzw. die Fortdauer der Arbeitsloigkeit über den
20.02.1995 hinaus ausschließlich von der Entscheidung der B. ab. Diese hat es aber vorgezogen, weiterhin
Leistungen der Beklagten zu beziehen, offensichtlich nach Hinweis der Bediensteten der Beklagten, dass sie gemäß
§ 105 c Abs.1 Satz 1 AFG nicht bereit sein müsse, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, und deshalb die
Nichtannahme des Angebotes des Klägers zur Weiterbeschäftigung, zu der sie die Beklagte bei Kenntnis dieses
Angebotes unter normalen Umständen hätte auffordern müssen, nicht den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 119 Abs.1
Satz 1 Nr.2 AFG zur Folge habe. Auch wenn die Inanspruchnahme der durch § 105 c AFG eröffneten Möglichkeit
allein die Erstattungspflicht nicht entfallen lässt (BSG SozR 3-4100 § 128 Nr.5), so ist es jedenfalls nicht dem
Verantwortungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen, wenn er selbst die Weiterbeschäftigung anbietet, und dies
bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Diese erweiternde Auslegung des § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.3 AFG ist geboten, um verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten gerecht zu werden. Denn gemäß Urteil des BVerfG vom 23.01.1990, 1 BvL 44/86 und 48/87, SozR
3-4100 § 128 Nr.1, gebietet es der im Rahmen des Art.12 Abs.1 GG zu beachtende Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, die Erstattungspflicht nach § 128 AFG nur dann eingreifen zu lassen, wenn dem Arbeitgeber eine
besondere Verantwortung für den Eintritt der Arbeitslosigkeit und die Gewährung der Leistungen (Arbeitslosengeld
oder Arbeitslosenhilfe) trifft. Diese besondere Veranwortung ist hier nicht erkennbar. So hat das BVerfG (aaO S.17)
ausdrücklich den Fall einer Wiedereinstellungszusage als einen Gesichtspunkt angeführt, der im Sinne einer
verfassungskonformen Handhabung der Ausnahmeregelung des § 128 Abs.4 AFG aF die Erstattungspflicht entfallen
lässt. Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung in § 128 Abs.2 Nr.2 das Entfallen der Erstattungspflicht wegen einer
unzumutbaren Belastung nur an die Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens oder der nach Durchführung
des Personalabbaus verbleibenden Arbeitsplätze geknüpft; es kann dahinstehen, ob die verfassungskonforme
Auslegung es gebietet, den Begriff der unzumutbaren Belastung im Sinne des § 128 Abs.2 Nr.2 AFG auch auf den
Fall der Wiedereinstellungszusage auszu- dehnen. Jedenfalls bietet sich eine erweiternde Auslegung des § 128 Abs.1
Satz 2 Nr.3 AFG an, da bezüglich der Verursachung der Arbeitslosigkeit und der Verantwortung des Arbeitgebers kein
Unterschied zwischen einer vom Arbeitnehmer formal ausgesprochenen Kündigung und der Nichtannahme des
Angebots der Weiterbeschäftigung, insbesondere wenn dieses bereits mit der Arbeitgeberkündigung selbst verbunden
wird, besteht. Dass § 128 Abs.1 Satz 2 Nr.AFG einer erweiterenden Auslegung zugänglich ist, hat auch das BSG
bereits entschieden (Urteil vom 18.09. 1997, 11 RAr 7/96, SozR 3-4100 § 128 Nr.2).
Somit waren auf Klage hin die Bescheide vom 18.05., 24.06.1999 und 04.08.200 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wurde gemäß § 160 Abs.2 Nr.1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.