Urteil des LSG Bayern vom 28.07.2008

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.07.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 SF 5064/03
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 357/06
1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14. Dezember 2005 wird
zurückgewiesen. 2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. 3. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte Tätigkeiten des Klägers als Merchandiser für die beigeladenen Handelsunternehmen
zutreffend als abhängige Beschäftigung qualifiziert hat.
Der 1944 geborene Kläger war seit 1987 als "selbständiger Firmenbetreuer" tätig und betreibt gemäß
Meldebescheinigung der Gemeinde B-Stadt vom 16.08.1994 eine Handelsvertretung sowie ein Gewerbe als
Merchandiser. Am 29.07.2000 beantragte er bei der Beklagten, seinen Status als Selbständiger in der Tätigkeit
"Firmenbetreuer" festzustellen. Er gab dazu an, für namhafte Hersteller wie N., S. sowie F. u.a. gelieferte Ware in
Verbrauchermärkten in Regale einzuräumen und Ware nachzubestellen. Er könne frei über die Aufträge verfügen und
auch ablehnen, sollten sie seinen Vorstellungen widersprechen. Nach Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom
26.09.2002/Widerspruchsbescheid vom 31.07.2003 fest, dass der Kläger für die Beigeladenen zu 4-9 (beigeladene
Handelsunternehmen) im Regalservice in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen tätig ist. Nach Annahme eines
Auftrags sei er in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert, Einsatzort und Einsatzzeit seien
weitgehend vorbestimmt, so dass ihm nur geringe, unmaßgebliche Gestaltungsfreiheiten verblieben. Es fehle am
Einsatz eigenen Kapitals, so dass ein Unternehmerrisiko nicht erkennbar sei. Im Rahmen der gebotenen
Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles träten deshalb die ebenfalls vorhandenen Elemente selbständiger
Tätigkeit in den Hintergrund wie Bezahlung auf Provisionsbasis, also nach dem Erfolg der Arbeit, fehlende Garantie
der Auftragsvergabe sowie fehlende Entgeltzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfalle.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Landshut (SG) erhoben mit dem Antrag, die Entscheidung der
Beklagten aufzuheben und seine Tätigkeit für die beigeladenen Handelsunternehmen als nicht versicherungspflichtig
einzustufen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er sei frei, Aufträge der beigeladenen
Handelsunternehmen anzunehmen oder nicht und im Falle der Auftragsannahme in der Ausgestaltung der Tätigkeit
zeitlich ungebunden und keinerlei Kontrolle oder Weisung vor Ort unterworfen. Er setze seine Arbeitskraft mit dem
Risiko des vergeblichen Einsatzes ein, denn er werde auf Provisionsbasis bezahlt. Könne er einen angenommenen
Auftrag wegen Verhinderung nicht persönlich ausführen, müsse er für eine Ersatzkraft sorgen. Über die frei
ausgehandelten Provisionen hinaus erhalte er keine weitere Vergütung wie Auslagenersatz, Spesen oder Dienstwagen
wie bei Außendienstmitarbeitern üblich. Dem haben sich die beigeladenen Handelsunternehmen im Wesentlichen
angeschlossen. Die Beklagte hat unter Hinweis auf ergangene Rechtsprechung und gemeinsame Verlautbarungen der
Sozialversicherungsträger demgegenüber geltend gemacht, der Kläger sei in der jeweiligen Tätigkeit in die Abläufe der
beigeladenen Handelsunternehmen oder der Verbrauchermärkte so eingebunden, dass ihm wesentliche
Entscheidungs- und Handlungsfreiheiten nicht verblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 14.12.2006 hat das SG die Entscheidung der Beklagten aufgehoben und die Tätigkeit des
Klägers bei den beigeladenen Firmen als selbständig festgestellt. In einer Gesamtabwägung überwiegten die
Merkmale selbständiger Tätigkeit. Er könne selbst entscheiden, wann er seine Arbeitsleistung erbringe, bei der
Leistungserbringung selbst verblieben ihm noch ausreichende Spielräume freier Gestaltung vor allem der Arbeitszeit.
Er unterliege keine Überwachung durch die Märkte oder durch die beigeladenen Handelsunternehmen und sei nicht zur
höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet, was u.a. für den Verhinderungsfall gelte. Bei Einsatz seiner
Arbeitskraft trage er das Vergütungsrisiko, er werde nur auf Provisionsbasis bezahlt.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt mit der Begründung, der Kläger sei für die beigeladenen
Handelsunternehmen im Bereich "Merchandising und Regalservice" als Regalauffüller tätig geworden. Er müsse also
in vorgegebener Zeit an vorgegebenem Ort vorgegebene Ware an vorgegebene Stellen in Warenregale einsortieren, so
dass eine eigenständige Tätigkeit nicht erkennbar sei. Es liege vielmehr nach outsourcing immer noch eine
Beschäftigung untergeordneter Art vor. Die Bezahlung auf Provisionsbasis begründe kein Unternehmerrisiko, sie sei
mit Entgeltformen wie Akkordlohn oder erfolgsabhängigen Entgelten vergleichbar.
In der Sitzung vom 22.07.2008 hat der Kläger erklärt, er sei nur noch für das beigeladene Handelsunternehmen
Marktservice M. als Merchandiser tätig, die weiteren beigeladenen Handelsunternehmen hätten wegen
Rechtsunsicherheit das Vertragsverhältnis beendet. Konkret begebe er sich in die Verbrauchermärkte vor oder nach
den Öffnungszeiten und vermeide somit Kundenkontakte, so dass er die Arbeit schneller erledigen könne. Wegen
seiner nach Krebserkrankung angeschlagenen Gesundheit teile er sich Umfang der jeweiligen Arbeit und Arbeitszeit
selbst nach seiner Leistungsfähigkeit ein, die krankheitsbedingt auch schwanke. Über Regalpflege, Wareneinräumen
im Sinne von Regalauffüllen sowie Nachbestellung im Sinne von Disponententätigkeit hinaus positioniere er z.B.
Saisonware selbständig nach seiner Einschätzung des zu erwartenden Absatzes oder Neuware je nach
Werbungsintensität oder Medienpräsenz, wobei er auf seine Erfahrungen im Handel seit 1959 zurückgreife. Er habe in
Einzelfällen, in welchen ein Marktleiter andere Vorstellungen von der Warenpräsentation hatten, dies stets ohne Streit
oder Letztentscheidung klären können. Im Verhinderungsfalle seien für ihn andere Merchandiser tätig, die er entweder
in Geld entlohne oder in Gestalt der Aushilfe, falls diese wiederum verhindert sein sollten. Er sei für mehrere
Handelsunternehmen tätig gewesen, die als Konkurrenten auf dem Markt präsent seien. Der Kläger hat angegeben,
dass er gegen die Risiken von Krankheit sowie des Alters abgesichert sei und dem späteren Beginn der
Versicherungspflicht zustimme.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14.12.2005 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid
vom 16.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.07.2003 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 22.07.2008 waren die Verwaltungsakten der
Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG), aber
unbegründet.
Die vorliegende Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter, §
155 Abs. 3,4 SGG. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 16.10.2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31.07.2003 soweit dort Tätigkeiten des Klägers für die beigeladenen
Handelsunternehmen erfasst sind. Nach Erledigterklärungen vom 22.07.2008 ist nicht mehr darüber zu befinden,
welche Rechtsqualität die Tätigkeit des Klägers für andere Handelsunternehmen hat. In der noch strittigen
Entscheidung hat die Beklagte unzutreffend festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers für die beigeladenen
Handelsunternehmen eine abhängige Beschäftigung und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtig ist. Der
Kläger steht als Merchandiser nicht in einer abhängigen Beschäftigung, wie das Sozialgericht im angegriffenen
Gerichtsbescheid vom 14.12.2005 zutreffend entschieden hat.
Die Beklagte hat zwar in dem vom Kläger eingeleiteten Anfrageverfahren gem § 7a SGB IV auf Grund einer
Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls gem § 7a Abs 2 SGB IV den zutreffenden Beurteilungsmaßstab
angewandt. Sie ist aber zu der nach dem Ergebnis beider Rechtszüge unzutreffenden Entscheidung gelangt, dass der
Kläger als Merchandiser in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen steht.
Beurteilungsmaßstab ist § 7 Abs 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in
einem Arbeitsverhältnis. Nach ständiger Rechtsprechung setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer
vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der
Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden
Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das
eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die
eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand
abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen ( zur
Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit vgl
Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr 11). Maßgebend ist
stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung.
In Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Tätigkeit, welche weder Anlass noch Anhalt zu Zweifeln an der
Richtigkeit geben, überwiegen die Anhaltspunkte, die für eine selbständige Tätigkeit sprechen.
Ausgangspunkt ist dabei die Ausgestaltung des Warenabsatzes in der Rechtsbeziehung der Hersteller der Waren und
den Märkten, die die Ware absetzen. Im Gegensatz zum hergebrachten Leitbild des Kaufmannes, der selbst über die
Warenwirtschaft in seinem Markt bestimmt, haben im Falle des Klägers Produzenten der Waren mit den
Verbrauchermärkten vertraglich vereinbart, welche Verkaufs- bzw Regalflächen diese zur Verfügung stellen. Die
Aufgabe, die Waren vom Hersteller zeitnah und umsatzoptimiert in den Verkauf zu bringen und für guten Absatz zu
sorgen, ist eigenen Handelsunternehmen wie den beigeladenen übertragen. Im Ansatz zutreffend ist deshalb die
Beklagte zutreffend von outsourcing hergebrachter Tätigkeiten ausgegangen. Allerdings hat das outsourcing dazu
geführt, dass Merchandiser, die in gleicher Art wie der Kläger tätig sind, andere Arbeiten ausüben als Regalauffüller
oder Disponenten und dass bei der Tätigkeit des Klägers die nachfolgenden wesentlichen Merkmale der
Selbständigkeit überwiegen:
- Der Kläger ist nicht zur höchstpersönlichen Leistung verpflichtet, er darf im Verhinderungsfalle selbst für
Ersatzarbeitskräfte sorgen. Er hat dies auch immer wieder im Krankheits- bzw Urlaubsfalle getan und die Ersatzkräfte
selbst entlohnt, sei es in Geld, sei es im Austausch bei eigener Verhinderung Ersatzkraft.
- Die Arbeitszeit des Klägers bestimmt er weitgehend selbst nach seinen Bedürfnissen und Kriterien. Er ist dabei an
Ladenöffnungszeiten nicht gebunden. Er legt die Tätigkeitszeiten so, dass er mit Kunden der Verbrauchermärkte nicht
in Kontakt kommt. Lässt seine Leistungsfähigkeit gesundheitsbedingt nach, beendet er die Tätigkeit. Ist ein größerer
Warenbestand zu pflegen, verteilt er die Arbeit gesundheitsbedingt auf mehrere Male. Der von den beigeladenen
Handelsunternehmen und durch die Absatzinteressen vorgegebene Lieferturnus lässt somit dem Kläger ausreichende
zeitliche Gestaltungsspielräume, die er auch tatsächlich nutzt.
- Im Gegensatz zum Regalauffüller bestimmt der Kläger selbst über die Platzierung der Waren in den Regalen und
entscheidet dabei vor allem bei Saisonware und bei Neuware über das Regallayout, also die Verteilung der Ware im
Regal und über die absatzgünstige Positionierung der Ware. Dabei greift er auf seine eigene reichhaltige Erfahrung
zurück, die er in Tätigkeiten im Handel seit 1959 erworben hat.
- Vom Disponenten unterscheidet sich die Aufgabe des Klägers in einer Freiheit der Entscheidungsbefugnis, wann er
vor allem welche Saisonware, wann er im Übrigen Ware in welchem Umfang nach von ihm selbst verantworteter
Absatzeinschätzung bestellt.
- Der Kläger ist nicht in das Weisungsgefüge der Verbrauchermärkte eingebunden, Weisungen der Marktleiter ist er
nicht unterworfen.
- Als Merchandiser ist der Kläger für die beigeladenen Handelsunternehmen und für weitere Auftraggeber tätig, ohne
dass er einem Konkurrenzverbot unterläge. Zu beachten ist dabei, dass die Handelsunternehmen z.T. für den Absatz
von Produkten sorgen, die auf dem Markt konkurrieren, der Kläger also gleichzeitig für Konkurrenten tätig sein darf
und auch tatsächlich war.
- Die Auftraggeber hat der Kläger selbst akquiriert, seinen Auftraggeberkreis selbst ausgeweitet sowie seinem
persönlichen Einsatzvermögen angepasst.
- Das Entgelt wird dem Kläger unabhängig vom zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit gezahlt. Er hat es im Wesentlichen
in der Höhe selbst aushandeln und mit dem Umfang seiner Aufgaben abstimmen können.
In einer Gesamtschau wiegen diese Umstände so schwer, dass von einer nicht abhängigen Tätigkeit auszugehen ist
(vgl LSG NRW Urteil vom 08.08.2007 - L 11 (8) R 196/05; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 25.04.2007 - L 6 R 104/06).
Dabei wird nicht übersehen, dass auch Merkmale einer abhängigen Beschäftigung bestehen:
- Ein beachtlicher Teil der Arbeit des Klägers erschöpft sich in Regalauffüll- und Disponententätigkeiten, die der
abhängigen Beschäftigung zuzuordnen sind, weil sie keine oder nur wenig Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheiten
eröffnen und regelmäßig von einer Einbindung in fremde Betriebsabläufe geprägt sind.
- Dem Kläger ist ein zeitlicher Rahmen durch den Warenwirtschaftsturnus vorgegeben, er hat seine Arbeitsleistung am
Ort der Verbrauchermärkte zu erbringen, die wiederum durch einen vorgegebenen Regalspiegel und das Warenlager
den konkreten Arbeitsplatz bestimmen.
- Das Warenabsatzsystem der beigeladenen Handelsunternehmen weist dem Kläger eine dienende Teilhabetätigkeit
zu.
Diese Kriterien allerdings führen nicht zu einem Überwiegen der Elemente der abhängigen Beschäftigung, insoweit
unterscheidet sich der hier zu entscheidende Sachverhalt von dem des Verfahrens, das das Hessisches
Landessozialgericht mit Urteil vom 12.07.2007 - L 8/14 KR 280/04 entschieden hat. Dort war dem Beschäftigten -
anders als vorliegend - insgesamt kein genügender Spielraum für die Ausgestaltung der Tätigkeit verblieben.
Die Berufung war deshalb in vollem Umfang zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
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