Urteil des LSG Bayern vom 16.03.2005

LSG Bayern: berufliche tätigkeit, lege artis, erwerbsfähigkeit, bad, arbeitsmarkt, psychiater, diagnose, erwerbsunfähigkeit, therapie, arbeitslosigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.03.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 3 RA 100/99
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 4194/02
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. März 2002 aufgehoben. Die
Klage gegen den Bescheid vom 21.07.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.1999 wird
abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die 1972 geborene Klägerin erlernte von August 1987 bis September 1990 den Beruf der Einzelhandelskauffrau, war
nach einer kurzen Arbeitslosigkeit von drei Monaten bis 1993 als Monteurin, dann nach einer Arbeitslosigkeit vom
25.09.1993 bis 28.02.1994 als Verkäuferin bis Januar 1995 im Möbelhandel tätig. Seit 14.05.1996 ist sie
arbeitsunfähig. Sie leidet an den Folgen einer Borreliose, später einer Fibromyalgie und degenerativen
Wirbelsäulebeschwerden. Zusätzlich erfolgten Knie- und Nasenscheidewandoperationen.
Ab 18.04.1995 nahm die Klägerin an einer Maßnahme der Arbeitsverwaltung in einer kaufmännischen Übungsfirma der
Volkshochschule N. mit einem Praktikum vom 11.09.1995 bis 20.10. 1995 teil. Anschließend erhielt die Klägerin
erneut Arbeitslosengeld, unterbrochen von Krankheitszeiten, während derer die DAK bis zur Aussteuerung am
16.05.1998 Krankengeld zahlte. Arbeitslosenhilfe wurde wegen Anrechnung einer privaten BU-Rente in Höhe von
967,00 DM monatlich nur in geringem Umfang bezahlt.
Am 13.08.1997 stellte die Klägerin bei der Beklagten Antrag auf Gewährung von Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit.
Mit Bescheid vom 21.07.1998 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Zwar leide die Klägerin an einer chronischen
Neuroborreliose mit anhaltender Schmerzsymptomatik des Stütz- und Be-wegungsapparates, einer chronischen
Nasennebenhöhlenentzündung, einem Zustand nach Menisketomie rechts und einer Sinusitis, dennoch könne sie
damit ihr zumutbare Beschäftigungen als Bürohilfskraft zum Beispiel in einer Registratur oder Poststelle vollschichtig
verrichten. Auch sei ein vollschichtiges Leis-tungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes vorhanden.
Zur Entscheidung lagen der Beklagten Berichte des Allgemeinarztes Dr.W. , des Rheumazentrums Bad A. über eine
stationäre Kurmaßnahme vom 06.11.1996 bis 03.12.1996, des Rehabilitationszentrums Bad B. vom 23.12.1996 bis
25.01.1997 sowie der Kureinrichtung Bad G. vom 10.03.1998 bis 21.04.1998 vor. Ferner erstellte der Neurologe und
Psychiater Dr.G. am 23.12.1997 im Auftrag der Beklagten ein Gutachten, in welchem er einen Verdacht auf eine
neurotische Fehlhaltung diagnostizierte und das Arbeitsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf
halb- bis unter vollschichtig einschätzte. Der Internist Dr.L. gelangte in seinem Gutachten vom 18.02.1998 ebenfalls
zu einem unter halbschichtigen Erwerbsvermögen. Hingegen stellte der orthopädische Gutachter Dr.B. in seinem
Gutachten vom 25.03.1998 ein vollschichtiges Arbeitsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt fest.
Auf den von der Klägerin erhobenen Widerspruch hin fertigte der Nervenarzt Dr.L. am 25.01.1999 ein Gutachten an,
wonach die Klägerin trotz der gefundenen Gesundheitsstörungen einer Konversionsneurose und eines
Fibromyaligiesyndroms in ihrem beruflichen Leistungsvermögen nicht beeinträchtigt sei. Mit Widerspruchsbescheid
vom 12.03.1999 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und damit begründet, dass neben der
Schmerzerkrankung jetzt auch eine erhebliche depressive Komponente sowie ein Tinnitus manifest geworden seien.
Damit könne sie maximal halbschichtig tätig sein. Auch sei sie nach einem Bescheid des Amtes für Versorgung und
Familienförderung vom 03.03.1997 schwerbehindert, wobei eine seelische Störung, eine Funktionsbehinderung der
Wirbelsäule mit Nerven- und Muskelreizerscheinung sowie ein Fibromyaligiesyndrom jeweils mit einem GdB 30
bewertet worden seien.
Das SG hat zahlreiche Arztberichte beigezogen von Dr.W. , Dr.M. , Dr.N. , Dr.K. und der Psychotherapeutin R.S. ,
welche eine befristete Berentung für drei Jahre vorgeschlagen hatte.
Nach dem Vorschlag des gerichtlichen Sachverständigen Dr.G. in seinem Gutachten vom 24.01.2002 hat der
Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut Dr.F. am 11.05.2001 ein Gutachten erstattet, in dem er zur Feststellung
eines vollschichtigen Leistungsvermögens gelangt ist und die Diagnosen einer somatoformen Schmerzstörung und
depressiven Entwicklung gestellt hat. Der Sachverständige hat das bisher unterschiedliche Beurteilungsbild, so den
Gegensatz der Einschätzung von Dr.G. zu demjenigen der Rehamaßnahme in Bad B. und auch in Bad G. , diskutiert.
Danach müsse im überwiegenden Einklang mit den Vorgutachten festgestellt werden, dass zwar ein fixierter und
chronischer Verlauf im Sinne einer depressiven Entwicklung und einer somatoformen Schmerzstörung vorliege,
jedoch die Versicherte durchaus in der Lage sei, unter zumutbarer, bewusster Willensanstrengung, ihre Symptome zu
unterdrücken, um vollschichtig eingesetzt zu werden. Seine neurologisch-psychiatrischen Untersuchungen hätten
keine belangvollen Normabweichungen ergeben.
Auf Antrag der Klägerin hat schließlich der Internist und Rheumatologe Dr.J. am 26.10.2001 ein Gutachten erstattet.
Danach sei der Beginn der Erkrankung mit Knieschmerzen bereits 1990 anzusetzen, 1992 fortgesetzt mit Schmerzen
an der unteren Lendenwirbelsäule, 1993 mit hartnäckigem Schnupfen bei Druck in den Nasennebenhöhlen und
nachfolgender Operation wegen einer Sinusitis und 1994 mit Generalisierung der Schmerzen. Es liege die Diagnose
eines Fibromyalgiesyndrom als Ausdruck einer chronischen Schmerzstörung im Sinne einer undifferenzierten
somatoformen Störung vor sowie einer depressiven Anpassungsstörung. Damit könne die Klägerin sicher leichte bis
gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten halbschichtig ausführen. Die Beklagte hat sich dieser Ansicht nicht
angeschlossen, da nach den allgemeinen Empfehlungen zur sozialmedizinischen Begutachtung auch beim
Krankheitsbild der Fibromyalgie im Regelfall ein vollschichtiges Leistungsvermögen gegeben sei.
Durch Urteil vom 14.03.2002 ist das SG dem Gutachten des Dr.J. gefolgt und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin
wegen eines Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit vom 14.05.1996 Rente auf Zeit bis zum 30.09.2003 zu leisten.
Zur Begründung stützte sich das SG auf eine Gesamtschau des Verfahrens sowie den persönlichen Eindruck von der
Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung. Letztlich habe die Klägerin das ihr von den Ärzten vermittelte
insuffiziente Leistungsvermögen so sehr verinnerlicht, dass sie seit Mai 1996 tatsächlich nicht mehr in der Lage
gewesen sei, vollschichtig in einer auch körperlich leichten Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein zu
können. Dies habe Dr.J. zutreffend herausgearbeitet.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und diese mit einer
unzutreffenden Beweiswürdigung des SG begründet. Die Klägerin hätte angesichts fehlender organischer Befunde
auch einer Begutachtung nach den Gesichtspunkten der funktionalen Störungen bzw. des chronischen
Schmerzsyndroms unterzogen werden sollen. Dabei hätte sich gezeigt, dass die subjektive Einschätzung der
Beschwerden durch die Klägerin nicht im Einklang mit den vorgefundenen Alltagsfunktionen stehe. Auch deuteten
Medikation und sonstige Therapie nicht auf einen schweren Leidensdruck hin.
Der Senat hat die Akten des Arbeitsamtes und der Versorgungsverwaltung sowie einen Bericht des Orthopäden Dr.N.
beigezogen und den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen Dr.H. in einem
Gutachten vom 23.04.2003 nach ärztlicher Untersuchung sowie in zwei weiteren schriftlichen Stellungnahmen gehört.
Dadurch ist bekannt geworden, dass die Klägerin seit 01.04.2003 täglich vier Stunden Vernehmungsprotokolle bei der
Polizei schreibe. Psychisch sei die Klägerin keinesfalls tiefergehend depressiv herabgestimmt. Es hätten sich auch
keine Hinweise auf das Vorliegen einer Psychose oder eines hirnorganischen Psychosyndroms gefunden. Mit den
nervenärztlichen Gutachten Dres.L. und F. bestehe volle Übereinstimmung. Die Schmerzintensität sei bei weitem
nicht so schlimm wie geschildert, was die vorgenommene Therapie zeige. Sozialmedizinisch seien bewährte Kriterien
einer chronischen Schmerzstörung abzuprüfen, um herauszufinden, ob es sich um eine "erhebliche Störung" handle.
Dagegen spräche vor allem die mangelhafte Therapie wie auch die Entlassung als vollschichtig leistungsfähig aus
allen stationären Rehamaßnahmen. Hinzu komme jetzt, dass die Klägerin vier Stunden täglich leichte Büroarbeiten
verrichten könne. Sie sei durchaus auch in der Lage, einer vollschichtigen Tätigkeit im Umfang von acht bzw. sechs
Stunden nachzugehen.
Gemäß § 109 SGG hat der Chirurg Dr.B. am 20.11.2003 ein Gutachten erstattet, in welchem er ein primäres
Fibromyaligiesyndrom diagnostiziert und ein maximal dreistündiges Erwerbsver-mögen feststellt. Auf Einwände der
Beklagten hat Dr.B. am 13.02.2004 schriftlich Stellung genommen.
Zuletzt hat der Orthopäde Dr.L. am 12.11.2004 ein Gutachten gemäß § 109 erstellt. Danach läge bei der Klägerin ein
Mischbild aus einer Neuroborreliose und einer sekundären Fibromyaligie vor, wobei vermutet werden könne, dass die
Neuroborreliose durch entsprechende Medikamente auch bei ungenügender Einnahme weitgehend ausgeheilt sei,
während die sekundäre Fibromyaligie sich als eigenständiges Krankheitsbild erhalten habe. Die Klägerin sei damit
noch nicht in der Lage, ohne Gefährdung ihrer Restgesundheit regelmäßig vollschichtig zu arbeiten. Von der
Antragstellung bis April 2002 sei eine volle Erwerbsunfähigkeit anzunehmen, danach durch Besserung der Situation
eine vierstündige tägliche berufliche Tätigkeit zumutbar.
Die Beklagte stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.03.2002 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin stellt den Antrag, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen, der Versorgungsverwaltung, der
Bundesagentur für Arbeit und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht von der Beklagten eingelegte Berufung war auch ansonsten zulässig.
Die Klägerin hat keine Anschlussberufung eingelegt (§§ 202 Sozialgerichtsgesetz - SGG, 524 ZPO i.d.F. vom
27.07.2001).
Die Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Verwaltungsentscheidung war rechtmäßig
und hat die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Denn ihr steht kein Anspruch auf Rente wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit zu.
Bei diesem Ergebnis kann es der Senat dahingestellt sein lassen, dass das SG über den von der Klägerin gestellten
Antrag hinausgegangen ist und den Streitgegenstand, der auch durch den gegenständlichen Bescheid bestimmt ist,
nicht beachtet und damit § 123 SGG sowie die vorrangige Gestaltungsmacht der Beklagten im
Sozialversicherungsverhältnis verletzt hat. Denn in der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2002 war von der Klägerin
beantragt worden, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und ihr Rente zu gewähren, ohne dass der Beginn der
begehrten Leistung näher bezeichnet war. Lediglich aus dem Umstand der Verurteilung zu einer Zeitrente und der
zeitlichen Fixierung eines Versicherungsfalles könnte - ausgehend von einem Grundurteil im Sinne von § 130 Abs.1
Satz 1 SGG - darauf geschlossen werden, dass die Rente entsprechend § 102 Abs.2 Nr.1 SGB VI RRG 92 ab dem
01.12.1996 beginnen sollte. Dieser Zeitpunkt läge aber noch vor der von der Klägerin selbst vorgenommene
Antragstellung am 13.03.1997. Damit hat das SG ohne Beachtung der Verwaltungsentscheidung über die Leistung,
die sich wegen der der Klägerin zukommenden Dispositionsmaxime frühestens auf einen durch die Antragstellung
bestimmten Zeitpunkt beziehen darf, zu Unrecht eine eigene Gestaltung vorgenommen. Jedenfalls hat das SG nicht
bestimmt, dass entsprechend § 99 Abs.1 Satz 2 SGB VI die Rentenzahlung erst ab 01.03.1997 erfolgen sollte.
Es fehlt bei der Klägerin gleichwohl am Versicherungsfall der verminderten Erwerbsfähigkeit.
Ihr Anspruch bestimmt sich wegen des am 13.03.1997 gestellten Antrags nach §§ 43, 44 SGB VI in der Fassung des
Rentenreformgesetzes (RRG) 1992. Lediglich für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 30.09.2003 würde § 43 SGB
VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. Art.24 des
EMRefG, § 302b SGB VI) Anwendung finden (nicht aber § 240 SGB VI wegen des Lebensalters der Klägerin), sofern
ein neuer Anspruch entstanden wäre. Ungeachtet des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im
engeren Sinne auf Grund ununterbrochener Beitragsleistung infolge von Pflichtbeiträgen für sonstige Versicherte (§ 3
SGB VI, Bezug von Arbeitslosen- und Krankengeld bzw. Arbeitslosenhilfe) fehlt es bei der Klägerin an der Erwerbs-
bzw. Berufsunfähigkeit im Sinne von §§ 43 Abs.1 Nr.1, 44 Abs.1 Nr.1 SGB VI RRG 92. Nach § 44 Abs.2 SGB VI
(bzw. § 43 Abs.2 SGB VI des ab 01.1.2001 geltenden Reformgesetzes der Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit - EMRefG - vom 20.12.2000, BGBl.I 1827) liegt Erwerbsunfähigkeit nur vor, wenn ein Versicherter
wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser
Regelmäßigkeit auszuüben.
Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin zu einer vollschichtigen Berufstätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt, wie auch in ihrem erlernten Beruf als Einzelhandelskauffrau, im Stande. Durch das vollschichtige
Arbeitsvermögen ist gleichzeitig auch die Gewährung einer Arbeitsmarktrente ausgeschlossen (vgl. § 44 Abs.2 Satz 2
Nr.2 SGB VI in der Fassung durch das 2. SGB VI-Änderungsgesetz bzw. § 43 Abs.1 Satz 2 vorletzter und letzter
Halbsatz SGB VI in der Fassung des EMRefG).
Der Senat ist nicht im erforderlichen Beweisgrad der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit davon
überzeugt, dass des Erwerbsvermögen der Klägerin zumindest unter die Voll-schichtigkeitsgrenze der oben genannten
Arbeitsmarktrente herabgesunken ist; erst recht nicht unter die vom Gesetzgeber genannten Zeitgrenzen der
Lohnhälfte bzw. der gewissen Regelmäßigkeit.
Die für diese Einschätzung berufenen ärztlichen Sachverständigen zeichnen ein höchst unterschiedliches
Beurteilungsbild auf. Zusammenfassend ist dabei zunächst festzustellen, dass der Schwerpunkt der Erkrankung auf
dem psychiatrischen Fachgebiet liegt. Dies zeigt sich besonders an dem für das SG für ausschlaggebend gehaltenen
Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr.J. , der seine Beurteilung auf die Diagnose einer undifferenzierten
somatoformen Störung stützt und dazu auch entsprechende Fachliteratur anführt, unter anderem auch
Veröffentlichungen des späteren Sachverständigen Dr.H ... Alle anderen, internistische wie orthopädisch bzw.
chirurgische Sachverständige stützen ihre zum Teil für die Klägerin positive Beurteilung ebenfalls auf psychiatrische
Erkrankungsbilder. Auch der Orthopäde Dr.L. räumt ein, dass es maßgeblich um die Verarbeitung der
Schmerzsituation gehe, egal welchen Ursprungs dieselbe sei. Der Internisten Dr.J. zeichnet ganz deutlich ein
seelisches Erkrankungsbild auf und stützt sich dabei auf psychiatrische Beurteilungskriterien. Die Ansicht der
Sachverständige Dr.B. teilt im Übrigen kein anderer Sachverständiger, auch nicht der vom Fachgebiet her am
nächsten stehende Dr.L ... Seine singuläre Ansicht ist daher nicht überzeugend.
Auf psychiatrischem bzw. nervenärztlichem Fachgebiet liegt aber kein Gutachten vor, das den Senat davon
überzeugen könnte, dass bei der Klägerin eine rechtlich relevante Erwerbsminderung vor-liegt. Gegen die Richtigkeit
des einzigen psychiatrischen Gutachtens, das zur Feststellung eines untervollschichtigen Leis-tungsvermögens
gelangt ist, des Gutachtens von Dr.G. im Jahre 1997, spricht die übereinstimmende gegenteilige Ansicht aller
weiteren, zeitlich nachfolgenden Fachgutachter. Dem Gutachten des Dr.G. wird schon vom zweiten psychiatrischen
Gutachten von Dr.L. im Januar 1999 widersprochen, wie nachfolgend von Dr.F. als drittem Psychiater im Mai 2001.
Schließlich ist das Gutachten von Dr.G. auch deswegen weniger überzeugend, weil es das erste in einer Reihe
zahlreicher Gutachten auf diesem Fachgebiet war und deshalb nicht die weitere Entwicklung des Erkrankungsbildes
der Klägerin berücksichtigen konnte. Dr.G. konnten auch schon rein zeitlich nicht die Befunde der Kureinrichtung Bad
G. (Entlassung am 21.04.1998) vorliegen. Im Übrigen stand dem Verwaltungsgutachter Dr.G. nicht das vollständige
Aktenmaterial über den Gesundheitszustand zur Verfügung, wie es bei den gerichtlichen Sachverständigen dagegen
der Fall war.
Letztlich konnte nach Ansicht des Senats allein Dr.H. die gesamte Entwicklung überblicken. Er entfaltet auch
überzeugend das gesamte Instrumentarium der Begutachtung somatoformer Schmerzstörung. Dr.H. geht zu Recht
vom Fehlen eines fassbaren Organbefundes aus und trifft die richtige Diagnose einer Somatisierungsstörung,
somatoformen Schmerzstörung bzw. Konversionsstörung. Das medizinische Fachgebiet betreffend - also nicht die
Bewertung der Gegebenheiten des Arbeitsmarkts - verlangt nach den zutreffenden Ausführungen des
Sachverständigen Dr.H. eine gutachterliche Auseinandersetzung damit, ob eine im Hinblick auf eine Arbeitsbetätigung
nicht überwindbare seelische Störung besteht. Dazu bietet die neuere psychiatrische Literatur eine Vielzahl von
Anhaltspunkten zur Einschätzung der Erwerbsbeeinträchtigung (z.B. Winckler P., K. Foerster: Zum Problem der
"zumutbaren Willensanspannung" in der sozialmedizinischen Begutachtung MEDSACH 92 S. 120ff, B.Widder und
J.C.Aschoff, somatoforme Störung und Rentenantrag, Erstellen einer Indizienliste zur quantitativen Beurteilung des
beruflichen Leistungsvermögens, MEDSACH 95, 14ff., Hausotter in Suchenwirth, Kunze und Krasney, Neurologische
Begutachtung, 3.Aufl., 2000, Kap.37; Hausotter MEDSACH 1997, 184, Foerster, Sozialmedizinische Begutachtung in
der gesetzlichen Rentenversicherung, 5.Aufl., 1995, Kap.25, S.509 ff., Hausotter, Begutachtung somatoformer und
funktioneller Störungen, 2. Aufl. November 2004, Sonderheft des VDR 2001). Dementsprechend hat Dr. H. eine
Auseinandersetzung damit vorgenommen, dass eine "zumutbare Willensanspannung" aus Sicht eines psychiatrischen
Sachverständigen um so eher zu verneinen sein wird, je mehr bestimmte Kriterien festgestellt werden können, wie
z.B. eine auffällige prämorbide Persönlichkeitsstruktur bzw. - entwicklung, psychiatrische Comorbidität
(Persönlichkeitsstörungen, Suchtproblematik, hirnorganische Beeinträchtigungen), chronische körperliche
Begleiterkrankungen oder der Verlust der sozialen Integration im Verlauf der psychischen Erkrankung (Ehescheidung,
Arbeitsplatzverlust, sozialer Rückzug, Verlust persönlicher Interessen). Dagegen sprechen Gesichtspunkte wie ein
hoher primärer und/oder sekundärer Krankheitsgewinn, ein primär chronifizierender Krankheitsverlauf ohne
längerdauernde Remissionen, eine mehrjährige Krankheitsdauer mit stabiler oder progredienter Symptomatik und
unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz konsequent und "lege artis" durchgeführten Behandlungsmaßnahmen,
insbesondere gescheiterte stationäre Therapien. Dies entspricht auch der gefestigten höchstrichterlichen
Rechtsprechung, wonach seelisch bedingte Störungen wie eine körperliche Krankheit anzusehen sind, wenn sie durch
Willensentschlüsse des Betroffenen nicht oder nicht mehr zu beheben sind (BSG, SozR Nr.39 zu § 1246 Aa 28). Zu
prüfen ist danach, ob der Versicherte die seelischen Hemmungen entweder aus eigener Kraft oder unter ärztlicher
Mithilfe überwinden kann. Wenn das möglich ist, muss der Versicherte alle verfügbaren "Mittel seines Willens"
einsetzen (BSG, SozR Nr.76 zu § 1246 Aa 69). Es ist mit dem Sinn und Zweck der Rentengewährung unvereinbar,
dass gerade die Rentengewährung den Zustand aufrechterhält, dessen nachteilige Folgen sie ausgleichen soll (BSG,
SozR Nr.39 zu § 1246 Aa 29). Die Vorschriften über die Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung
der Erwerbsfähigkeit (§§ 1236 ff. RVO) zeigen den gegebenen Weg, um dem in der Praxis zu begegnen. Diese
Leistungen haben Vorrang vor der Rentengewährung. Der Rentenversicherungsträger soll dem Einzelnen nur in dem
Maße und in der Weise helfend zur Seite stehen, als dieser der Hilfe bedarf, um die Fähigkeit verantwortlicher
Selbstbestimmung zurückzugewinnen (BSG, SozR Nr.38 zu § 1246 RVO Aa 27 Rückseite).
Nach diesen Kriterien ist der Sachverständige Dr.H. nach Auffassung des Senats zutreffend der Frage nachgegangen,
ob eine "erhebliche Störung" besteht, und verneint dies im Ergebnis. Denn es findet keine regelmäßige Behandlung
statt, etwa mit Schmerzmitteln oder auch mit Antidepressiva. Es besteht auch kein schwerwiegender Leidensdruck.
So ist die Klägerin aus zwei mehrwöchigen stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen jeweils als
vollschichtig leistungsfähig entlassen worden. Schließlich ist die Klägerin auch im Stande ab April 2003 vier Stunden
täglich leichten Büroarbeiten nachzugehen. Die seelische Störung insgesamt ist nicht so ausgeprägt, dass sie nicht in
der Lage wäre, mit zumutbarer Willensanspannung wieder beruflich tätig zu sein. Letztlich handelt es sich um eine
undifferenzierte Somatisierungsstörung (F 45.1) bei Neurasthenie (F 48.0) mit einem Schweregrad, der keine
Berentung zur Folge hat. Damit besteht für die Klägerin sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wie auch in ihrem
erlernten Beruf ein vollschichtiges Erwerbsvermögen.
Zusammenfassend besteht bei der Klägerin kein Rentenanspruch. Das zusprechende Urteil des SG vom 14.03.2002
ist damit aufzuheben. Die Klage gegen den Bescheid vom 21.7.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
12.3.1999 ist abzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 SGG).