Urteil des LSG Bayern vom 28.10.2009

LSG Bayern: anwartschaft, ddr, brd, anerkennung, industrie, anwendungsbereich, bauwesen, verfassungskonform, behandlung, zugehörigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.10.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 3 R 4238/04
Bayerisches Landessozialgericht L 19 R 808/06
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.11.2006 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Anwartschaften aus Versorgungssystemen in der ehemaligen DDR (Beitrittsgebiet) für die
Zeit vom 02.10.1967 bis 11.12.1989.
Die 1944 geborene Klägerin war nach dem Inhalt ihres Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung bis zum
11.12.1989 als Ingenieurin im VEB Spezialbaukombinat in M. beschäftigt. Noch im Dezember 1989 ist sie in die
Bundesrepublik ausgereist.
Ihren Antrag auf Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz
-AAÜG- lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2004 für die Zeiten vom 02.10.1967 bis 11.12.1989 ab. Eine
Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs 1 AAÜG sei nicht entstanden. Es habe weder eine positive
Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch habe die Klägerin am 30.06.1990 (Schließung
der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der
obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre. Das AAÜG sei nicht anwendbar. Die Klägerin habe am
30.06.1990 nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und
machte geltend, sie sei am 30.06.1990 arbeitslos gewesen und habe erst 1991 wieder eine Tätigkeit aufnehmen
können. Mit ihrem Antrag verfolge sie jedoch die Anerkennung der Zeit von 1967 bis 1989. Die Beklagte wies den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2004 zurück. Die Klägerin habe bei Inkrafttreten des AAÜG am
01.08.1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs 1 des Gesetzes gehabt. Dies wäre nur dann der Fall
gewesen, wenn sie entweder am 30.06.1990 in der DDR in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen wäre, eine
solche Einbeziehung nachträglich durch Rehabilitation oder durch eine Entscheidung nach Artikel 19 Satz 2 oder 3
des Einigungsvertrags erlangt hätte oder aufgrund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage im Juli 1991 einen
Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte (Hinweis auf Bundessozialgericht -BSG- Urteil vom
09.04.2002 - B 4 RA 36/01 R). Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin nicht gegeben. Sie sei weder in ein
Versorgungssystem einbezogen noch habe sie einen Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Am 30.06.1990
habe sie im Beitrittsgebiet keine Beschäftigung mehr ausgeübt. Sie sei damit nicht in einem volkseigenen
Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) oder einem gleichgestellten Betrieb im Sinne von § 1 Abs 2 der 2.
Durchführungsbestimmung vom 24.05.1951 beschäftigt gewesen. Nur die bundesrechtskonforme Anwendung führe
dazu, dass trotz des Verbotes der Neueinbeziehung, welches die DDR bereits erlassen hatte, auch die Personen
bundesrechtliche Versorgungsanwartschaften hätten, die aufgrund der am 30.06.1990 gegebenen Sachlage bereits
einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage hatten (BSG Urteil vom 09.04.2002 - B 4 RA 3/02 R).
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 20.07.2004 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben. Sie
führte aus, sie habe 1989 einen Ausreiseantrag aus der DDR in die BRD gestellt. Im Dezember 1989 habe sie dann in
die BRD ausreisen können. Nach diesen Fakten sei es wohl logisch, dass sie am 30.06.1990 nicht mehr im
Spezialbaukombinat M. habe tätig sein können.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.11.2006 abgewiesen. Zur Begründung war im Wesentlichen
ausgeführt, § 1 AAÜG sei für die Klägerin nicht anwendbar, da diese am 30.06.1990 keinen (auch nicht fiktiven)
Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte. Das Beschäftigungsverhältnis habe laut
Sozialversicherungsausweis am 11.12.1989 geendet, die Klägerin sei darüber hinaus am 30.06.1990 außerhalb des
Beitrittsgebiets arbeitslos gewesen. Im Übrigen bestehe keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung im Hinblick auf
den genannten Stichtag (BVerfG vom 26.10.2005 - 1 BvR 1921/04 u.a.).
Gegen diesen Gerichtsbescheid richtet sich die am 28.11.2006 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene
Berufung der Klägerin. Diese verlangt weiterhin die Anerkennung einer Anwartschaft auf "Intelligenzrente". Der
Stichtag 30.06.1990 treffe für sie nicht zu, vielmehr müsse auf die davor liegende Zeit von 1967 bis 1989 abgestellt
werden. Die Beklagte hat ausgeführt, es spiele keine Rolle, aus welchen Gründen die Klägerin die maßgebliche
Tätigkeit nicht mehr am 30.06.1990 ausgeübt habe. Rechtlich nicht erheblich sei insbesondere, ob die fehlende
Ausübung etwa auf den Eintritt von Arbeitslosigkeit, auf sonstigen Gründen für die Beschäftigungsaufgabe, auf der
Umwandlung des früheren VEB in eine andere Betriebsform, auf einer Flucht aus der DDR oder auf sonstigen Gründen
beruhe. Schied die Klägerin - aus welchen Gründen auch immer - vor dem 30.06.1990, an dem das maßgebliche
Versorgungssystem geschlossen wurde, aus dem Beschäftigungsverhältnis aus, ohne eine Versorgungszusage
erhalten zu haben, so durfte sie von dem Zeitpunkt ihres Ausscheidens an nicht mehr auf eine Einbeziehung
vertrauen.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.11.2006 sowie den Bescheid der
Beklagten vom 05.05.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2004 aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, die Beschäftigungszeiten von Oktober 1967 bis Dezember 1989 als Zeiten der Zugehörigkeit
zur zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) festzustellen und
anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten, die Prozessakte des SG Bayreuth und die Akten des BayLSG
vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im
Übrigen zulässig.
Das Rechtsmittel der Klägerin erweist sich als nicht begründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Einbeziehung in den Anwendungsbereich
des § 1 AAÜG bezüglich der zusätzlichen Altersversorgung der Technischen Intelligenz hat. Die Klägerin hat weder
eine konkrete Versorgungszusage von ihrem Beschäftigungsbetrieb erhalten, noch kann das Bestehen einer
Anwartschaft i.S. des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG fingiert werden, da sie bei nicht gegebener Anwartschaft durch das
Verlassen des Beitrittsgebietes keine Anwartschaft verlieren konnte. Ein Anspruch auf Feststellung der Zeiten kann
auch nicht aufgrund der vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung praktizierten Auslegung des § 1
Abs 1 AAÜG hergeleitet werden, vgl. insoweit Urteile des BSG vom 09.04.2002 - B 4 RA 31/01 R und vom 10.04.2002
- B 4 RA 56/01 R und - B 4 RA 10/02 R. Von den durch das BSG in den genannten Entscheidungen festgelegten,
notwendigen drei Voraussetzungen für die Annahme einer fiktiven Anwartschaft nach dem AAÜG erfüllt die Klägerin
die betriebliche Voraussetzung nicht. Sie war zwar berechtigt, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen und hat eine
entsprechende Tätigkeit bis Dezember 1989 in einem volkseigenen Betrieb auch ausgeübt. Zur Anerkennung von
Zugehörigkeitszeiten zur Altersversorgung der Technischen Intelligenz ist jedoch weiterhin erforderlich, dass die
Klägerin zumindest bis zum Stichtag 30.06.1990 einem volkseigenen oder diesen gleichgestellten Produktionsbetrieb
im Bereich Industrie oder Bauwesen angehört hat. Dies ist im Fall der Klägerin nicht gegeben, da sie bereits im
Dezember 1989 in die BRD übergesiedelt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom
26.10.2005 - 1 BvR 1921/04 u.a. - festgestellt, dass die vom BSG praktizierte Rechtsprechung zur fiktiven
Anwartschaft keine verfassungsrechtliche Ungleichbehandlung für diejenigen bedeutet, die am 30.06.1990 nicht mehr
die Voraussetzungen für die Erlangung einer solchen Anwartschaft erfüllten. Die unterschiedliche Behandlung ist
demnach durch die Regelungen des Rentenangleichungsgesetzes vom 28.06.1990, das noch vom Gesetzgeber der
DDR erlassen wurde, sachlich gerechtfertigt, in dem das Neueinbeziehungsverbot des § 22 Abs 1
Rentenangleichungsgesetz enthalten ist und die Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der BRD angepasst
wurden. Personen, die bereits vor dem 30.06.1990 aus dem System ausgeschieden und in diesem Zeitpunkt auch
noch keine Anwartschaft inne gehabt haben, hätten schon nach dem Recht der DDR nie eine schützenswerte
Rechtsposition besessen, um deren Erhalt es dem gesamtdeutschen Gesetzgeber aber gegangen sei. Das
Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Beschluss ausdrücklich die Stichtagsregelung für
verfassungskonform erklärt, ohne dies auf bestimmte Sachverhaltskonstellationen zu beschränken. Die Berufung der
Klägerin war demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.