Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2017

besondere härte, stationäre behandlung, vorübergehende arbeitsunfähigkeit, berufliche wiedereingliederung

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 26.1.2017, L 7 AS 1192/13
Leitsätze
Zur Berücksichtigung einer kapitalbildenden Lebensversicherung als verwertbares Vermögen nach § 12 SGB II.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2013 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Der Kläger erhebt Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. August 2012 bis 31. Januar 2013.
2 Der 1982 geborene, alleinstehende Kläger begann nach dem Abitur sowie einer abgeschlossenen Ausbildung
zum Bankkaufmann im Wintersemester 2005/06 ein Studium an der Hochschule P. im Studiengang
Betriebswirtschaft/Beschaffung und Logistik. Dieses Studium brach er im Februar 2009 nach zwei
Urlaubssemestern ab, nachdem es im Frühjahr 2008 im Rahmen einer Entzugsbehandlung zu einer
zentralen pontinen Myelinolyse bei vorherigem chronischem Alkoholabusus gekommen war. Nach
stationären Behandlungen in Kliniken in C. und S. befand er sich in der Zeit vom 18. März bis 27. April 2008
zu einer neurorehabilitativen Weiterbehandlung in den Kliniken S. A. sowie anschließend ab 24. Juni 2008
zu einer mehrmonatigen Alkoholentwöhnungsbehandlung in der Fachklinik H. R.. Vom 7. Oktober 2008 bis
13. Januar 2009 fand eine weitere stationäre Rehabilitationsbehandlung im S. Klinikum K.-L. (i.F. S. Klinikum)
statt, wo ein kaufmännisches Praxistraining empfohlen wurde. An einer solchen Maßnahme zur Teilhabe am
Arbeitsleben nahm der Kläger ebenfalls am S.-Klinikum in der Zeit vom 21. April 2009 bis 12. Januar 2010
erfolgreich teil, wobei er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für Tätigkeiten als kaufmännischer
Sachbearbeiter voll leistungsfähig erachtet wurde (Bescheinigung des S.-Klinikums vom 12. Januar 2010). In
der Zeit vom 5. Juni 2008 bis 30. September 2009 bezog der Kläger, der sich seinerzeit überwiegend bei
seinem Bruder S. R. (i.F.: St.R.) in dessen Wohnung im U. W. in C. (mietfrei) aufhielt, allein die
Regelleistungen nach dem SGB II von der seinerzeit in getrennter Trägerschaft zuständigen Agentur für
Arbeit N.. Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für einen im Oktober 2010 gestellten Antrag wurden
ab 6. Oktober 2010 wegen Verstoßes gegen Mitwirkungspflichten versagt (bestandskräftig gewordener
Bescheid vom 21. Februar 2011).
3 Schon im Jahr 1999 hatte der Kläger mit der C. Lebensversicherungs-AG (i.F.: C. D.) einen
Lebensversicherungsvertrag über eine kapitalbildende Lebensversicherung abgeschlossen. Als
Versicherungsleistungen vereinbart waren - bei einem Vertragsbeginn vom 1. November 1999 sowie einem
Vertragsablauf zum 1. November 2037 - eine Kapitalleistung bei Vertragsablauf von (umgerechnet)
45.367,00 Euro; zum 1. November 2011 wurde ein Änderungsvertrag mit dynamischer Anpassung sowie
Erweiterung der Versicherungssumme bei Ablauf auf 51.178,00 Euro vereinbart. Der Rückkaufswert der
Lebensversicherung belief sich zum 31. Oktober 2008 (bei damaligen monatlichen Beitragszahlungen in
Höhe von 49,72 Euro) auf 4.918,00 Euro. Der garantierte Rückkaufswert stieg bis zum 1. September 2012
auf 8.250,74 Euro an (zuzüglich Guthaben aus laufender Überschussbeteiligung <187,31 Euro>,
Grundüberschuss zur Beitragsverrechnung <16,93 Euro> sowie nicht garantiertem Anteil
Bewertungsreserve <210,56 Euro> insgesamt 8.665,54 Euro) und erhöhte sich zum 31. Januar 2013 auf
8.672,93 Euro (zuzüglich Guthaben aus laufender Überschussbeteiligung <194,42 Euro> sowie
Grundüberschuss zur Beitragsverrechnung <76,16 Euro> insgesamt 8.943,51 Euro). Bis zum 31. August
2012 waren insgesamt 7.469,56 Euro an Beitragszahlungen (zuletzt ab November 2011 monatlich 60,76
Euro) aufgewandt worden, die die C. D. durch Lastschrift jeweils zu Lasten des Girokontos des Klägers bei
der Sparkasse P.-C. eingezogen hatte. Aus einer ebenfalls bei der C. D. abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung wurde dem Kläger rückwirkend ab dem 1. März 2008 eine monatliche Rente zuerkannt
(Schreiben der C. D. vom 8. September 2009; damaliger laufender monatlicher Rentenzahlbetrag 523,36
Euro, ab 1. November 2011 539,27 Euro, ab 1. November 2012 543,60 Euro).
4 Am 20. August 2012 beantragte der Kläger unter der Anschrift A. , N. beim beklagten Jobcenter erneut
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Hierzu legte er eine Mietbescheinigung
seiner Mutter M. R. (i.F.: M.R.) vom 24. August 2012, einen auf den 30. Juli 2012 datierten „Wohnungs-
Mietvertrag“ sowie einen Hausgrundriss vor, wonach er ab dem 1. August 2012 im Kellergeschoss
(Waschküche, Geräteraum, Kohlenraum) zwei Zimmer (40 m²) nebst Bad- und Küchenmitbenutzung zu
einer monatlichen Grundmiete von 200,00 Euro zuzüglich Heiz- und Nebenkosten von pauschal 100,00 Euro
angemietet habe. Als Vermögen gab er neben seinem Girokonto bei der Sparkasse P.-C. die
Lebensversicherung bei der C. D. an sowie als Einkommen die private Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von
monatlich 539,27 Euro.
5 Durch Bescheid vom 28. August 2012 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil das zu berücksichtigende
Vermögen in Form der Lebensversicherung die Freibeträge von insgesamt 5.100,00 Euro übersteige und der
Kläger damit nicht hilfebedürftig sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, die
Lebensversicherung stelle seine einzige Altersvorsorge dar. Er leide unter einem dauerhaften Hirnschaden;
deshalb habe er keine Möglichkeit mehr, eine ausreichende Anwartschaft auf eine Altersrente aufzubauen.
Das durch die Lebensversicherung zu erwirtschaftende Vermögen übersteige nicht den „angemessenen
Umfang“. Im Übrigen sei die Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich und stelle überdies eine besondere
Härte dar. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. September 2012 wurde der Widerspruch zurückgewiesen; der
Kläger sei zum Zeitpunkt der Vermögensprüfung 29 Jahre alt und erwerbsfähig gewesen und somit noch
weit vom Rentenalter entfernt, sodass ihm die Möglichkeit gegeben sei, weiterhin Rentenanwartschaften zu
erlangen.
6 Deswegen hat der Kläger am 1. Oktober 2012 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Während
des Klageverfahrens hat der Kläger beim Beklagten am 15. Februar 2013 einen Weiterbewilligungsantrag
gestellt, der mit Bescheid vom 25. Februar 2013 abgelehnt wurde.
7 Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger erneut geltend gemacht, die Lebensversicherung stelle
voraussichtlich seine einzige Altersvorsorge dar. Auf Grund der von den Lebensversicherern regelmäßig
vorgenommenen Gesundheitsprüfungen werde es ihm nicht mehr möglich sein, einen weiteren
Lebensversicherungsvertrag abzuschließen. Eine Unwirtschaftlichkeit der Verwertung sei gegeben. Auch
liege eine besondere Härte vor, da auf Grund seiner Behinderung sowie der Art seiner gesundheitlichen
Beeinträchtigungen von einer Rentenversicherungslücke auszugehen sei, die größer sei als die
Versorgungslücke bei einer durchschnittlichen Berufsbiographie eines „Alg II-Empfängers“ in seinem Alter
und seinem Ausbildungsstand. Die Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses sei ihm nicht möglich
gewesen, da er die Lebensversicherung bereits im 17. Lebensjahr abgeschlossen und diese eine Laufzeit
lediglich bis zum 55. Lebensjahr habe. Der Vermögenseinsatz beeinträchtige seine soziale Stellung so
nachhaltig, dass eine berufliche Wiedereingliederung erschwert sei. Schließlich stehe ihm die
Lebensversicherung auch nicht mehr in voller Höhe zur Verfügung, da sein Bruder, der bereits seit Jahren
die Beitragszahlung übernommen habe, diese Beiträge bei Fälligkeit der Lebensversicherung rückerstattet
erhalten wolle. Ferner führe er vor dem Landgericht (LG) T. einen Arzthaftungsprozess, für den bereits
Prozesskosten in Höhe von 3.000,00 Euro zu begleichen gewesen seien. Überdies sei fraglich, ob er
überhaupt noch zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in der Lage sei; vom 3. Januar bis 14. Februar 2013
habe er sich wegen einer schweren depressiven Episode in stationärer Behandlung in der F. in F. befunden;
die praktische Intelligenz insbesondere bezüglich der Wahrnehmungsorganisation und der
Arbeitsorganisation liege bei ihm weit unter der Norm (Verweis auf ein neuropsychologisches
Zusatzgutachten des Universitätsklinikums F. vom 25. Februar 2011). Er könne seinen Lebensunterhalt
weder durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit noch aus seinem Einkommen sichern. Zwar habe ihn
seine Mutter in der Vergangenheit finanziell unterstützt, nachdem der Beklagte die Zahlung von Leistungen
abgelehnt habe; selbst wenn er von seiner Mutter diese Hilfe auch weiterhin erhalten sollte, stehe dies
seiner Hilfebedürftigkeit nicht entgegen. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Frage, ob das
vorhandene Vermögen zukünftig die einzige Altersvorsorge darstelle, sei im Rahmen der Vermögensprüfung
grundsätzlich nicht zu klären. Er sei nicht Zweck der Grundsicherung nach dem SGB II, den Antragsteller
vor der möglichen Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Alter zu bewahren. Eine Erwerbsunfähigkeit des
Klägers liege nicht vor; im Übrigen wäre in einem solchen Fall die Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Nr.
2 SGB II nicht erfüllt.
8 Mit Urteil vom 20. Februar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im
Wesentlichen ausgeführt, die Lebensversicherung des Klägers sei als Vermögen zu berücksichtigen. Die
Verwertung der Lebensversicherung sei nicht nach § 12 Abs. 2 SGB II ausgeschlossen; ebenso wenig lägen
die Voraussetzungen des Abs. 3 Satz 1 Nrn. 3 und 6 der Vorschrift vor. Der Rückkaufswert der
Lebensversicherung liege oberhalb der Summe der Beiträge, die der Kläger eingezahlt habe, sodass von
einer Unwirtschaftlichkeit der Verwertung nicht auszugehen sei. Ferner sei eine besondere Härte nicht
ersichtlich. Zwar könne eine Lebensversicherung geschützt sein, wenn ein behinderter Mensch sein
Arbeitsmarktrisiko ausgleiche. Von einem solchen Arbeitsmarktrisiko könne beim Kläger aber keine Rede
sein. Die beim Kläger ausweislich des Befundberichts der F. diagnostizierte depressive Störung führe
allenfalls zu einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit. Zwar dürfte die Erkrankung des Klägers dazu
führen, dass er geistig und kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten nicht mehr ausüben könne. Es sei jedoch
nicht ersichtlich, weshalb der Kläger körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht
weiterhin ausüben können solle.
9 Gegen dieses den früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers am 28. Februar 2013 zugestellte Urteil
richtet sich seine am 18. März 2013 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegte
Berufung. Zur Begründung hat er vorgebracht, er habe zwar eine Ausbildung als Bankkaufmann
abgeschlossen, sei danach jedoch nur zwei Monate in diesem Beruf tätig gewesen, weil er im Oktober 2005
das Betriebswirtschaftsstudium aufgenommen habe, das er indes wegen seiner schweren Erkrankung habe
abbrechen müssen. Die monatlichen Zahlungen an den Lebensversicherer habe deshalb sein Bruder
übernommen, ferner weitere Leistungen zur Bestreitung von Lebensunterhaltskosten sowie die
Finanzierungskosten des Rechtsstreits beim LG T. (insgesamt 7.000,00 Euro), die ihm von diesem als
Darlehen zur Verfügung gestellt worden seien. Bereits während dieser Zeit habe sein Bruder darauf
bestanden, dass er für den Fall, dass er, der Kläger, einmal die gewährten Darlehen nicht werde
zurückzahlen können, die Leistungen aus der Lebensversicherung erwerbe. Eine schriftliche Abtretung habe
am 14. März 2013 im Hinblick darauf stattgefunden, dass sein Bruder St. R. auf einer schriftlichen
Absicherung der Darlehensrückzahlungsansprüche bestanden habe und auch mit Blick darauf, dass sie sich
darauf geeinigt hätten, dass die monatlichen Beiträge zur Lebensversicherung weiterhin von seinem Bruder
aufgebracht und ihm darlehensweise zur Verfügung gestellt würden. Die Inanspruchnahme der
Lebensversicherung sei ihm nach allem nicht möglich. Die Berücksichtigung der Lebensversicherung als
Vermögen würde überdies eine besondere Härte darstellen. Unter keinen Umständen sei er jemals mehr in
der Lage, wieder als Bankkaufmann zu arbeiten oder auch nur einen Beruf auszuüben, in dem er annähernd
so viel Einkommen erzielen könne wie im Beruf des Bankkaufmanns. Selbst wenn es ihm aber gelinge, eine
Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens drei Stunden täglich aufzunehmen, wäre er nicht
mehr in der Lage, die entstandene Rentenlücke durch seine Arbeitstätigkeit zu schließen; er sei deshalb
darauf angewiesen, mit den Leistungen aus der Lebensversicherung die zu erwartende äußerst niedrige
Rente aufzustocken. Eine volle Erwerbsunfähigkeit liege dagegen bei ihm nicht vor; vielmehr sei er im
streitgegenständlichen Zeitraum durchaus in der Lage gewesen, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. In diesem Zeitraum habe er die Mieten für die Unterkunft in N.
nicht zahlen können. Als er im August 2012 seine Mutter gebeten habe, in die Untergeschosswohnung
einziehen zu können, habe ihm diese klargemacht, dass er hierfür 200,00 Euro Miete zu bezahlen habe und
weitere 100,00 Euro für Nebenkosten. Diese Beträge seien ihm von seiner Mutter auf seine Bitte bis zur
Auszahlung der Leistungen durch den Beklagten gestundet worden. Bei den vermieteten Räumlichkeiten
habe es sich um die ehemaligen Kinderzimmer gehandelt. Der Kläger hat u.a. eine auf den 14. März 2013
datierte „Sicherungsabtretungsvereinbarung“ sowie eine mit dem Datum vom 4. Oktober 2013 versehene,
von ihm und seinem Bruder St. R. unterschriebene Auflistung der von diesem im Zeitraum von Februar 2008
bis Februar 2012 erhaltenen Beträge (insgesamt errechnete 8.900,00 Euro), ein Schreiben der M.R. vom 9.
Dezember 2013 zu der Stundung der Miete, diverse Kontoauszüge sowie das von der C. D. veranlasste
Gutachten des Prof. Dr. E. vom 14. März 2011 zu den Akten gereicht. Mit Schriftsatz seines
Prozessbevollmächtigten vom 25. November 2016 hat der Kläger außerdem den Anstellungsvertrag der R.
B. GmbH über eine befristete Beschäftigung als Anlagenbediener vom 19. Oktober 2015 bis 31. März 2016
(regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 34,18 Stunden) vorgelegt sowie mit Schriftsatz vom 8. Dezember
2016 ergänzend mitgeteilt, dass das Arbeitsverhältnis nunmehr bis zum 31. März 2017 befristet sei. In der
mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2017 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers außerdem
mitgeteilt, dass dieser seit August 2015 wegen von der C. D. nunmehr verneinter Berufsunfähigkeit keine
Rente mehr beziehe. Der Kläger habe außerdem aus einem im Rahmen des Arzthaftungsprozesses
geschlossenen Vergleich im Jahr 2015 eine Zahlung von 150.000,00 Euro erhalten.
10 Der Kläger beantragt,
11 das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2013 aufzuheben und den Beklagten unter
Aufhebung des Bescheids vom 28. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.
September 2012 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. August 2012 bis 31. Januar 2013 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
12 Der Beklagte beantragt,
13 die Berufung zurückzuweisen.
14 Er hält das angefochtene Urteil und die streitbefangenen Bescheide für zutreffend. Der Kläger sei angesichts
seiner der grundsätzlich gegebenen Erwerbsfähigkeit sowie seines jungen Lebensalters potentiell in der
Lage, künftig am Erwerbsleben teilzunehmen. Dabei sei unerheblich, ob er noch in seinem erlernten Beruf
als Bankkaufmann arbeiten könne, solange eine generelle Erwerbsfähigkeit bestehe. Eine dauerhafte
Erwerbsminderung ergebe sich aus dem Gutachten vom 14. März 2011 nicht. Der vorgelegte
Abtretungsvertrag sei nicht erheblich. Dieser mit der Berufungsbegründung eingereichte Vertrag sichere
lediglich abstrakt eine behauptete Forderung des Bruders gegenüber dem Kläger, „soweit bereits Darlehen
gewährt wurden“; ob und in welcher Höhe diese Forderung tatsächlich bestehe, sei nicht ausreichend
belegt, ein Verwertungsverbot ergebe sich nicht. Da hinsichtlich der Unterkunft keine
berücksichtigungsfähigen Mietzahlungen geflossen seien, könne der Mietvertrag bei Ermittlung der
Hilfebedürftigkeit keine Rolle spielen.
15 Der Beigeladene (Beiladungsbeschluss vom 4. November 2016), der keinen Antrag gestellt hat, hat
vorgebracht, hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit des Klägers ergebe sich keinerlei Hinweis auf eine dauerhafte
Erwerbsminderung. Im Übrigen wären auch im Leistungsbereich des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
(SGB XII) die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers zu beachten. Die vorhandene
Lebensversicherung wäre demnach auch im SGB XII als Vermögen einzusetzen, wobei die Schongrenzen
hier noch geringer seien als im SGB II.
16 Zur weiteren Darstellung wird auf die Leistungsakten des Beklagten, die Klageakte des SG und die
Berufungsakte des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17 Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
I.
18 Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und
fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), weil die Berufungsausschlussgründe des § 144
Abs. 1 Satz 1 SGG nicht entgegenstehen. Bei überschlägiger Berechnung (vgl. hierzu Bundessozialgericht
SozR 4-4300 § 64 Nr. 1 ) ist davon auszugehen, dass zu dem maßgeblichen Zeitpunkt
der Berufungseinlegung der Wert des Beschwerdegegenstandes mehr als 750,00 Euro betragen hat (§ 144
Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der allein noch streitbefangenen Zeit
vom 1. August 2012 bis 31. Januar 2013. Mit der während des Berufungsverfahrens erfolgten Beschränkung
des streitigen Zeitraums hat der Kläger dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beklagte dessen am 15.
Februar 2013 gestellten neuerlichen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II durch den bestandskräftig (§ 77 SGG) gewordenen Bescheid vom 25. Februar 2013 abgelehnt hat.
Durch die Erteilung dieses Bescheids endete der Zeitraum, für den der vorliegend angefochtene Bescheid
Wirkung entfaltet hat. Der Bescheid ist auch nicht über § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden
(ständige Rechtsprechung, vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 27/15 R - ;
ferner BSG SozR 4-3500 § 21 Nr. 1 ).
II.
19 Der Kläger hat in der streitbefangenen Zeit keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II. Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 19 Abs. 1 Satz 1
SGB II i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige
Arbeitslosengeld II. Grundlegende Anspruchsvoraussetzung hierfür ist neben dem Lebensalter (Nr. 1) sowie
dem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (Nr. 4) - all das steht hier zu Recht nicht im Streit - die
Erwerbsfähigkeit (Nr. 2) und die Hilfebedürftigkeit (Nr. 3). Die Erwerbsfähigkeit misst sich an § 8 Abs. 1 SGB
II; hiernach ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande
ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich
erwerbstätig zu sein. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem
zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von
anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB
II).
20 1. Mit dem SG und den Beteiligten ist auch der Senat davon überzeugt, dass der Kläger in der
streitbefangenen Zeit erwerbsfähig im Sinne der §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 8 Abs. 1 SGB II gewesen ist.
Ausreichend für den Leistungsanspruch ist ein Restleistungsvermögen von drei Stunden auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt; allein dieser zeitliche Umfang entsprechend dem positiven und negativen
Leistungsbild ist für die Erwerbsfähigkeit nach dem SGB II maßgeblich, denn Kernanliegen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende ist die verstärkte Integration Langzeitarbeitsloser in Arbeit (vgl. BSGE
105, 201 = SozR 4-4200 § 8 Nr. 1 ). Aus dem vom Kläger vorgelegten, im Auftrag der C.
D. erstatteten Gutachten des Prof. Dr. E., Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an
der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums F., vom 14. März 2011
sowie dem von diesem verwerteten neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 25. Februar 2011 ist
ersichtlich, dass der Kläger seinerzeit noch an den Folgen einer pontinen Myelinolyse bei Alkoholabhängigkeit
mit glaubhaft angegebener Abstinenz sowie an einem organischen Psychosyndrom gelitten hat mit
testpsychologisch nachweisbarer, allerdings klinisch nur diskreter Beeinträchtigung der kognitiven
Leistungsfähigkeit. Eingeschränkt war die affektive Schwingungsfähigkeit; es bestand eine
Antriebshemmung mit Verlangsamung. Der Gedankengang war formal geordnet, jedoch etwas verlangsamt
und verarmt; inhaltliche Denkstörungen im Sinne eines Wahns sowie Störungen der Wahrnehmung und des
Icherlebens waren jedoch nicht nachweisbar. Aus diesem psychopathologischen Zustandsbild hat Prof. Dr. E.
seinerzeit nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass der Kläger anspruchsvolle Tätigkeiten, mithin
diejenigen eines Bankkaufmanns oder Betriebswirts, nicht mehr verrichten könne, ihm jedoch einfache
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ohne Anforderung an Konzentrationsfähigkeit und die kognitiven
Fähigkeiten sowie ohne Anforderung an Energieniveau, Flexibilität und Initiative halbschichtig möglich seien.
Schon damals hat Prof. Dr. E. indessen darauf hingewiesen, dass es sich wahrscheinlich um einen
vorübergehenden Zustand handele, und deshalb die Dauer der Beeinträchtigungen auf etwa ein Jahr
eingeschätzt. Diese prognostische Leistungseinschätzung hat sich in der Folgezeit im Übrigen bestätigt. So
ist der Kläger, der gegenüber dem Gutachter bereits anlässlich der Untersuchung am 21. Januar 2011
angegeben hatte, sich um Tätigkeiten unterhalb des erlernten Berufs zu bemühen und sich bereits als
Produktionshelfer beworben zu haben, seit 19. Oktober 2015 bei der R. B. GmbH am Standort in F. als
Anlagenbediener mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 34,18 Stunden beschäftigt; schon
seit August 2015 hat der Kläger ausweislich der Angaben seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen
Verhandlung vom 26. Januar 2017 aus mit der C. D. abgeschlossenen Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung keine Rente mehr bezogen. Die stationäre Behandlung in der F. vom 3. Januar bis 14.
Februar 2013, die ausweislich des Berichts der Oberärztin Dr. J. vom 14. Februar 2013 bei den Diagnosen
einer rezidivierenden depressiven Störung mit seinerzeit schwerer depressiver Episode ohne psychotische
Symptome, einer leichten kognitiven Störung sowie einer zentralen pontinen Myelinolyse durchgeführt
worden war, wertet der Senat - ebenso wie bereits das SG - als vorübergehende Arbeitsunfähigkeit; eine
längerfristige, sechs Monate überdauernde Leistungsminderung (vgl. hierzu Blüggel in Eicher, SGB II, 3.
Auflage, § 8 Rdnr. 31; Hackethal in jurisPK-SGB II, § 8 Rdnr. 20 ; Valgolio in
Hauck/Noftz, SGB II, § 8 Rdnr. 37 ) lässt sich diesem Arztbrief nicht entnehmen. Der Kläger
hat im Übrigen in dem am 24. August 2012 unterzeichneten Formantrag auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II die Frage, ob er sich für gesundheitlich in der Lage halte, eine Tätigkeit
von mindestens drei Stunden täglich auszuüben, bejaht und insoweit im Weiterzahlungsantrag vom 15.
Februar 2013 Änderungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit verneint. Eine weitere stationäre Behandlung
im Anschluss an den Aufenthalt in der F. hat nicht stattgefunden (vgl. Schriftsatz vom 25. November 2016).
Nach allem steht für den Senat fest, dass der Kläger in der streitbefangenen Zeit unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht nur mindestens drei Stunden täglich, sondern sogar in
weitaus größerem zeitlichem Umfang erwerbstätig sein konnte. In Anbetracht dieser Umstände unterfällt
der Kläger mithin dem Leistungssystem des SGB II, nicht dagegen dem Regime des SGB XII, sodass eine
Leistungspflicht des Beigeladenen nicht gegeben ist.
21 2. Indessen liegt die nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II zu fordernde Hilfebedürftigkeit des
Klägers in der streitigen Zeit nicht vor. Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit sind dem Bedarf die zu dessen
Sicherung zu berücksichtigenden und zur Verfügung stehenden Bedarfsdeckungsmöglichkeiten
gegenüberzustellen (vgl. auch § 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II).
22 a) Vorliegend war beim Kläger Einkommen und Vermögen vorhanden, mit dem er seinen Bedarf in der
streitbefangenen Zeit decken konnte. Die Berücksichtigung von Einkommen ist in § 11 SGB II, die
Berücksichtigung von Vermögen in § 12 SGB II - beide jeweils i.V.m. § 13 SGB II und der Verordnung zur
Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2942
Änderungen>) - geregelt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen
in Geld oder Geldeswert. Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren
Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
23 Das Arbeitslosengeld II umfasst nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den
Bedarf für Unterkunft und Heizung. Der Regelbedarf für Alleinstehende (§ 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 5
SGB II) - wie hier den Kläger - hat sich im Jahr 2012 auf monatlich 374,00 Euro sowie ab Januar 2013 auf
monatlich 382,00 Euro belaufen (vgl. die Bekanntmachungen über die Höhe der Regelbedarfe nach § 20 Abs.
5 SGB II vom 20. Oktober 2011 und vom 18. Oktober 2012 ).
Anhaltspunkte für Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) ergeben sich nicht; die Voraussetzungen für einen Mehrbedarf
nach § 21 Abs. 4 SGB II (vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 5. August 2015 - B 4 AS 9/15 R - ), wie
ihn der Kläger in seinem Telefonat mit dem Beklagten vom 27. August 2012 wohl hat anklingen lassen,
liegen ersichtlich nicht vor. Ein Bedarf für die Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) könnte beim Kläger nur
Berücksichtigung finden, wenn zwischen ihm und seiner Mutter hinsichtlich der Überlassung von Wohnraum
ein rechtlicher Bindungswille bestanden hätte (vgl. hierzu BSG SozR 4-4200 § 22 Nrn. 15 und 21). Hieran
dürften Zweifel bestehen, nachdem der Kläger, der im Übrigen bei seinem Bruder St. R. offensichtlich
mietfrei wohnen konnte (vgl. nur die Angaben auf Bl. 12 und 123 der Leistungsakten), ausweislich des
Vorbringens in den Schriftsätzen vom 19. Mai und 25. September 2014 (erst) im August 2012 wieder in das
mütterliche Haus einziehen wollte, also zu einem Zeitpunkt, der in etwa mit der hier zu betrachtenden
Leistungsantragstellung vom 20. August 2012 zusammenfiel. Nachdem der Kläger laut der Auskunft des
Bürgerbüros der Stadt N. vom 9. und 15. November 2016 durchgehend seit seiner Geburt bis zum 31.
Dezember 2015 im A. gemeldet war, ferner die nach den Angaben des Klägers angemieteten Räume im
Untergeschoss des H. bislang von den Söhnen der Mutter benutzt worden waren, wenn sie zu Besuch
waren, und im Übrigen zuvor als Kinderzimmer gedient hatten (vgl. Schriftsatz vom 25. September 2014),
erscheint eine Vermietung der Räumlichkeiten an den Kläger durch seine Mutter M.R. ab August 2012
insgesamt nicht plausibel. Hinzukommt, dass der vorlegte „Wohnungs-Mietvertrag“ vom 30. Juli 2012
datiert, der Kläger M.R. ausweislich des vorgenannten Schriftsatzes jedoch (erst) im August 2012 um
Wiedereinzug in das mütterliche Haus gebeten und diese ihm die angeblich verlangte Miete sofort wieder
„gestundet“ habe, wobei der „Wohnungs-Mietvertrag“ und die Mietbescheinigung bis zur erneuten
Vorsprache des Klägers und M.R. beim Beklagten am 28. August 2012 mit Bezug auf die Nebenkosten noch
nicht einmal ausgefüllt war und beide insoweit Unterstützung von dem Mitarbeiter verlangten, weil sie nach
dem Vortrag des Klägers nicht gewusst haben wollen, in welcher Form hier Nebenkosten (als Vorauszahlung
oder Pauschale?) einzutragen seien. Lässt man aber all diese Zweifel hier dahingestellt sein, so wäre
günstigenfalls von einem monatlichen Gesamtbedarf des Klägers in der streitbefangenen Zeit von 674,00
Euro (bis 31. Dezember 2012) bzw. von 682,00 Euro (ab 1. Januar 2013) auszugehen.
24 Diesem Gesamtbedarf stand jedoch ein Einkommen des Klägers in Form der privaten Berufsunfähigkeitsrente
von monatlich 539,27 Euro (bis Oktober 2012) sowie von 543,60 Euro (ab November 2012) gegenüber,
sodass der - unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale von 30,00 Euro (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V
) - durch dieses
Einkommen monatlich nicht gedeckte Bedarf im günstigsten Fall in der Zeit vom 1. August bis 31. Oktober
2012 164,73 Euro, in der Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 2012 160,40 Euro sowie im Januar 2013
168,40 Euro betragen hat.
25 b) Indessen kommt ein Leistungsanspruch des Klägers in der oben genannten Höhe schon deswegen nicht in
Betracht, weil seine bei der C. D. bestehende kapitalbildende Lebensversicherung zur Bedarfsdeckung in der
streitbefangenen Zeit bei Weitem ausgereicht hat, und zwar selbst dann, wenn insoweit die Beiträge zur
freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung bei der A. Baden-Württemberg, die sich im Jahr
2012 auf 149,63 Euro (vgl. die Kontoauszüge auf Bl. 160 ff. der Leistungsakten, Bl. 7 der
Prozesskostenhilfeakte des SG) und im Jahr 2013 auf 154,51 Euro (vgl. die Kontoauszüge auf Bl. 40 der
Berufungsakte, Bl. 6 der Prozesskostenhilfeakte des LSG) belaufen haben, ergänzend berücksichtigt
werden.
26 aa) Seine Ansprüche auf Auszahlung des Rückkaufswerts einschließlich der Überschussbeteiligung bei
Kündigung des Lebensversicherungsvertrags hat der Kläger ausweislich der mit Schriftsatz vom 23. April
2013 vorgelegten „Sicherungsabtretungsvereinbarung“ erst am 14. März 2013 an seinen Bruder St. R.
„abgetreten“, also außerhalb des hier streitigen Zeitraums und erst nach Zustellung des angefochtenen
Urteils des SG am 28. Februar 2013. In der „Sicherungsabtretungsvereinbarung“ ist von einer früheren
Abtretung nicht die Rede; vielmehr heißt es dort wörtlich, dass der Zedent „hiermit“ seine Ansprüche auf
Auszahlung des „gegenwärtigen und künftigen Rückkaufwertes“ im Fall der Kündigung des
Lebensversicherungsvertrages mit der C. D. zuzüglich Überschussbeteiligung zur Sicherung der
gegenwärtigen und künftigen Rückzahlungsansprüche des Zessionars an diesen abtrete. Dass eine
Sicherungsabtretung erfolgt sein soll, hat der Kläger überdies erstmals mit der Berufungsschrift vom 23.
April 2013 vorgebracht. Erstinstanzlich ist lediglich - und auch dies erst im Schriftsatz vom 17. Februar 2013
- davon die Rede gewesen, dass der Bruder des Klägers die Zahlung der Beiträge bereits seit Jahren
übernommen habe, um ihm zumindest diese Altersvorsorge zu erhalten, der Bruder jedoch spätestens mit
der Fälligkeit der Lebensversicherung die Beiträge zurückerstattet erhalten wolle. Entsprechendes wurde im
Verwaltungsverfahren überhaupt nie vorgebracht. Die Lebensversicherung des Klägers bei der C. D. hat
mithin sowohl zum Zeitpunkt der Leistungsantragstellung (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts im Fall
einer Abtretung Mecke in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 12 Rdnr. 30; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II § 12
Rdnr. 145 ) als auch noch während des gesamten streitbefangenen Zeitraums zum
Vermögen des Klägers gehört. Ohnedies lässt sich den Formulierungen in der
„Sicherungsabtretungsvereinbarung“ nicht entnehmen, dass die „Vereinbarung“ vom 14. März 2013 auch
die Beleihung der Versicherungspolice bei der C. D. umfassen solle; auf die entsprechenden Darlegungen im
Prozesskostenhilfebeschluss des Senats vom 13. Januar 2015 ist der Kläger im weiteren Verlauf des
Rechtstreits nicht eingegangen.
27 Darauf, ob die „Sicherungsabtretungsvereinbarung“ von beiden Brüdern überhaupt ernsthaft gemeint war,
kommt es nach allem nicht weiter an. Deshalb sei nur so viel gesagt: Sicherheitshalber abgetretene
Forderungen sind fiduziarische Sicherheiten, die auch ohne ausdrückliche Vereinbarung ein
Treuhandverhältnis begründen (Bundesgerichtshof - Großer Senat - BGHZ 137, 212
38>); als solches bedarf es einer entsprechenden Sicherungsabrede, die zivilrechtlich wirksam abgeschlossen
sein muss (vgl. (vgl. BSG, Urteile vom 24. Mai 2006 - B 11a AL 49/05 R -, 21. März 2007 - B 11a AL 21/06 R
- und 28. August 2007 - B 7/7a AL 10/06 R - ; Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE 132, 21). Dies ist nicht der Fall, wenn es sich hierbei um ein Scheingeschäft im Sinne
des § 117 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) handelt mit dem Ziel, nur den äußeren Schein eines
Rechtsgeschäfts hervorzurufen, nicht aber die damit verbundenen Rechtsfolgen eintreten lassen zu wollen
(BGH, Urteil vom 24. Januar 1980 - III ZR 169/78 - NJW 1980, 1572). An den Nachweis und die Ernstlichkeit
eines derartigen Vertrags unter Verwandten sind - ebenso wie bei einem Darlehen unter Verwandten (§ 488
BGB) - zur klaren und eindeutigen Abgrenzung von einer verschleierten Schenkung oder einer verdeckten,
auch freiwilligen Unterhaltsgewährung strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerwGE 132, 21
19>; zum Darlehen unter Verwandten BSGE 106, 185 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 30 ).
28 bb) Der garantierte Rückkaufswert der Lebensversicherung hat unmittelbar nach der am 20. August 2012
erfolgten Antragstellung am 1. September 2012 8.250,74 Euro betragen; unter Einschluss der
Überschussbeteiligung (laufender Überschuss, Grundüberschuss zur Beitragsverrechnung, nicht garantierter
Anteil Bewertungsreserve; vgl. zur Überschussbeteiligung als Vermögen BSG SozR 4-4200 §12 Nr. 26
) hat sich sogar ein Betrag von 8.665,54 Euro ergeben. Beides zusammen - Rückkaufswert
und Überschussbeteiligung - stellt (abzüglich der Verwertungskosten) den maßgeblichen Verkehrswert im
Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 1 SGB II, § 8 Alg II-V dar (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 - B 4 AS
29/12 R - ; BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 23 ; BSG SozR
4-4200 §12 Nr. 26 ). Die Lebensversicherung des Klägers bei der C. D. war auch verwertbar.
Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können.
Der Begriff der Verwertbarkeit ist ein rein wirtschaftlicher und beurteilt sich sowohl nach den tatsächlichen
als auch den rechtlichen Verhältnissen (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 15
; BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 20 ; BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 23
). Tatsächlich nicht verwertbar sind danach Vermögensgegenstände, für die in absehbarer
Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder
weil sie über den Marktwert hinaus belastet sind. Rechtlich nicht verwertbar ist ein Vermögensgegenstand,
für den Verfügungsbeschränkungen bestehen, deren Aufhebung der Inhaber nicht erreichen kann.
29 Tatsächliche oder rechtliche Hindernisse, die eine Verwertung der Lebensversicherung bei der C. D.
schlechterdings unmöglich gemacht hätten, liegen nicht vor. Die „Sicherungsabtretungsvereinbarung“
datiert erst vom 14. März 2013 und kann daher, ungeachtet ihrer fraglichen Ernstlichkeit (vgl. dazu die
obigen Ausführungen unter aa), für den vorliegend streitbefangenen Zeitraum auch mit Bezug auf die
Verwertbarkeit der Lebensversicherung keine Bedeutung erlangen. Dass die Lebensversicherung innerhalb
kürzester Zeit verwertbar gewesen wäre, lässt sich dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Schreiben
der C. D. vom 8. August 2012 zwanglos entnehmen. Mithin war von einer solchen kurzfristigen
Verwertungsmöglichkeit bereits im Rahmen der bei Antragstellung vorzunehmenden Prognose (vgl. etwa
BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 19
32>) realistischerweise auszugehen. Deshalb ist hier nicht weiter darauf einzugehen, dass eine Möglichkeit
zur kurzfristigen Verwertung der Lebensversicherung, wie die vom Kläger im Prozesskostenhilfeverfahren
vorgelegten Unterlagen der C. D. ergeben haben, auch in Form der Beleihung der Versicherungsleistung
mittels eines Policendarlehens bestanden hätte. Nach allem scheidet hier ein Fall des § 9 Abs. 4 SGB II aus,
sodass eine darlehensweise Leistungsgewährung, die der Kläger im Übrigen nie verlangt hat, nicht in
Betracht zu ziehen ist. Ohnehin konnte der Kläger die streitbefangene Zeit angesichts der „Stundung“ der
angeblichen Mietzahlungsverpflichtungen durch seine Mutter mittels seines Einkommens aus der privaten
Berufsunfähigkeitsrente (selbst unter Berücksichtigung der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung
und zur Pflegeversicherung) weitestgehend überbrücken.
30 cc) Der Verkehrswert der Lebensversicherung hat die Freibetragsgrenzen nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1
und 4 SGB II bei Weitem überschritten. Der Grundfreibetrag hat sich bei dem im Dezember 1982 geborenen
Kläger im Zeitpunkt der Antragstellung auf 4.350,00 Euro (150,00 Euro x 29 Lebensjahre) sowie der
Freibetrag für notwendige Anschaffungen auf 750,00 Euro belaufen, sodass sich Freibeträge von insgesamt
5.100,00 Euro ergeben haben. Der Grundfreibetrag war mit Vollendung des 30. Lebensjahrs am 18.
Dezember 2012 um weitere 150,00 Euro zu erhöhen (vgl. dazu BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 5
), woraus sich ab diesem Zeitpunkt Freibeträge von insgesamt 5.250,00 Euro errechnen. Die
genannten Freibeträge haben indes schon den garantierten Rückkaufswert der Lebensversicherung, erst
recht jedoch den gesamten Verkehrswert der Lebensversicherung deutlich unterschritten. Eine Schonung
der Lebensversicherung nach § 7 Abs. 1 Alg II-V (in der Fassung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes vom
24. März 2011 ) war, was der Kläger auch selbst nicht geltend gemacht hat, nicht
gegeben.
31 dd) Die Lebensversicherung bei der C. D. war nicht mit dem die obengenannten Freibeträge
überschießenden Anteil nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II geschützt, denn um eine nach Bundesrecht (§
10a oder nach dem XI. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes; sog. „Riester-Anlageform“) geförderte
Anlageform oder einen sonstigen nach § 5 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten
Altersvorsorgevertrag hat es sich - was auch der Kläger nicht in Abrede stellt - gerade nicht gehandelt (vgl.
hierzu BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8 ; BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b
52/06 R - ; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 a.a.O. ). Welche Gründe
den Kläger dazu bewogen haben, sich nicht durch eine entsprechende Zusatzaltersvorsorge abzusichern, ist
unerheblich. Er kann jedenfalls nicht verlangen, dass das von ihm ab 1999 angesparte Vermögen aus der
Lebensversicherung unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten mit den Sicherungsformen des § 12 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 SGB II gleichgesetzt werde (vgl. BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8
ff.>; BSG, Urteil vom 15. April 2008 a.a.O. ).
32 ee) Auf eine Vermögensschonung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB II vermag sich der Kläger gleichfalls
nicht zu berufen. Danach sind vom Vermögen abzusetzen geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge
dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand auf Grund einer unwiderruflichen
vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geldwerten Ansprüche 750,00 Euro je
vollendetem Lebensjahr der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person und deren Partnerin oder Partner,
höchstens jeweils den nach Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag (hier: 50.250,00 Euro) nicht übersteigt.
Einen Verwertungsausschluss (bis 31. Dezember 2007 § 165 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes
in der Fassung der Gesetze vom 24. Dezember 2003 und vom 2. Dezember
2006 ; ab 1. Januar 2008 § 168 Abs. 3 VVG in der Fassung des Gesetzes vom 10.
Dezember 2007 ) hat der Kläger indessen mit der C. D. nicht vereinbart; im Gegenteil hat
der Kläger den Vertragsablauf mit dem 1. November 2037, also sogar vor Vollendung des 55. Lebensjahres
und damit weit vor dem (geschätzten) Eintritt in den Ruhestand, vereinbart. Auf die Gründe, warum dies
geschehen ist, kommt es hier nicht an. Der Kläger kann auch nicht so gestellt werden, als ob er in der
streitbefangenen Zeit einen Verwertungsausschluss vereinbart gehabt hätte, denn eine nachträgliche
Herstellung des Verwertungsausschlusses für abgelaufene Zeiträume ist nicht möglich (vgl. BSG SozR 4-
1200 § 14 Nr. 10 ; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 a.a.O. ).
33 ff) Ferner kommt ein Verwertungsschutz der Lebensversicherung des Klägers nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
SGB II nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung sind als Vermögen nicht zu berücksichtigen als vom
Inhaber für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände in angemessenem Umfang,
wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person oder deren Partnerin oder Partner von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind. Der Kläger unterfällt dem nach §
12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II privilegierten Personenkreis nicht, weil er nicht von der Versicherungspflicht in
der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 6, 231 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ) befreit
ist. Die Befreiung von der Versicherungspflicht nach den genannten Bestimmungen ist jedoch Voraussetzung
für den Privilegierungstatbestand des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II (vgl.
Versicherungsfreiheit von Selbständigen> BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8
ff.>; BSG, Urteil vom 15. April 2008 a.a.O. ; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 a.a.O.
). Das war beim Kläger indes zu keinem Zeitpunkt der Fall. Vielmehr unterlag er während der
Zeiten seiner abhängigen Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt der Versicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI sowie während der Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld II der Versicherungspflicht nach § 3 Satz
1 Nr. 3a SGB VI (in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung).
34 gg) Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II
(„offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung“) sind gleichfalls nicht erfüllt. Nach der ständigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8
ff.>; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 a.a.O. ; BSGE 115, 148 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 23
), welcher sich der Senat angeschlossen hat (vgl. nur Senatsurteil vom 12. November
2015 - L 4 AS 228/12 - ), liegt eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit vor, wenn der zu
erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden
Vermögensgegenstandes steht; umgekehrt ist eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der
Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur
geringfügig abweicht. Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines
rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen; mithin ist zu ermitteln, welchen Verkehrswert der
Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem
Substanzwert gegenüber zu stellen, wobei sich der Substanzwert bei einem Lebensversicherungsvertrag
aus den eingezahlten Beiträgen und der Verkehrswert aus dem Rückkaufswert der Versicherung
(einschließlich der Überschussanteile) ergibt. Für das Kriterium der „offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit“
maßgeblich abzustellen ist mithin auf die Verlustquote zwischen dem Substanzwert (= eingezahlte
Beiträge) und dem Verkehrswert der Lebensversicherung (= Rückkaufswert). Von einer Unzumutbarkeit der
Verwertung ohne Ermittlung weiterer Umstände ist die Rechtsprechung bei Verlustquoten von 48,2 %
(BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 5 ), von 44,26 % (BSGE 115, 148 = SozR 4-4200
§ 12 Nr. 23 ) sowie von 42,7 % und 26,9 % (BSG SozR 4-4200 § 12 Nr. 9 )
ausgegangen, während eine Verlustquote von 12,9 % (BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 5
Rdnr. 23>), von 8,49 % (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14 AS 27/07 R - ) sowie von
deutlich unter 10 % (BSG SozR 4-1200 § 14 Nr. 10 ) als hinnehmbar betrachtet worden sind.
35 Nach diesen Maßstäben liegt eine Unwirtschaftlichkeit der Verwertung der Lebensversicherung des Klägers
bei der C. D. nicht vor. Der Summe der vom Kläger in der Zeit vom 1. November 1999 bis 31. August 2012
zu der Lebensversicherung eingezahlten Beiträge von insgesamt 7.469,56 Euro (vgl. die Bescheinigung der
C. D. vom 8. August 2012) stand am 1. September 2012 ein garantierter Rückkaufswert von 8.250,74 Euro
- mit Überschussanteilen von 8.665,54 Euro - gegenüber; die eingezahlten Beiträge (= Substanzwert)
haben den Verkehrswert der Lebensversicherung mithin sogar, und zwar deutlich, unterschritten. Kein
wesentlich anderes Ergebnis lässt sich ermitteln, wenn insoweit auf den Zeitpunkt der
Leistungsantragstellung abgestellt wird. Die Verwertung der Lebensversicherung war dem Kläger mithin bei
der vorzunehmenden Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls wirtschaftlich zumutbar. Nichts anderes
dürfte sich im Übrigen im Fall der Beleihung der Versicherungspolice, die sich in der streitbefangenen Zeit auf
Grund des Renteneinkommens des Klägers ohnehin nur auf einen verhältnismäßig geringen Betrag hätte
beziehen müssen, ergeben haben (vgl. zu den Rechenoperationen im Fall der Beleihung einer
Lebensversicherung BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8 ; Mecke in Eicher, a.a.O.,
Rdnr. 113).
36 hh) Die Verwertung der Lebensversicherung bei der C. D. war darüber hinaus auch nicht auf Grund des
Ausnahmetatbestandes des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II („besondere Härte“) ausgeschlossen.
Erforderlich für eine besondere Härte sind außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die nicht bereits in §
12 Abs. 2 und 3 SGB II als Privilegierungstatbestände erfasst sind und die dem Betroffenen ein deutlich
größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung
stets verbundenen Einschnitte (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 4
; BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8 ). Nach den
Gesetzesmaterialien liegt ein Härtefall im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II etwa dann vor,
wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge
einsetzen muss, obwohl seine Rentenversicherung Lücken wegen selbständiger Tätigkeit aufweist
(Bundestags-Drucksache 15/1749 S. 32). Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers im Beispielsfall ist
mithin nicht allein der Verlust der Altersvorsorge und dessen Zeitpunkt, sondern beides nur zusammen mit
der Versorgungslücke geeignet, eine besondere Härte zu begründen (vgl. BSG a.a.O.); es muss also eine
Kumulation von Härtegesichtspunkten vorliegen. Derartige besondere Umstände des Einzelfalls sind hier von
vornherein nicht gegeben.
37 Hierbei ist zu beachten, dass eine Privilegierung der Lebensversicherung im Rahmen des § 12 Abs. 3 Satz 1
Nr. 6 Alt. 2 SGB II grundsätzlich nur in Betracht kommt, wenn die Versicherung tatsächlich und mit
ausschließlichem Willen zur Altersvorsorge bestimmt war und der Hilfebedürftige insoweit entsprechende
Vermögensdispositionen getroffen hat (vgl. BSGE 100, 196 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 8 ).
Ein ausschließlicher Wille des Klägers, die Lebensversicherung bei der C. D. zur Sicherung als
Altersvorsorgevermögen zu verwenden, ist indessen nicht ersichtlich. Dem steht bereits entgegen, dass die
Fälligkeit der Lebensversicherung vereinbarungsgemäß auf den 1. November 2037 bestimmt ist, mithin eine
Auszahlung bereits vor Vollendung des 55. Lebensjahres durch den Kläger und damit deutlich vor dem
Eintritt in das Rentenalter erfolgen soll. Darüber hinaus soll der Auszahlungsbetrag nach dem eigenen -
allerdings inkonsistenten - Vortrag des Klägers seinem Bruder St. R. jedenfalls insoweit zugutekommen, als
dieser für ihn die Beitragszahlungen übernommen hat. Ein objektiv erkennbarer, durch entsprechende
Vermögensdispositionen dokumentierter Wille des Klägers, die Lebensversicherung ausschließlich für die
Alterssicherung zu verwenden, ist mithin nicht feststellbar.
38 Dessen ungeachtet steht der Anwendbarkeit der Härteregelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II
auch entgegen, dass der Kläger in der streitbefangenen Zeit erst 29 bzw. 30 Jahre alt war und damit noch
nicht kurz vor dem Rentenalter und nicht kurz vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gestanden hat
(vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R - ; BSG, Urteil vom
11. Dezember 2012 a.a.O. ; ferner Mecke, a.a.O., Rdnr. 124). Der Kläger hatte vielmehr
seinerzeit - und im Übrigen auch jetzt noch - über lange Jahre hinweg die Chance, durch Erwerbstätigkeit
das bisher erreichte Altersvorsorgeniveau zu verbessern und weiter auszubauen. Dass er dies auch
tatsächlich vermag, ist durch die vom Kläger im Jahr 2015 aufgenommene Erwerbstätigkeit belegt. Längere
Zeiten der Arbeitslosigkeit stellen im Übrigen keine atypische Erwerbsbiographie dar; denn damit wird ein
Risiko verwirklicht, das grundsätzlich im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung durch
Berücksichtigung rentenrechtlich relevanter Zeiten abgedeckt wird (vgl. BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B
14 AS 27/07 R - ; BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R - ;
BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 a.a.O. ). Ferner stellt auch der Verlust des
Berufsunfähigkeitsschutzes bei Verwertung einen Lebensversicherung keinen eine besondere Härte
begründenden Umstand dar (BSG, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R - ; ferner
Senatsurteil vom 12. November 2015 - L 7 AS 228/12 - ). Dessen ungeachtet ist der
diesbezüglich vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom
26. Januar 2017 vorgebrachte Einwand aber schon deswegen nicht nachvollziehbar, weil die
Lebensversicherung des Klägers bei der C. D. und die dort abgeschlossene Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung unter zwei verschiedenen Versicherungsnummern geführt werden, es sich mithin um
zwei getrennte Vertragswerke handeln dürfte, und der Kläger im Übrigen zumindest bis Juli 2015 auch eine
Rente aus der Zusatzversicherung bezogen hat. Ein Mindestschutz ist ferner durch die gesetzlich
vorgesehenen Freibeträge (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 4 SGB II) hergestellt. Eine besondere Härte mit
Bezug auf die Verwertung der Lebensversicherung des Klägers bei der C. D. lässt sich sonach auch bei
kumulativer Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls nicht begründen.
39 3.) Nach allem hat in Anbetracht des beim Kläger vorhandenen Renteneinkommens sowie des - die
Freibetragsgrenzen deutlich übersteigenden Vermögens - in Form der Lebensversicherung bei der C. D., dem
der grundsicherungsrechtliche Bedarf (siehe hierzu oben unter 2 a und b) gegenüberzustellen ist, während
des gesamten streitbefangenen Zeitraum eine Hilfebedürftigkeit nicht bestanden. Ob beim Kläger in der
streitbefangenen Zeit sonstiges Einkommen oder Vermögen vorhanden war, bedarf deshalb keiner weiteren
Prüfung.
40 4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
41 5.) Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.