Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 01.02.2017

befreiung, erlass, änderung der rechtsprechung, verwaltungsakt

LSG Baden-Württemberg Urteil vom 1.2.2017, L 5 KA 1476/14
Vertragsärztliche Versorgung - Erledigung, Aufhebung und Rücknahme von Bescheiden über
die Befreiung eines Vertragsarztes von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst
Leitsätze
Zur Erledigung (auf sonstige Weise gemäß § 39 Abs. 2 SGB X), Aufhebung (gemäß § 48 SGB X) und Rücknahme
(gemäß § 45 SGB X) von (Alt-) Bescheiden über die Befreiung eines Vertragsarztes von der Teilnahme am
ärztlichen Notfalldienst wegen Neuregelung der Befreiungsvoraussetzungen in der Notfalldienstordnung der
Kassenärztlichen Vereinigung.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.02.2014 wird
zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000,00 EUR endgültig festgesetzt.
Tatbestand
1 Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung einer ihm erteilten Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen
Notfalldienst.
2 Der ärztliche Notfalldienst ist in der Notfalldienstordnung der Beklagten (NFDO) geregelt. Die NFDO vom
28.11.2007 - eine Satzung - ist am 01.01.2008 in Kraft getreten, nachdem die Beklagte durch
Verschmelzung ihrer vormals rechtlich selbstständigen Bezirke (KV N.- und S., N.- und S.) errichtet worden
ist. Die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten hatten den ärztlichen Notfalldienst für ihren
Zuständigkeitsbereich jeweils durch Satzung geregelt.
3 Die Befreiung von der (für jeden niedergelassenen Arzt verpflichtenden) Teilnahme am ärztlichen
Notfalldienst war im Zuständigkeitsbereich der vormaligen KV S. in § 2 Abs. 1 ihrer Notfalldienstordnung
(NFDO KV S.) geregelt. Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut:
4
Ärztinnen und Ärzte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, können auf schriftlichen Antrag vom
Notfalldienst befreit werden. Im Übrigen kann eine Befreiung nur in besonders begründeten
Ausnahmefällen erfolgen, der Antragsteller hat die Gründe, auf die er seinen Befreiungsantrag stützt,
glaubhaft zu machen.
5 Seit dem 01.01.2008 gilt für die Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst die Vorschrift in § 6
Abs. 2 (zunächst und hier noch maßgeblich und gleichlautend: Abs. 3) NFDO. Die Vorschrift hat folgenden
Wortlaut:
6
Abgesehen von den Fällen des Abs. 1 können Ärzte und Ärztinnen von der Teilnahme am Notfalldienst
befreit werden, wenn sie aus gesundheitlichen oder vergleichbar schwerwiegenden Gründen, die zu einer
deutlichen Einschränkung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit führen, an der persönlichen Teilnahme am
Notfalldienst gehindert sind, und ihnen die Bestellung eines Vertreters aus wirtschaftlichen Gründen nicht
zugemutet werden kann …
7 Der 1952 geborene Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin. Er nimmt mit Sitz in O. an der
vertragsärztlichen Versorgung teil.
8 Mit Bescheid vom 09.02.2004 befreite die KV S. den Kläger nach Maßgabe des § 2 NFDO KV S. auf Dauer
von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst. Zur Begründung führte sie aus, der ärztliche Beirat habe dies
aufgrund des vorgelegten ärztlichen Attests beschlossen. Die Dauer der Befreiung gelte entsprechend für
den in O. installierten Wochentags-Bereitschaftsdienst der „Vernetzten Praxen“, an dem der Kläger wegen
seiner Erkrankung derzeit nicht mehr aktiv teilnehmen könne. Die Mitgliedschaft könne man weiterhin
aufrechterhalten.
9 Mit (ohne Anhörung ergangenem) Bescheid vom 11.05.2011 hob die Beklagte den Bescheid der KV S. vom
09.02.2004 auf. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 4 Abs. 1 NFDO nähmen grundsätzlich alle
niedergelassenen Ärzte am Notfalldienst teil. Gemäß § 6 Abs. 3 (jetzt: Abs. 2) NFDO könnten Ärzte von der
Teilnahme am Notfalldienst befreit werden, wenn sie aus gesundheitlichen oder vergleichbar
schwerwiegenden Gründen, die zu einer deutlichen Einschränkung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit
führten, an der persönlichen Teilnahme am Notfalldienst gehindert seien und ihnen die Bestellung eines
Vertreters aus wirtschaftlichen Gründen nicht zugemutet werden könne. Diese - von der bei Erlass des
Bescheids der KV S. vom 09.02.2004 geltenden Befreiungsvorschrift abweichende - (Neu-)Regelung trage
der (neueren) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 06.02.2008, - B 6 KA 13/06 R -, in
juris) Rechnung. Über die Befreiung des Klägers von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst sei daher
wegen Änderung der rechtlichen Verhältnisse gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) neu zu
entscheiden gewesen. Der Kläger könne ggf. erneut einen Befreiungsantrag stellen, über den nach Maßgabe
der NFDO zu befinden wäre.
10 Am 22.06.2011 erhob der Kläger Widerspruch. Außerdem stellte er einen (neuen) Befreiungsantrag. Der
Kläger legte einen Schwerbehindertenausweis (GdB 50) und Arztatteste vor (Psychiaterin und
Psychotherapeutin Dr. H. vom 24.05.2011: Behandlung seit 2008 wegen rezidivierender depressiver
Störung mit teilweise schweren depressiven Episoden einschließlich Suizidalität und chronifiziertes HWS-
Schmerzsyndrom; Neurologe und Psychiater Dr. P. vom 18.05.2011: Behandlung wegen schwerer zervikaler
Spinalkanalstenose mit rezidivierender Occipitalisneuralgie und Paresen der Wurzel C7 links sowie schwere
Depression).
11 Mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung
führte sie aus, zum 01.01.2008 sei die (neue) NFDO in Kraft getreten, mit der die bislang unterschiedlichen
Befreiungsregelungen (in den Notfalldienstordnungen ihrer Rechtsvorgängerinnen) vereinheitlicht worden
seien. Die in § 4 Abs. 1 NFDO festgelegte Pflicht der niedergelassenen Ärzte zur Teilnahme am ärztlichen
Notfalldienst und damit zum gleichmäßigen Mittragen der daraus folgenden Belastungen folge aus ihrem
Zulassungsstatus. Das habe das BSG im Urteil vom 06.02.2008 (- B 6 KA 13/06 R -, in juris) erneut betont
und die Befreiungsvoraussetzungen gegenüber der älteren Rechtsprechung konkretisiert und verschärft. Ein
Arzt, der den Notfalldienst nicht persönlich leisten könne, sei von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst
nicht zu befreien, müsse vielmehr auf eigene Kosten einen geeigneten Vertreter stellen. Dementsprechend
seien die Befreiungsvoraussetzungen in der NFDO neu geregelt worden. Erforderlich sei jetzt, dass der
geltend gemachte Befreiungsgrund (hier die Erkrankung des Klägers) die Arbeitskraft des Arztes in einem
Maße einschränke, dass die Finanzierung eines Vertreters nicht zumutbar sei. Der Kläger habe in den
Quartalen 2/2010 bis 1/2011 Umsätze von 34.442,22 EUR, 32.757,29 EUR, 33.750,30 EUR bzw. 34.901,63
EUR erzielt. Die Finanzierung eines Notdienstvertreters sei danach zumutbar; der Kläger habe anderes auch
nicht geltend gemacht. Er müsse daher für einen geeigneten Vertreter sorgen (§ 5 Abs. 2 NFDO), ggf. im
Wege kollegialer Abstimmung. Dem hier maßgeblichen Notfalldienstbereich gehörten derzeit 116 Ärzte an.
Künftig sei mit einer Einteilung zum Notfalldienst etwa 2- bis 3-mal im Jahr zu rechnen. Da die
Befreiungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Änderung der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 06.02.2008,
a.a.O.) nicht mehr erfüllt seien, sei der Befreiungsbescheid vom 09.02.2004 zu Recht gemäß § 48 SGB X
aufgehoben worden. Ein eventuell vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen sei bei diesem
Aufhebungstatbestand nicht zu berücksichtigen. Es sei auch zweifelhaft, ob schutzwürdiges Vertrauen
überhaupt vorliege. Vermögensdispositionen, die ggf. nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen
rückgängig gemacht werden könnten, seien weder ersichtlich noch geltend gemacht. Der Kläger könne aus
den genannten Gründen von der Teilnahme am Notfalldienst auch nicht erneut befreit werden. Die sofortige
Vollziehung des Bescheids vom 11.05.2011 werde nicht ausgesetzt. Der Kläger sei lediglich am 03.10.2011,
05.01.2012 und 25.03.2012 zum ärztlichen Notfalldienst eingeteilt. Die Teilnahme an diesen Diensten bzw.
die Gestellung eines Vertreters sei ihm zuzumuten.
12 Am 27.12.2011 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG), nachdem er zuvor schon um
vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht hatte.
13 Mit Beschluss vom 06.12.2011 (- S 11 KA 6370/11 ER -) stellte das SG fest, dass der Widerspruch des
Klägers gegen den Bescheid vom 11.05.2011 - ungeachtet der hierfür ungeeigneten Regelung über den
Wegfall der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen in § 9 Abs. 2 Satz 4 NFDO - aufschiebende Wirkung
hat.
14 Zur Begründung seiner Klage trug der Kläger (unter Vorlage weiterer Arztatteste) vor, er könne wegen
seiner Erkrankungen am ärztlichen Notfalldienst nicht teilnehmen; er leide nunmehr zusätzlich an einer
Psoriasisarthritis und benutze deswegen Gehhilfen. Er könne - unstreitig - einen Vertreter finanzieren.
Allerdings werde er durch die Pflicht, (selbst) einen Vertreter zu suchen, derart psychisch belastet, dass er
dieser Pflicht nicht nachkommen könne. Sollte ein Vertreter kurzfristig absagen, könnte er mit der daraus
folgenden psychischen Belastung nicht leben. Auch wegen dieser Angst könne er einen Vertreter nicht
(selbst) suchen. Mit der ihm von der Beklagten übersandten Liste vertretungsbereiter Ärzte werde seine
Angst vor der Vertretersuche nicht beseitigt, zumal er bereits erfolglos auf Vertretersuche gewesen sei.
Diese Situation und die damit verbundene übermäßige psychische Belastung fürchte er, weswegen er
außerstande sei, am ärztlichen Notfalldienst teilzunehmen.
15 Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Bescheide entgegen.
Ergänzend trug sie vor, eine krankheitsbedingt deutliche Einschränkung der vertragsärztlichen Tätigkeit des
Klägers könne dessen Fallzahlen nicht entnommen werden (Quartale 2/2005 bis 4/2005: 634, 632, 631;
Quartale 1/2011 bis 4/2011: 692, 666, 692, 732). Außerdem sei dem Kläger die Gestellung eines Vertreters
- unstreitig - wirtschaftlich zumutbar. Der Kläger müsse selbst für einen Vertreter sorgen (BSG, Urteil vom
06.02.2008, - B 6 KA 13/06 R -, in juris). Dass dies unmöglich sei, habe der Kläger nicht (substantiiert)
dargetan; er habe nur 4 E-Mails über entsprechende Anfragen an Arztkollegen vorgelegt, die zudem an
Ärzte gerichtet gewesen seien, die sie in ihrer Liste notfalldienstbereiter Ärzte nicht aufgeführt habe. Der
Kläger könne die Vertretersuche nicht auf sie, die Beklagte, abwälzen. Dem maßgeblichen
Notfalldienstbereich gehörten über 100 Ärzte an, weshalb mit einer Einteilung zum ärztlichen Notfalldienst
(nur) 2- bis 3-mal im Jahr zu rechnen sei. Nach ihrer Errichtung habe man den ärztlichen Notfalldienst neu
und für ihren Zuständigkeitsbereich einheitlich regeln müssen. Gemäß § 2 der bei Erlass des Bescheids der
KV S. vom 09.02.2004 geltenden NFDO KV S. hätten Ärzte von der Teilnahme am Notfalldienst bei
Vollendung des 65. Lebensjahres und außerdem in besonders begründeten Ausnahmefällen befreit werden
können. Mit Inkrafttreten der neuen NFDO (zum 01.01.2008) habe sich die Rechtslage daher geändert. Die
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst setze jetzt zusätzlich voraus, dass die Gestellung
eines Vertreters wirtschaftlich unmöglich sei. Man habe den Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 daher
aufheben dürfen. Dieser Bescheid sei im Übrigen gemäß § 39 Abs. 2 SGB X (auch ohne Aufhebung)
unwirksam geworden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 29.10.2008, - L 5
KA 6127/07 -, nicht veröffentlicht).
16 Mit Urteil vom 19.02.2014 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 11.05.2011 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30.11.2011 auf. Zur Begründung führte es aus, der Bescheid der KV S. vom
09.02.2004 habe sich nicht gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Diese Vorschrift sei nicht anzuwenden; ihr
gingen die Regelungen über den Widerruf und die Rücknahme von Verwaltungsakten (§§ 44 ff. SGB X) vor.
Die Voraussetzungen des § 48 SGB X seien nicht erfüllt. Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die
bei Erlass des genannten Bescheids vorgelegen hätten, hätten sich nicht geändert. Es sei nicht ersichtlich,
dass das BSG das Recht in seinem Urteil vom 06.02.2008 (a.a.O.) anders als zuvor ausgelegt hätte.
Außerdem sei ein Verwaltungsakt gemäß § 48 Abs. 2 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn
der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes das Recht in ständiger Rechtsprechung nachträglich anders
auslege als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsakts und sich dies zu Gunsten des Berechtigten auswirke;
letzteres sei hier nicht der Fall. Die rechtlichen Verhältnisse hätten sich in Wahrheit auch nicht geändert. Bei
Anwendung des § 2 Abs. 1 Satz 2 NFDO KV S. habe man der Auslegung des Befreiungstatbestands
„besonders begründeter Ausnahmefall“ die seinerzeit maßgebliche Rechtsprechung des BSG zugrunde legen
müssen, wonach der Arzt von der Teilnahme am Notfalldienst nicht allein wegen gesundheitlicher
Einschränkungen befreit werden dürfe, vielmehr zusätzlich erforderlich sei, dass sich etwaige
gesundheitliche Einschränkungen nachteilig auf die Berufsausübung auswirkten bzw. die Gestellung eines
Vertreters wirtschaftlich unzumutbar sei (vgl. BSG, Urteil vom 11.06.1986, - 6 RKa 5/85 -, in juris). Das BSG
habe diese Rechtsprechung im Urteil vom 06.02.2008 (a.a.O.) nicht abgeändert, sondern verdeutlichend
übernommen und fortgeführt (vgl. auch SG Stuttgart, Urteil vom 24.10.2013, - S 5 KA 2529/12 -, nicht
veröffentlicht). Auf § 45 SGB X könnten die angefochtenen Bescheide mangels Ausübung von
Rücknahmeermessen nicht gestützt werden.
17 Gegen das ihr am 13.03.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.03.2014 Berufung eingelegt. Sie
bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Die bei Erlass des Bescheids der KV S. vom 09.02.2004 bestehenden
rechtlichen Verhältnisse hätten sich mit Erlass der NFDO (zum 01.01.2008) geändert; für die Befreiung von
der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst sei eine zusätzliche Voraussetzung festgelegt worden. Das
Vorliegen eines besonderen Ausnahmefalls (wofür sich ihre Rechtsvorgängerin ggf. mit einem ärztlichen
Attest begnügt habe) genüge nicht mehr. Vielmehr müsse es außerdem zu einer deutlichen Einschränkung
der vertragsärztlichen Tätigkeit gekommen und die Gestellung eines Vertreters müsse aus wirtschaftlichen
Gründen nicht möglich sein. Man habe die NFDO im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 06.02.2008 (a.a.O.)
entsprechend neu gefasst. Satzungsänderungen dieser Art stellten eine Rechtsänderung i.S.d. § 48 Abs. 1
Satz 1 SGB X dar. Ob sich die einschlägige Rechtsprechung geändert habe, sei demgegenüber unerheblich.
Man habe den Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 eigentlich gar nicht aufheben müssen, weil er sich mit
Erlass der NFDO (zum 01.01.2008) gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt habe. Der Bescheid habe sich nach
seinem Wortlaut ausdrücklich auf das seinerzeit vom Kläger vorgelegte ärztliche Attest bezogen. Für den
Kläger sei daher erkennbar gewesen, dass er lediglich wegen dieses Attests von der Teilnahme am ärztlichen
Notfalldienst befreit worden sei und dass die Befreiung nicht mehr gelten solle, wenn sich die Rechtslage
ändere und weitere Befreiungsvoraussetzungen erfüllt werden müssten.
18 Die Beklagte beantragt,
19 das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.02.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
20 Der Kläger beantragt,
21 die Berufung zurückzuweisen.
22 Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bekräftigt ebenfalls sein bisheriges Vorbringen. Im
Hinblick auf das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sei Ärzten, die an
schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen litten, die Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst
nicht zuzumuten. Im Hinblick auf den Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 komme ihm Vertrauensschutz zu,
was man bei Erlass der NFDO, etwa durch Übergangsvorschriften, hätte berücksichtigen müssen; die NFDO
verstoße daher gegen höherrangiges Recht. Es sei auch nicht notwendig gewesen, zusätzliche
Befreiungsvoraussetzungen festzulegen. Die für die Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst aktuell geltenden
Maßgaben hätten auch unter Geltung der NFDO KV S. bei der Ausübung des Verwaltungsermessens
berücksichtigt werden müssen.
23 Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1,
124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
24 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren
Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25 Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124
Abs. 2 SGG).
I.
26 Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft. Streitgegenstand ist die mit den
angefochtenen Bescheiden verfügte Aufhebung der durch Bescheid der KV S. (Rechtsvorgängerin der
Beklagten) ausgesprochenen Befreiung des Klägers von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst. Die
Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und daher auch im Übrigen gemäß § 151 SGG zulässig.
II.
27 Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Das SG hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der
Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 hat sich nicht gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, muss also, soll er seine
Wirksamkeit verlieren, durch Verwaltungsakt zurückgenommen oder aufgehoben werden (unten 1). Das ist
rechtmäßig nicht geschehen und auch nicht mehr möglich. Die Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom
11.05.2011 (Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011) zu Unrecht auf die Regelung über die Aufhebung
„rechtswidrig gewordener“ Verwaltungsakte in § 48 SGB X gestützt. Einschlägig sind die Regelungen über
die Rücknahme (von Anfang an) „rechtswidriger“ Verwaltungsakte in § 45 SGB X (unten 2). Dieser
Rechtsfehler führt zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Sie können nicht im Wege der Auslegung
(§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch in entsprechender Anwendung) oder Umdeutung (§ 43 SGB
X) als Rücknahmebescheide nach § 45 SGB X Bestand behalten (unten 3).
1.)
28 Der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 hat sich durch die Errichtung der Beklagten im Wege der
Verschmelzung ihrer vormals rechtlich selbstständigen Bezirke und durch den Erlass der NFDO zum
01.01.2008 nicht i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X „auf andere Weise“ erledigt.
29 Gemäß § 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein (nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X durch Bekanntgabe wirksam
gewordener) Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er (u.a.) nicht auf andere Weise (als etwa durch
Rücknahme oder Widerruf) erledigt ist. Für die Erledigung des Verwaltungsakts auf andere Weise genügt es
nicht, dass sich das dem Erlass des Verwaltungsakts zugrunde liegende Recht oder der ihm zugrunde
liegende Sachverhalt geändert hat und er nach neuem Recht oder nach neuer Sachlage nicht mehr ergehen
dürfte, oder dass die erlassende Behörde (Körperschaft), etwa durch Änderungen in der
Verwaltungsorganisation, wegfällt. Wegen solcher Änderungen allein verliert namentlich ein begünstigender
Verwaltungsakt, wie hier der Bescheid der KV S. über die Befreiung des Klägers von der Teilnahme am
ärztlichen Notfalldienst, seine Rechtswirkung nicht. Änderungen der Sach- oder Rechtslage führen vielmehr
nur dann zur Erledigung des Verwaltungsakts auf andere Weise i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X, wenn ihretwegen
zugleich der Regelungsgegenstand des Verwaltungsakts (als solcher) wegfällt. Andernfalls bedarf es der
Aufhebung des Verwaltungsakts nach Maßgaben der §§ 45 ff. SGB X. Der Regelungsgegenstand des
Verwaltungsakts entfällt vor allem dann, wenn für die Regelung des Verwaltungsakts nach der
eingetretenen Änderung kein Anwendungsbereich mehr verbleibt bzw. der geregelte Tatbestand selbst
entfällt. Entscheidend ist, ob der Verwaltungsakt nach seinem Inhalt und Zweck und ggf. im Zusammenhang
mit den gesetzlichen Vorschriften, auf denen er beruht, Geltung auch für den Fall veränderter Umstände
beansprucht oder nicht. Waren sein Bestand oder seine Rechtswirkungen für den Adressaten erkennbar von
vornherein an den Fortbestand einer bestimmten Situation gebunden, so wird er gegenstandslos, wenn die
betreffende Situation nicht mehr besteht (so BSG, Urteil vom 11.07.2000, - B 1 KR 14/99 R -, Urteil vom
09.06.2006, - B 6 KA 43/05 R -, beide in juris). Der Senat hat dies etwa für die Fallgestaltung angenommen,
dass die Befreiung eines Arztes von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst allein auf der Umsetzung
eines Vorstandsbeschlusses über die generelle Freistellung einer Arztgruppe vom Bereitschaftsdienst beruht
hat und individuelle Verhältnisse des Arztes oder die Versorgungslage in seinem Bereitschaftsdienstbezirk
keine Rolle gespielt haben (Senatsurteil vom 29.10.2008, - L 5 KA 6127/07 -, nicht veröffentlicht; vgl. auch
Senatsurteil vom 01.02.2017, - L 5 KA 3426/14 -, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen: Erledigung des
Bescheids über die Zuerkennung eines qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets durch Wegfall dieses
vergütungsrechtlichen Rechtsinstituts). Der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 hat sich danach nicht
gemäß § 39 Abs. 2 SGB X auf andere Weise erledigt. Sein Regelungsgegenstand - Befreiung von der
Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst - ist weder durch eine Rechtsänderung noch durch eine
Sachverhaltsänderung weggefallen. Auch das neue Recht - die am 01.01.2008 in Kraft getretene NFDO -
sieht (dem Gebot des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V folgend) sowohl die Einrichtung eines ärztlichen
Notfalldienstes wie die Befreiung von der Teilnahme an diesem Notfalldienst vor. Die KV S. hat die Befreiung
des Klägers von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst seinerzeit auch nicht losgelöst von den
persönlichen Verhältnissen des Klägers, sondern wegen dessen Gesundheitszustand verfügt. Der
Fortbestand des Befreiungsbescheids ist für den Kläger erkennbar weder an den Fortbestand der ihr
zugrundeliegenden NFDO KV S. noch an den Fortbestand der den Befreiungsbescheid erlassenden KV S.
gebunden gewesen. Mit dem Wegfall der NFDO KV S. und der KV S. (als rechtlich selbstständiger
Körperschaft) fällt daher nicht zugleich auch der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 weg. Soll dieser
Bescheid nicht mehr wirksam sein, muss er vielmehr durch Verwaltungsakt nach Maßgabe der §§ 45 ff. SGB
X aufgehoben werden.
2.)
30 Der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 ist nicht rechtmäßig aufgehoben bzw. zurückgenommen worden.
Die Voraussetzungen der - hier anwendbaren - Vorschriften in §§ 45, 48 SGB X sind nicht erfüllt.
31 Die Vorschriften des (allgemeinen) sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrensrechts über die Rücknahme
rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte (§ 45 SGB X), den Widerruf rechtmäßiger begünstigender
Verwaltungsakte (§ 47 SGB X) und die Aufhebung von (Dauer-)Verwaltungsakten wegen geänderter
Verhältnisse (§ 48 SGB X) sind auf Verwaltungsakte, die die Befreiung eines Vertragsarztes von der
Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst zum Gegenstand haben, anzuwenden. Besonderheiten des
Vertragsarztrechts stehen dem nicht entgegen. Hiervon geht auch das BSG ohne Weiteres aus (vgl. etwa
BSG, Urteil vom 19.08.2015, - B 6 KA 41/13 R -, in juris).
32 Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft zu ändern, soweit in den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
33 Der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 stellt (unzweifelhaft) einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar
und es haben sich mit der zum 01.01.2008 in Kraft getretenen Neuregelung der Voraussetzungen für die
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst (in § 6 Abs. 3 NFDO) auch die rechtlichen
Verhältnisse geändert, die bei seinem Erlass vorgelegen haben. Hierfür genügt es, dass das einschlägige
Satzungsrecht geändert worden ist (vgl. nur etwa jurisPK-SGB X/Brandenburg, § 48 Rdnr. 57). Sollte sich
dadurch für die Rechtsanwendung im Ergebnis nichts geändert haben, stellt das nicht das Vorliegen einer
Änderung der rechtlichen Verhältnisse, wohl aber deren Wesentlichkeit i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X in
Frage.
34 Hier liegt eine i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse nicht vor.
Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse bei Erlass des aufgehobenen
Verwaltungsakts setzt voraus, dass der Verwaltungsakt wegen der Sachverhalts- oder Rechtsänderung jetzt
so nicht mehr erlassen werden dürfte (jurisPK a.a.O. Rdnr. 59 m.N.). Das bedeutet zwar nicht, dass § 48
Abs. 1 Satz 1 SGB X auf ursprünglich (bereits bei ihrem Erlass) rechtswidrige (begünstigende)
Verwaltungsakte von vornherein nicht angewendet werden könnte (dazu näher jurisPK a.a.O. Rdnr. 34
sowie BSG, Urteil vom 13.02.2013, - B 2 U 25/11 R -, in juris). Notwendig ist in solchen Fällen aber, dass die
Änderung (hier) der rechtlichen Verhältnisse den (Neu-)Erlass des Verwaltungsakts nicht allein aus den
gleichen Gründen hindern würde die bereits zur ursprünglichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts
geführt haben. Geht es etwa um die Gewährung von Sozialleistungen, müsste also zusätzlich zum
ursprünglichen Fehlen einer Leistungsvoraussetzung (weswegen der Verwaltungsakt ursprünglich
rechtswidrig gewesen ist) infolge einer Rechts- oder Sachverhaltsänderung eine weitere, von der
ursprünglich fehlenden Leistungsvoraussetzung verschiedene, Leistungsvoraussetzung weggefallen sein
(vgl. etwa BSG, Urteil vom 27.02.1996, - 10 RKg 27/93 -, in juris).
35 Davon ausgehend ist hier mit der Neuregelung der Voraussetzungen für die Befreiung von der Teilnahme am
ärztlichen Notfalldienst durch § 6 Abs. 3 NFDO eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die
beim Erlass des Bescheids der KV S. vom 09.02.2004 vorgelegen haben, nicht eingetreten. Dieser Bescheid
ist ursprünglich - bereits bei seinem Erlass - rechtswidrig gewesen. Wie der Senat in seinem Urteil vom
29.10.2008 (- L 5 KA 6127/07 -, nicht veröffentlicht) entschieden hat, kommt die vollständige (ersatzlose)
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst im Hinblick auf das Erfordernis der gleichmäßigen
Belastung aller Ärzte (Art. 3 Abs. 1 GG) nur unter zusätzlichen Voraussetzungen in Frage, wenn nämlich
gesundheitliche oder vergleichbare Belastungen zu einer deutlichen Einschränkung der Praxistätigkeit des
Arztes führen und ihm zudem auf Grund geringer Einkünfte aus der ärztlichen Tätigkeit nicht mehr
zugemutet werden kann, den Notfalldienst auf eigene Kosten durch einen Vertreter wahrnehmen zu lassen.
Der Senat hat sich hierfür auf die ständige Rechtsprechung des BSG (etwa: Urteil vom 11.06.1986, - 6 RKa
5/85 -, in juris) gestützt. Diese Rechtsprechung hat das BSG in seinem Urteil vom 06.02.2008 (- B 6 KA
13/06 R -, in juris) nicht geändert, sondern bestätigt (Senatsurteil vom 29.10.2008, a.a.O.). Der Senat hat
deswegen Befreiungsentscheidungen der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten, bei denen die vorstehend
genannte (zusätzliche) Befreiungsvoraussetzung nicht vorgelegen hat, für rechtswidrig erachtet. So ist es
auch hier. Dem Kläger ist die Gestellung eines Notdienstvertreters bei Erlass des Bescheids der KV S. vom
09.02.2004 nicht anders als bei Erlass des Aufhebungsbescheids vom 11.05.2011 (Widerspruchsbescheid
vom 30.11.2011) wirtschaftlich zumutbar gewesen. Unerheblich ist, dass sich der Kläger aus psychischen
Gründen für außerstande gehalten hat und nach wie vor für außerstande hält, selbst einen Vertreter (mit
Hilfe einer ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Liste vertretungsbereiter Ärzte) zu suchen.
Nähere Feststellungen hierzu sind daher entbehrlich.
36 Da die Änderung der rechtlichen Verhältnisse infolge der Neuregelung der Voraussetzungen für die
Befreiung von der Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst in § 6 Abs. 3 NFDO den (Neu-)Erlass eines
Befreiungsbescheids danach aus den gleichen Gründen hindern würde, die zur ursprünglichen
Rechtswidrigkeit des Befreiungsbescheids der KV S. vom 09.02.2004 geführt haben, kann die Aufhebung
dieses Bescheids nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt werden. Anzuwenden ist vielmehr die
Regelung in § 45 SGB X über die Rücknahme ursprünglich rechtswidriger Verwaltungsakte.
3.)
37 Die angefochtenen Bescheide können nicht als Rücknahmebescheide i.S.d. § 45 SGB X Bestand behalten.
Die Auslegung der Bescheide in diesem Sinne in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB oder ihre
Umdeutung nach § 43 SGB X (zur Umdeutung bei Reduzierung des Rücknahmeermessens auf Null BSG,
Urteil vom 20.05.2014, - B 10 EG 2/14 R -, in juris) führt nicht weiter. Die Beklagte hat im
Widerspruchsbescheid vom 30.11.2011 zwar Ausführungen zur Frage des Vertrauensschutzes wegen
etwaiger Vermögensdispositionen des Klägers gemacht und damit der Sache nach die Frage eines etwaigen
Rücknahmeermessens angesprochen. Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts
mit Dauerwirkung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X - auch mit Wirkung für die Zukunft - ist aber nur bis
zum Ablauf von 2 Jahren nach seiner Bekanntgabe zulässig; diese Frist ist bei Erlass des Bescheids vom
11.05.2011 seit langem verstrichen gewesen. Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO (i.V.m. § 48 Abs. 3
Satz 2 SGB X) kommen nicht in Betracht. Die Zehnjahresfrist des § 48 Abs. 3 Satz 3 SGB X ist ebenfalls
nicht anwendbar. Der Bescheid der KV S. vom 09.02.2004 ist nicht mit einem Widerrufsvorbehalt versehen
worden (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger hat die Rechtswidrigkeit dieses Bescheids auch nicht
gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 2
Nr. 3 SGB X). Die Rechtswidrigkeit des Bescheids der KV S. vom 09.02.2004 ist ohne nähere und vom Kläger
nicht zu erwartende Kenntnis der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des BSG nicht erkennbar
gewesen, da der Bescheid mit den geschriebenen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 NFDO KV S. in Einklang
gestanden hat. Die Rücknahme des Bescheids der KV S. vom 09.02.2004 nach § 45 SGB X muss daher in
jedem Fall an den Fristvorschriften in § 45 Abs. 3 SGB X scheitern. Dass die genannten Fristvorschriften bei
der Aufhebung eines begünstigenden Dauerverwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft nach Maßgabe des
§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht anwendbar sind (vgl. BSG, Urteil vom 11.08.2015, - B 9 SB 2/15 R -, in
juris), ändert nichts, weil § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hier nicht einschlägig, vielmehr § 45 SGB X anzuwenden
ist. Diese Vorschrift ist für die Gewährung des Vertrauensschutzes - auch durch die genannten
Fristvorschriften - maßgeblich.
III.
38 Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
39 Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
40 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG).