Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 05.03.2002

LSG Bwb: treu und glauben, versicherungspflicht, aufgabe der selbständigen erwerbstätigkeit, beitragsforderung, selbständige erwerbstätigkeit, verwirkung, angestellter, beitragsberechnung, avg

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 05.03.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Stuttgart S 18 RA 1875/98
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 13 RA 2654/00
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. März 2000 abgeändert. Der
Bescheid vom 12. Juni 1998 wird aufgehoben, soweit darin mehr als 10.834,84 EUR Beiträge nachgefordert werden.
Im übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger als antragspflichtversicherter Selbständiger Beiträge zur
gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 25.300, 37 DM nachzuzahlen hat.
Der am 1941 geborene Kläger studierte Rechtswissenschaft und stand anschließend vom 1. Juni 1965 bis 18.
Dezember 1968 mit einer Unterbrechung von sechs Monaten im juristischen Vorbereitungsdienst. Nach Abschluss der
Zweiten juristischen Staatsprüfung wurde er durch den früheren Dienstherrn bei der Beklagten nachversichert. Vom 1.
Januar 1969 bis 30. September 1973 war als angestellter Rechtsanwalt versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1.
Oktober 1973 ist er als selbständiger Rechtsanwalt tätig und Sozius dieser Kanzlei.
Der Kläger beantragte am 28. Mai 1975 die Versicherungspflicht als selbständig Erwerbstätiger (damals § 2 Abs. 1 Nr.
11 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG). Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15. Oktober 1975 fest, dass er
seit 1. Mai 1975 für die Dauer der selbständigen Tätigkeit in der Rentenversicherung der Angestellten
versicherungspflichtig sei; die Versicherungspflicht ende, wenn eine selbständige Erwerbstätigkeit nicht mehr
ausgeübt werde oder in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherungspflicht nach anderen Vorschriften eintrete.
Mit Schreiben vom 28. Juli 1980 erklärte der Kläger, er beabsichtige, für 1980 und die folgenden Jahre bis zum Eintritt
des Rentenfalls die monatlichen Höchstbeiträge zu entrichten. Durch Schreiben vom 11. Januar 1982 teilte er der
Beklagten mit, er sei seit 1. November 1981 als Angestellter bei der H. u. M. GmbH versicherungspflichtig
beschäftigt. Er bitte darum, festzustellen, dass die für ihn bisher bestehende Versicherungspflicht erloschen sei. Die
Beklagte antwortete ihm unter dem 28. Januar 1982, die Anmeldung als Pflichtversicherter kraft Gesetzes sage nichts
über die Aufgabe der selbständigen Erwerbstätigkeit aus. Um Einsendung von Nachweisen, dass er seine
selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgegeben habe, werde gebeten. Der Kläger erwiderte unter dem 1. April
1982, er habe seine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht aufgegeben, sondern nur erheblich eingeschränkt;
weiteres brauche nicht veranlasst zu werden. Intern verfügte die Beklagte hierauf, es sei nichts zu veranlassen.
Mit Schreiben vom 16. September 1991 an die Beklagte bezog sich der Kläger auf ein von der Beklagten versandtes
Rundschreiben "Sonderinformation Rentenreformgesetz 1992", das an die versicherungspflichtigen Selbständigen
gerichtet war. Er führte hierzu aus, er zahle seit 1981 nur noch Beiträge als Angestellter der H. u. M. GmbH. Da er
nicht aus zwei Gründen versichert sein könne, schließe die Beitragspflicht als Angestellter die Beitragspflicht als
Selbständiger aus. Da er auch in Zukunft Einkommen sowohl aus selbständiger Tätigkeit wie auch aus abhängiger
Beschäftigung erzielen werde, bitte er um endgültige Klärung der Angelegenheit und Bestätigung, dass er die bisher
geübte Praxis unverändert fortsetzen könne und nur Beiträge als versicherungspflichtiger Angestellter entrichten
müsse. Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 18. Oktober 1991, die Versicherungspflicht als Selbständiger ende
entgegen seiner Auffassung erst mit der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit. Sie werde nicht dadurch
ausgeschlossen, dass zugleich eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt werde, die kraft Gesetzes
versicherungspflichtig sei. Es werde anheim gestellt, auf Grund des verminderten Einkommens aus der selbständigen
Erwerbstätigkeit eine Änderung der Beitragsberechnung zu beantragen. Der Kläger antwortete hierauf (Schreiben vom
2. April 1992), dieses Schreiben sei ihm nicht ganz verständlich; er bitte um Mitteilung, was für Beiträge noch offen
sein sollten. Hierauf reagierte die Beklagte nicht.
Mit Schreiben vom 2. Mai 1996 teilte der Kläger mit, er habe die versicherungspflichtige Beschäftigung bei der H. u.
M. GmbH zum 29. Februar 1996 beendet. Er wolle auch in Zukunft Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung
leisten und bitte um Zusendung entsprechender Antragsunterlagen. Am 2. Juli 1996 stellte er den Formantrag auf
Versicherungspflicht für selbständig Erwerbstätige und gab an, die zu versichernde selbständige Tätigkeit seit
Oktober 1973 auszuüben. Mit Bescheid vom 9. Dezember 1996 forderte die Beklagte den Kläger unter
Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften und Beschränkung der Nachforderung auf die
Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversicherung auf, für die Zeit von Dezember 1991 bis Ende Februar 1996
Beiträge für seine versicherungspflichtige selbständige Tätigkeit, die nicht geendet habe, in Höhe von 21.191,11 DM
zu zahlen. Die Beitragsforderung berechnete sie in der Weise, dass die Differenz zwischen den bereits gezahlten
Beiträgen aus versicherungspflichtiger Beschäftigung und der Beitragsbemessungsgrenze gebildet und für den
Differenzbetrag die Beiträge erhoben wurden. In einem weiteren Bescheid vom 9. Dezember 1996 ließ die Beklagte
den Kläger ab 1. März 1996 zur Zahlung von Beiträgen als pflichtversicherter Selbständiger aus dem
Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße zu; monatlich seien 792,96 DM zu zahlen. Am 19. Dezember 1996 erhob
der Kläger Widerspruch wegen der Beitragsnachforderng. Die Beitragsforderung sei verwirkt. Nach Korrespondenz zur
Zuordnung geleisteter Zahlungen und dem Schreiben der Beklagten vom 14. Januar 1998 wies diese den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 1998 zurück. Die Versicherungspflicht auf Antrag habe im Mai 1975
begonnen und nicht dadurch geendet, dass für eine weitere Beschäftigung oder Tätigkeit Versicherungspflicht
bestanden habe. Sie hätte nur geendet, falls der Kläger die selbständige Tätigkeit aufgegeben hätte und dadurch die
Voraussetzungen der Versicherungspflicht auf Antrag entfallen wären. Dies sei aber gerade nicht der Fall. Die
nachgeforderten Beiträge seien insgesamt höchstens bis zur Beitragsbemessungsgrenze zu entrichten.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger am 20. April 1998 beim Sozialgericht (SG) Stuttgart Klage erhoben. Zur
Begründung hat er vorgetragen, er habe während der Dauer der Pflichtversicherung kraft Gesetzes die geschuldeten
Beiträge aus der abhängigen Beschäftigung entrichtet und die Versicherungspflicht auf Antrag als ruhend betrachtet.
Während dieser Zeit habe es mehrfach Schriftwechsel zwischen ihm und der Beklagten gegeben. In dessen Rahmen
habe er darauf hingewiesen, dass er die selbständige Tätigkeit weiter ausübe. Er habe um Bestätigung gebeten, dass
er die bisherige Praxis, die Beiträge nur aus dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu entrichten,
fortsetzen könne. Die Beklagte habe über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren seine Auffassung, wonach die
Beitragspflicht kraft Gesetzes Vorrang habe, nicht beanstandet. Auch habe sie trotz entsprechender gesetzlicher
Regelung die Einziehung des Regelbeitrags nicht überwacht. Der geltend gemachte Anspruch auf Beitragszahlung sei
verwirkt. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Zutreffend sei, dass sie die Beitragszahlung ursprünglich nicht
überwacht habe, weil eine gesetzliche Verpflichtung hierzu erst durch das Rentenreformgesetz 1992 begründet worden
sei. Die Auffassung des Klägers, dass eine Versicherungspflicht als Arbeitnehmer derjenigen als Selbständiger
gegenüber vorrangig sei, treffe nicht zu. Beim Zusammentreffen beitragspflichtiger Einnahmen aus mehreren
Versicherungsverhältnissen über der Beitragsbemessungsgrenze seien gemäß § 22 Abs. 2 des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB IV) die Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen für die Beitragsberechnung so zueinander zu
mindern, dass sie zusammen maximal die Beitragsbemessungsgrenze erreichten. Da der Kläger keinen Antrag auf
einkommensgerechte Beiträge gestellt habe, sei für die selbständige Tätigkeit ein Einkommen in Höhe der
Bezugsgröße zu berücksichtigen. Dem Rechnung tragend hat die Beklagte durch Bescheid vom 12. Juni 1998 die
Beitragsforderung abgeändert und auf 29.409,63 DM heraufgesetzt; hiervon hat sie einen Anspruch auf Erstattung
zuviel gezahlter Beiträge der abhängigen Beschäftigung begrenzt auf den Arbeitnehmeranteil in Höhe von 4109,26 DM
abgesetzt, so dass sich eine Nachforderung von 25.300,37 DM ergab. Der Kläger hat der Beitragsnacherhebung
widersprochen und sich insoweit auf den Eintritt der Verjährung berufen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten,
die nachgeforderten Beiträge seien nicht verjährt. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. März 2000 abgewiesen.
Der Kläger könne sich nicht auf die Verwirkung berufen, weil ein Verwirkungsverhalten nicht vorliege. Das bloße
Nichtstun der Beklagten reiche nicht aus, vielmehr müsse ein konkretes Verhalten hinzukommen. Die Tatsache, dass
die Beklagten weder auf das Schreiben des Klägers vom 11. Januar 1982 noch auf das vom 16. September 1991
reagiert habe, führe nicht zu einem vertrauensbegründenden Verwirkungsverhalten. Vielmehr habe der Kläger auf
Grund des Schreibens vom 18. Oktober 1991 davon ausgehen müssen, dass die Beklagte seine Auffassung nicht
teile. Er habe nicht darauf vertrauen können, dass die Beklagte die Zahlung der Beiträge nicht mehr geltend machen
werde. Soweit die Beklagte die Nachforderung durch Bescheid vom 12. Juni 1998 auf 25.300,37 DM erhöht habe, sei
dies ebenfalls nicht zu beanstanden, weil sich der zunächst eingeklagte Betrag als zu niedrig erwiesen habe. Auch sei
die Höhe der Beitragsnachforderung korrekt berechnet. Das Urteil des SG ist dem Kläger am 7. Juni 2000 gegen
Empfangsbekenntnis zugestellt worden.
Am 4. Juli 2000 hat der Kläger schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er sich
auf die Verwirkung der Beitragsforderung berufen. Die Beklagte sei für eine Zeitspanne von etwa 9 1/2 Jahren untätig
geblieben, schon allein dadurch sei Verwirkung eingetreten. Im Übrigen seien aber zusätzliche Umstände gegeben,
die sein Vertrauen begründet hätten, die Beklagte werde die Beiträge nicht mehr erheben. So habe er auf Grund des
Schriftwechsels im Jahre 1992, aber auch nach Erteilung des Versicherungsverlaufs im September 1988 davon
ausgehen können, dass alles geprüft und in Ordnung sei. Trotz Einführung einer Beitragsüberwachung im Jahre 1978
seien keine Beiträge geltend gemacht worden. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Beitrageinzugs-
Einordnungsgesetzes am 1. Januar 1989 hätte die Beklagte nicht weiter bis ins Jahr 1996 untätig bleiben dürfen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 5. März 2000 und den Bescheid vom 9. Dezember 1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 26. März 1998 sowie den Änderungsbescheid vom 12. Juni 1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des SG in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für zutreffend und nimmt auf ihr bisheriges
Vorbringen Bezug. Mit Schreiben vom 13. November 2000 hat sie den Erstattungsanspruch des früheren Arbeitgebers
des Klägers mit 4109,26 DM beziffert.
Der Berichterstatter hat den Sach- und Streitstand mit den Beteiligten am 17. Januar 2002 erörtert. Die Beteiligten
haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Im Übrigen wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten (63 110541 W 026), die Klageakten des SG (S 18 RA
1875/98) und die Berufungsakten des Senats Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte sowie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und
fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG aufgrund des erteilten
Einverständnisses der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig und teilweise
begründet.
Das Urteil des SG vom 15. März 2000 ist abzuändern. Der Änderungsbescheid vom 12. Juni 1998 ist rechtswidrig und
daher aufzuheben, soweit darin in Abänderung des Bescheids vom 9. Dezember 1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 26. März 1998 die Beitragsforderung auf 29.409,63 DM erhöht wurde. Im übrigen hat die
Berufung keinen Erfolg, denn die Beitragsnachforderung ist jedenfalls in der durch Bescheid vom 9. Dezember 1996
geltend gemachten Höhe von 21.191,11 DM, das sind 10.834,84 EUR, rechtmäßig.
Der Beklagten stehen Beiträge aus der versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit zu (1.), diese
Beitragsforderung ist nicht verwirkt (2.). Soweit die Beitragsforderung durch Bescheid vom 12. Juni 1998 höher als DM
21.191,11 festgesetzt wurde, steht dieser Regelung entgegen, dass die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht erfüllt sind (3.).
1. Der Kläger war auf Grund des Bescheids vom 15. Oktober 1975 antragspflichtversichert nach § 2 Abs. 1 Nr. 11
AVG bzw. § 4 Abs. 2 SGB VI. Die Versicherungspflicht hat nicht geendet, denn der Kläger hat die selbständige
Tätigkeit seit 1975 bis heute nicht aufgegeben. Insbesondere war die daneben ausgeübte ebenfalls
Versicherungspflicht begründende Beschäftigung als gegen Entgelt beschäftigter Arbeitnehmer ohne Bedeutung (vgl.
BSGE 49, 38, BSG, Urteil vom 15. Dezember 1983 -12 RK 6/83- USK 83163; BSG SozR 3 - 2200 § 1227 Nr. 8). Aus
der Versicherungspflicht resultiert die Beitragspflicht. Die Beiträge werden bei selbständig Tätigen von ihnen selbst
getragen (§ 169 Nr. 1 SGB VI). Sie sind deshalb von diesen selbst unmittelbar an die Träger der Rentenversicherung
zu zahlen (§ 173 Satz 1SGB VI); für die Zeit vor Inkrafttreten des SGB VI am 1. Januar 1992 hat nichts anderes
gegolten (§§ 112 Abs.4 Buchst. b, 127 a Abs. 1 Satz 1 AVG i. V. m. § 127 Abs. 1 AVG; § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2
Nr. 6 der Verordnung über das Entrichten von Beiträgen zur Rentenversicherung des Arbeiter und der Angestellten
(RV - Beitragsentrichtungsverordnung, RV - BEVO)). Der Kläger schuldet deshalb gemäß §§ 157, 161 Abs. 1, 165
SGB VI Beiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze und nach dem jeweiligen Beitragssatz der gesetzlichen
Rentenversicherung; als beitragspflichtige Einnahme gilt ein Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße. Jedenfalls
für die Zeit von Januar 1992 bis Februar 1996 ergibt sich unter Berücksichtigung von § 22 Abs. 2 SGB IV und § 165
Abs. 1 Nr. 1 SGB VI aus der selbständigen Tätigkeit eine Beitragsschuld in Höhe von 2.8940,21 DM, da der Kläger
keinen Antrag auf Zugrundelegung eines gegenüber dem Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße tatsächlich
niedrigeren oder höheren Arbeitseinkommens gestellt hat, obwohl von der Beklagten mehrfach auf diese Möglichkeit
hingewiesen. Der Senat macht sich die Berechnung der aus der selbständigen Tätigkeit für die Zeit von Januar 1992
bis Februar 1996 geschuldeten Beiträge im Bescheid vom 12. Juni 1998 zu eigen. Offenbleiben kann, ob für die für
Dezember 1991 geschuldeten Beiträge ebenfalls auf § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI zurückgegriffen werden kann. Denn
diese die beitragspflichtigen Einnahmen von versicherungspflichtigen Selbständigen bestimmende Vorschrift ist erst
zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten; für die Zeit vorher bis 31. Dezember 1991 galt für die Beitragsberechnung
dieses Personenkreises § 2 Abs. 1 RV-BEVO, wonach Beitragsbemessungsgrundlage 1/12 des jährlichen
Bruttoarbeitseinkommens aus der die Versicherungspflicht begründenden Tätigkeit ist. Maßgebend ist ungeachtet der
Fälligkeit grundsätzlich die Rechtslage in dem Monat, für welchen der Beitrag entrichtet wird (vgl. BSGE 61, 79, 81 f.).
Der Senat braucht das jährliche Bruttoarbeitseinkommen des Klägers für 1991 nicht genau ermitteln, denn auch eine
Beitragsnachforderung, die um einen derzeit nicht genau feststehenden Betrag höher als 28.940,21 DM ist, wäre nicht
verjährt. Ansprüche auf Beiträge verjähren in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden
sind (§ 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Beiträge des Klägers, die nach Arbeitseinkommen bemessen sind, werden
gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB VI am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, in dem das Einkommen erzielt
wurde. Die Beiträge des Klägers für Dezember 1991 wurden am 15. Januar 1992 fällig. Sie wären erst mit Ablauf des
Jahres 1996 verjährt. Durch Bekanntgabe des Bescheids vom 9. Dezember 1996 , mit welchen die Beklagte die
bezifferte Beitragsforderung durchgesetzt hat (zum Durchsetzungsbescheid vgl. BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 9) wurde
die Verjährung unterbrochen (vgl. § 52 Abs. 1 Satz1 SGB X). Unabhängig davon hat schon das durch das Schreiben
des Klägers vom 2. Mai 1996 eingeleitete Beitragsverfahren die Verjährung unterbrochen (vgl. § 198 Sätze 1 und 2
SGB VI).
2. Die Beklagte ist auch sonst berechtigt, die Beiträge dem Kläger gegenüber geltend zu machen. Insbesondere ist
der Zahlungsanspruch nicht verwirkt. Das im Bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und
Glauben (§ 242 BGB) entwickelte Rechtsinstitut der Verwirkung ist auch im Sozialrecht anerkannt. Danach entfällt
eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechtes während eines längeren Zeitraums
unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in
Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem
Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden Umstände liegen vor,
wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen
durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und sich infolgedessen in
seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauenstatbestand), dass ihm durch die verspätete
Durchsetzung des Rechts unzumutbare Nachteile entstehen würden (vgl. grundlegend BSGE 47, 194, 196; BSG
SozR 3-2200 § 1303 Nr. 6).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Beklagte hat es zwar von Januar 1982 (Kenntnis
des Eintritts anderweitiger Versicherungspflicht) bis Dezember 1996 unterlassen, die Beiträge des Klägers aus seiner
versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit, welche der Kläger selbst zu tragen und an die Beklagte zu zahlen
hatte, anzufordern. Allein die Untätigkeit, auch wenn diese über einen langen Zeitraum andauert, kann die Verwirkung
aber nicht begründen; vielmehr müssen weitere besondere Umstände hinzutreten, welche die spätere
Geltendmachung des Rechts mit der Wahrung von Treu und Glauben als nicht vereinbar erscheinen lassen (vgl.
BSGE 34, 211, 214; 38, 187, 194; zur Beitragsnachforderung BSG, Urteil vom 23. Mai 1989 - 12 RK 23/88 - in USK
8964). Dabei sind an das Verwirkungsverhalten grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen (vgl. auch zum
Folgenden BSGE 47, 194, 197 f.), weil dem Interesse des Beitragsschuldners, das Ausmaß der wirtschaftlichen
Belastung durch Beitragsnachforderungen in angemessenen Grenzen zu halten, bereits durch die kurze
Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV Rechnung getragen wird. Daher reicht das bloße "Nichtstun" als
Verwirkungsverhalten regelmäßig nicht aus, es muss darüber hinaus ein konkretes Verhalten des Gläubigers
hinzukommen, welches bei dem Schuldner die berechtigte Erwartung erweckt hat, dass eine Beitragsforderung nicht
bestehe oder nicht geltend gemacht werde. Ein Unterlassen kann ein schutzwürdiges Vertrauen nur dann begründen,
wenn der Schuldner das Nichtstun des Gläubigers als bewusst und planmäßig betrachten darf (vgl. auch BSG SozR
4100 § 40 Nr. 17). Die Umstände, die der Kläger als Verwirkungsverhalten ansehen will, stellen objektiv kein Verhalten
dar, das ein Vertrauen auf das Nichterheben der Beiträge begründet.
Der Kläger hat die Beklagte im Januar 1982 gebeten, festzustellen, dass die bisherige Versicherungspflicht als
selbstständig Tätiger erloschen sei. Die Beklagte hat ihn zeitnah danach darauf hingewiesen, dass der Eintritt einer
Pflichtversicherung kraft Gesetzes über die Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit nichts aussage. Sie hat zu
erkennen gegeben, dass die Antragspflichtversicherung erst mit Aufgabe der selbständigen Tätigkeit endet. Der
Kläger hat hierauf mitgeteilt, er habe die Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt nicht aufgegeben, es sei nicht zu
veranlassen. So ist die Beklagte verfahren. Auch im September 1988 hat ihr der Kontenklärungsantrag keinen Anlass
gegeben, die ausstehenden Beiträge anzufordern. Insofern hat sie weiterhin nichts veranlasst. Wesentlich in diesem
Zusammenhang ist der Schriftwechsel aus dem Jahre 1991. Der Kläger hat die "Sonderinformation
Rentenreformgesetz 1992", die an pflichtversicherte Selbständige gerichtet war, selbst zum Anlass gekommen, sich
mit Schreiben vom 19. September 1991 erneut mit der Bitte an die Beklagte zu wenden, die Angelegenheit (gemeint:
seiner Antragspflichtversicherung als Selbständiger) endgültig zu klären. Wiederum hat er angegeben, dass er "auch
in Zukunft" Einnahmen sowohl aus selbstständiger Tätigkeit als auch aus versicherungspflichtiger Beschäftigung
haben werde. Die Beklagte hat ihm hierauf nochmals im Oktober 1991 schriftlich mitgeteilt, dass seine
Antragspflichtversicherung erst ende, wenn er die selbständige Tätigkeit aufgebe und hieran auch nichts eine
zeitgleiche kraft Gesetzes versicherungspflichtige Beschäftigung ändert. Die Beklagte hat für den Kläger damit nicht
nur deutlich gemacht, dass für die Fortdauer der selbständigen Tätigkeit diese Versicherungspflicht begründet;
darüber hinaus hat sie durch ihre Hinweise zur Beitragsberechnung auch für den Kläger hinreichend klar zu erkennen
gegeben, dass deshalb für diesen auch eine Beitragspflicht besteht. Dass der Kläger Beiträge schuldet, war ihm
bewusst, wie die Antwort des Klägers vom 2. April 1992 zeigt, in welchem er die Beklagte bittet, ihm mitzuteilen, was
für Beiträge noch offen sein sollen. Allerdings ist dieses Schreiben nicht zu den Verwaltungsakten gelangt. Aufgrund
des von der Beklagten mehrfach eingenommenen Standpunktes, der Kläger bleibe auch als Doppelberufler bis zur
Aufgabe der selbständigen Tätigkeit aus dieser pflichtversichert und beitragspflichtig, konnte der Kläger kein
Vertrauen darauf begründen, die Beklagte werde die ausstehenden Beiträge nicht mehr nacherheben. Allein der
Umstand, dass die Beklagte keine Beitragsforderung geltend gemacht hat, genügt nicht; jedenfalls kann bei dem
festgestellten Ablauf von einem bewussten und planmäßigen Nichtstun der Beklagten keine Rede sein.
3. Der Änderungsbescheid vom 12. Juni 1998 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, als darin in Abänderung des
Bescheids vom 9. Dezember 1996 (Widerspruchsbescheids vom 26. März 1998) unter erstmaliger schon vorher
geboten gewesener Anwendung von § 22 Abs. 2 SGB IV die Beitragsforderung über die ursprünglich geforderten
21.191,11 DM hinaus erhöht wurde. Beitragsbescheide enthalten, soweit sie wie hier im Bescheid vom 9. Dezember
1996 abschließend und endgültig die Beitragforderung festsetzen, insoweit eine begünstigende Regelung, als mit
dieser Festsetzung, den Kläger insoweit begünstigend, zum Ausdruck gebracht wird, dass über den geforderten
Betrag hinaus eine Forderung nicht besteht. Will die Beklagte in Korrektur der früheren Beitragsforderung, über den
festgestellten Betrag hinaus weitere Beiträge fordern, weil die ursprüngliche Beitragsforderung, zu niedrig war, muss
die Rücknahme der insoweit rechtswidrigen begünstigenden Regelung nach Maßgabe der §§ 24, 45 SGB X erfolgen
(vgl. BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 11; zur Umlage: BSG SozR 3-4100 § 186a Nr.5). Der während des Klageverfahrens
ergangene und gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens gewordene Bescheid, soweit darin überhaupt
eine Rücknahme des früheren Bescheides gesehen werden kann, erging ohne die erforderliche Anhörung des Klägers.
Die Beklagte hat in seiner Begründung auch dem Abwägungsgebot nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht Rechnung
getragen. Hiervon war sie nicht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X befreit. Denn der Kläger hat den Bescheid nicht durch
Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt (Nr. 1). Er beruht nicht auf falschen Angaben, denn die erforderlichen
Angaben wurden zutreffend gemacht (Nr. 2). Der Kläger musste schließlich nicht erkennen, dass der Modus der
Beitragsberechnung im Bescheid vom 9. Dezember 1996 unrichtig war, was die Beklagte selbst über einen längeren
Zeitrum nicht erkannte. Schließlich hat die Beklagte das ihr bei einer Zurücknahme eingeräumte pflichtgemäße
Ermessen nicht ausgeübt. Bei -wie hier- vorliegendem Verstoß gegen das bei Ermessensentscheidungen bestehende
Begründungsgebot (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X) - für eine Ermessensreduzierung auf Null zu Lasten des Klägers
sind keine Anhaltspunkte ersichtlich - lässt sich die rechtliche Alternativlosigkeit der Entscheidung i. S. von § 42 S. 1
SGB X nicht feststellen, sodass der Bescheid vom 12. Juni 1998 im Umfang seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.