Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 24.08.2005

LSG Bwb: sachliche zuständigkeit, öffentlich, bezirk, versorgung, verwaltungsgerichtsbarkeit, handbuch, bayern, gerichtsverfassungsgesetz, auflage, bundesgesetz

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Beschluss vom 24.08.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Ulm S 7 EG 608/05
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 9 SF 2456/05 B
Auf die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 29. März
2005 aufgehoben.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die weitere Beschwerde an das Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich mit der am 15.01.2004 zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhobenen Klage u.a. gegen den
Bescheid vom 06.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2003, mit dem der ihm
Landeserziehungsgeld nach dem Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErzGG) gewährende Bescheid
aufgehoben und das bereits gezahlte Landeserziehungsgeld zurückgefordert wurde. Das SG Nürnberg verwies die
Klage durch Beschluss vom 13.2.2004 an das örtlich zuständige SG Ulm, nachdem der Kläger im Zeitpunkt der
Klageerhebung im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts wohnte. Das SG Ulm wies die Beteiligten durch Schreiben
vom 10.03.2005 darauf hin, dass in Baden-Württemberg für Rechtsstreitigkeiten, die das Landeserziehungsgeld
beträfen, mangels ausdrücklicher Zuweisung der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Es beabsichtige, daher den -
abgetrennten - Rechtsstreit S 7 EG 608/05 an das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) zu verweisen.
Mit Beschluss vom 29.03.2005 erklärte das SG den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig und verwies den
Rechtsstreit an das VG.
Gegen den am 31.03.2005 zugestellten Beschluss legte der Beklagte, der sich mit Schreiben vom 15.03.2005 mit der
Verweisung einverstanden erklärt hatte, unter dem 08.04.2005 Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, für
das Bayerische Landeserziehungsgeld seien die Regelungen des Ersten Abschnitts des
Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) über den Rechtsweg und die Zuständigkeit (§ 13) entsprechend
anzuwenden. Nach § 13 Satz 1 BErzGG sei ausschließlich der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Der Beklagte beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 29.März 2005 aufzuheben.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz -GVG-
i.V.m. §§ 172,173 Sozialgerichtsgesetz -SGG- statthaft und zulässig. Sie ist auch sachlich begründet, denn das SG
Ulm ist für die Entscheidung über die vorliegende Klage kraft bindender Verweisung (§ 98 Satz 2 SGG) das sachlich
und örtlich zuständige Gericht.
Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche
Streitigkeiten, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet ist. Für landesrechtliche
Streitigkeiten ist die Zuweisung durch Landesgesetz möglich (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, §
51 Rn. 37). Dies folgt aus § 40 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die "verwaltungsgerichtliche
Generalklausel" des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO bestimmt, dass der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-
rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben ist, soweit die Streitigkeiten nicht durch
Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO können
öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz
zugewiesen werden
Eine solche Zuweisung ist im BayLErzGG erfolgt. Gemäß Art. 8 Ziff 1 Buchstabe f BayLErzGG sind, soweit
gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Regelungen des Ersten Abschnitts des BErzGG über den Rechtsweg und
die Zuständigkeit (§ 13) entsprechend anzuwenden. § 13 Abs. 1 Satz 1 BErzGG bestimmt für Streitigkeiten aus
diesem Gesetz die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.
Wendet man - wie das SG Nürnberg im Verweisungsbeschluss vom 13.02.2004 - bei der Bestimmung der örtlichen
Zuständigkeit des Sozialgerichts die allgemeine Zuständigkeitsregel des § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG an, würde das
BayLErzGG aber auch eine sachliche Zuständigkeitsregelung - nämlich die Überprüfung von Verwaltungsakten nach
dem BayLErzGG - für Gerichte außerhalb Bayerns treffen für den Fall, dass der Leistungsempfänger im Zeitpunkt der
Klageerhebung - wie im vorliegenden Fall - nicht mehr in Bayern wohnhaft ist. Dem steht aber entgegen, dass ein
Bundesland, das sein eigenes Recht setzt und durchsetzt, nicht einseitig anderen Bundesländern Pflichten auferlegen
kann. Die Hoheitsgewalt eines Landes bezieht sich nur auf das eigene Territorium. Diese Begrenztheit ist dem Land
als Gebietskörperschaft immanent (vgl Isensee in Isensee/Kirchhof -Hrsg.- Handbuch des Staatsrechts, Band IV, §
98 Rn. 36).
Dieser Grundsatz steht auch der vom SG Ulm vorgenommenen Verweisung an das Verwaltungsgericht Stuttgart
entgegen, denn auch dessen sachliche Zuständigkeit umfasst gerade nicht die nach bayerischem Landesrecht der
Sozialgerichtsbarkeit zugewiesene Überprüfung von Verwaltungsakten auf der Grundlage des BayLErzGG. Und selbst
wenn eine sachliche "Auffangzuständigkeit" der Verwaltungsgerichtsbarkeit angenommen würde, wäre nach den
örtlichen Zuständigkeitsregeln der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (§ 52 Nr. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. Nr. 5 VwGO)
nicht das Verwaltungsgericht Stuttgart, sondern das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte
seinen Sitz hat.
Dem Grundsatz der territorialen Zuständigkeit eines Bundeslandes, der eine gewisse Ähnlichkeit mit den
zwischenstaatlichen Beziehungen des Völkerrechts hat (vgl. Isensee aaO), kann im vorliegenden Fall nur durch eine
entsprechende Anwendung des § 57 Abs. 3 SGG Rechnung getragen werden. Danach ist für den Fall, dass der Kläger
seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland hat, das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk der
Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat. Nachdem der Beklagte
durch das Bayerische Landesamt für Versorgung und Familienförderung mit Sitz in Bayreuth vertreten wird, wäre in
entsprechender Anwendung dieser Regelung das Sozialgericht Bayreuth örtlich zuständig.
Im vorliegenden Verfahren scheidet aber eine Verweisung an das SG Bayreuth aus, da der örtliche
Verweisungsbeschluss des SG Nürnberg vom 13.02.2004 an das SG Ulm innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit gemäß
§ 98 Satz 2 SGG unanfechtbar und damit bindend ist.
Auf die Beschwerde des Beklagten war daher der Beschluss des Sozialgerichts Ulm aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die weitere Beschwerde an das
Bundessozialgericht (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG) zugelassen.