Urteil des LG Zweibrücken vom 07.06.2006

LG Zweibrücken: einwilligung des patienten, einstweilige verfügung, heimbewohner, pflegepersonal, hauptsache, unterlassen, pflegeheim, strangulation, genehmigung, aufwand

Bürgerliches Recht
LG
Zweibrücken
07.06.2006
3 S 43/06
Aktenzeichen:
3 S 43/06
4 C 85/06
Amtsgericht Zweibrücken
Landgericht Zweibrücken
Beschluss
In dem Berufungsverfahren
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken durch die Präsidentin des Landgerichts Wolf, die
Richterin am Landgericht Weber und den Richter Herzog
ohne mündliche Verhandlung am 07.06.2006
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten und Berufungskläger auferlegt.
Gründe:
I.
Die demenzkranke Verfügungsklägerin lebte im Pflegeheim des Verfügungsbeklagten. Die Parteien (die
Verfügungsklägerin vertreten durch ihre gerichtlich bestellte Betreuerin) streiten um die Zulässigkeit einer
Fixierungsmaßnahme, insbesondere die Verwendung eines Bettgurtes mit zusätzlicher seitlicher
Fixierung. Zuvor war die Verfügungsklägerin mit einem einfachen Bauchgurt fixiert und mit einem Bettgitter
gesichert worden. Diese Maßnahme hatte die Betreuerin genehmigt.
Die Betreuerin hat aber die Genehmigung der neuen Gurteinrichtung verweigert. Nachdem der
Verfügungsbeklagte den neuen Gurt nicht entfernte, erwirkte die Verfügungsklägerin eine einstweilige
Verfügung des Amtsgerichts Z., durch welche dem Verfügungsbeklagten aufgegeben wurde, die Fixierung
mittels zusätzlicher seitlicher Gurte zu unterlassen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Verfügungsbeklagten, der im Wesentlichen Sicherheitsaspekte für
die sturzgefährdete Verfügungsklägerin geltend macht. So sei es bei der Verwendung des alten
Bauchgurts schon zu Todesfällen gekommen, weil die Patienten aus dem Bett gerutscht und sich im Gurt
stranguliert hätten.
Nachdem die Verfügungsklägerin inzwischen in ein anderes Pflegeheim umgezogen ist, haben beide
Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.
II.
Nachdem die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 91 a ZPO
über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen
Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Dies führt zu der im Tenor ersichtlichen Kostenentscheidung, da
der Beklagte in der Hauptsache voraussichtlich unterlegen wäre. Entgegen dessen Berufungsvorbringen
ist das Unterlassungsbegehren der Klägerin begründet.
Die zusätzliche Fixierung der Klägerin mit seitlich fixierten Stabilisatorengurten des Beckengurtes bzw.
seitliche Stabilisatoren des Bauchgurtes widersprachen der von der Betreuerin als wirklichen oder
mutmaßlichen Willen der Klägerin geäußerten Entscheidung.
Die mit Hilfe einer mechanischen Vorrichtung durchgeführte Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff
in dessen allgemeine Handlungsfreiheit sowie Fortbewegungsfreiheit dar, welcher deshalb der
Einwilligung des Patienten bedarf. Eine gegen den erklärten Willen des Patienten gleichwohl
durchgeführte Fixierung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog §
1004 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB verlangen kann, denn das Recht des Patienten zur
Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen unzulässig (vgl. BGH Z 154, 205 = FamRZ
2003, 748 m. w. N.).
Der Betreuer ist in den Aufgabenkreisen, für die er zum Betreuer bestellt ist, der gesetzliche Vertreter des
Betreuten (§1902 BGB). Daher gehört auch die Entscheidung, ob und inwieweit in die allgemeine
Handlungsfreiheit und Fortbewegungsfreiheit der Klägerin eingegriffen werden darf, in die
Entscheidungsbefugnis des Betreuers. Der Betreuer hat dem Willen der Klägerin in eigener rechtlicher
Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Geltung zu verschaffen.
Die Anordnung der Betreuerin, die weitere Fixierung der Klägerin zu unterlassen bzw. deren Weigerung,
für eine weitere Fixierung die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zu beantragen, war deshalb
gegenüber dem Beklagten und dessen Pflegepersonal bindend. Eine eigene Prüfungskompetenz, ob
und inwieweit die getroffene Entscheidung der von § 1901 Abs. 2 - 4 BGB normierten Pflichtenbindung
gerecht wird, steht der Beklagten nicht zu. Sie ist insoweit - wie jeder andere Dritte auch - auf die
Möglichkeit beschränkt, beim Vormundschaftsgericht eine Überprüfung des Betreuerhandelns mit dem
Ziel aufsichtsrechtlicher Maßnahmen nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1837 Abs. 1 -3, 1836 BGB
anzuregen (vgl. BGH Z 163, Seite 195 m. w. N.).
Auch der mit der Klägerin geschlossene Heimvertrag berechtigt den Beklagten nicht, die zusätzliche
Fixierung der Klägerin gegen den durch die Betreuerin verbindlich geäußerten Willen fortzusetzen. Zwar
sind strafrechtliche Verbote, die an den Beklagten bzw. dessen Organe oder Personal gerichtet sind, für
die Entscheidung des Falles von Bedeutung. Der Beklagte kann nämlich nicht zivilrechtlich zu einem
Verhalten verurteilt werden, mit dem die Organe und Mitarbeiter des Beklagten Gefahr laufen würden, sich
zu den Geboten des Strafrechts in Widerspruch zu setzen, sich also strafbar machen würden (vgl. BGH
a.a.O.). In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die in der Berufungsbegründung
genannten Todesfälle andere Fallgestaltungen betreffen, z. B. das Anbringen eines Bauchgurtes ohne
Bettgitter oder mit gefährlichem Durchlass im Bettgitter, durch welchen ein Patient durchrutschen kann.
Für den Fall einer Fixierung mittels Bauchgurtes
und
Betreuungsverfahrens vorgelegten sachverständigen Stellungnahme des Prof. Dr. Ing. Böhnig,
Technische Universität Berlin (vgl. dort Blatt 59 ff) hinsichtlich des vom Beklagten zuvor verwendeten
Fixierungssystems festgestellt , dass die Verwendung eines Bettgitters die Gefahr der Strangulation
faktisch ausschließt, weil dann das für die Strangulation ursächliche Rutschen des Patienten über die
Bettkante nicht mehr möglich ist.
Im Übrigen ist das Heim und das betroffene Pflegepersonal vor strafrechtlichen Vorwürfen dadurch
ausreichend geschützt, dass es den Anweisungen der ehrenamtlichen Betreuerin zu folgen hatte, die
auch seitens des Vormundschaftsgerichtes genehmigt worden waren. Somit ist auch die von der
Beklagten angesprochene Argumentation des Bundesgerichtshofes (BGH NJW 2005, 2385) bei welcher
es um den Fall der Sterbehilfe durch Unterlassen der Nahrungsmittelzufuhr ging, hier nicht einschlägig,
denn die strafrechtlichen Grenzen einer Haftung der Organe der Beklagten und deren Bediensteter
werden durch die getroffenen gesetzlichen Regelungen eindeutig festgelegt. Eine Haftung der Beklagten
wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung für den Fall des Unfalls der Klägerin, scheidet daher
aus.
Zum Umfang der zu treffenden Schutzmaßnahmen für sturzgefährdete Heimbewohner nimmt die Kammer
Bezug auf die Entscheidungen des BGH vom 28.04.2005 (III ZR 399/04) und vom 14.07.2005 (III ZR
391/04). Danach sind die Pflichten des Pflege-/Altenheims begrenzt auf die in solchen Heimen üblichen
Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (
OLG
München VersR 2004, 618
f,
LG Essen VersR 2000, 893
). Maßstab müssen das Erforderliche und das für
die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare sein (OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867 f). Dabei
ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen
und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die
Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl.
nunmehr
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HeimG
i.d.F. vom 5. November 2001 BGBl. I S. 2970).
Jedenfalls solange keine konkrete Zustimmung des Betreuers zu einer weitergehenden Fixierung
vorliegt, muss angesichts der Würde des Patienten (Artikel 1 GG) und dessen allgemeinen Freiheitsrechts
(Artikel 2 GG) diese Abwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit dazu führen, die zur
Gefahrenabwehr geeignete, den Patienten aber am wenigsten beeinträchtigende Fixierungsmaßnahme
anzuwenden.
Da die konkrete Art der Fixierung hier nicht genehmigt war, hat mangels Erfolgsaussichten ihrer Berufung
die Beklagte die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.
Angewandte Vorschriften:
§§ 91 a ZPO, 1004, 823 Absatz 1, 1901, 1902 BGB, 2 Absatz 1 Nr. 1 und 2 HeimG,
Artikel 1 und 2 GG
Leitsätze:
Die Pflichten eines Pflegeheims zur Sicherung sturzgefährdeter Heimbewohner sind begrenzt auf die in
solchen Heimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand
realisierbar sind. Maßstab sind die Erforderlichkeit und die Zumutbarkeit für die Heimbewohner und das
Pflegepersonal.
Solange keine konkrete Zustimmung des Betreuers zu einer weitergehenden Fixierung vorliegt, muss
angesichts der Würde des Patienten (Artikel 1 GG) und dessen allgemeinen Freiheitsrechts (Artikel 2 GG)
die Abwägung mit den Sicherheitserfordernissen dazu führen, die zur Gefahrenabwehr geeignete, den
Patienten aber am wenigsten beeinträchtigende Fixierungsmaßnahme anzuwenden (Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit).