Urteil des LG Wuppertal vom 20.11.2006

LG Wuppertal: letztwillige verfügung, verfügung von todes wegen, erbvertrag, testament, erbeinsetzung, erbschein, vorbescheid, enterbung, anteil, bindungswirkung

Landgericht Wuppertal, 6 T 669/06
Datum:
20.11.2006
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 T 669/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Mettmann, 7 VI 399/06
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Der angefochtene Vorbescheid wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung über die
Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1. und 2. an das Amtsgericht
zurück-verwiesen, das angewiesen wird, von den in dem angefochtenen
Vorbescheid geäußerten Bedenken Abstand zu nehmen.
G r ü n d e :
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Die Erblasserin hatte mit ihrem am 7. März 1983 vorverstorbenen Ehemann einen
Erbvertrag errichtet, in dem unter III. der Überlebende von ihnen zu seinen Erben zu
gleichen Anteilen die beiden Töchter – das sind die Beteiligten zu 1. und 2. – berufen
hat. In Ziffer VII. des Erbvertrages heißt es:
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"Die vorstehenden Anordnungen zu Ziffer II., III., IV. nehmen wir hiermit
wechselseitig als vertragsgemäß bindend an. Das Recht zum einseitigen
Rücktritt von diesem Erbvertrag behalten wir uns nicht vor.
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Der Überlebende von uns ist jedoch befugt, die vorstehenden Anordnungen
zu III. bis IV. noch zu ändern, insbesondere durch eine anderweitige
Festlegung der Erbquoten, Änderung oder Aufhebung der Vermächtnisse,
Anordnung weiterer Vermächtnisse, Auflagen oder Teilungsanordnungen,
soweit hierdurch einerseits nicht dritte Personen, die nicht zu unseren
gemeinschaftlichen Abkömmlingen zählen, einen rechtlichen oder
wirtschaftlichen Vorteil erhalten und andererseits die in dieser Urkunde
vorgesehenen Zuwendungen an die ersteheliche Tochter des Ehemannes
bzw. deren Abkömmlinge als Ersatzerben nicht geschmälert werden, sofern
es sich insoweit um Verfügungen der Ehefrau als der Überlebenden der
Erschienenen handelt.
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Der Notar hat uns über die Bindungswirkung dieses Erbvertrages im
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einzelnen belehrt."
Unter dem 6. Juni 2006 hat die Erblasserin ein privatschriftliches Testament errichtet, in
dem es unter anderem heißt, dass nach ihrem Tod "A das Haus und das Grundstück
bekommen" solle und D, so sie wolle, "den Pflichtteils ausbezahlt" bekomme.
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Die Beteiligte zu 1. hat mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 14. August
1006 in Verbindung mit ihrer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des
Amtsgerichts vom 11. September 2006 beantragt, ihr einen gemeinschaftlichen
Erbschein dahin zu erteilen, dass die Erblasserin von ihr und der Beteiligten zu 2. zu je
½-Anteil beerbt worden ist. Dagegen hat die Beteiligte zu 2. zu notarieller Urkunde vom
9. August 2006 (UR-Nr.: #####/####/B, Notar Assessor Dr. L als amtlich bestellter
Vertreter für Notar C, I) beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie als Alleinerbin
ausweist. Während die Beteiligte zu 1. die Erbfolge auf den notariellen Erbvertrag vom
22. Dezember 1980 stützt und das privatschriftliche Testament der Erblasserin vom 6.
Juni 2006 wegen der Bindungswirkung dieses Erbvertrages für unwirksam hält, leitet die
Beteiligte zu 2. ihr Alleinerbrecht aus eben diesem privatschriftlichen Testament vom 6.
Juni 2006 her, das sie für wirksam hält.
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Durch die angefochtene Entscheidung, auf die verwiesen wird, hat das Amtsgericht
angekündigt, der Beteiligten zu 1. – unter Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu
2. – einen Erbschein mit dem Inhalt zu erteilen, das die Erblasserin von ihr und der
Beteiligten zu 2. zu je ½-Anteil beerbt worden sei.
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Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beteiligte zu 2. mit der am 11. Oktober 2006
bei dem Amtsgericht eingegangen Rechtsmittelschrift ihrer Verfahrensbevollmächtigten,
auf die verwiesen wird und mit der sie ihr erstinstanzliches Antragsbegehren
weiterverfolgt.
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Die Beteiligte zu 2. tritt dem Rechtsmittel entgegen und stützt ihr Begehren auch darauf,
dass Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin wie auch daran beständen, ob sie
die letztwillige Verfügung vom 6. Juni 2006 eigenhändig geschrieben und
unterschrieben habe.
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Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 6. November 2006 nicht
abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akte Bezug
genommen.
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Das gem. §§ 19 ff. FGG als Beschwerde zulässige Rechtsmittel der Beteiligte zu 2. führt
zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an
das Amtsgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung über die Erbscheinsanträge
der Beteiligten zu 1. und 2. Denn der vom Amtsgericht vertretenen Auffassung, die
letztwillige Verfügung der Erblasserin vom 6. Juni 2006 sei nach § 2289 Abs. 1 S. 2
BGB unwirksam, kann nicht beigetreten werden.
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Allerdings geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass es sich bei der
Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1. und 2. in Ziffer III. des Erbvertrages vom
22. Dezember 1980 um eine vertragsmäßige, bindende Verfügung im Sinne des § 2278
BGB handelt, wie das Amtsgericht auch zutreffend annimmt, dass die Bindung an
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vertragsmäßige Verfügungen eingeschränkt oder gelockert werden kann. Dass die in
dem Erbvertrag unter Ziffer III. enthaltenen Verfügungen der Erblasserin und ihres
vorverstorbenen Ehemannes vertragsmäßig getroffen sind, folgt schon aus den
Erklärungen der Vertragsbeteiligten im Erbvertrag selbst. Denn dort heißt es unter Ziffer
VII., dass sie die vorstehenden Anordnungen zu Ziffer II., III. und IV. wechselseitig als
vertragsmäßig bindend annehmen. Allerdings ist die Frage, ob bestimmte, in einem
Erbvertrag enthaltene Verfügungen vertragsmäßig oder bloß einseitig getroffen sind, zu
trennen von der anderen Frage, ob die Bindung an vertragsmäßige Verfügungen durch
einen Vorbehalt eingeschränkt oder gelockert ist (vgl. BGH, NJW 1982, 441). Ein
solcher erbvertraglicher Vorbehalt, der es dem Erblasser ermöglichen soll, in
bestimmtem Rahmen über die Vergabe des Nachlasses einseitig und anders als im
Erbvertrag vorgesehen zu verfügen, ist nach den Grundsätzen der Vertragsfreiheit
jedenfalls dann zulässig, wenn mindestens eine bindende Verfügung bestehen bleibt
(vgl. BGH, a.a.O.; BayObLG, NJW RR 1997, 1027, jeweils m.w.N.). Auf das Vorliegen
dieser Voraussetzung hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung
zutreffend bejaht.
Indes kann dem Amtsgericht nicht daran beigetreten werden, dass die Erblasserin durch
ihre letztwillige Verfügung vom 6. Juni 2006 über den vertragsmäßig vereinbarten
Vorbehalt hinaus testiert und durch dieses Testament das Recht der vertragsmäßig als
Miterbin eingesetzten Beteiligten zu 1. zugunsten der Beteiligten zu 2. im Sinne von §
2289 Abs. 1 S. 2 BGB beeinträchtigt hat, so dass die spätere Verfügung von Todes
wegen der Erblasserin unwirksam wäre.
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In Ziffer VII. des Erbvertrages haben die Vertragsbeteiligten zu dem Vorbehalt
vereinbart, dass der Überlebende von ihnen befugt sei, die vorstehenden Anordnungen
zu III.-IV., also auch die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. und 2. zu gleichen Teilen, zu
ändern. Allerdings sollen durch eine Änderung nicht dritte Personen einen rechtlichen
oder wirtschaftlichen Vorteil erhalten und es sollen die vorgesehenen Zuwendungen an
die ersteheliche Tochter des Ehemannes nicht geschmälert werden, was beides hier
nicht gegeben ist. Schon diesem bloßen Wortlaut nach ist dem überlebenden Ehegatten
jedwede Änderung der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1. und 2. im Verhältnis
untereinander vorbehalten, also auch eine Änderung – wie hier – dahin, dass die
Einsetzung einer Tochter zur Alleinerbin einhergeht mit der Enterbung der anderen
Tochter. Denn die Änderungsbefugnis ist weder dem Wortlaut nach noch sonst nach
dem Inhalt der erbvertraglichen Vereinbarungen eingeschränkt und schließt
insbesondere nicht eine Enterbung einer der beiden Töchter und insbesondere nicht die
der Beteiligten zu 1. aus.
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Nichts anderes ergibt sich aus der beispielhaften Aufzählung in Nr. VII. des
Erbvertrages, in welchen Fällen "insbesondere" eine Änderung zulässigerweise
vorbehalten werden soll. Denn die dort genannten Beispielsfälle schränken keineswegs
die zuvor vereinbarte grundsätzliche Änderungsbefugnis betreffend die Erbeinsetzung
nach dem Längstlebenden ein. Im Gegenteil kann angenommen werden, dass die
beispielhaft genannte "anderweitige Festlegung der Erbquoten" auch die
Änderungsbefugnis einschließt, die Erbquote der einen Tochter auf 0 und die der
anderen auf 100 Prozent festzulegen.
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Danach konnte es bei dem angefochtenen Vorbescheid nicht verbleiben, weshalb er
aufzuheben war. Zugleich war die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung über
die Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1. und 2. an das Amtsgericht
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zurückzuverweisen, das nunmehr insbesondere zu ermitteln haben wird, ob, wie die
Beteiligte zu 1. geltend macht, die Erblasserin die letztwillige Verfügung vom 6. Juni
2006 selbst geschrieben und unterschrieben hat und ob sie zum Zeitpunkt der
Errichtung dieses Testaments testierfähig war.
Gemäß § 131 Abs. 1 S. 2 KostO ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei. Es
bestand kein Anlass, eine Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§ 13 a Abs.
1 S. 2 FGG).
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Wert des Beschwerdegegenstandes: 320.000,00 Euro.
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