Urteil des LG Wuppertal vom 10.03.2010

LG Wuppertal (nav, allgemeine geschäftsbedingungen, absolutes recht, unmittelbare gefahr, unterbrechung, geschäftsbedingungen, energie, eigentum, strom, verhalten)

Landgericht Wuppertal, 8 S 91/09
Datum:
10.03.2010
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 91/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Wuppertal, 39 C 491/09
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts
Wuppertal vom 20.10.2009 (39 C 491/09) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Verfügungsklägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Von einer Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 542 Abs. 2
ZPO, abgesehen.
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II.
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Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat den Antrag im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber unbegründet, da
die Verfügungsklägerin das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Verfügungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht hat.
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1.)
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Als Anspruchsgrundlage für den mit der Verfügungsklage geltend gemachten Anspruch
auf Unterbrechung der Stromzufuhr kommt – entgegen der Ansicht der
Verfügungsklägerin - § 8 der ergänzenden Bedingungen der O GmbH zur NAV (i. V. m.
§ 21 NAV) nicht in Betracht.
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Bei den am 01.04.2007 in Kraft getretenen ergänzenden Bedingungen der O GmbH zur
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NAV handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 BGB.
Zwar dürfte zwischen den Parteien des Rechtsstreits gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 NAV ein
Anschlussnutzungsverhältnis bestehen, die Verfügungsklägerin hat aber nicht
dargelegt, dass ihre ergänzenden Bedingungen zur NAV Bestandteil dieses
Anschlussnutzungsverhältnisses geworden sind (§ 305 Abs. 2 BGB bzw. § 305a BGB).
Um ihre ergänzenden Bedingungen wirksam in bestehende Altverträge einzubeziehen,
hätten diese bei Inkrafttreten der NAV (oder zu einem späteren Zeitpunkt) den
Anschlussnehmern übersandt oder in sonstiger Form zur Kenntnis gebracht werden
müssen (Palandt/Grüneberg, § 305 BGB Rn. 48). Dass dies geschehen sei, hat die
Verfügungsklägerin nicht behauptet.
Die nach § 4 Abs. 2 S. 2 NAV vorgeschriebene Veröffentlichung auf der Internetseite
des Netzbetreibers ist für eine wirksame Einbeziehung der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen des Netzbetreibers in bestehende Altverträge nicht ausreichend.
Insofern regelt die von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit
Zustimmung des Bundesrates erlassene Verordnung über die Allgemeinen
Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung
in Niederspannung ausschließlich die den Netzbetreibern gegenüber ihren Kunden
obliegenden Informationspflichten. Mangels entsprechender Ermächtigung (vgl. §§ 11
Abs. 2, 18 Abs. 3, 21b Abs. 4, 24 und 48 Abs. 2 EnWG) konnte und wollte der
Verordnungsgeber bei Erlass der NAV aber nicht die Regeln des Bürgerlichen
Gesetzbuches über die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in
Verträge modifizieren.
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2.)
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Der mit der Verfügungsklage geltend gemachte Anspruch lässt sich auch nicht auf § 24
NAV stützen.
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Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 NAV (unmittelbare Gefahr für die Sicherheit von
Personen oder Sachen von erheblichem Wert, Anschlussnutzung unter Umgehung von
Messeinrichtungen oder Störungen anderer Anschlussnehmer bzw. von Einrichtungen
des Netzbetreibers) liegen offensichtlich nicht vor.
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Auch die Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung des Verfügungsbeklagten
gegenüber der Verfügungsklägerin oder dem Grundversorger, die den Netzbetreiber
gem. § 24 Abs. 2 NAV bzw. § 24 Abs. 3 NAV i. V. m. § 19 Abs. 2 StromGVV zur
Unterbrechung der Anschlussnutzung berechtigen könnte, ist nicht glaubhaft gemacht.
Nur ergänzend und vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass die in § 24 Abs. 2
NAV bzw. § 19 Abs. 2 StromGVV vorgesehene vorherige Androhung der Unterbrechung
im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich gewesen wäre. Der Zweck der vorherigen
Androhung der Unterbrechung erschöpft sich nämlich nicht, wie die Verfügungsklägerin
meint, darin, dass sich der Anschlussnutzer auf die Zutrittsgewährung einrichten kann,
vielmehr soll dem Verbraucher noch eine Möglichkeit gegeben werden, seine
Zuwiderhandlungen einzustellen, insbesondere seinen Zahlungsverpflichtungen
nachzukommen, um auf diese Weise die drohende Anschlusssperrung abzuwenden.
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Die Argumentation der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung, der
Anschluss des Verfügungsbeklagten sei schon aus Billigkeitsgründen zu sperren, da
ansonsten ein Strombezug auf Kosten der Allgemeinheit nicht verhindert werden könne,
überzeugt schon deshalb nicht, weil derjenige, der aus dem Verteilungsnetz eines
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Versorgungsunternehmens Elektrizität entnimmt, die Realofferte des
Versorgungsunternehmens durch sozialtypisches Verhalten annimmt und daher selbst
bei einem ausdrücklichen Widerspruch das tarifliche Entgelt zahlen muss
(Palandt/Ellenberger, Einf. vor § 145 Rn. 27). Auch ein entgegenstehender Wille des
Versorgers dürfte, wie sich aus § 2 Abs. 2 StromGVV ergibt, unbeachtlich sein. Insofern
ist es dem Lieferanten unbenommen, vom Verfügungsbeklagten das für dessen
Strombezug geschuldete Entgelt zu verlangen und im Falle der Nichterfüllung von
Zahlungsverpflichtungen die in der StromGVV vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen.
3.)
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Auch § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB kommt vorliegend nicht als
Anspruchsgrundlage in Betracht.
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Eine direkte Anwendung von § 1004 BGB scheidet schon deshalb aus aus, weil die
Entnahme von Strom aus dem Netz der Verfügungsklägerin das Eigentum an dem
Stromleitungsnetz nicht beeinträchtigt.
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Da der elektrische Strom kein körperlicher Gegenstand (sondern eine Bewegung von
Ladungsträgern) und damit nicht eigentumsfähig ist (so schon das Reichsgericht, Urteil
vom 20.10.1896, Rev. 2609/96, RGSt 29, 111), kann durch die Entziehung elektrischer
Energie Eigentum der Verfügungsklägerin nicht beeinträchtigt sein.
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Zwar werden entsprechend § 1004 BGB auch sonstige absolute Rechte im Sinne von
§ 823 Abs. 1 BGB (hierzu Palandt/Sprau, § 823 BGB Rn.11 ff.) geschützt. Die
Verfügungsbefugnis über elektrische Energie stellt aber kein derartiges absolutes Recht
dar. Vorliegend sind in erster Linie Vermögensinteressen der Verfügungsklägerin
betroffen. Das Vermögen als solches ist aber gerade kein absolutes Rechts im Sinne
von § 823 Abs. 1 BGB.
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Endlich scheidet auch § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB als Anspruchsgrundlage
aus. Als verletztes Schutzgesetz käme hier allenfalls § 248c StGB in Betracht. Das
Verhalten des Beklagten erfüllt aber schon nicht den objektiven Tatbestand des § 248 c
StGB, da die vertragswidrige Nutzung eines ordnungsmäßigen Leiters nicht strafbar
wäre.
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III.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Streitwert: 1.500 €
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