Urteil des LG Wuppertal vom 07.04.2010

LG Wuppertal (höhe, vollkaskoversicherung, anwaltskosten, verfahrensgegenstand, erstattung, tätigkeit, antrag, zpo, teil, versicherer)

Landgericht Wuppertal, 8 S 92/09
Datum:
07.04.2010
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 S 92/09
Vorinstanz:
Amtsgericht Solingen, 13 C 143/09
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Solingen
vom 30.10.2009 (13 C 143/09) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin
453,52 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 05.05.2009 sowie weitere 89,73 € nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
10.06.2009 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet
sind, der Klägerin 50 % des Vollkaskorabattverlusts zu erstatten, der
dadurch entsteht, dass die Klägerin aufgrund des Verkehrsunfalls vom
07.02.2009 ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 68 % und die Beklagten
als Gesamtschuldner zu 32 %. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits
tragen die Klägerin zu 40 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu
60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
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Von einer Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, § 26
Nr. 8 EGZPO abgesehen.
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II.
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Die – nach Zulassung der Berufung durch das Amtsgericht – zulässige Berufung ist
teilweise begründet. Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht in voller Höhe
abgewiesen, soweit die Klägerin die Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von
402,82 € für die Inanspruchnahme ihrer eigenen Vollkaskoversicherung beantragt hat.
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Durch das angefochtene Urteil wurden der Klägerin bereits 325,00 € nebst Zinsen für
die Selbstbeteiligung der Klägerin bei Ihrer Vollkaskoversicherung und für allgemeine
Auslagen sowie 89,73 € nebst Zinsen für außergerichtliche Anwaltsgebühren im hier
streitgegenständlichen Verfahrensgegenstand zugesprochen, was von der Berufung
nicht angegriffen wurde, auch soweit das Urteil hinsichtlich der außergerichtlichen
Anwaltsgebühren hinter dem Antrag zurück blieb. Daneben steht der Klägerin aus §§ 7
Abs. 1, 18 StVG, 115 Abs. 1 Satz 1 VVG aber grundsätzlich auch ein Anspruch auf
Erstattung der Hälfte der Rechtsanwaltskosten für die Korrespondenz mit ihrer
Vollkaskoversicherung zu. Dieses Anwaltshonorar wurde im diesbezüglichen
Klageantrag jedoch zu hoch bemessen. Angemessen ist lediglich ein Honorar in Höhe
von 257,04 €, welches zur Hälfte (128,52 €) zusätzlich zu erstatten ist.
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Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen eines bei einem Verkehrsunfall Geschädigten
zählen grundsätzlich auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten. Dabei hat der
Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat
verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht
des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig sind
(BGH, NJW 2005, 1112; NJW 2006, 1065). Teil der Schadensabwicklung ist dabei auch
die Entscheidung, den Schadensfall dem eigenen Versicherer zu melden (BGH, aaO;
OLG Hamm, 27 U 161/82, zit. nach beck-online) wobei es sich gebührenrechtlich um
eine andere Angelegenheit i.S.d. RVG handelt als die Inanspruchnahme des
Unfallgegners (OLG Hamm, aaO). An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen
Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es
kommt maßgeblich darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des
Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist es aus Sicht des
Geschädigten erforderlich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, so gilt dies
grundsätzlich auch für die Anmeldung des Versicherungsfalls bei dem eigenen
Versicherer (BGH, aaO).
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Vorliegend ist keine Ausnahme von dieser grundsätzlich bestehenden Erstattungspflicht
hinsichtlich der anwaltlichen Inanspruchnahme der eigenen Vollkaskoversicherung der
Klägerin gegeben. Angesichts der Unfallsituation, in der beide Fahrer behaupteten, sie
seien bei "grün" gefahren, war aus Sicht der Klägerin mit erheblichen Problemen bei der
Schadensregulierung zu rechnen. Als Laie durfte sie daher durchaus auch Zweifel
haben, ob die eigene Vollkaskoversicherung anstandslos zahlen würde. Denn es
erschien nicht fernliegend, dass die Vollkaskoversicherung im Interesse der eigenen
Wirtschaftlichkeit einer Schadensregulierung ablehnend gegenüber stehen würde.
Ferner bedurfte die Klägerin auch anwaltlicher Beratung dahingehend, ob und wie sich
die Inanspruchnahme der eigenen Versicherung auf den Anspruch gegen den
Unfallgegner auswirken würde.
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Allerdings betraf der Schwerpunkt der Beratung das Verhältnis zum Unfallgegner, wobei
in diesem Rahmen auch das Verhältnis zur eigenen Versicherung zu berücksichtigen
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war. Die anwaltliche Tätigkeit in der Angelegenheit "Klägerin ./. Vollkaskoversicherung"
wies bei einer fachkundigen juristischen Betrachtung keine größeren Schwierigkeiten
auf. Daher war die Abrechnung einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV
RVG, die einen nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit
durchschnittlich gelagerten Fall voraussetzt (OLG Düsseldorf, AnwBl 1989, 293),
unanagemessen hoch, was sich schon daran zeigt, dass der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin auch für die ungleich bedeutendere, umfangreichere und schwierigere
Tätigkeit im hier streitgegenständlichen Verfahrensgegenstand ("Klägerin ./.
Unfallgegner") ebenfalls die Mittelgebühr berechnete. Unter Berücksichtigung der in §
14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien war vorliegend lediglich eine 0,8-fache
Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angemessen. Die danach im Rahmen des
materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs zu berücksichtigenden Anwaltskosten
berechnen sich wie folgt:
Gegenstandswert: 3.717, 65 €
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0,8-fache Geschäftsgebühr VV 2300: 196,00 €
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Auslagen VV 7002: 20,00 €
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19 % USt. VV 7008: 41,04 €
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14
257,04 €
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Die Berufungskammer ist auch zur Festsetzung der angemessenen Anwaltskosten
berechtigt. Ein Gutachten nach § 14 Abs. 2 RVG zur Höhe der Gebühr ist nur im
Rechtsstreit zwischen Anwalt und Mandant einzuholen (Hartmann, KostenG, 38. Aufl., §
14 RVG, Rn. 28; BVerwG v. 17.08.2005, 6 C 13/04, zit. nach juris). Ob die Höhe der
angemessenen Anwaltskosten unabhängig davon entschieden werden kann, dass die
Parteien die Höhe der Gebühren streitig verhandeln, weil es sich hierbei um eine
Rechtsfrage (Höhe des erstattungsfähigen Schadens) handelt, kann offenbleiben. Denn
auch wenn vorliegend die Beklagten die ordnungsgemäße Ausübung des nach § 14
Abs. 1 RVG eingeräumten Ermessens nicht ausdrücklich angegriffen haben, so haben
sie – wie dem erstinstanzlichen Urteil zu entnehmen ist – die Erforderlichkeit der
Beauftragung eines Rechtsanwalts für die Inanspruchnahme der klägerischen
Vollkaskoversicherung insgesamt beanstandet, was denklogisch auch eine
Beanstandung der in Ausübung des Ermessens als angemessen festgesetzten
Gebühren erfasst. In diesem Sinne hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten
seinen Vortrag in der Berufungsverhandlung auch nochmals erläutert. Der
Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte in der Verhandlung auch die Gelegenheit,
die Angemessenheit einer Mittelgebühr darzustellen, hat dies jedoch nicht, auch nicht
im – nicht nachgelassenen – Schriftsatz vom 18.03.2010, getan.
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Von den vorgenannten angemessenen Anwaltskosten in Höhe von 257,04 € kann die
Klägerin entsprechend der unstreitigen Haftungsquote von 50/50 die Hälfte (also 128,52
€) ersetzt verlangen. Ein Ersatz dieser Schadensposition in voller Höhe trotz der
hälftigen Mitverursachung käme nur im Rahmen des sog. "Quotenvorrechts" in Betracht.
Dieses Quotenvorrecht beschränkt sich jedoch auf denjenigen Teil des
Ersatzanspruchs, der dem versicherten Risiko entspricht (sog. Kongruenzprinzip). Nicht
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erfasst ist daher der Sachfolgeschaden (Mietwagenkosten, Nutzungsausfall,
Kostenpauschale, pp), der vielmehr nur mit der Verantwortungsquote reguliert wird
(Burmann pp, StVR, 21. Aufl., § 254 BGB, Rn. 135). Demgemäß besteht auch für die
Anwaltskosten kein Quotenvorrecht (vgl. i.E. BGH, NJW 2005, 1112).
Der vom Amtsgericht festgesetzte Zeitpunkt des Beginns der Zinszahlungspflicht aus §§
286, 288 BGB für die Schadensersatzforderung von 453,52 € (300,00 € + 25,00 € +
128,52 €) seit dem 05.05.2009 wurde von der Berufung nicht angegriffen.
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Hinsichtlich der Verzinsung des Anspruchs auf Erstattung von 89,73 € für
außergerichtliche Anwaltsgebühren im hier streitgegenständlichen
Verfahrensgegenstand war – wie beantragt – nach § 291 BGB der Zeitpunkt der
Rechtshängigkeit anzusetzen, was im erstinstanzlichen Urteil offenbar versehentlich
unterblieben war.
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Die Entscheidung über den Feststellungsantrag wurde von der Berufung nicht
angegriffen.
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III.
21
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht
vorliegen.
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Streitwert für den Rechtsstreit:
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Antrag zu 1.: 727,82 €
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Antrag zu 2.: 100,00 €
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827,82 €
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 402,82 €
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