Urteil des LG Wiesbaden vom 28.05.2010

LG Wiesbaden: hotel, verkehrsunfall, flughafen, postulat, wahrheitspflicht, wagen, fahren, eigentümer, kollision, ausfahrt

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Gericht:
LG Wiesbaden 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 85/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 138 ZPO
Werden Widersprüche im tatsächlichen Vorbringen nicht
nachvollziehbar aufgeklärt, ist den entsprechenden
Beweisangeboten nicht nachzugehen
Orientierungssatz
1. Trägt eine Partei zwei widersprechende Sachverhalte vor, so kann von keiner dieser
Behauptungen angenommen werden, sie sei richtig. Zur Zugänglichmachung der einen
oder anderen Behauptung zur Beweisaufnahme ist jedenfalls erforderlich, dass die
Partei erläutert, worauf die Widersprüche beruhen. 2. Es ist Aufgabe des Klägers, dem
Gericht einen Sachverhalt zu unterbreiten, aus dem sich die gewählte Rechtsfolge
ergibt. Insoweit statuiert § 138 Abs. 1 ZPO das Postulat der sogenannten
Wahrheitspflicht. 3. Ergibt sich im Laufe des Prozesses, dass der Parteivortrag an
innerlich unauflösbaren Widersprüchen leidet, kann es - auch unter Berücksichtigung
des Umstands, dass insoweit nur der Grundsatz der sogenannten formellen Wahrheit
gilt - nicht Aufgabe des Gerichts sein, im Rahmen der Beweisaufnahme aufzuklären,
welche der widerstreitenden Tatsachen der Realität entsprechen.
Tenor
Das Versäumnisurteil vom 03.04.2009 bleibt aufrechterhalten.
Der Kläger hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckung darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach
dem Urteil vollstreckbaren Betrages fortgesetzt werden.
Tatbestand
Der Kläger macht Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am
15.02.2006 gegen 8.30 Uhr in xxx, xxxstraße, Höhe xxx, ereignet haben soll.
Der Kläger behauptet, er sei zu dem vorgenannten Zeitpunkt Eigentümer des
Fahrzeugs Passat Variant, damals amtliches Kennzeichen xxx, Baujahr 2001,
gewesen. Er habe die xxxstraße in xxx aus Richtung Ortseingang in Richtung xxx
befahren. Auf Höhe der Ausfahrt des xxx sei der Fahrer des weitere beteiligten Kfz
… rückwärts aus der Einfahrt ohne Beachtung des fließenden Verkehrs und der
Vorfahrt des Klägers herausgefahren. Es sei zur Kollision der Fahrzeuge
gekommen. Die Beklagte zu 2) ist Eigentümerin des gegnerischen Fahrzeugs,
welches zum Unfalltag bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert war.
Der Kläger hat zunächst behauptet, der Fahrer des gegnerischen Wagens habe
am Unfalltag Übernachtungsgäste im Hotel xxx abgeholt, die sich zum
Unfallzeitpunkt in dem Wagen befunden hätten (Beweis: Zeuge xxx, Zeuge xxx).
Der Fahrer des gegnerischen Fahrzeugs, der Zeuge xxx, habe in dem Hotel xxx
nicht übernachtet (Beweis: wie vor). So sei es auch zu erklären, dass eine
Rückfrage der Beklagten in dem Hotel –unstreitig- ergeben habe, dass der Zeuge
xxx nicht Hotelgast war. Der Zeuge xxx habe dem Kläger nach dem
Unfallgeschehen sofort erklärt, er habe den Unfall verursacht und übernehme die
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Unfallgeschehen sofort erklärt, er habe den Unfall verursacht und übernehme die
Alleinschuld. Dies wolle er auch der Beklagten zu 2) erklären. Er müsse allerdings
aufgrund der Dringlichkeit unbedingt mit seinen Fahrgästen zum Flughafen
Frankfurt fahren, um diese pünktlich abzuliefern. Der Kläger habe sich deshalb
dazu bereit erklärt, mit dem Zeugen xxx direkt zum Flughafen zu fahren. Hier
habe der Zeuge xxx im Beisein des Klägers gegenüber den Vertretern der
Beklagten zu 2) erklärt, er habe den Unfall verursacht. Der Zeuge xxx verfasste
hierzu eine schriftliche Erklärung, wegen deren Inhalts auf Bl. 240 d.A. Bezug
genommen wird. Die weiteren Insassen des von dem Zeugen xxx geführten
Fahrzeugs sollten ebenfalls als Zeugen benannt werden, der Kläger bemühe sich,
deren Anschriften herauszufinden (Schriftsatz vom 17.09.2007, Bl. 160 d.A.).
Mit Schriftsatz vom 15.10.2009 (Bl. 500 ff. d.A.) hat der Kläger sodann ausgeführt,
der Zeuge xxx sei in dem Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt alleine gewesen. Zuvor
habe der Zeuge xxx in dem Hotel xxx übernachtet (Beweis: Zeuge xxx).
Der Kläger wurde mit Hinweisbeschluss vom 21.12.2009 darauf hingewiesen, dass
der zuletzt gehaltene Vortrag unvereinbar mit dem bislang gehaltenen Vortrag sei.
Der Kläger wurde aufgefordert, den Widerspruch in seinem Vortrag aufzuklären
und klarzustellen, welcher Vortrag mit welchem Beweisangebot gelten soll. Eine
weitere Stellungnahme des Klägers ist nicht erfolgt. Der Kläger wurde sodann mit
Beschluss vom 22.03.2010 (Bl. 531 d.A.) darauf hingewiesen, dass sein Vortrag
zum Unfallhergang widersprüchlich und deshalb einer Beweisaufnahme nicht
zugänglich sei. Er wurde ferner auf die Folgen verspäteten Vortrags hingewiesen.
Weiterer Vortrag erfolgte nicht.
In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht vom 31.08.2007
stellte der Kläger keinen Sachantrag. Die Klage wurde deshalb durch
Versäumnisurteil am 31.08.2007 abgewiesen (Bl. 141 d.A.). Nach Einspruch des
Klägers fand am 03.04.2009 erneut eine mündliche Verhandlung statt, in der der
Kläger nicht erschienen und auch nicht anwaltlich vertreten war. Das
Versäumnisurteil wurde durch weiteres Versäumnisurteil vom 03.04.2009 (Bl. 416
d.A.) aufrechterhalten. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der
Klägervertreter zu dem Termin am 03.04.2009 nicht ordnungsgemäß geladen war,
wurde der Rechtsstreit fortgesetzt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 03.04.2009 die Beklagte zu
verurteilen, an ihn Euro 7.636,49 nebst 5 % Zinsen seit dem 24.03.2006 über dem
Basiszinssatz zu zahlen sowie weitere Euro 501,82.
Die Beklagten beantragen,
das Versäumnisurteil vom 03.04.2009 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagten bestreiten, dass es sich bei dem behaupteten Verkehrsunfall vom
15.02.2006 um ein unfreiwilliges Ereignis handelte. Verschiedene Indizien sprächen
gegen das Vorliegen eines Unfalls im Sinne eines unfreiwilligen Ereignisses. Auf die
Darstellung in der Klageerwiderung (Bl. 81 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Aus
dem Privatgutachten des Ingenieurbüros xxx vom 10.04.2007 (Bl. 255 ff. d.A.)
ergebe sich, dass die Unfallschäden unter Berücksichtigung der örtlichen und
räumlichen Gegebenheiten an der angegebenen Kollisionsstelle und den Angaben
zu dem geschilderten Fahrvorgang nicht nachvollziehbar seien und zu
Plausibilitätswidersprüchen führten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird Bezug genommen auf
die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß der Beweisbeschlüsse vom 21.01.2008
(Bl. 233 d.A.) und 13.03.2008 (Bl. 245 f. d.A.) durch Einvernahme des Zeugen xxx
und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2008 (Bl. 232 ff. d.A.) und das
schriftlich vorliegende Gutachten des Sachverständigen xxx vom 19.01.2009 (Bl.
361 ff. d.A.).
Ein weiterer Beweisbeschluss vom 28.05.2009 (Bl. 448 d.A.) wurde aufgehoben.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet, dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch
gegen die Beklagten nicht zu.
Der Kläger hat nicht vorgetragen und nachgewiesen, dass es sich bei dem Ereignis
vom 15.02.2006 um einen Verkehrsunfall handelte, für den die Beklagten
einstandspflichtig sind.
Der Kläger hat widersprüchliche Angaben zu dem behaupteten Unfallereignis
vorgetragen, die miteinander unvereinbar waren. Trotz mehrfacher Hinweise hat er
diese Widersprüche nicht aufgeklärt, so dass den hierzu abgegebenen
Beweisangeboten nicht nachzugehen war.
Der Kläger hat zunächst vorgetragen, der Fahrer des gegnerischen Wagens, der
Zeuge xxx, habe nicht in dem Hotel xxx übernachtet, weshalb er dem Inhaber des
Hotels bzw. den dortigen Angestellten auf entsprechende Nachfrage der Beklagten
unbekannt gewesen sei. Vielmehr habe er am Morgen des Unfalltages
Übernachtungsgäste in dem Hotel abgeholt, die er dringend zum Flughafen habe
bringen müssen. Diese Fahrgäste seien zum Unfallzeitpunkt auch in dem Wagen
befindlich gewesen. Mit Schriftsatz vom 15.10.2009 hat der Kläger hingegen
vorgetragen, der Zeuge xxx sei in dem Wagen alleine gewesen und habe keine
Fahrgäste transportiert. Hingegen habe der Zeuge in dem Hotel xxx zuvor
übernachtet.
Angesichts des Bestreitens durch die Beklagten wäre der Kläger in Anbetracht
seiner Darlegungs- und Beweislast für das behauptete Unfallereignis gehalten
gewesen, darzulegen, welcher Vortrag gelten soll. Beide Geschehensabläufe
schließen einander aus. Trägt eine Partei jedoch zwei widersprechende
Sachverhalte vor, so kann von keiner dieser Behauptungen angenommen werden,
sie sei richtig. Zur Zugänglichmachung der einen oder anderen Behauptung zur
Beweisaufnahme ist jedenfalls erforderlich, dass die Partei erläutert, worauf die
Widersprüche beruhen (BAG, ZA 2003, Seite 608; LG Berlin, NJOZ 2001, Seite
668). So liegt der Fall auch hier. Es ist zunächst Aufgabe des Klägers, dem Gericht
einen Sachverhalt zu unterbreiten, aus dem sich die gewählte Rechtsfolge ergeben
soll. Insoweit statuiert § 138 Abs. 1 ZPO das Postulat der sogenannten
Wahrheitspflicht. Ergibt sich aber im Laufe des Prozesses, dass der Parteivortrag
an innerlich unauflösbaren Widersprüchen leidet, kann es – auch unter
Berücksichtigung des Umstands, dass insoweit nur der Grundsatz der
sogenannten formellen Wahrheit gilt – nicht Aufgabe des Gerichts sein, im Rahmen
der Beweisaufnahme aufzuklären, welche der widerstreitenden Tatsachen der
Realität entsprechen. Vielmehr obliegt es dem Kläger, im Rahmen des
Beibringungsgrundsatzes in einer über jeden Zweifel erhabenen Weise
substantiiert die den Anspruch begründenden Tatsachen vorzutragen, wozu es
auch gehört, darzulegen, worauf mögliche Widersprüche zwischen dem
unterschiedlichen Vorbringen beruhen. Der Kläger hat hier Sachverhalte
vorgetragen, die einander ausschließen und diese Sachverhalte jeweils unter
Zeugenbeweis gestellt. Er hat damit gegen das Postulat der Wahrheitspflicht
verstoßen. Würde das Gericht ohne vorherige Aufklärung der Widersprüche im
Vortrag des Klägers dennoch in die Beweisaufnahme eintreten, würde dies
einerseits die Prüfung der Glaubwürdigkeit der benannten Zeugen erschweren,
andererseits bestünde darin eine Benachteiligung der Beklagten.
Dies gilt hier in besonderer Weise auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagten
schon bestritten haben, dass überhaupt ein Unfall im Sinne eines unfreiwilligen
Ereignisses vorlag und hierzu auch mehrere Indizien angeführt haben. Es wäre
daher erforderlich gewesen, aufgrund der gesamten Umstände des behaupteten
Geschehens eine Würdigung vorzunehmen, ob tatsächlich ein Verkehrsunfall
vorlag. Da der Kläger verschiedene Sachverhalte präsentiert hat, die
Begleitumstände des angeblichen Unfalls gewesen sein sollen und die keinesfalls
gleichzeitig zutreffen können, ist eine solche Würdigung nicht möglich.
Unzureichend ist bei der vorliegenden Konstellation jedenfalls die isolierte
Darstellung der Kollision an sich.
Auf die Frage der Kompatibilität der behaupteten Unfallschäden mit dem
geschilderten Unfallhergang und die Frage der Würdigung des
Sachverständigengutachtens xxx, außerdem die Frage, ob der Kläger zum
Unfallzeitpunkt tatsächlich Eigentümer des von ihm gefahrenem Fahrzeugs war,
kommt es damit nicht mehr an.
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Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger als unterlegene Partei zu tragen, § 91
Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.