Urteil des LG Stuttgart vom 23.12.2015

verkehrsunfall, vollkasko, markt, haftungsbeschränkung

LG Stuttgart Urteil vom 23.12.2015, 5 S 149/15
Ersatz bei Mietwagenkosten bei Verkehrsunfall: Schätzung der
erstattungsfähigen Mietwagenkosten anhand der Schwackeliste
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
10.03.2015, Az. 42 C 5272/14, unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung
der Klägerin teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.079,70 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
17.11.2014 zu bezahlen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 7 % und die
Beklagte 93 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 12 %
und die Beklagte 88 %.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gebührenstreitwert zweiter Instanz: 1.192,32 EUR
Gründe
1 (gemäß §§ 540 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
2 Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung der Klägerin hat in der Sache überwiegend Erfolg.
3 Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht in der
aus dem Tenor ersichtlichen Höhe zu.
4 Die jeweiligen Geschädigten haben ihre Ansprüche wirksam an die Klägerin
abgetreten.
5 Die Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen hinsichtlich der drei Verkehrsunfälle
in Höhe von 100 % steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Im Streit steht
lediglich die Höhe der zu ersetzenden Mietwagenkosten.
6 Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als
erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen,
die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des
Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Von mehreren auf
dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines
vergleichbaren Ersatzfahrzeugs kann der Geschädigte grundsätzlich nur den
günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen (BGH NJW 2008, 1519). Zur Beurteilung
der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten können nach § 287 ZPO Listen oder
Tabellen herangezogen werden (BGH NJW-RR 2010, 1251).
7 Das Berufungsgericht ist nicht an die vom Amtsgericht gem. § 287 ZPO
vorgenommene Schätzung gebunden. Das Berufungsgericht kann im Fall einer
auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung auch nach der Reform des
Rechtsmittelrechts durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom
27.07.2001 den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO
berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung
des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem
prüfen und bewerten. Selbst wenn es die erstinstanzliche Entscheidung zwar für
vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für
sachlich überzeugend, darf es nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung
vornehmen (vgl. BGH NJW 2011, 1947 ff.)
8 Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Tatrichter in Ausübung
des Ermessens gemäß § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf der
Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im maßgebenden
Postleitzahlengebiet ermitteln kann (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1251).
9 Nach Auffassung der Kammer stellt der Schwacke-Mietpreisspiegel die richtige
Schätzgrundlage dar. Zum einen ermöglicht die Schwacke-Liste eine genauere
geographische Differenzierung durch die dreistelligen Postleitzahlenbereiche und
kann somit den ortsüblichen Markt besser abbilden. Der Mietspiegel nach dem
Fraunhofer-Institut hingegen hat lediglich zwei - teilweise auch nur einstellige -
Postleitzahlengebiete. Zum anderen beschränkt sich die Schwacke-Liste - im
Gegensatz zu dem Mietspiegel nach dem Fraunhofer-Institut - nicht hauptsächlich
auf Internetportale mit verbindlicher Buchungsmöglichkeit.
10 Die Klägerin hat im Übrigen nicht darzulegen und ggf. zu beweisen, dass den
Geschädigten unter Berücksichtigung ihrer individuellen Erkenntnis- und
Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für sie bestehenden Schwierigkeiten unter
zumutbaren Anstrengungen auf dem in ihrer Lage zeitlich und örtlich relevanten
Markt zumindest auf Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war.
Denn dann würde die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1
BGB mit der Frage der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB
vermengt. Die dafür maßgebenden Umstände haben nach allgemeinen
Grundsätzen der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und ggf.
zu beweisen. Es obliegt somit der Beklagten, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus
denen sich ergibt, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif ohne Weiteres
zugänglich war (vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).
11 Dies ist auch dann nicht anders, wenn das Ersatzfahrzeug nicht unmittelbar nach
dem Verkehrsunfall angemietet wird. Denn an der Höhe der Ortsüblichkeit ändert
sich deshalb nichts.
12 Das heißt, die Eignung der herangezogenen Listen oder Tabellen bedarf nur dann
der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend
gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall
in erheblichem Umfang auswirken (BGH NJW 2011, 1947; BGH NJW-RR 2011,
1109; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2012, 3 U 120/11). Es wäre daher Aufgabe
der Beklagten gewesen, konkrete Mängel dieses Mietpreisspiegels aufzuzeigen
und entsprechenden Sachvortrag dahingehend zu halten, dass ein vergleichbares
Fahrzeug zu einem wesentlich günstigeren Preis von einem anderen, von ihr
bezeichneten Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH
NZV 2011, 333; OLG Stuttgart, aaO; vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).
13 Nicht ausreichend sind pauschale Angriffe gegen die Schwacke-Liste. Es fehlt
dabei am konkreten Fallbezug.
14 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich folgende Berechnung:
15 1. Verkehrunfall vom 09.11.2012 in Karlsruhe Waldstadt:
16 Der Geschädigte durfte als Ersatz für die Anmietung des Mietwagens am
17.01.2011 und 26.04.2011 unter Zugrundelegung des Schwacke-
Mietpreisspiegels 2011 und unter Annahme der Mietwagenklasse 6 einen Betrag
in Höhe von 1.518,91 EUR (1 Wochenpauschale, 2 x Dreitagespauschale und 1
Tagespauschale) beanspruchen, wie auch die zusätzlichen Kosten der Vollkasko
(CDW) in Höhe von 365,68 EUR (14 x 26,12 EUR), sowie Kosten für einen
Zusatzfahrer in Höhe von 192,78 EUR (14 x 13,77 EUR), sowie Zustell- und
Abholkosten in Höhe von 102,96 EUR (2 x 25,74 EUR), sowie Winterreifen in Höhe
von 170,66 EUR (14 x 12,19 EUR) mithin insgesamt 2.413,99 EUR. Unter
Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte bereits 845,00 EUR bezahlt
hat, sind noch weitere 1.559,99 EUR zur Zahlung offen. Eine Tiefergruppierung
des geschädigten Fahrzeugs wegen seines Alters und seiner Laufleistung kommt
entgegen der Ansicht der Berufung nicht in Betracht. Der Geschädigte kann
verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne den Verkehrsunfall stünde. In
diesem Fall hätte er ein Fahrzeug der Gruppe 7 benutzen können.
17 2. Verkehrsunfall vom 31.01.2013 in Stuttgart-Feuerbach
18 Die Geschädigte durfte als Ersatz für die Anmietung des Mietwagens am
31.01.2013 unter Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels 2013 und
unter Annahme der Mietwagenklasse 5 einen Betrag in Höhe von 412,44 EUR
(Dreitagespauschale und Tagespauschale) beanspruchen, wobei ein Abzug in
Höhe von 10 % Eigenersparnis, mithin in Höhe von 41,24 EUR, vorzunehmen ist,
da auch das geschädigte Fahrzeug der Mietwagenklasse 5 zuzuordnen ist. Auch
wenn die Geschädigte auf ein Automatikfahrzeug angewiesen war und wenn die
Geschädigte ein Automatikfahrzeug der geschädigten Klasse angemietet hat, hat
sie die Abnutzung des eigenen Fahrzeugs erspart. Beanspruchen kann sie
weiterhin zusätzlichen Kosten der Vollkasko (CDW) in Höhe von 81,36 EUR (4 x
20,34 EUR), sowie Zustell- und Abholkosten in Höhe von 53,36 EUR (2 x 26,68
EUR), sowie Winterreifen in Höhe von 46,72 EUR (4 x 11,68 EUR) mithin
insgesamt 552,64 EUR. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte
bereits 229,98 EUR bezahlt hat, sind noch weitere 322,66 EUR zur Zahlung offen.
19 3. Verkehrsunfall vom 15.02.2013
20 Die Geschädigte durfte als Ersatz für die Anmietung des Mietwagens am
15.02.2013 unter Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels 2013 und
unter Annahme der Mietwagenklasse 2 einen Betrag in Höhe von 279,96 EUR
(Dreitagespauschale) beanspruchen, wie auch die zusätzlichen Kosten der
Vollkasko (CDW) in Höhe von 55,77 EUR (3 x 18,59 EUR), sowie Kosten für
Zustell- und Abholkosten in Höhe von 53,36 EUR (2 x 26,68 EUR), mithin
insgesamt 389,09 EUR. Nachdem die Klägerin lediglich 328,05 EUR in Rechnung
gestellt hat, besteht kein höherer Anspruch. Unter Berücksichtigung des
Umstands, dass die Beklagte bereits 140,00 EUR bezahlt hat, sind noch weitere
188,05 EUR zur Zahlung offen.
21 Im Fall 1 und 3 hat sich die Klägerin im Wege der Vorteilsausgleichung
ausnahmsweise keinen 10 %-igen Abzug für ersparte Aufwendungen für das
eigene Fahrzeug des Geschädigten anrechnen zu lassen, weil sie als
Vorteilsausgleich bereits eine Mietwagenklasse in der Abrechnung
zurückgegangen ist (vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).
22 Auch die Kosten für die Haftungsbeschränkung sind zu ersetzen. Der durch den
Unfall Geschädigte ist während der Anmietzeit eines Ersatzfahrzeugs
grundsätzlich einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und hat
regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an einer entsprechenden
Haftungsbeschränkung (vgl. BGH NJW 2005, 1041; 2006, 360; vgl. LG Stuttgart,
MRW 2014, 66 f).
23 In den Schwacke-Mietpreisspiegeln 2011 und 2013 sind die Kosten der
Haftungsbeschränkung noch nicht enthalten.
24 Zwar lässt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Umständen einen
Aufschlag auf den Normaltarif zu, um etwaigen Mehrleistungen und Risiken bei der
Vermietung an Unfallgeschädigte Rechnung zu tragen. Dazu wäre aber ein
substantiierter Sachvortrag der Klägerin zu unfallbedingten Mehrkosten erforderlich
(vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.08.2011, 1 U 27/11). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Klägerin hat lediglich pauschal und nicht fallbezogen vorgetragen.
25 Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zinsen gemäß §§ 286, 288 Abs. 2 BGB ab
Rechtshängigkeit.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die
Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO gibt es nicht.