Urteil des LG Stuttgart vom 17.12.2015

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LG Stuttgart Urteil vom 17.12.2015, 5 S 146/15
Ersatz der Mietwagenkosten bei Verkehrsunfall: Schätzung der
erstattungsfähigen Mietwagenkosten anhand der Schwackeliste
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
13.03.2015, Az. 44 C 3603/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die
Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.249,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 769,98 EUR
Gründe
1 (gemäß §§ 540 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
I.
2 Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden. Sie hat auch vollumfänglich Erfolg.
3 Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein weiterer Schadensersatzanspruch
in Höhe von insgesamt 1.249,93 EUR zu.
4 Die Haftung der Beklagten in Höhe von 100 % steht zwischen den Parteien nicht
im Streit.
5 Der Geschädigte durfte als Ersatz für die Anmietung des Mietwagens am
13.06.2012 unter Annahme der Mietwagenklasse 3 den
Mietwagenrechnungsbetrag in Höhe von 1.322,40 EUR beanspruchen, wie auch
die zusätzlichen Kosten der Vollkasko (CDW) in Höhe von 256,01 EUR, sowie die
Kosten für die Zustellung in Höhe von 36,50 EUR und die Kosten für junge Fahrer
und Zusatzfahrer in Höhe von 400,03 EUR mithin insgesamt 2.014,94 EUR. Unter
Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte bereits 765,01 EUR bezahlt
hat, sind noch weitere 1.249,93 EUR zur Zahlung offen.
6 Zwar ist unter Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels 2012 lediglich ein
Betrag in Höhe von 1.927,70 EUR bzw. unter Berücksichtigung der Zahlung der
Beklagten noch 1.162,69 EUR zu ersetzen. Allerdings kann der Geschädigte im
konkreten Einzelfall ausnahmsweise im Hinblick auf die Besonderheiten des
vorliegenden Falles den von der Klägerin geltend gemachten und abgerechneten
Tarif ersetzt verlangen.
7 Dazu im Einzelnen:
8 Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als
erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen,
die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des
Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Von mehreren auf
dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines
vergleichbaren Ersatzfahrzeugs kann der Geschädigte grundsätzlich nur den
günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen (BGH NJW 2008, 1519). Zur Beurteilung
der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten können nach § 287 ZPO Listen oder
Tabellen herangezogen werden (BGH NJW-RR 2010, 1251).
9 Das Berufungsgericht ist nicht an die vom Amtsgericht gem. § 287 ZPO
vorgenommene Schätzung gebunden. Das Berufungsgericht kann im Fall einer
auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung auch nach der Reform des
Rechtsmittelrechts durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom
27.07.2001 den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO
berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung
des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem
prüfen und bewerten. Selbst wenn es die erstinstanzliche Entscheidung zwar für
vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für
sachlich überzeugend, darf es nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung
vornehmen (vgl. BGH NJW 2011, 1947 ff.)
10 Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Tatrichter in Ausübung
des Ermessens gemäß § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf der
Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im maßgebenden
Postleitzahlengebiet ermitteln kann (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1251).
11 Nach Auffassung der Kammer stellt der Schwacke-Mietpreisspiegel die richtige
Schätzgrundlage dar. Zum einen ermöglicht die Schwacke-Liste eine genauere
geographische Differenzierung durch die dreistelligen Postleitzahlenbereiche und
kann somit den ortsüblichen Markt besser abbilden. Der Mietspiegel nach dem
Fraunhofer-Institut hingegen hat lediglich zwei - teilweise auch nur einstellige -
Postleitzahlengebiete. Zum anderen beschränkt sich die Schwacke-Liste - im
Gegensatz zu dem Mietspiegel nach dem Fraunhofer-Institut - nicht hauptsächlich
auf Internetportale mit verbindlicher Buchungsmöglichkeit.
12 Die Klägerin hat im Übrigen nicht darzulegen und ggf. zu beweisen, dass dem
Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und
Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter
zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten
Markt zumindest auf Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war.
Denn dann würde die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1
BGB mit der Frage der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB
vermengt. Die dafür maßgebenden Umstände haben nach allgemeinen
Grundsätzen der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und ggf.
zu beweisen. Es obliegt somit der Beklagten, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus
denen sich ergibt, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif ohne Weiteres
zugänglich war (vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).
13 Das heißt, die Eignung der herangezogenen Listen oder Tabellen bedarf nur dann
der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend
gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall
in erheblichem Umfang auswirken (BGH NJW 2011, 1947; BGH NJW-RR 2011,
1109; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2012, 3 U 120/11). Es wäre daher Aufgabe
der Beklagten gewesen, konkrete Mängel dieses Mietpreisspiegels aufzuzeigen
und entsprechenden Sachvortrag dahingehend zu halten, dass ein vergleichbares
Fahrzeug zu einem wesentlich günstigeren Preis von einem anderen, von ihr
bezeichneten Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH
NZV 2011, 333; OLG Stuttgart, aaO; vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).
14 Nicht ausreichend sind pauschale Angriffe gegen die Schwacke-Liste. Es fehlt
dabei am konkreten Fallbezug.
15 Im Wege der Vorteilsausgleichung hat sich die Klägerin ausnahmsweise keinen 10
%-igen Abzug für ersparte Aufwendungen für das eigene Fahrzeug des
Geschädigten anrechnen zu lassen, weil sie als Vorteilsausgleich bereits eine
Mietwagenklasse in der Abrechnung zurückgegangen ist (vgl. LG Stuttgart, MRW
2014, 66 f.).
16 Die Beklagte hat auch die Kosten für die Haftungsbeschränkung zu ersetzen. Der
durch den Unfall Geschädigte ist während der Mietzeit eines Ersatzfahrzeugs
grundsätzlich einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und hat
regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an einer entsprechenden
Haftungsbeschränkung (vgl. BGH NJW 2005, 1041; 2006, 360; vgl. LG Stuttgart,
MRW 2014, 66 f.). Im Schwacke-Mietpreisspiegel 2012 sind die Kosten der
Haftungsbeschränkung noch nicht enthalten.
17 Die Beklagte hat ferner auch die Kosten für den Zweitfahrer und den Zuschlag für
den jungen Fahrer zu ersetzen. Aufgrund des Verkehrsunfalls kann der
Geschädigte verlangen so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn sich der
Unfall nicht ereignet hätte. In diesem Fall hätte sein Enkel mit dem geschädigten
Fahrzeug fahren dürfen. Wie sich aus den Zeugenaussagen ergibt, war der Enkel
des Geschädigten als Zusatzfahrer notwendig.
18 Ebenfalls zu ersetzen ist nach den obigen Ausführungen die Zustellgebühr.
19 Dies bedeutet, dass unter Zugrundelegung der Schwacke-Liste 2012 (wobei die
Zusatzkosten für den jungen Fahrer nicht von der Schwacke-Liste ausgewiesen
wird), PLZ 663, Mietwagenklasse 3 sich folgende Beträge ergeben:
20 2 x Wochenpauschale à 540,16 EUR
1.080,32 EUR
2 x Tagespauschale á 96,28 EUR
192,56 EUR
Vollkaskoversicherung 16 x 17,15 EUR 274,40 EUR
Zustellgebühr
26,18 EUR
Zusatzfahrer 16 x 13,74 EUR
219,84 EUR
Gebühr für jungen Fahrer 16 x 8,40 EUR 134,40 EUR
insgesamt
1.927,70 EUR
abzüglich bezahlt
765,01 EUR
noch zu bezahlen
1.162,69 EUR
21 Im vorliegenden Fall sind aber die nur unwesentlich darüber hinausgehende
geltend gemachten Mietwagenkosten zu ersetzen. Über den Normaltarif
hinausgehende, mithin nicht erforderliche Mietwagenkosten kann der Geschädigte
aus dem Blickwinkel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur ersetzt
verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter
Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie
der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen
auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich
günstigerer (Normal-)Tarif zugänglich war (BGH, Urteil vom 12. April 2011 - VI ZR
300/09 -, Rn. 10, juris). So liegt der Fall hier. Unstreitig handelt es sich bei der
Klägerin um die einzige Mietwagenfirma am Wohnort des Geschädigten in St.
Ingbert, der, wie sich aus den Bekundungen der Zeugen ergibt, auf ein Fahrzeug
angewiesen war, um Arzttermine wahrnehmen zu können. Unstreitig hat er
gewöhnlich im Fall der Reparatur Mietwagen vom Autohaus bezogen und wurde
von dort an die Klägerin verwiesen, wo er auch schon zweimal einen Mietwagen
angemietet hatte. In der konkreten Situation war es dem Geschädigten nicht
zumutbar, nach weiteren Mietwagenangeboten zu suchen.
22 Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zinsen gemäß §§ 286, 288 BGB ab
25.01.2013. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 10.01.2013 (Anlage
K 6, Bl. 18 d.A.) unter Fristsetzung zum 24.01.2013 gemäß § 286 Abs.1 BGB
gemahnt.
II.
23 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit
ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
24 Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO gibt es nicht.