Urteil des LG Stuttgart vom 24.04.2013

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LG Stuttgart Urteil vom 24.4.2013, 13 S 220/12
Schadensersatz bei Kfz-Unfall: Ersatz der Mietwagenkosten bei Anmietung
eines Ersatzfahrzeugs zu einem auf der Schwacke-Liste basierenden
"Normaltarif"
Leitsätze
1. Dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls, der für die Reparaturdauer seines
Fahrzeugs ein Ersatzfahrzeug zu einem auf der Schwacke-Liste basierenden
"Normaltarif" anmietet, kann der Schädiger nicht entgegenhalten, dass er gegen seine
Obliegenheit zur Schadensminderung schon allein deshalb verstoßen habe, weil er
sich vorab nicht bei anderen Vermietern nach günstigeren Tarifen erkundigt habe;
vielmehr ist es Aufgabe des Schädigers darzutun, dass der Geschädigte ohne großen
Aufwand ein zumutbares und zugleich günstigeres Angebot hätte erhalten können.
2. Der Schwacke-Mietpreisspiegel ist regelmäßig eine geeignete Schätzgrundlage für
die Höhe der Mietwagenkosten im Rahmen des § 287 ZPO. Der vielfach erkannten
und auch vom Bundesgerichtshof aufgezeigten Differenz in den Ergebnissen der
Schwacke-Liste und der Fraunhofer-Liste kann dadurch in geeigneter Weise
Rechnung getragen werden, dass der Geschädigte einen pauschalierten Aufschlag
auf den Normaltarif der Mietwagenkosten nach Schwacke wegen unfallbedingter
Zusatzleistungen nicht verlangen kann.
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
21.11.2012 (AZ: 45 C 888/12)
t e i l w e i s e a b g e ä n d e r t :
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 3.601,05 EUR nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über den Basiszinssatz p.a. seit
dem 6. Oktober 2009 zu zahlen und die Klägerin von
Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte B. & Kollegen aus
… H. in Höhe von 555,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-
Punkten über den Basiszinssatz p.a. seit dem 1. April 2012 freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 18 %
und die Beklagte 82 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert der Berufung: 4.364,73 Euro
Gründe
I.
1 Die Klägerin begehrt mit der Klage aus abgetretenem Recht nach erfolgter
Teilzahlung den Ersatz weiterer Mietwagenkosten nach einem Unfall, welchen ein
Versicherter der Beklagten verursachte. Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.
2 Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540
Abs. 1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird
gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.
II.
3 Die form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene
Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg.
4
1.
Die Klage ist teilweise begründet. Der Klägerin steht ein weiterer
Schadensersatzanspruch aus einem Verkehrsunfall gegen die Beklagte aus
abgetretenem Recht gem. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i. V. m. §§ 7, 18 StVG,
823 Abs. 1, 398 BGB in Höhe von 3.601,05 EUR zu. Der Anspruch der Klägerin ist
in Höhe von weiteren 3.601,05 EUR begründet, nachdem die Beklagte
vorgerichtlich an die Klägerin bereits 3.406,15 EUR bezahlt hat.
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a)
Die Klägerin ist aktivlegitimiert, der Geschädigte des Verkehrsunfalls hat seine
Schadensersatzansprüche wirksam an die Klägerin abgetreten. Die Abtretung ist
nicht gem. § 134 BGB i. V. m. §§ 2, 5 RDG nichtig. Die Forderungseinziehung
durch ein Mietwagenunternehmen ist eine erlaubte Nebenleistung im Sinne von §
5 Abs. 1 S. 1 RDG, wenn allein die Höhe der Mietwagenkosten in Streit steht,
wegen der darüber hinausgehenden Komplexität der Rechtslage jedoch nicht,
wenn die Haftung dem Grunde nach bzw. die Haftungsquote streitig ist oder falls
Schäden geltend gemacht werden, die in keinem Zusammenhang mit der
Haupttätigkeit stehen wie etwa Schmerzensgeldansprüche (BGH NJW 2012,
1005). Nachdem vorliegend die Haftung der Beklagten dem Grunde nach
unstreitig ist, die Beklagte die Mietwagenrechnung vorgerichtlich bereits teilweise
erstattet hat und die geltend gemachte Forderung allein der Höhe nach angreift,
liegt eine Fallgestaltung vor, in welcher der Forderungseinzug durch ein
Mietwagenunternehmen als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild der
Klägerin gehört (BGH, aaO). Ein Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz
liegt nicht vor.
6
b)
Unstreitig benötigte der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug für 55 Tage. Hierfür
durfte der Geschädigte als Ersatz unter Zugrundelegung des Schwacke-
Mietpreisspiegels 2009 und unter Annahme der Mietwagenklasse 5 und dem
wegen nicht vorhersehbaren Reparaturverzögerungen gewählten, von der
Beklagten nicht angegriffenen gemischten Wochen/Tage-Tarif einen Betrag in
Höhe von 5.091,20 EUR verlangen. Die übliche Einwendung der Berufung, die
Klägerin sei - wenn der Geschädigte keine Vergleichsangebote eingeholt habe -
beweispflichtig dafür, dass dem Geschädigten kein günstigerer Tarif zugänglich
war, dringt auch in diesem Verfahren nicht durch.
7
α
)
Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als
erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen,
die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des
Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Von mehreren auf
dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines
vergleichbaren Ersatzfahrzeugs kann der Geschädigte grundsätzlich nur den
günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen (BGH NJW 2008, 1519). Zur Beurteilung
der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten können nach § 287 ZPO Listen oder
Tabellen herangezogen werden (BGH NJW-RR 2010, 1251). Der
Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Tatrichter in Ausübung des
Ermessens gem. § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf der Grundlage des
Schwacke-Mietpreisspiegels im maßgebenden Postleitzahlengebiet ermitteln kann
(BGH VersR 2010, 1054; VersR 2006, 986; VersR 2007, 516; VersR 2007, 1144;
VersR 2008, 1370). Der Geschädigte kann vom Schädiger nach § 249 BGB als
erforderlichen Herstellungsaufwand zwar nur Ersatz derjenigen Mietwagenkosten
verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des
Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist
hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten
Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren
möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das
bedeutet aber nur, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt
erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs
grundsätzlich allein den günstigsten Mietpreis als zur Herstellung objektiv
erforderlich ersetzt verlangen kann. Nach diesen Grundsätzen müssen indes nur
dann Feststellungen zur Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs getroffen werden,
wenn der Geschädigte Umstände vorträgt, die einen gegenüber dem „Normaltarif“
höheren Unfallersatztarif rechtfertigen sollen. Soweit Schädiger und deren
Versicherungen sich in diesem Zusammenhang auf den Rechtsstandpunkt stellen,
der Geschädigte habe hierfür darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ihm unter
Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie
der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen
auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt zumindest auf
Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen sei, vermengen
sie die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB mit der
Frage der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB. Die dafür
maßgebenden Umstände haben nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger
bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und ggf. zu beweisen. Es obliegt somit
der Beklagten, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass dem
Geschädigten ein günstigerer Tarif ohne Weiteres zugänglich war. Darauf kann
entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht deshalb verzichtet werden, weil
der Geschädigte im Einzelfall ohne Kenntnisse des üblichen Preisniveaus auf
Anfragen bei Drittunternehmen gänzlich verzichtet hat (BGH NJW 2010, 1445).
8
β
)
Die von der Beklagten angenommene generelle Erkundigungspflicht des
Geschädigten besteht nach dieser ständigen und von der Kammer für richtig
gehaltenen Rechtsprechung des Bundegerichtshofs also dann nicht, wenn - wie
hier - ein Normaltarif nach Schwacke und nicht etwa ein Unfallersatztarif geltend
gemacht wird. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf stützen, dass vorliegend
etwa ein überhöhter Einheitstarif, also ein „versteckter“ Unfallersatztarif gebucht
wurde, bei dem die gleichen Grundsätze wie für den Unfallersatztarif gelten würden
(Grüneberg in Palandt, 72. Auflage 2013, § 249 BGB, Rn. 33). Die Eignung der
herangezogenen Listen oder Tabellen bedarf der Klärung, wenn mit konkreten
Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der
Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang
auswirken (BGH NJW 2011, 1947; BGH NJW-RR 2011, 1109; OLG Stuttgart, Urteil
vom 30.03.2012, 3 U 120/11). Es wäre daher Aufgabe der Beklagten gewesen,
konkrete Mängel dieses Mietpreisspiegels aufzuzeigen und entsprechenden
Sachvortrag zu halten, dass ein vergleichbares Fahrzeug zu einem wesentlich
günstigeren Preis von einem anderen, von ihr bezeichneten
Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH NZV 2011, 333;
OLG Stuttgart, aaO). Anders als im Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart wurden
hier von Beklagtenseite schon keine gegen die Schätzgrundlage konkret
sprechenden Tatsachen vorgetragen. Daher durfte der Schwacke-Mietpreisspiegel
als Schätzgrundlage für die Höhe der Mietwagenkosten im Rahmen des § 287
ZPO zugrunde gelegt werden. Deswegen erweist sich das Vorgehen des
Amtsgerichts, ein Sachverständigengutachten einzuholen, mangels geeigneter
Anknüpfungstatsachen als untauglich. Dem Sachverständigen ist es nicht
gelungen, konkrete und zumutbare Alternativangebote nachträglich zu ermitteln.
Dieses Gutachten ist jedenfalls nicht geeignet, die Richtigkeit des Schwacke-Tarifs
zu erschüttern.
9
γ
)
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der neueren Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs vom 18.12.2012 (r+s 2013, 149), die im Wesentlichen die
bisherigen Entscheidungen des Senats bekräftigt und damit auch die Richtigkeit
der ständigen Rechtsprechung der Kammer bestätigt. Der vielfach erkannten und
erneut vom Bundesgerichtshof aufgezeigten Differenz in den Ergebnissen der
Schwacke-Liste und der Fraunhofer-Liste wird die Kammerrechtsprechung
dadurch gerecht, dass der Geschädigte grundsätzlich - und so auch hier im
Rechtsstreit - einen pauschalierten Aufschlag (in Höhe von hier 15 %) auf den
Normaltarif der Mietwagenkosten nach Schwacke wegen unfallbedingter
Zusatzleistungen nicht verlangen kann. Mit den höheren Schwacke-Tarifen sind
die geltend gemachten pauschalen Zusatzkomponenten als abgegolten zu
betrachten, weswegen ein genereller Abschlag von den Schwacke-Tarifen zur
Annäherung an den Fraunhofer-Tarif darüber hinaus nicht geboten erscheint.
10
c)
Die Klägerin hat nicht dargelegt und bewiesen, dass ein bezifferter Aufschlag im
Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB in der konkreten Situation erforderlich war (BGH
NJW 2010, 1445). Zwar lässt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter
Umständen einen Aufschlag auf den Normaltarif zu, um etwaigen Mehrleistungen
und Risiken bei der Vermietung an Unfallgeschädigte Rechnung zu tragen. Dazu
wäre aber ein substantiierter Sachvortrag der Klägerin zu unfallbedingten
Mehrkosten erforderlich (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.08.2011, 1 U 27/11).
Das in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnte Gutachten der BEGUTA
genügt diesen Anforderungen nicht, weil darin lediglich allgemeine Ausführungen
zu Risiken und Mehrleistungen enthalten sind, die bei Vermietungen in
Unfallsituationen entstehen können, aber nicht müssen, und die nicht auf einen
konkreten Streitfall bezogen sind.
11
d)
Im Wege der Vorteilsausgleichung hat sich die Klägerin ausnahmsweise keinen
10 %-igen Abzug für ersparte Aufwendungen für das eigene Fahrzeug des
Geschädigten anrechnen zu lassen, weil sie als Vorteilsausgleich bereits eine
Mietwagenklasse in der Abrechnung zurückgegangen ist.
12
e)
Die Beklagte hat die Kosten für die Haftungsbeschränkung zu ersetzen. Der
durch den Unfall Geschädigte ist während der Mietzeit eines Ersatzfahrzeugs
grundsätzlich einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und hat
regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an einer entsprechenden
Haftungsbeschränkung (vgl. BGH NJW 2005, 1041; 2006, 360).
13
f)
Ebenso hat die Beklagte die angefallenen Kosten für Zustell- und Abholdienste
zu ersetzen und auch die Zusatzkosten für die unstreitig vereinbarte Erlaubnis
eines weiteren Fahrers des Mietwagens sind erstattungsfähig (vgl. BGH NZV
2012, 480; OLG Köln NZV 2009, 447).
14
2.
Damit errechnet sich der Anspruch der Klägerin folgendermaßen:
15 …
16
3.
Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen
Anwaltskosten folgen aus §§ 280 ff. BGB. Zinsen für die Hauptforderung sind
jedoch erst mit Verzug ab dem 06.10.2009 zu zahlen. Für die vor Anwaltskosten
fehlt es an einem vorgerichtlichen Verzug, weswegen insoweit eine Verzinsung
erst mit Rechtshängigkeit verlangt werden kann. Bezüglich der vorgerichtlichen
Anwaltskosten ist für diesen Standardfall der Faktor 1,3 anzusetzen und nicht, wie
die Klägerin meint, 1,5. Die insoweit von der Klägerin zitierte Rechtsprechung ist
längst überholt (BGH NJW 2012, 2813).
III.
17
1.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
18
2.
Anlass, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die
Rechtssache als Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung hat und die
Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert. Die grundlegenden
Rechtsfragen sind vom Bundesgerichtshof hinreichend geklärt. Erst kürzlich hat
sich der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 18. Dezember 2012 (aaO)
erneut mit der Mietwagenproblematik befasst und seine - von der ständigen
Kammerrechtsprechung geteilte - Rechtsansicht im Wesentlichen bekräftigt.