Urteil des LG Stuttgart vom 29.05.2013

werbung, spam, marketing, affiliate

LG Stuttgart Urteil vom 29.5.2013, 13 S 200/12
Störerhaftung: Verantwortlichkeit des Advertisers im Affiliate-Marketing-
Netzwerk für Spam-Emails des Publishers
Leitsätze
Ein Advertiser kann nicht ohne Weiteres als mittelbarerer Störer i.S.d. § 1004 BGB
vom Empfänger auf Unterlassung von Spam-Emails in Anspruch genommen werden,
die ein mit ihm über ein Affiliate-Marketing-Netzwerk verbundener Publisher unerlaubt
und ohne sein Wissen versendet.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
08.11.2012 (Az. 12 C 2261/12) wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom
08.11.2012 (Az. 12 C 2261/12) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Berufungsstreitwert: 4.000,00 EUR
Gründe
I.
1 Der Kläger begehrt die Unterlassung der Zusendung unverlangter Werbeemails
(Spam) durch einen Dritten und den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten. Der
Kläger sieht die Beklagte als verantwortliche Störerin i.S.d. § 1004 BGB, während
jene jegliche Verantwortung für das Handeln des Dritten zurückweist.
2 Das Amtsgericht hat im Wege des angefochtenen Urteils die Klage abgewiesen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540
Abs.1 ZPO Bezug genommen. Mit der Berufung trägt der Kläger, der sein Anliegen
aus der ersten Instanz weiter verfolgt, neu vor, dass die Beklagte dem Dritten das
Werbematerial zur Verfügung gestellt habe und zur Verbreitung freigegeben habe.
Die Beklagte bestreitet diese Darstellung und rügt den neuen Vortrag als verspätet.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird gem. §§ 540
Abs.2, 313a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr.8 EGZPO verzichtet.
II.
3 Der form- und fristgerecht eingelegten und mit einer Begründung versehenen
Berufung bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Das Amtsgericht hat einen
Unterlassungs- und Zahlungsanspruch des Klägers zu Recht verneint. Auf die
Gründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Die Berufung ist nicht
geeignet, zu einem abweichenden Ergebnis zu gelangen.
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1.
Das Gericht geht zwar mit dem Kläger davon aus, dass er die Werbeemails
ohne Anforderung oder Einwilligung erhalten hat, dass es der Beklagten oblegen
hätte, eine von ihr in den Raum gestellte Anforderung oder Einwilligung konkret
darzutun sowie unter Beweis zu stellen, und dass in der unzulässigen Zusendung
von Werbeemails („Spam“) auch gegenüber einem gewerblichen Empfänger eine
zu unterlassende Störung im Sinne des § 1004 BGB liegt (so auch BGH GRUR
2004, 517).
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2.
Auf all dies kommt es aber in dem hier zu entscheidenden Fall nicht an, weil die
Beklagte nicht Störerin i.S.d. § 1004 BGB ist.
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a)
Abzustellen ist hier auf den Störerbegriff des § 1004 BGB. Soweit der Kläger
teilweise mit Begriffen und Rechtskonstruktionen aus dem UWG, dem UrhG oder
dem MarkenG argumentiert, sind diese Ausführungen nicht geeignet, seinen
Anspruch zu begründen. Es handelt sich hier nämlich ganz zweifellos nicht um die
Verletzung einer Marke oder eines Urheberrechts und der Kläger trägt auch nicht
vor, Mitbewerber der Beklagten oder ein anderer Anspruchsberechtigter des § 8
Abs.3 UWG zu sein.
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b)
Unstreitig (geworden) ist zwischen den Parteien, dass die Werbeeimals nicht
von der Beklagten an den Kläger gesandt wurden, dass Absender vielmehr ein
ausländischer Emailversender unter der Bezeichnung l. ist. Die Beklagte ist als
Advertiser Beteiligte des Affiliate-Marketing-Netzwerks der Z., an welchem auch l.
als Publisher beteiligt ist. Unmittelbarer Handlungsstörer ist damit nicht die
Beklagte, sondern l..
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c)
Die Beklagte kann aber auch nicht als mittelbare Störerin i.S.d. § 1004 BGB in
Anspruch genommen werden. Ein mittelbarer Störer ist derjenige, der eine
Dritthandlung veranlasst oder sie ermöglicht und es unterlässt, die dadurch
erkennbar eintretende unmittelbare Störung zu unterbinden (ganz h.M., vgl. nur
Bassenge in Palandt, 72. Aufl. 2013, § 1004 BGB, Rn. 18 m.w.N.). Die
Tatsachenbasis für die Störereigenschaft des Beklagten ist eine
anspruchsbegründende, welche grundsätzlich der Kläger darzulegen und zu
beweisen hat.
9
d)
Soweit sich der Kläger auf den Rechtsstandpunkt stellt, dass der Nutznießer
unerlaubter Werbeemails im Rahmen einer verschuldensunabhängigen
Erfolgshaftung für Verstöße des unmittelbaren Störers heranzuziehen sei, ist dem
nicht zu folgen. Derartiges ergibt sich jedenfalls nicht - wie das Amtsgericht
zutreffend festgestellt hat - aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln
vom 08.10.2010 (6 U 69/10, MMR 2011, 321). Dort lag ein Fall vor, in dem der
unmittelbare Störer in die betriebliche Organisation des Beklagten eingegliedert
war und der Beklagte einen bestimmenden, durchsetzbaren Einfluss auf diesen
hatte. Derartiges trägt der Kläger hier nicht vor, vielmehr führt er aus, dass
zwischen der Beklagten und der lagerverkausmode.de keine vertragliche
Grundlage und keine Verantwortungsbeziehung bestand, wobei er diesen Vortrag
in der Berufungsverhandlung wieder relativierte. Deswegen kann sich der Kläger
auch nicht auf die Sondersituation berufen, welche der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 17.08.2011 (I ZR 134/10, GRUR 2012, 82) zugrunde lag.
Der Kläger verkennt zunächst, dass es sich im BGH-Fall, anders als hier, um einen
UWG-Streit handelte und der Bundesgerichtshof sich ausdrücklich auf die Norm
des § 8 Abs.2 UWG stützt. Aber selbst dann, wenn man die Erwägungen zu § 8
Abs.2 UWG für die Störerdefinition des § 1004 BGB analog heranziehen würde,
wäre die genannte BGH-Entscheidung für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit
ohne Relevanz. Dort wurde nämlich auf Basis eines gänzlich anderen
Sachverhalts - betrügerisch vorgetäuschte Bestellungen durch einen
Subunternehmer des Zeitschriftenwerbers - für Recht erkannt, dass derjenige, der
einen finanziellen Anreiz zum Rechtsverstoß gibt, als mittelbarer Störer für den
(erwartungsgemäß) erfolgten Rechtsverstoß hafte. Ein solcher Anreiz ist hier nicht
ersichtlich und vom Kläger auch nicht behauptet, weswegen von der Realisierung
eines Risikos aus der Sphäre der Beklagten nicht die Rede sein kann. Allein die
Beteiligung der Beklagten als Advertiser in einem Affiliate-Marketing-Netzwerk stellt
kein Risiko im Sinne dieser Rechtsprechung dar. In dem BGH-Fall war für die
dortige Beklagte erkennbar, dass das Risiko einer Täuschungskonstellation nahe
lag, und sie hat dieses Risiko durch ein finanzielles Anreizsystem erhöht. Die
Beklagte hier betreibt dagegen auf einem regulären, seriösen und an sich
risikolosen Weg Onlinewerbung. Der Kläger kann schon nicht dartun, dass für die
Beklagte erkennbar gewesen sei, dass ihr Werbepartner gegen das ausdrückliche
Verbot der Emailwerbung verstoßen würde. Und erst Recht fehlt es an jeglichem
Vortrag dazu, dass die Beklagte finanzielle Anreize für den Verstoß gesetzt habe.
Selbst dann, wenn die Beklagte, wie der Kläger behauptet, Kenntnis davon gehabt
hätte, dass l. vorwiegend Emailwerbung betreibt, würde sie das nicht als Störerin
qualifizieren.
10
e)
Es ist dem Kläger weder gelungen darzutun und zu beweisen, dass die
Beklagte den Dritten zur Versendung der Werbeemails veranlasst hat, noch
darzutun und zu beweisen, dass der Beklagten vor dem Abmahnschreiben des
Beklagten die unerlaubte Versendung der Werbeemails durch l. bekannt gewesen
sei.
11
α
)
Schon allein nach dem Vortrag des Klägers kann die Kammer nicht davon
ausgehen, dass die Beklagte als Advertiser den Publisher aktiv dazu veranlasst
hätte, für sie unerlaubte Emailwerbung zu betreiben. Die Beklagte hat derartiges
zudem wiederholt und substantiiert unter Beweisantritt bestritten. Der Kläger hat
insoweit in der ersten Instanz gar keinen Vortrag gehalten. Sein neuer Vortrag in
der Berufung ist gem. §§ 529, 531 ZPO verspätet. Dies gilt auch für seinen neuen
Vortrag in der Berufungsverhandlung, welcher zudem außerhalb der
Berufungsbegründungsfrist gehalten wurde. Gründe für diesen späten Vortrag sind
weder vorgetragen noch aus der Akte ersichtlich. Aber auch dann, wenn dieser
neue Vortrag berücksichtigt werden könnte, würde er die vom Kläger gewünschte
Rechtsfolge nicht tragen. Seine Mutmaßungen, dass sich aus den
Geschäftsbedingen der Z. ergebe, dass die Beklagte die unzulässige
Emailwerbung „freigegeben“ haben müsse, entbehren jeglicher tatsächlichen
Substanz. Die Beklagte musste die lagervarkaufmode.de als Publisher zulassen
und insofern „freigeben“. Dass sie aber gerade die unerlaubte Werbung
„freigegeben“ habe, ist nicht substantiiert vorgetragen und auch nicht aus den
vorgelegten Unterlagen ersichtlich. Gleiches gilt für die Behauptungen des
Klägers, der von der Beklagten im Netzwerk eingestellte Textlink sei nicht für
Bannerwerbung im Internet, sondern gerade und nur für Emailwerbung
vorgesehen, und der Publisher l. betreibe, was die Beklagte wisse, kaum
Onlinewerbung.
12
β
)
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (GRUR 2002,
618; MMR 2004, 529; GRUR 2008, 702; GRUR 2012, 651), welcher sich die
Kammer anschließt, kann als mittelbarer Störer nur in Anspruch genommen
werden, wer in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung
eines absoluten Rechts beiträgt und insbesondere seiner Prüfpflicht nicht
nachkommt. Dass die Beklagte positive Kenntnis von den Rechtsverstößen der l.
hatte, behauptet der Kläger zwar ganz pauschal und offensichtlich ins Blaue
hinein. Er kann seinen unsubstantiierten Vortrag mit nichts belegen und auch für
die Kammer gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine Überzeugungsbildung in dem
Sinne, dass die Beklagte vor dem Abmahnschreiben des Klägers eine positive
Kenntnis von Spam-Emails gehabt habe. Bei der Prüfpflicht besteht zwar
grundsätzlich eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten (so auch BGH aaO),
die ggf. darlegen muss, welche Prüfungen sie durchgeführt hat. Derartiges ist
naheliegend bei vertraglich vereinbarter Onlinewerbung auf Internetseiten. Der
Werbekunde kann leicht diese Seiten öffnen und regelmäßig kontrollieren, ob die
dort sichtbare Werbung seinem Auftrag und den gesetzlichen Vorgaben entspricht.
Bei einer nicht vereinbarten Werbung im Internet besteht diese Kontrollmöglichkeit
schon nur noch sehr eingeschränkt, weil der Werbende nur mit Suchprogrammen
die Möglichkeit hat, solche Werbung zu finden. Ohne jeden Anhaltspunkt wird von
ihm jedoch kaum zu verlangen sein, dass er regelmäßig derartige Suchen
durchführt. Dem Gericht erschließt sich nicht, wie ein Werbender unerlaubte
Emailwerbung kontrollieren könnte. Die Emails richten sich an Einzelpersonen und
der Werbende erhält erst dann Kenntnis davon, wenn sich eine dieser
Einzelpersonen an ihn wendet. Eine vorsorgende Prüfung durch den Werbenden
ist in diesem Fall ersichtlich nicht möglich, auch der Kläger konnte nicht erklären,
wie sie hätte erfolgen können. Insofern kann sich der Kläger auch nicht darauf
berufen, dass die Beklagte ihrem Publisher nicht die Verwendung des Double-Opt-
in-Verfahrens vorgeschrieben hat. Die Beklagte wusste nach dem der
Entscheidung zugrunde zulegenden Sachverhalt nichts von einer Emailwerbung,
sie hatte diese auch generell untersagt und somit eine viel weitergehende
Regelung getroffen.
13
f)
Dass ein Publisher ohne vertragliche Grundlage, gegen ein ausdrückliches
Verbot und vor allem ohne jede Gegenleistung eine Werbung für ein Unternehmen
betreibt, mag auf den ersten Blick verblüffen. Die Gründe dafür können jedoch
vielfältig sein und eine Werbetätigkeit begründet deswegen nicht zwingend die
Vermutung, dass sie vom Begünstigten gewollt oder zumindest geduldet ist. Das
Gericht verkennt in diesem Zusammenhang nicht die Schwierigkeiten des Klägers,
als Außenstehender Vorgänge aus einem Marketingdreieck im Einzelnen darlegen
zu können. Es bleibt ihm aber zweifellos die relativ einfache Möglichkeit, sich an
den unmittelbaren Störer zu halten. Will er einen anderen als mittelbaren Störer
heranziehen, muss er mehr vortragen als nur pauschale Behauptungen, weil die
Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf (vgl. BGH aaO).
Bei einem nicht unmittelbar störenden Werber ist es ihm zumutbar, vor
Abmahnung und Klage zunächst einmal die Störung anzuzeigen und Gelegenheit
zur Prüfung und ggf. Unterbindung zu geben.
14
2.
Vieles spricht dafür, dass der Kläger keinen Ersatzanspruch wegen der
vorgerichtlichen Anwaltskosten hat, weil nach der endgültigen Verweigerung einer
Unterlassungserklärung durch den Rechtsvertreter der Beklagten die Einschaltung
eines vorgerichtlich tätigen Rechtsanwalts durch den Kläger nicht notwendig und
auch nicht geboten war. Letztlich kann diese Frage indes hier dahingestellt
bleiben, weil dem Kläger mangels eines Anspruchs in der Hauptsache ein solcher
Zahlungsanspruch nicht zusteht.
III.
15 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO. Anlass,
die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache als
Einzelfall keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts nicht erfordert, zumal sich jenes zu den
entscheidungserheblichen Rechtsfragen bereits mehrfach im Sinnes dieses Urteils
geäußert hat.