Urteil des LG Stuttgart vom 15.07.2002

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LG Stuttgart Urteil vom 15.7.2002, 27 O 304/01
Krankenversicherung: Medizinische Notwendigkeit von Zahnimplantaten; Begriff der Praxiskosten; schutzwürdiges Interesse an der
Feststellung der Eintrittspflicht für die bereits begonnene Behandlungsmaßnahme
Leitsätze
1.Implantate gehören zum heutigen zahnmedizinischen Standard. Sie sind medizinisch notwendig, wenn die zur Verfügung stehenden
Alternativmethoden bezüglich Tragekomfort, Haltbarkeit und Nachsorgeaufwand nicht adäquat sind.
2.Bei einem 41-jährigen Patienten ist die Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz trotz höherer Behandlungskosten als medizinisch notwendig
anzusehen, wenn die zu erwartenden Folgekosten einer teleskopgetragenen Modellgußprothese sich nach Jahren als ungleich höher erweisen,
weil dann aufgrund der fortgeschrittenen Athrophie nur noch eine aufwendige, implantologische Behandlung-u.U. nach Knochenaufbau möglich ist.
3. Die Ablehnung der Kostenerstattung für Implantate aus grundsätzlichen, prämienkalkulatorischen Erwägungen ist treuwidrig, wenn der
vereinbarte Tarif eine ausdrückliche Leistungszusage für Implantate enthält.
4. Unter Praxiskosten versteht der allgemeine Sprachgebrauch die für den Betrieb der Praxis anfallenden Kosten, wie z.B. Miete, Strom, Wasser,
Personalkosten, Versicherungen etc. Zum Sprechstundenbedarf gehören nach der Begründung zu § 4 GOZ nur die für den täglichen Bedarf
notwendigen "Einmalsachen".
5. Der Feststellungsantrag, daß die Versicherung verpflichtet ist, auch die Fertigstellung der bereits begonnenen Behandlung zu bezahlen, ist
zulässig, da dem Versicherungsnehmer keine bessere Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung steht.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.972,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 19.6.2001 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die angemessenen Kosten der zahnärztlichen Behandlung gemäß dem Heil-
und Kostenplan vom 22.2.2001 des Dr. K. entsprechend den tariflichen Bestimmungen zu erstatten, soweit die allgemeinen
Leistungsvoraussetzungen nach Durchführung der Behandlung noch vorliegen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 75 %, der Kläger 25 % zu tragen.
5. Ziff. 1 und 4 der Entscheidung sind gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine zahnärztliche Behandlung zu bezahlen.
2
Die Beklagte ist der private Krankenversicherer des Klägers. Dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag liegen die
Musterbedingungen 1994 des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK) zugrunde. Für Zahnbehandlungen besteht
Versicherungsschutz nach dem Tarif ZM 3, wonach bei zahnärztlicher Heilbehandlung die Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen
einschließlich gezielter Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten, Zahnkronen, Zahnersatz (z.B.
Prothesen, Brücken), funktionsanalytische, funktionstherapeutische und implantologische Leistungen sowie Kieferorthopädie erstattungsfähig
sind. Bezüglich des Umfangs der erstattungsfähigen Aufwendungen ist geregelt, dass bei Zahnkronen, Zahnersatz und implantologische
Leistungen 75 %, bei sonstigen zahnärztlichen Leistungen 100 % und bei zahntechnischen Laborarbeiten und Materialien der Prozentsatz
erstattet wird, wie bei der zugrundeliegenden zahnärztlichen Leistung. Als Zahnersatz gelten auch die vorbereitenden Maßnahmen.
3
Am 22.2.2001 wurde beim Kläger von Dr. K. eine erhebliche Behandlungsbedürftigkeit des Unterkiefers festgestellt. In einem Heil- und
Kostenplan von diesem Tage wird ein voraussichtlicher Betrag von 31.780,36 DM für die Behandlungsmaßnahmen geschätzt. Dr. K. sah vor, im
Unterkiefer in regio 4 6, 4 2, 3 2, 3 5, 3 6, 3 7 jeweils ein Implantat zu setzen, um auf diesen Implantaten nach deren Einheilung einen
festsitzenden Zahnersatz einzugliedern. Nach Vorlage des Heil- und Kostenplanes bei der Beklagten lehnte diese alsbald die medizinische
Notwendigkeit für die vorgesehenen Behandlungsmaßnahmen im Unterkiefer ab und sagte dem Kläger lediglich zu, die Kosten einer
Behandlungsalternative, nämlich der teleskopkronengetragenen Modellgussprothese zu ersetzen.
4
In dem Zeitraum von Januar 2001 bis April 2001 wurden die chirurgischen Leistungen durchgeführt. Dr. K. stellte hierfür 9.639,50 DM in
Rechnung. Die Beklagte erstattete dem Kläger lediglich 2.104,59 DM und lehnte im Übrigen die Übernahme der Behandlungskosten ab.
5
Mit der Klage begehrt der Kläger die Erstattung des Restbetrages der Rechnung vom 27.4.2001. Gleichzeitig will er die Eintrittspflicht der
Beklagten für die noch anfallenden Kosten der Behandlungsmaßnahmen festgestellt wissen.
6
Der Kläger behauptet, die im Heil- und Kostenplan vorgesehene Behandlung sei medizinisch notwendig. Die Implantatversorgung sei nach dem
heutigen Stand der medizinischen Erkenntnisse und Behandlungsmethoden der Eingliederung einer herausnehmbaren Prothese deutlich
überlegen. Zu berücksichtigen seien nicht nur die Kosten des zahnärztlichen Ersatzes selbst, sondern insbesondere auch Gesichtspunkte wie
der Langzeiterfolg, der Nachsorgeaufwand und eine ganze Reihe von medizinischen Gesichtspunkten. Insbesondere der Schutz vor weiterem
Abbau des Kieferknochens sei bei der Implantatbehandlung erheblich besser gewährleistet.
7
Der Kläger beantragt,
8
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.534,91 DM (= 3.852,54 Euro) nebst Zinsen seit dem 19.6.2001 zu bezahlen,
9
festzustellen,
10 dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten der zahnärztlichen Behandlung gemäß dem Heil- und Kostenplan des Herrn Dr. K. vom
22.2.2001 bezüglich einer Zahnimplantation zu zahlen.
11 Die Beklagte beantragt,
12 die Klage abzuweisen.
13 Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, der Feststellungsantrag des Klägers sei unzulässig, da hier nicht die Feststellung eines gegenseitigen
Rechtsverhältnisses, sondern die Feststellung einer zukünftigen Leistungspflicht begehrt werde.
14 Ein schutzwürdiges Interesse an einer solchen Feststellung bestünde nur in Ausnahmesituationen, wenn ein Versicherungsnehmer geltend
mache, die Behandlungskosten überstiegen seine finanziellen Verhältnisse bei weitem, er sei auf die vorherige verbindliche Zusage
angewiesen. Ein solcher Fall liege hier nicht vor.
15 Die Beklagte behauptet, es handle sich bei der gemäß Heil- und Kostenplan vom 22.2.2001 vorgesehenen Behandlung nicht um eine
medizinisch notwendige Behandlung, sondern um eine außerordentlich aufwendige Versorgung, die über das medizinisch Erforderliche weit
hinausgehe. Die Wiederherstellung der Kau- und Sprechfunktion wäre ebenso gut durch eine Versorgung mit sechs Teleskopkronen auf den
noch vorhandenen Zähnen 4 7, 4 5, 4 4, 4 3, 3 3 und 3 4 sowie einer Modellgussprothese zum Ersatz der fehlenden Zähne möglich. Diese Art der
Versorgung mit einer herausnehmbaren Prothese habe sogar noch eine ganze Reihe von Vorteilen gegenüber dem festsitzenden Zahnersatz.
16 Darüber hinaus macht die Beklagte geltend, dass gemäß ihren Tarifen für einen Teil der abgerechneten Positionen lediglich 75 % zu ersetzen
sind, statt der vom Kläger eingeklagten 100 %. 171,06 DM seien für Verbrauchsmaterialien berechnet, obwohl es hierfür keine rechtliche
Grundlage gebe, da mit den Gebühren die Praxiskosten einschließlich der Kosten für Füllungsmaterialien und den Sprechstundenbedarf
abgegolten seien (§ 4 Abs. 3 GOZ). Die geschätzten Material- und Laborkosten seien bei weitem übersetzt.
17 Das Gericht hat Beweis erhoben zur Frage der medizinischen Notwendigkeit der vorgesehenen Behandlungsmaßnahme durch Einholung eines
schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. E. J. R. von der Universität Würzburg, der sein Gutachten mündlich erläutert hat und zu
vorgelegten Parteigutachten darin Stellung genommen hat. Insoweit wird auf das schriftliche Gutachten (Bl. 75/84 d.A.) und die ergänzende
mündliche Stellungnahme vom 29.5.2002 (Bl. 114/120 d.A.) verwiesen.
18 Der Kläger hat die im Januar 2001 begonnenen Behandlungsmaßnahmen bisher von seinem Zahnarzt nicht fortführen lassen, da er sich
außerstande sieht, die Behandlung ohne Versicherungsschutz zu finanzieren. Die Fortsetzung der Behandlung wurde daher nach Durchführung
der chirurgischen Maßnahmen bis auf weiteres zurückgestellt.
19 Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
20 Die Klage ist zulässig und großteils auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, ihrem Versicherungsnehmer die Kosten des festsitzenden
Zahnersatzes zu erstatten, da die implantologischen Leistungen gemäß dem vereinbarten Tarif ZM 3 ausdrücklich zu 75 % erstattungsfähig sind
und die Behandlungsmaßnahme aus Sicht des heutigen zahnmedizinischen Standards medizinisch notwendig ist.
21 Nach Eintritt des Versicherungsfalles ist ein schutzwürdiges Interesse des Versicherungsnehmers an der Feststellung der medizinischen
Notwendigkeit einer bestimmten Behandlungsmaßnahme gegeben, wenn der Versicherungsnehmer auf die Kostenerstattung der Versicherung
angewiesen ist.
I.
22 Die Beklagte ist aufgrund des Versicherungsvertrages in Verbindung mit den Tarifbedingungen verpflichtet, dem Kläger die implantatgestützte
prothetische Versorgung des Unterkiefers zu bezahlen. Die implantologischen Leistungen sind gemäß Ziff. 2.1 der Tarife ZM 1 bis ZM 3
ausdrücklich zu 75 % erstattungsfähig. Dem gemäß hat die Beklagte auch grundsätzlich solche Leistungen zu bezahlen. Soweit die Beklagte aus
grundsätzlichen Erwägungen die Bezahlung von Implantaten ablehnt, verstößt sie gegen ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen, da die
implantologischen Leistungen ausdrücklich von ihrem Leistungskatalog umfasst werden.
23 Die Versorgung des Klägers mit implantatgestütztem Zahnersatz ist medizinisch notwendig. Es wurde wiederholt ausgesprochen, dass eine
Behandlungsmaßnahme dann medizinisch notwendig ist, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen
Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, diese Behandlung als notwendig anzusehen. Diese muss in fundierter und
nachvollziehbarer Weise das zugrundeliegende Leiden diagnostisch hinreichend erfassen und eine ihm adäquate, geeignete Therapie
anwenden (OLG Köln VersR 98, 88 ff; OLG Köln VersR 95, 1177 ff; OLG Karlsruhe VersR 97, 562 ff). Diese Definition ist allerdings nur scheinbar
geeignet, die Kriterien für die Eintrittspflicht der privaten Krankenversicherung zu konkretisieren. Es muss vertretbar sein, die
Behandlungsmaßnahme als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist eine Beurteilung in aller Regel dann, wenn sie nachvollziehbar
begründet und nicht völlig abwegig ist. Demnach wäre eine Behandlungsmaßnahme schon dann als medizinisch notwendig anzusehen, wenn
sie dem aktuellen medizinischen Standard entspricht um das konkrete Leiden erfolgversprechend zu therapieren. Nicht erfasst wären dann all
diejenigen Maßnahmen, deren therapeutische Eignung objektiv nicht vorliegt.
24 Legt man den Schwerpunkt auf das Kriterium der "Notwendigkeit", so stellt sich alsbald die Frage der "zwingenden Notwendigkeit". In dieser
Richtung hat auch der Sachverständige Prof. Dr. R. zu-nächst den Begriff ausgelegt. Indessen hat auch er erkannt, dass die zwingende
Notwendigkeit ein kaum fassbares Kriterium ist. Zwingend notwendig sind Zähne für das Überleben des Menschen nicht. Andererseits sind
sichtbare Zahnlücken oder gar die Zahnlosigkeit hierzulande ein erheblicher sozialer Makel, der alles andere als allgemein üblich ist. Nicht
umsonst geht auch die Beklagte davon aus, dass die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Kau- und Sprechfunktion als medizinisch notwendig
anzusehen ist.
25 Das OLG Köln hat in seiner Entscheidung vom 13. Juli 95 (VersR 95, 1177 ff) ebenso wie das OLG Karlsruhe (VersR 97, 562 ff) entscheidend auf
die Höhe der Behandlungskosten abgestellt. Bei dieser Kalkulation wurde - soweit ersichtlich - allerdings stets nur berücksichtigt, wie hoch die
Kosten der ersten Eingliederung der Prothese sind, die längerfristige Kalkulation wurde außer Acht gelassen. Abgestellt wurde auf den
unmittelbaren Behandlungserfolg nach Durchführung der zu bezahlenden Maßnahme. An der erforderlichen Adäquanz soll es einer
Heilmaßnahme allerdings dann fehlen, wenn deren Kosten diejenigen einer zum gleichen Heilerfolg führenden Behandlung so erheblich
übersteigen, dass die betreffende Behandlung als Luxus zu erachten ist (OLG Köln VersR 98, 880).
26 Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat zur Überzeugung des Gerichts erläutert, dass es für die Behandlung des Klägers grundsätzlich mehrere
Möglichkeiten gibt. Er hat - auch wenn dies in seinem schriftlichen Gutachten zunächst nicht zum Ausdruck kommt - der Implantatversorgung
eindeutig den Vorzug eingeräumt. Er hat begründet, weshalb der festsitzende Zahnersatz beim Kläger die bessere Lösung ist. In den
Vordergrund stellte er, dass der Knochenatrophie durch die Einbringung von Implantaten entgegengewirkt werden kann. Der Verlust von Zähnen
führt zu einem Knochenabbau des Kiefers, so dass bei stark fortgeschrittenem Prozess auch eine Implantation nicht mehr möglich ist. Bei seiner
Erläuterung wurde deutlich, dass die Versorgung mit einer Teleskopprothese zwar für einen Zeitraum von ca. 5 bis 10 evtl. auch 15 Jahren
durchaus eine adäquate Lösung sein kann, dass aber nach dem Verlust der Zähne, auf denen die Teleskopprothese verankert ist, dann
wiederum nur eine Implantation möglich ist - soweit dann der Knochen nicht schon zu stark atrophiert ist. Zwar räumt er ein, dass es bisher nur
eingeschränkte Studien zur Haltbarkeit von Implantatversorgungen gibt, da diese Behandlungsmethode erst seit 10 bis 15 Jahren verbreitet ist.
Das bedeutet aber nicht, dass diese Art der Versorgung keine längere Lebensdauer hätte, als die Versorgung mit einer teleskopgetragenen
Modellgussprothese. Letzterer ist an das Vorhandensein eines Restbestandes von Zähnen gebunden, weshalb - so der Sachverständige - nach
dem Verlust sämtlicher Zähne nur noch eine Implantatversorgung in Betracht kommt. Daraus ergibt sich, dass die Versorgung mit festsitzendem
Zahnersatz grundsätzlich eher geeignet ist, langfristig die Kau- und Sprechfunktion zu sichern. Die Beurteilung des beratenden Zahnarztes der
Beklagten, des Dr. H., stufte der Sachverständige als "antiquiert" ein. Er brachte zum Ausdruck, dass die Teleskopversorgung vor 15 Jahren dem
Standard entsprach, heute aber im Zuge des zahnmedizinischen Fortschrittes mehr und mehr durch implantatgetragenen Zahnersatz verdrängt
wird. Als Vorteile des festsitzenden Zahnersatzes gegenüber der Teleskopprothese nannte der Sachverständige u.a. die höhere Kaufkraft, der
geringere Nachsorgeaufwand, und nicht zuletzt der - zumindest von jüngeren Patienten empfundene - größere Tragekomfort. Gleichzeitig wies
der Sachverständige allerdings auch darauf hin, dass der Behandlungserfolg entscheidend von der Mundhygiene des Patienten abhängig ist
und dass auch subjektive Gesichtspunkte für den Patienten eine große Rolle spielen, ob er lieber festen oder herausnehmbaren Zahnersatz
tragen möchte.
27 Nicht zu folgen ist dem Argument der Beklagten, zu erstatten sei von ihr nur, was medizinisch (unbedingt) notwendig ist - teure
Behandlungsmöglichkeiten müssten aus prämienkalkulatorischen Gründen unberücksichtigt bleiben.
28 Grundsätzlich hat der Versicherungsnehmer zwar die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung darzutun und auch zu beweisen, dass es
nach den medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, diese als medizinisch notwendig
durchzuführen, soweit die Beklagte allerdings geltend macht, die beim Kläger begonnene Heilbehandlung übersteige das medizinisch
notwendige Maß, so ist sie nach § 5 Abs. 2 MB/KK berechtigt, ihre Leistung auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen. Bei dieser
Regelung handelt es sich - entsprechend der Überschrift des § 5 MB/KK - um eine Einschränkung der Leistungspflicht des Versicherers. Für die
tatsächlichen Voraussetzungen einer solchen Einschränkung der Leistungspflicht ist aber die Beklagte als Versicherer darlegungs- und
beweisbelastet (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 1244 ff). Dass die Behandlung des Klägers das medizinisch notwendige Maß übersteigt, lässt sich
indessen nicht ohne weiteres feststellen. Der Sachverständige hat zwar ausgeführt, die Lösung mit den sechs Implantaten sei ziemlich
aufwendig, als Luxus hat er jedoch erst das Setzen von acht Implantaten bezeichnet.
29 Zu berücksichtigen war auch die Stellungnahme von Dr. Dr. W., ein von der Bezirkszahnärztekammer Stuttgart bestellter Privat- und
Gerichtsgutachter, der insbesondere implantologische Fragen beurteilt. Er hat die beim Kläger begonnene Versorgung uneingeschränkt
befürwortet und insbesondere im Hinblick auf den geringeren Nachsorgeaufwand die erhöhten primären Kosten für angemessen erachtet. Auch
der Sachverständige Dr. Dr. W. ist dem Gericht aus einer ganzen Reihe von Verfahren als außerordentlich sachkundig und kompetent bekannt,
weshalb auch seine Einschätzung durchaus von Bedeutung war. Demgegenüber erscheint die Argumentation des beratenden Zahnarztes der
Beklagten Dr. H. dem heutigen medizinischen Standard nicht gerecht zu werden. Die Teleskopprothese ist heutzutage - dies war auch deutlich
den Worten von Prof. Dr. R. zu entnehmen - in vielen Fällen nur noch die zweitbeste Möglichkeit.
30 Das Argument der Beklagten, aus prämienkalkulatorischen Gründen könnten teure Behandlungsmöglichkeiten nicht erstattet werden, ist zwar
grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, die Versicherung kann jedoch nicht einerseits im Rahmen ihrer Tarife eine ausdrückliche
Leistungszusage für implantologische Leistungen erteilen, andererseits bei deren Inanspruchnahme dann jedoch die Kostenerstattung aus
grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Dieses Verhalten ist als treuwidrig einzuschätzen, da der Versicherungsnehmer bei Abschluss der
Versicherung davon ausgeht, dass er grundsätzlich 75 % der implantologischen Leistungen erstattet erhält. Damit lässt es sich nicht vereinbaren,
dass die Beklagte es grundsätzlich ablehnt, Implantatversorgungen zu bezahlen. Diese Haltung der Beklagten hat auch der Sachverständige
angesprochen. Gerichtsbekannt ist, dass die privaten Krankenversicherer in aller Regel die Kosten implantologischer Leistungen zumindest
teilweise übernehmen und dass mittlerweile auch die gesetzliche Krankenversicherung Kronen auf Einzelzahnimplantaten bezahlt (vgl. S. 7 des
Protokolls vom 29.5.2002). Unter diesen Umständen muss die Beklagte entweder die implantologischen Leistungen aus ihrem Leistungskatalog
streichen oder nur besonderen Tarifen vorbehalten oder sie muss es grundsätzlich akzeptieren, dass auch die Zahnmedizin sich fortentwickelt
und neue Methoden sich durchsetzen. Bei einem 41-jährigen Patienten ist die Versorgung mit einem festen Zahnersatz trotz höherer
Behandlungs- und Prothetikkosten als medizinisch notwendig anzusehen, wenn die zu erwartenden Folgekosten der teleskopgetragenen
Modellgussprothese sich nach Jahren als ungleich höher erweisen, weil dann aufgrund der fortgeschrittenen Atrophie nur noch eine aufwendige
implantologische Behandlung - u. U. nach Knochenaufbau - möglich ist.
31 Zwar mag es richtig sein, bei zwei medizinisch gleichwertigen, kostenmäßig aber vielfach auseinanderliegenden Möglichkeiten der Behandlung
der kostengünstigeren den Vorzug zu geben, im vorliegenden Falle kann von einer medizinischen Gleichwertigkeit jedoch nicht die Rede sein.
Dies hat Prof. Dr. R. bei seiner mündlichen Erläuterung ausdrücklich klargestellt. Diese Einschätzung teilt auch Dr. Dr. W.
32 Gleichwohl war dem Leistungsantrag des Klägers nicht in vollem Umfang stattzugeben. Vom Kläger nicht berücksichtigt wurde, dass die Beklagte
von den Kosten für Zahnersatz, implantologischen Leistungen und Material- und Laborkosten lediglich 75 % zu tragen hat. Insoweit waren 25 %
in Abzug zu bringen.
33 Die Kosten der Verbrauchsmaterialien erachtet das Gericht für erstattungsfähig. Gemäß § 4 Abs. 3 GOZ sind zwar mit den Gebühren die
Praxiskosten einschließlich der Kosten für Füllungsmaterial und den Sprechstundenbedarf abgegolten, aus der Regelung ergibt sich jedoch
nicht, dass Kosten für Medikamente und Naht-material vom Zahnarzt selbst zu tragen sind. Unter "Praxiskosten" versteht der allgemeine
Sprachgebrauch die für Einrichtung und Betrieb der Praxis anfallenden Kosten wie z.B. Miete, Strom, Wasser, Personalkosten, Versicherungen
usw.. Zum "Sprechstundenbedarf" gehören nach der Begründung zu § 4 GOZ die für den täglichen Bedarf notwendigen Einmalsachen,
Desinfektionsmittel und dgl.. Das sind Materialien, die regelmäßig bereits für die Diagnose vorgehalten werden. Dass hierunter auch Kosten aus
Anlass der Behandlung im Einzelfall fallen sollen, ergibt sich hieraus jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit. Das Gericht schließt
sich insoweit der Auffassung des VGH Baden-Württemberg an in seiner Entscheidung vom 21. Mai 1992 (VGH BW-LS 1992, Beilage 9, B 9).
II.
34 Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat ein gegenwärtiges, schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, dass die
Beklagte die bereits begonnenen Behandlungsmaßnahmen bezahlen muss. Eine bessere Rechtsschutzmöglichkeit hat er nicht. Die Klage auf
Leistung ist derzeit nicht möglich und zumutbar, da es sich bei dem Endbetrag aus dem Heil- und Kostenplan lediglich um eine Schätzung
handelt, die endgültigen Behandlungskosten stehen erst dann fest, wenn sämtliche Maßnahmen durchgeführt worden und abgerechnet sind. Der
vorliegende Fall ist mit dem vom OLG Stuttgart am 19.12.96 entschiedenen (OLG R 98, 23 ff) nicht zu vergleichen. In diesem Falle war mit der
Durchführung der Behandlung noch nicht begonnen, es stand auch nicht fest, ob diese überhaupt durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang
hat das OLG Stuttgart ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der medizinischen Notwendigkeit einer bestimmten
Behandlungsmaßnahme nur in dem Fall als gegeben erachtet, wenn der Versicherungsnehmer geltend machen kann, er müsse auf die
Durchführung der Behandlung verzichten, wenn er keine vorherige verbindliche Zusage seiner Krankenversicherung oder eine
streitentscheidende gerichtliche Feststellung erhalte, weil er aus besonderen Gründen des Einzelfalles nicht das Risiko eingehen könne, diese
Kosten ganz oder auch nur teilweise allein tragen zu müssen.
35 Im vorliegenden Falle wurde die Behandlung bereits begonnen, der chirurgische Teil ist abgeschlossen. Die Implantate sind bereits im
Unterkiefer des Klägers eingebracht. Unter diesen Umständen ist ein schutzwürdiges Interesse des Klägers zu bejahen, da ihm nicht zugemutet
werden kann, die Behandlung fortsetzen zu lassen, um erst nach deren Durchführung die Kosten im Wege der Leistungsklage gegenüber der
Beklagten geltend zu machen. Schließlich beruft sich der Kläger auch darauf, dass er aufgrund seiner eingeschränkten finanziellen Verhältnisse
nicht in der Lage ist, die Behandlung zu bezahlen, wenn die Beklagte ihm nicht einen wesentlichen Teil erstattet. Aus diesem Grund wurde die
Behandlung des Klägers bisher auch nicht fortgesetzt. Es geht hier also nicht um die abstrakte Frage, ob die Beklagte die Implantatversorgung
des Unterkiefers bezahlen muss, sondern um die Feststellung der Kostentragungspflicht im konkreten, bereits eingetretenen Versicherungsfall.
36 Die Erstattungspflicht der Beklagten war festzustellen - allerdings im Rahmen der tariflichen Bestimmungen. Außerdem war klarzustellen, dass
der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht sämtliche Einwendungen abgeschnitten sein sollen, die sich aus den allgemeinen
Leistungsvoraussetzungen ergeben.
III.
37 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
38 Streitwert:
39 Ziff. 1
3.852,54 Euro;
Ziff. 2
9.056,00 Euro; (80% der noch anfallenden
Behandlungskosten - 20%
Abschlag wegen pos.
Feststellungsklage)
insgesamt 12.908,53 Euro.