Urteil des LG Stuttgart vom 09.02.2005

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LG Stuttgart Beschluß vom 9.2.2005, 32 T 9/04 KfH
Handelsregister: Anforderungen an die Eintragung einer ausländischen Zweigniederlassung
Tenor
1. Das Registergericht Waiblingen wird unter Aufhebung der Zwischenverfügung vom 01.10.2004 angewiesen, über die Eintragung einer
Zweigniederlassung der Beschwerdeführerin neu zu entscheiden.
2. Die Entscheidung ergeht kostenfrei.
Gründe
I.
1 Die Beschwerdeführerin beantragt die Eintragung der Zweigniederlassung einer nach dem Recht des Vereinigten Königreichs Großbritannien
rechtswirksam gegründeten "limited liability company". Das Registergericht hat die Eintragung der Zweigniederlassung ins Handelsregister mit der
Begründung verweigert, dass der Gesellschaftszweck von Haupt- und Zweigniederlassung sich nicht entsprächen, letztlich deswegen, weil der
Gesellschaftszweck der Hauptniederlassung so unklar gefasst sei, dass die Feststellung, der Zweck der Zweigniederlassung decke sich mit dem
der Hauptniederlassung wenigstens teilweise, nicht getroffen werden könne. Dies sei nach dem vorliegend anwendbaren deutschen Recht aber
zwingend Voraussetzung für die Eintragung einer Zweigniederlassung im Sinne von §§ 13 d Abs. 1 i.V.m. § 13 HGB.
2 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin.
II.
3 1. Das Gericht ist der Auffassung, dass nach der Rechtsprechung des EuGH es die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 48 EG verbietet, an die
Eintragung der Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig gegründeten Gesellschaft
höhere Anforderungen zu stellen als an die Eintragung der Gesellschaft in diesem Land selbst (EuGH Urteil vom 09.03.1999 Rs. C-21297 -
Centros, EuGH Urteil vom 05.11.2002 Rs. C-209/00 - Überseering und EuGH Urteil vom 30.09.2003 Rs. C-167/01 - Inspire Art). Der EuGH geht in
den bezeichneten Urteilen davon aus, dass sich Eintragungserfordernisse des Niederlassungsstaates, die über die gesellschaftsrechtlichen
Erfordernisse des Rechts des Gründungsstaates hinausgehen, als nicht gerechtfertigte Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit darstellen.
Daraus folgt nach Ansicht des Gerichts, dass dies umgekehrt erst recht für die Eintragung einer Zweigniederlassung gelten muss. Denn erst durch
die Gründung einer Zweigniederlassung (oder durch eine Sitzverlegung ins Ausland) macht eine Gesellschaft von der Niederlassungsfreiheit
Gebrauch. Die Niederlassungsfreiheit beschränkt sich dabei nicht nur auf die Gründungsphase einer Gesellschaft, sondern verbietet es auch, das
Recht des Niederlassungsstaats "während des Bestehens der Gesellschaft" (EuGH Inspire Art, Tz 104) anzuwenden, soweit es - insoweit
entgegen dem Recht des Gründungsstaates - die Ausübung der Niederlassungsfreiheit behindert, vgl. Kögel, DB 2004, 1763, 1764 f.; Behrens,
Iprax 2004, 20, 24.
4 2. Das deutsche Recht über die Eintragung von Zweigniederlassungen, §§ 13 ff. HGB, trägt dem Rechnung, indem es zwar Zweigniederlassungen
ausländischer Gesellschaften wie Hauptniederlassungen deutscher Gesellschaften behandelt, dies aber unter den Vorbehalt stellt, dass das
ausländische Recht Abweichungen nötig macht, vgl. § 13 g V 2 HGB).
5 3. Wurde deshalb die Beschwerdeführerin gemäß den Vorschriften des Vereinigten Königreichs rechtswirksam errichtet, unterliegt sie dem Statut
dieses Staates. Mithin muss es ihr nach Auffassung des Gerichts möglich sein, im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft Zweigniederlassungen
zu errichten unter der Voraussetzung, dass ihr dies auch nach ihrem Gründungsstatut möglich ist.
6 4. Bei einer erneuten Entscheidung wird das Registergericht zu berücksichtigen haben, dass die den §§ 13 ff. HGB zugrunde liegenden
Erwägungen, die auf den Schutz des Gläubigers bzw. auf die Verhinderung einer missbräuchlichen Anwendung des Gesellschaftsrechts eines
anderen Mitgliedstaats zur Umgehung deutscher gesellschaftsrechtliche Schutzvorschriften abzielen, ebenfalls im Lichte der Rechtsprechung des
EuGH anzustellen sind. Der Gerichtshof hat in nunmehr gefestigter Rechtsprechung entschieden, dass die Wahl des Gesellschaftsrechts eines
anderen Mitgliedstaates nur Ausfluss der Ausübung der Niederlassungsfreiheit ist und deshalb gerade keinen Missbrauchstatbestand darstellen
kann. Des Weiteren bewirkt die kumulative Anwendung englischen und deutschen Rechts einen doppelten Schutz der Gläubiger und ist daher
nicht zur Erreichung des verfolgten Zwecks zwingend erforderlich. Mithin können solche Überlegungen eine Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit nicht rechtfertigen.