Urteil des LG Stuttgart vom 15.02.2005

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LG Stuttgart Urteil vom 15.2.2005, 20 O 389/03
Zahnarzthaftung: Perforation der Kieferhöhlenschleimhaut beim Sinuslift
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % hieraus seit dem 27.01.2004 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und
künftigen materiellen Schäden aus der zahnärztlichen Behandlung vom 26.04.1999 zu ersetzen, soweit letztere nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte 58 % und die Klägerin 42 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
a) für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages,
b) für den Beklagten ohne Sicherheit. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in dieser Höhe leistet.
6. Der Streitwert wird auf 12.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Strittig sind Ansprüche aus einem zahnärztlichen Behandlungsvertrag.
2
Die Klägerin suchte den Beklagten am 16.03.1999 auf. Während der Untersuchung wurden bei der Klägerin weit expandierende Kieferhöhlen
verbunden mit einem extremen Abbau des Kieferknochens festgestellt. Die fünf noch im Oberkiefer vorhandenen Zähne waren wegen der
starken Lockerung sowie tiefer Zahnfleischtaschen nicht mehr erhaltungswürdig. Da die Klägerin eine Gaumenplatte mit einer herausnehmbaren
Teleskopbrücke zur Versorgung ihres Oberkiefers ablehnte, empfahl der Beklagte, alle Zähne im Oberkiefer zu extrahieren, in die dann
zugänglichen Kieferhöhlen knochenaufbauende Substanzen einzubringen und dieses Knochenmaterial zum Verankern von Implantatschrauben
zu verwenden.
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Entsprechend diesem Therapieplan wurden am 12.04.1999 die Restzähne im Oberkiefer gezogen. Die Auffüllung des Kieferhöhlenbodens mit
dem Augmentationsmaterial "Bio-Oss" (=Sinuslift) sowie die Anhebung der Kieferkämme erfolgte am 26.04.1999. Im Anschluss an diese
Behandlung wurde der Klägerin eine provisorische Prothese übergeben.
4
Am 03.12.1999 wurde von einem Kieferchirurgen das noch vorhandene Knochenersatzmaterial zum Teil wieder entfernt. Zur Zeit verwendet die
Klägerin einen herausnehmbaren Zahnersatz.
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Die Klägerin trägt vor,
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die vom Beklagten durchgeführte Sinuslift-Operation sei nicht mehr zeitgemäß. Der Beklagte hätte entweder die Augmentation mit
körpereigenem Knochen und nicht mit Bio-Oss, das nicht richtig verknöchere, durchführen oder Disk-Implantate verwenden müssen. Während
diese Implantate auch ohne Sinuslift im atrophierenden Knochen verankert werden könnten, hätte die Transplantation von Eigenknochen das
Abstoßungs- und Infektionsrisiko reduziert.
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Die Augmentation sei nicht fachgerecht erfolgt. Die infolge der Extraktionen eingetretenen Entzündungen seien bei Einbringung des
Knochenersatzmaterials noch nicht abgeklungen gewesen. Der Beklagte habe auf der linken Seite des Oberkiefers zu viel
Knochenersatzmaterial eingebracht und dadurch das Belüftungsloch verschlossen. In der Folge sei es zu einer Vereiterung dieser Region
gekommen. Das Knochenersatzmaterial sei auch nicht vor Einbringen in die Kieferhöhle in einen netzartigen Schlauch aus resorbierbarem
Material eingefüllt worden. Es habe sich deshalb in den Bereich des Nervus infraorbitalis verlagert und diesen Nerv dauerhaft beeinträchtigt. Die
Prothese habe sie nur während eines Fluges nach Spanien getragen. Eine von ihr zu verantwortende Beeinträchtigung des eingebrachten
Knochenersatzmaterials sei daher nicht erfolgt.
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Der Beklagte habe sie nur unzureichend aufgeklärt. Er habe sie weder auf die mögliche Verwendung von Disk-Implantaten noch auf eine
Transplantation von Eigenknochen hingewiesen. Bzgl. des Augmentationsmaterials sei sie davon ausgegangen, dass es sich bei Bio-Oss um ein
Kunststoffmaterial handle. Das Wort "bovin" habe der Beklagte ihr gegenüber nicht verwandt. Hätte der Beklagte ihr im April 1999, also während
des BSE-Skandals, mitgeteilt, dass Bio-Oss aus Rinderknochen hergestellt wird, hätte sie in diese Behandlung nicht eingewilligt. Auch heute
könne eine Krankheitsübertragung nicht vollkommen ausgeschlossen werden.
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Infolge der Behandlung durch den Beklagten leide sie unter anhaltenden Kieferhöhlenentzündungen. Die gesamte linke Gesichtshälfte
schmerze. Die Oberlippe sei taub und hänge links nach unten. Ihr Sehvermögen und ihr Gleichgewichtssinn seien gestört. Außerdem empfinde
sie ein unerträgliches Brennen im Kopf. Aus dem Oberkiefer würden weiße Partikel und Eiter austreten. Die von ihr zur Zeit verwandte Prothese
halte nicht. Kauen bereite ihr Schmerzen.
10 Die Forderung sei nicht verjährt. Sie habe die Behandlungsunterlagen des Beklagten erst im Jahr 2001 von diesem erhalten. Die Unterlagen des
nachbehandelnden Arztes, aus denen sich die Fehler des Beklagten ergeben würden, seien ihr am 24.08.2003 übergeben worden. Von der
Verpflichtung des Arztes, über die Verwendung von Bio-Oss aufzuklären, habe sie erst nach Klageinreichung erfahren.
11 Die Klägerin beantragt,
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1. den Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
mindestens jedoch einen Betrag von 10.000,– Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 27.04.1999 an die Klägerin zu verurteilen,
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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen
materiellen Schäden aus der zahnärztlichen Behandlung vom 26.04.1999 zu ersetzen, soweit letztere nicht auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
14 Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
16 Der Beklagte trägt vor,
17 die bei der Klägerin durchgeführte Augmentation sei "state of the art". Bio-Oss zähle zu den am besten untersuchten Materialien. Die Gefahr einer
Krankheitsübertragung bestehe nicht. Disk-Implantate seien wissenschaftlich überholt. Sei seien instabil und würden leicht brechen. Die
Kieferknochen der Klägerin seien zur Aufnahme dieser Scheibenimplantate nicht breit genug gewesen.
18 Die Augmentation sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der bei der Augmentation betroffene Teil des Zahnhalteapparats sei zu diesem
Zeitpunkt ausgeheilt gewesen. Die Einfüllung des Materials in einen Schlauch sei nicht erforderlich. Diese sogenannte "Kieler Wurst" sei vor 15
bis 20 Jahren bei der Versorgung mit herausnehmbaren Prothesen verwandt worden.
19 Weder bei einem Hausbesuch am 27.04.1999 noch bei den anschließenden Wundkontrollen hätten sich Auffälligkeiten gezeigt. Er vermute, dass
die Klägerin die Prothese entgegen der ausdrücklichen Weisung zu früh eingesetzt und sich dadurch das Augmentat verschoben habe.
20 Er habe die Klägerin über die Notwendigkeit eines "inneren Kieferknochenaufbaus" sowie über die im Bereich der Zähne 24, 14, 15 bis 17 und
25 bis 27 zusätzlich erforderliche "äußere" aufbauende Kieferkammplastik aufgeklärt. Dabei habe er der Klägerin auch die Notwendigkeit einer
Einheilungszeit von sechs bis acht Monaten im Anschluss an den Sinuslift deutlich gemacht. Die Klägerin sei sowohl über die Risiken wie z.B.
Nervenläsionen, Gefühlsbeeinträchtigungen etc. als auch die Möglichkeit der Eigenknochentransplantation hingewiesen worden. Die Klägerin
habe ausdrücklich die Verwendung von Knochenersatzmaterial gewünscht. Auf dessen bovine Herkunft habe er die Klägerin aufmerksam
gemacht.
21 Im Übrigen seien eventuell bestehende Schadensersatzansprüche verjährt. Die Verjährung habe spätestens mit der Operation am 03.12.1999
begonnen.
22 Für den restlichen Parteivortrag wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen. Entsprechend dem Beweisbeschluss vom 06.04.2004 wurde ein
schriftliches Gutachten (Bl. 146 ff d. A.) eingeholt. Dieses Gutachten wurde vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom
25.01.2005 erläutert. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten sowie auf die Sitzungsniederschrift
(Bl. 222 ff d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
23 Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet.
I.
24 Der Beklagte ist gemäß § 847 Abs. 1 BGB a.F. verpflichtet, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR zu bezahlen.
25 1. Der Beklagte hat im Rahmen der Operation vom 26.04.1999 in die körperliche Integrität der Klägerin auf rechtswidrige Art und Weise
eingegriffen. Entgegen den Ausführungen des Beklagten wurde die Klägerin nicht in ausreichendem Maße über die technische Durchführung
der Operation aufgeklärt.
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a) Die bei jedem ärztlichen Eingriff gegebene tatbestandliche Körperverletzung ist nur gerechtfertigt, wenn der Patient nach einer
ausreichenden Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hat. Für eine derartige Aufklärung ist es zwar nicht erforderlich, dass der Arzt dem
Patienten sämtliche medizinischen Einzelheiten über den vorgesehenen Eingriff vermittelt. Der Patient muss jedoch durch die Aufklärung
in die Lage versetzt werden, selbstverantwortlich über seinen Körper zu entscheiden. Dazu müssen u.a. die für eine Durchführung der
Operation sprechenden Umstände, mögliche Behandlungsalternativen sowie deren technische Ausführung in verständlicher Form
dargelegt werden. Dies war hier nicht der Fall.
27
b) Zwar war der Beklagte nicht verpflichtet, während des Aufklärungsgesprächs auf Disk-Implantate hinzuweisen. Da die Stifte, auf denen
der Zahnersatz bei diesen Implantaten montiert wird, schmal dimensioniert sind, besteht die Gefahr, dass die Implantate brechen. Ihnen
kommt daher – unabhängig von den von der Klägerin zitierten, die krankenkassenrechtliche Abrechnung betreffenden Fälle einer
erfolgreichen Verwendung von Disk-Implantaten – lediglich eine Außenseiterrolle zu. Vom Risikospektrum und vom Wirkungsgrad hätten
diese Implantate entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen keine echte und damit nicht hinweispflichtige
Behandlungsalternative dargestellt.
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c) Eine Hinweispflicht bestand jedoch hinsichtlich des vom Beklagten verwandten Knochenersatzmaterials. Dabei kann dahinstellt bleiben,
ob der Beklagte die Klägerin auf dessen bovine Herkunft hingewiesen hat oder nicht. Selbst wenn der Beklagte während der
Aufklärungsgespräche die Bezeichnung "bovin" verwandt hätte, würde ein derartiger Hinweis nicht ausreichen.
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aa) Wie die Klägerin in der mündliche Verhandlung vom 25.01.2005 (Bl. 224 d. A.) unbestritten ausgeführt hat, war ihr die Bedeutung
dieses Wortes zumindest im Zeitpunkt der Behandlung nicht bekannt. Der Beklagte konnte dieses Wissen bei der Klägerin auch
nicht unterstellen.
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Allein die Tatsache, dass die Klägerin nach ihren Angaben ein naturheilkundliches Studium absolviert hat (Bl. 88 d. A.), rechtfertigt
einen derartigen Rückschluss nicht. Auch die zahlreichen Berichte und Reportagen in den Medien in dieser Zeit über die bovine
spongiforme Encephalopathie lassen eine derartige Annahme nicht zu. Diese Rinderkrankheit wurde unter ihren
Anfangsbuchstaben (BSE) bekannt und war auch nur unter dieser Abkürzung allgemeiner Gesprächsgegenstand.
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Der Beklagte konnte somit nicht darauf vertrauen, dass die Klägerin als medizinischer Laie eine Verbindung zwischen dem Begriff
"bovin" und dem bei ihr zu implantierenden Knochenersatzmaterial herstellt.
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bb) Die Herkunft des Knochenersatzmaterials stellt auch eine aufklärungswürdige Tatsache dar.
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Zwar handelt es sich bei Bio-Oss unstrittig um ein zertifiziertes Medizinprodukt. Da jedoch einerseits das Einwachsen des bovinen
Knochenersatzmaterials und damit dessen Verbleib im Körper der Klägerin Voraussetzung für die Implantation war und
andererseits mit der Transplantation von Eigenknochen eine Behandlungsalternative bestand, war der Beklagte – unabhängig von
dem nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht gegebenen, aber auch nicht mit 100%iger Sicherheit auszuschließenden
Übertragungsrisiko – zumindest im Frühjahr 1999 verpflichtet, die Klägerin ausdrücklich auf die Gewinnung dieses Materials aus
Rinderknochen hinzuweisen.
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cc) Hätte der Beklagte die Klägerin über die Herkunft des Knochenersatzmaterials informiert, hätte die Klägerin diesem Eingriff nicht
zugestimmt.
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Dem steht nicht entgegen, dass die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2004 (Bl. 87 d. A.) übereinstimmend erklärt
haben, dass die Klägerin wegen des bei einer Transplantation vom Beckenkamm notwendigen Krankenhausaufenthaltes sowie der
damit verbundenen Kosten die Verwendung von autologem Knochen abgelehnt habe. Im Zeitpunkt dieser Ablehnung hatte die
Klägerin keine Kenntnis von der tatsächlichen Beschaffenheit des Knochenersatzmaterials "Bio-Oss". Entsprechend dem
unstrittigen Vortrag der Klägerin (Bl. 88 d. A.) ist sie davon ausgegangen, dass es sich bei Bio-Oss um einen Kunststoff handle.
Aufgrund des von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführten naturheilkundlichen Studiums sowie des während der
Behandlungszeit aufgetretenen BSE-Skandals und der darauf zurückzuführenden allgemeinen Unsicherheit bezüglich
Rinderprodukten ist das Gericht überzeugt, dass die Klägerin dieser Operationsmethode die Zustimmung verweigert hätte.
36 2. Die weiteren von der Klägerin gerügten Behandlungsfehler konnte der Sachverständige nicht bestätigen.
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Laut der Bewertung im schriftlichen Gutachten (Bl. 157 d. A.) entsprach sowohl das vom Beklagten verwandte Material als auch das
technische Vorgehen dem Stand der Technik und der Wissenschaft im Jahr 1999. Der Zeitraum zwischen den letzten Extraktionen sowie der
Einbringung des Knochenersatzmaterials war noch angemessen (Bl. 223 d. A.). Die Verwendung von zu viel Knochenersatzmaterial konnte
durch die Röntgenaufnahmen nicht bestätigt werden. Dabei lagen dem Sachverständigen entsprechend seinen mündlichen Angaben in der
Verhandlung vom 25.01.2005 die Röntgenaufnahmen des nachbehandelnden Arztes ebenfalls vor (Bl. 224 d. A.). Hinsichtlich der Frage der
sogenannten "Kieler Wurst" hat der Sachverständige auf die Ausführungen des Beklagten verwiesen und diese bestätigt (Bl. 152 d. A.).
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Insgesamt ist daher von einem "korrekten befundadäquaten Vorgehen" (Bl. 156 d. A.) auszugehen.
39 3. Für die durch die Operation bei der Klägerin eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00
EUR angemessen.
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a) Die Operation wurde vergeblich durchgeführt. Das eingebrachte Knochenersatzmaterial ist nahezu vollständig verloren. Die Klägerin
trägt zur Zeit eine Prothese.
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Bei der Klägerin hat sich das dem Knochenersatzmaterial "Bio-Oss" eigene Risiko verwirklicht. Dieses Material ist zwar einerseits
aufgrund seiner hohen Porosität gut für implantologische Maßnahmen geeignet. Es wird durch den das Material umwachsenden
Knochen integriert und vitalisiert. Andererseits begründet die Porosität des Materials auch eine ideale Ablagerungsmöglichkeit von
Bakterien, die mangels Durchblutung nicht abgetötet werden können. Bei einer Infektion muss daher häufig das Material zumindest
teilweise entfernt werden.
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Zu einer derartigen Entzündung ist es nach den Feststellungen des Sachverständigen in der Kieferhöhle der Klägerin gekommen. Dabei
konnte der Sachverständige zwar keine konkreten Angaben über die Ursachen dieser Entzündung machen. Ein zu frühes Einsetzen der
Prothese durch die Klägerin – wie vom Beklagten behauptet – als Ursache für ein Verrutschen des Augmentats verbunden mit den
späteren Entzündungen konnte der Sachverständige jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen (Bl. 153 d.
A.). Wahrscheinlicher ist nach dem Sachverständigen eine Perforation der Schleimhaut im Bereich der Alveolarkämme des Oberkiefers.
Ob diese Perforation im Rahmen der Wundheilung eingetreten ist oder kleine Verletzungen beim Essen mit oder ohne Prothese dafür
verantwortlich sind, konnte der Sachverständige nicht sagen.
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Infolge dieser Entzündung wurde das Knochenersatzmaterial zum größten Teil nicht in die Kieferhöhlen integriert. Es musste
entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen – wie am 03.12.1999 geschehen – wieder entfernt werden, so dass die linke
Kieferhöhe der Klägerin nunmehr von Knochenersatzmaterial wieder vollkommen frei ist, während im Bereich der rechten Kieferhöhle
dieses Material noch zum Teil vorhanden ist. Die vom Beklagten durchgeführte Anhebung der Kieferkämme ist ebenfalls vollständig
verloren.
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b) Die implantologische Versorgung der Klägerin wurde um 13 Monate verzögert.
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Gemäß den Angaben des Sachverständigen musste das nicht zur Verankerung von Implantaten geeignete Knochenersatzmaterial
wieder entfernt werden. Nach dieser, vom nachbehandelnden Arzt am 03.12.1999 durchgeführten Entfernung war eine sofortige
Fortführung der Implantatseinsetzung nicht möglich. Notwendig war vielmehr noch eine Heilungszeit von sechs bis neun Monaten.
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c) Eine Prothese kann nunmehr lediglich beschränkt von der Klägerin getragen werden.
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Die von der Klägerin geschilderten Missempfindungen beim Berühren des Gaumens sowie das Bedürfnis, die Prothese
herauszunehmen, sind eine Folge der Operation und der darauf beruhenden Infektion der Kieferhöhlen. Laut dem Sachverständigen
lagen die für die Versorgung dieses Gebietes zuständigen Nerven in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Infektgeschehen, so dass die
Beschwerden der Klägerin nachvollziehbar sind (Bl. 156 d. A.). Die Beeinträchtigungen durch Gefühlsstörungen im Bereich der Wange
und der Oberlippe sind ebenfalls auf die Operation sowie die später eingetretene Infektion zurückzuführen.
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d) Weitere mit der Behandlung durch den Beklagten zusammenhängende Beeinträchtigungen der Klägerin sind zu verneinen.
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Der eingeschränkte Prothesenhalt ist laut dem Sachverständigen ebenso wie der erheblich abgeflachte Oberkiefer verbunden mit dem
großen Abstand zum Unterkiefer auf den bei der Klägerin bereits vor der Operation begonnenen parodontalen Knochenabbau
zurückzuführen. Dasselbe gilt für den fast vollständigen Verlust der Oberkieferkontur (Bl. 156 ff. d.A.).
50 4. Die Schmerzensgeldforderung ist noch nicht verjährt.
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Die Verjährung begann frühestens gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F., Artikel 229, § 6 Abs. 1 EGBGB mit Übergabe der Behandlungsunterlagen
im Jahr 2001. Erst zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin in der Lage, sich Kenntnis über den Behandlungsverlauf zu verschaffen. Die
dreijährige Verjährungsfrist des § 852 Abs. 1 BGB a.F. sowie des § 195 BGB n.F. war folglich bei Anhängigkeit der Klage noch nicht
abgelaufen.
52 Der Beklagte ist somit aufgrund der rechtswidrig durchgeführten Operation und den darauf zurückzuführenden Gesundheitsbeeinträchtigungen
verpflichtet, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR zu bezahlen.
II.
53 Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO für die Erhebung einer Feststellungsklage auch für "alle vergangenen ... materiellen Schäden" sind
trotz Abschluss der Behandlung durch den Beklagten zu bejahen. Die Fortführung der implantologischen Behandlung der Klägerin sowie die
Verwertbarkeit des sich in der rechten Kieferhöhle abgelagerten Knochenersatzmaterials ist im Hinblick auf den fortgeschrittenen
Knochenschwund bei der Klägerin vollkommen ungewiss. Eine Aussage über den Umfang des der Klägerin entstandenen und noch zukünftig
entstehenden Schadens ist somit zur Zeit noch nicht möglich und hängt von der Art und Weise der weiteren Behandlung ab.
54 Da außerdem eine Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB a.F. zu bejahen ist (vgl. oben), war der Feststellungsklage
stattzugeben.
III.
55 Der Verzugsschaden richtet sich nach §§ 284 Abs. 1, 291 BGB a.F.. Die von der Klägerin geltend gemachte Zinshöhe wurde seitens des
Beklagten nicht bestritten. Eine Mahnung des Beklagten wurde von der Klägerin nicht vorgetragen. Die Klage wurde dem Beklagten am
27.01.2004 zugestellt.
IV.
56 Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO.