Urteil des LG Stuttgart vom 11.07.2002

LG Stuttgart: amtshandlung, gebühr, vollstreckungstitel, rechtsgrundlage, zustellung, umkehrschluss, aufwand, nummer, zahl, anspruchshäufung

LG Stuttgart Beschluß vom 11.7.2002, 19 T 180/02
Kosten des Gerichtsvollziehers: Einheitliche Vollstreckung aus mehreren Titeln
Leitsätze
Wenn ein Gläubiger Vollstreckungsauftrag aufgrund mehrerer Titel erteilt, ist kostenrechtlich von einem Zwangsvollstreckungsauftrag auszugehen.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 11.04.2002 (1 M 589/02) dahingehend abgeändert,
dass die Gläubigerin nach dem Kostenansatz der Gerichtsvollzieherin beim Amtsgericht Böblingen vom 03.01.2002 (DR II 2391/01) EUR 65,-- zu
entrichten hat. Im übrigen wird der Kostenansatz aufgehoben.
2. Die Staatskasse wird angewiesen, die bereits zuviel entrichteten Gebühren zurückzuerstatten.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Aufgrund Auftrags der Gläubigerin, einer Versicherungsgesellschaft, vom 15.10.2001, dem 2 Vollstreckungsbescheide des Amtsgerichts Hagen
jeweils vom 23.08.2001 (01-6556491-0-9 und 01-6556492-0-5) gegen die Schuldnerin über eine Gesamtforderung i.H.v. EUR 3.487,41
beigefügt waren, hat die Gerichtsvollzieherin nach erfolglosem Pfändungsversuch der Schuldnerin die eidesstattliche Versicherung
abgenommen und die angefallenen Gebühren wie folgt in Rechnung gestellt:
2
Zustellung KV 100/101/600
7,50 EUR
Erfolglose Amtshandlung KV 604 (2 x 12,50 EUR) 25,00 EUR
EV-Gebühr KV 260 (2 x 30,00 EUR)
60,00 EUR
Wegegeld Pauschale KV 711
5,00 EUR
Auslagen Pauschale KV 713 (2 x 10,00 EUR)
20,00 EUR
-----------------------------------------------
----------
Summe
117,50 EUR
9
Gegen diesen Kostenansatz hat die Gläubigerin mit Schreiben vom 22.01.2002 insoweit Erinnerung eingelegt, als teilweise die doppelten
Gebühren (für die Vollstreckung aus 2 Titeln) angesetzt worden sind, mit der Begründung, sie habe aus wirtschaftlichen Gründen einen
einheitlichen Auftrag i.S.v. § 3 Abs. 1 GvKostG erteilt. Unabhängig von der Anzahl der Schuldtitel handele es sich um einen Auftrag im
kostenrechtlichen Sinn. Die Vertreterin der Staatskasse ist der Erinnerung mit der Begründung entgegengetreten, bei Vorlage mehrerer Titel sei
jeder als gesonderter Auftrag zu behandeln.
10 Mit dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 11.04.2002 wurde der Rechtsbehelf zurückgewiesen mit der Begründung, bei
Vorlage mehrerer Titel sei jeder als gesonderter Auftrag zu behandeln.
11 Gegen die ihr am 15.04.2002 zugestellte Entscheidung wendet sich die Gläubigerin mit der am 25.04.2002 beim Amtsgericht Böblingen
eingegangenen Beschwerde. Zu Unrecht sei eine "Doppelbelastung" i.H.v. EUR 52,50 erfolgt. Der Amtsrichter hat der Beschwerde mit Beschluss
vom 07.05.2002 nicht abgeholfen und die Akte zur Entscheidung dem Landgericht vorgelegt.
12 Die Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 09.07.2002 das Verfahren der Kammer gem. § 568 S. 2 Ziff. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung
übertragen, so dass unabhängig von der Frage, ob nicht ohnehin bei einer Beschwerde gegen den Kostenansatz originär die Kammer zuständig
ist, die Kammer vorliegend zu entscheiden hat.
II.
13 Die gem. § 5 Abs. 2 GvKostG, § 5 Abs. 2 GKG zulässige Beschwerde der Gläubigerin ist auch in der Sache begründet.
14 Zutreffend macht die Gläubigerin geltend, dass, obgleich 2 Titel dem Auftragsschreiben beigefügt waren, von einem Auftrag im kostenrechtlichen
Sinn auszugehen ist. Mithin berechnen sich die im vorliegenden Fall gem. § 3 GvKostG i.d.F. v. 19.04.2001 (BGBl. I 623 ff) angefallenen Kosten
wie folgt:
15 Zustellung KV 100/101/600
7,50 EUR
Erfolglose Amtshandlung KV 604 (1 x 12,50 EUR) 12,50 EUR
EV-Gebühr KV 260 (1 x 30,00 EUR)
30,00 EUR
Wegegeld Pauschale KV 711
5,00 EUR
Auslagen Pauschale KV 713 (1 x 10,00 EUR)
10,00 EUR
-----------------------------------------------
----------
Summe
65,00 EUR
22 Die Kammer vertritt die Auffassung, dass § 3 Abs. 1 GvKostG keine Rechtsgrundlage dafür bietet, einen vom Gläubiger einheitlich erteilten
Auftrag, dem mehrere Vollstreckungstitel zugrunde liegen, kostenrechtlich wie mehrere Aufträge zu behandeln.
23 Nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck des Gesetzes lässt § 3 GvKostG eine eindeutige, den Rechtsuchenden bzw. Schuldner belastende
Auslegung dahin, dass jeder Titel, der einer Auftragserteilung zugrundeliegt, als gesonderter Auftrag im Sinne dieser Norm zu betrachten ist,
nicht zu (so Lappe Rpfl 2002, 89, Winterstein, GvKostRecht, 9. Aufl. Anm. 2d zu § 3 GvKostG, Spring JurBüro 2002, 9, LG Hagen Beschluss vom
08.04.2002 - 3 T 96/02 -, LG Passau DGVZ 2002, 43, LG Wuppertal Rpfl 2002, 88, LG Hamburg Rpfl 2002, 370, LG Koblenz Rpfl 2002, 371, AG
Lüneburg Rpfl 2002, 373; entgegen Schröder-Kay, Das Kostenwesen der Gerichtsvollzieher, 11. Aufl. Rn. 11 zu § 3 GvKostG, Kessel DGVZ
2001, 149, LG Duisburg DGVZ 2002, 59, LG Karlsruhe Beschluss v. 06.02.2002 - 11 T 575/01 - und zahlreiche Amtsgerichte wie AG Stuttgart, AG
Böblingen, AG Ludwigsburg, AG Backnang). Wenn anderes gelten soll, muss dies der Gesetzgeber eindeutig sagen (Lappe aaO). Der Bürger
darf nur mit staatlichen Kosten und Gebühren belastet werden, wenn es hierfür eine zweifelsfreie Rechtsgrundlage gibt.
24 Der Begriff des Auftrags findet sich u.a. in § 3 und § 10 GvKostG. Gem. § 10 Abs. 1 S. 1 GvKostG wird bei Durchführung desselben Auftrags eine
Gebühr nach derselben Nummer des Kostenverzeichnisses nur einmal erhoben. Nach § 3 Abs. 1 GvKostG ist der Auftrag auf die Erledigung
einer oder mehrerer Amtshandlungen gerichtet. Hiernach ist der Auftrag Grundlage für die Berechnung von Gebühren und Auslagen und stellt
das Gesetz maßgebend auf die mit einem Auftrag angestrebten Amtshandlungen ab, nicht auf die Zahl der dem Auftrag bzw. der gewünschten
Amtshandlung(en) zugrundeliegenden Titel oder die Höhe der Vollstreckungsforderung(en). Auch bei einer Anspruchshäufung begehrt der
Gläubiger nur eine Vollstreckungsmaßnahme (Lappe aaO), erteilt mithin nur einen Auftrag.
25 Aus § 3 Abs. 2 GvKostG ergibt sich keineswegs eindeutig, dass jeder Vollstreckungstitel einen gesonderten Auftrag bedingt. Abs. 2 regelt
lediglich Fälle, in denen auch bei mehreren verschiedenen Amtshandlungen nur von einem - kostenrechtlichen - Auftrag auszugehen ist. Schon
dem Wortlaut der Norm kann ein weitergehender Regelungsgehalt nicht entnommen werden.
26 Namentlich aus § 3 Abs. 2 Nr. 3 GvKostG lässt sich auch nicht zwingend im Umkehrschluss herleiten, dass es sich um mehrere Aufträge handelt,
wenn der Gläubiger den Gerichtsvollzieher mit einer Vollstreckungshandlung aufgrund mehrerer Vollstreckungstitel beauftragt. Zutreffend haben
das LG Wuppertal und das LG Koblenz (aaO) ausgeführt, dass sich aus der Regelung genauso gut - wenn nicht eher - der Schluss ziehen lässt,
dass, wenn es sich schon um denselben Auftrag in den Fällen handelt, in denen der Gerichtsvollzieher gleichzeitig mit der Vornahme mehrerer
Amtshandlungen beauftragt wird, erst recht ein und derselbe Auftrag vorliegt, wenn der Gerichtsvollzieher mit der Erledigung nur einer
Amtshandlung, wenn auch aufgrund verschiedener Titel gegen den Schuldner, beauftragt wird.
27 Das Argument, der Gerichtsvollzieher habe bei Vorlage mehrerer Titel im Hinblick auf die Notwendigkeit der Prüfung der
Vollstreckungsvoraussetzungen und der Nachprüfung der Forderungsaufstellung einen Mehraufwand, mag zwar in der Regel zutreffend sein.
Der Gesetzgeber hat sich vorliegend aber für Festgebühren und nicht für eine Bemessung der Gebühren nach einem tatsächlichen Aufwand
entschieden und hat auch die Höhe der Gebühren nicht von der Höhe der Vollstreckungsforderung abhängig gemacht. Auch im Hinblick auf
andere, die Vollstreckung begleitenden Umstände, die die Tätigkeit eines Gerichtsvollziehers erschweren bzw. zeitaufwändig gestalten können,
findet im Gebührenrecht eine Erhöhung bzw. Vervielfachung der Gebühren nicht statt. Einen Ausgleich eines besonderen zeitlichen Aufwandes
schafft lediglich die Zeitgebühr nach KV 500.
28 Die Kostenentscheidung beruht auf § 5 Abs. 2 S. 2 GvKostG, § 5 Abs. 6 GKG.
29 Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 574 ZPO zugelassen.