Urteil des LG Stuttgart vom 16.09.2004

LG Stuttgart: gegen die guten sitten, ungerechtfertigte bereicherung, kreis, schenkung, sittenwidrigkeit, rechtsgeschäft, kapital, anwaltskosten, schneeballsystem, täuschung

LG Stuttgart Urteil vom 16.9.2004, 25 O 301/04
Ungerechtfertigte Bereicherung: Herausgabe des im Rahmen eines sog. „Frauen-Schenk-Kreises“ Geleisteten
Tenor
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 5.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.06.2004 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
b) Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/8 und die Beklagten als Gesamtschuldner 7/8.
c) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden
Betrags.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 150,00
abzuwenden, sofern nicht die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Streitwert: EUR 5.197,78
Tatbestand
1.
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Rückzahlung einer sog. Schenkung im Rahmen eines „Frauen - Schenk - Kreises“. Letzterer
funktioniert nach folgendem System, welches in den beteiligten Kreisen wie eine auf der Spitze stehende Pyramide dargestellt wird:
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Die oberste Reihe der Pyramide besteht aus 8 Teilnehmerinnen. Die Namen sind jeweils in ein symbolisiertes Herz eingetragen. In einem Herz
ist anstatt einer einzigen Teilnehmerin ist auch die gemeinsame Eintragung von zweien zulässig. Die Teilnehmerinnen der ersten Reihe sind die
Schenkenden, welche jede EUR 5.000,00 aufzubringen haben. Unter der Reihe dieser 8 Teilnehmerinnen folgt eine Reihe von 4 und darunter
eine weitere Reihe von 2 Teilnehmerinnen, welche weder bezahlen noch empfangen. An der Spitze der Pyramide unten steht schließlich die
letzte Teilnehmerin als Empfängerin, welche danach von den Teilnehmerinnen der ersten Reihe 8 x 5.000 EUR erhält, insgesamt also 40.000
EUR.
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Realisiert wird dieses System bei Treffen der Teilnehmerinnen, welche unterschiedlich, meist in Form von Einladungen, nicht selten in der
Wohnung der jeweiligen Empfängerin, organisiert werden. Bei diesen Treffen kommt es zur Schenkung an die Empfangende durch die neu
einzutragenden Teilnehmerinnen der obersten (Achter -) Reihe. Ist eine solche Auszahlung/Schenkung erfolgt, teilt sich die (auf der Spitze
stehende) Pyramide. Aus der ersten Achterreihe werden 2 selbständige Viererreihen eines jeweils neuen Systems, die bisherige Viererreihe
darunter teilt sich entsprechend zu den beiden neuen Zweierreihen und die bisherige Zweierreihe teilt sich in die 2 Spitzenteilnehmerinnen der
beiden neuen Systeme, welche dort die künftigen Empfängerinnen werden. Die beiden neuen Systeme müssen sich wieder ergänzen, indem
oberhalb der beiden (abgespaltenen) Viererreihen zusätzlich weitere 2 x 8 schenkende Teilnehmerinnen für die beiden neuen selbständigen
Achterreihen geworben werden. Durch ständige Teilung setzt sich dieses System fort, bis schließlich ein Mitglied der ursprünglichen Achterreihe
(Schenkerinnen) in die Position der Empfangenden vorgerückt ist.
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Unstreitig hat die Klägerin im Rahmen des beschriebenen Systems als Schenkende am 22.03.03 an die in einem Herz gemeinsam
eingetragenen Beklagten EUR 5.000 bezahlt, nachdem sie unstreitig schon seit 10.06.2002 an mehr als einem halben Dutzend solcher Schenk-
Kreise/Einladungen teilgenommen hatte. Ob sie sich dabei im Zuge einer Einladung am 02.07.2002 bereits schon einmal in die erste Reihe hat
eintragen lassen, ist streitig. Jedenfalls war es nicht unüblich, dass eine in der Spitzenposition angelangte Teilnehmerin das für eine Eintragung
in die oberste Achterreihe erforderliche Kapital für eines der Herzen ganz oder teilweise selbst zur Verfügung stellte, um den Schenkungsfall
herbeizuführen.
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Die Klägerin ist der Auffassung, das ganze System sei sittenwidrig, so dass sie ihre „Schenkung“ unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten
Bereicherung zurückverlangen könne. Die Beklagten seien sogar als Organisatorinnen anzusehen, welche die Fragwürdigkeit des Systems
gekannt hätten. Die Klägerin sei durch Täuschung und Schaffung eines angenehmen Ambientes und durch eine esoterische Verbrämung des
Ganzen und steuerliche Hinweise zur Unterstreichung der angeblichen Seriosität (vgl. Anl. A 3 - 5, 35 - 37) zur Teilnahme verleitet worden. Erst
später habe sie durch Medienberichte erfahren, dass es sich um ein sittenwidriges Schneeballsystem handle. Darauf und auf die Risiken des
Systems sei sie bei den Treffen nie hingewiesen worden.
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Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin ihre an die Beklagten bezahlten EUR 5.000 zurück sowie Ersatz von Anwaltskosten, die ihr im Rahmen einer
Beratung vor dem Prozeß entstanden seien (EUR 197,78 gem. Kostennote vom 27.05.04 - A 2, 5).
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Die Klägerin beantragt:
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Die Beklagten bezahlen gesamtschuldnerisch an die Klägerin EUR 5.197,78 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
19.06.2004,
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
11 Die Beklagten halten das Schenk-System nicht für sittenwidrig, da bis zur Auszahlung für eine Teilnehmerin der Achterreihe nur 31 weitere
(zahlende) Teilnehmerinnen geworben werden müssten. Nehme man alle parallel entstehenden Systeme zusammen, würden immer noch bloß
127 weitere benötigt.
12 Die Beklagten seien auch keineswegs Organisatorinnen, sondern einfache Teilnehmer, die selbst schon zweimal in die Spitzenposition
aufgerückt seien, dabei allerdings auch teilweise einen Einsatz für die erste Reihe mitfinanziert hätten.
13 Eine Täuschung oder ein Verleiten der Klägerin liege nicht vor, da die Teilnehmerinnen bei den ca. 14-tägigen Treffen immer aufgeklärt worden
seien. Die Klägerin habe vor ihrer ersten Einzahlung schon öfter an den Treffen teilgenommen und ein Jahr zuvor schon einmal einbezahlt. Sie
habe gewusst, auf was sie sich einlasse, so dass eine Rückforderung jedenfalls nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen sei. Sonstige
Anspruchsgrundlagen (UWG; §§ 823, 826 BGB; 263 StGB) seien nicht gegeben.
14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze und eingereichten Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
2.
15 Die zulässige Klage ist teilweise begründet hinsichtlich des einbezahlten Betrags von EUR 5.000, da die Zahlung der Klägerin an die Beklagten
ohne Rechtsgrund erfolgt ist und das zugrunde liegende Rechtsgeschäft sittenwidrig und nichtig ist.
16 a) Das der Zahlung der Klägerin zugrunde liegende Rechtsgeschäft ist keine zweckfreie unentgeltliche „Schenkung“, als die sie von den
Moderatoren des Systems offenbar dargestellt wird. Zweck ist vielmehr die Teilnahme am System in der Art eines Gewinnspiels mit dem Ziel, in
der Spitzenposition eine höhere Zahlung zu erlangen.
17 b) Dieses Systemspiel ist gem. § 138 I BGB sittenwidrig und nichtig. Bei einem Rechtsgeschäft ist dies dann der Fall, wenn Letzteres nach
seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht vereinbar
ist (BGH NJW 1997, 2314; BGHZ 106,269; BGH WM 1994, 1064, 1070).
18 I. Bedenklich ist schon die Höhe des „Spieleinsatzes“ von EUR 5.000, d.h. in einer Höhe, die ein durchschnittliches Monatseinkommen erheblich
übersteigt. Zweck dieser Kalkulation ist es offensichtlich, den Bewerbern einen beachtlichen Gewinn von EUR 40.000 innerhalb eines scheinbar
überschaubaren Zeitraums in Aussicht stellen zu können. Das System appelliert offensichtlich an das Gewinnstreben der Teilnehmer und
verdeckt dies durch eine gewisse Ideologie der Geborgenheit in einem immer größer werdenden Netz der Sicherheit, obwohl nach der
Konstruktion des Schenk-Kreises die Aussichten auf einen Gewinn gerade mit zunehmender Ausbreitung schwinden müssen, weil sich immer
mehr abgespaltene Systeme im Umlauf befinden, die immer neue Teilnehmerinnen benötigen.
19 II. Der Zeitraum bis zum erwarteten Gewinn ist bei der Gestaltung des Systems kaum kalkulierbar. Die es symbolisierende Pyramide erweckt den
Anschein, dass sich die Grundreihe der Pyramide von nur 8 Teilnehmerinnen ja nur dreimal teilen müsse, bis man selbst als Beschenkte an der
Reihe sei. Dabei wird aber verschleiert, dass allein für den „Zweig“ eines Teilnehmers der ersten Achterreihe, wie die Beklagten selbst erkennen,
31 weitere Zahlerinnen von jeweils EUR 5.000 geworben werden müssen und für alle sich gleichzeitig aufteilenden und parallel weiter
laufenden Systempyramiden insgesamt 127. Dies entspricht einem aufzubringenden Kapital von EUR 635.000. Die Werbung der
Teilnehmerinnen erfolgt zwangsläufig im Bekanntenkreis der Teilnehmerinnen, der sich jedenfalls teilweise decken wird und dessen Umfang
keineswegs in derselben rechnerischen Potenz zunimmt wie die Zahl der erforderlichen zusätzlichen Teilnehmerinnen.
20 III. Hinzu kommt, dass die Zahl der genannten 127 zu werbenden Neu-Teilnehmerinnen keineswegs die Obergrenze darstellt. Das System
beginnt ja nicht gerade bei der Pyramide, in welche eine Neu-Teilnehmerin jeweils gerade einsteigt. Jede Pyramide ist ihrerseits wieder ein
durch zahlreiche vorangegangene Teilungen entstandener Bruchteil des Gesamtsystems. Die Anlage A 3 spricht hier davon, dass der Frauen-
Schenk-Kreis schon seit über 15 Jahren laufen soll, so dass inzwischen schon zahllose Teilungen stattgefunden haben müssen. Sind die
Mitglieder einer jeden Pyramide aber selbst bereits Teil eines schon länger laufenden Systems, schwindet dadurch zwangsläufig die Aussicht, im
Bekanntenkreis neue Mitglieder werben zu können. Nicht besser sind die Aussichten, wenn das System, wie zu vermuten ist, zwar schon 15
Jahre im Schwange ist, dabei aber mehr oder weniger zahlreiche Untersysteme zusammengebrochen sind und sich nur immer wieder neue
Systeme gebildet haben, bei welchen naturgemäß immer nur die Initiatoren auf einer relativ sicheren Seite sind.
21 IV. In der Gesamtsicht handelt es sich bei dem Schenk-Kreis durchaus um ein einem Schneeballsystem vergleichbares System, bei welchem
zwar vielleicht nicht mit derselben mathematischen Sicherheit das zwangsläufige vollständige Erliegen des Systems und das Leer-Ausgehen der
später eintretenden Teilnehmer bewiesen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch das Schenk-Kreis-System alsbald und in nicht
unerheblichen Teilen zum Erliegen kommt, ist aber vergleichbar hoch, nicht zuletzt auch durch den erforderlichen Kapitaleinsatz von jeweils EUR
5.000 pro Teilnehmerin. Das System appelliert offensichtlich an die emotionale Ansprechbarkeit von Frauen über eine Art von
Geborgenheitsideologie, an ihre Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit wie auch an ein gewisses Gewinnstreben und muß insgesamt als
sittenwidrig angesehen werden.
22 V. Dass die Bewertung für das System zutrifft, ergibt sich nicht zuletzt aus der unstreitigen Entwicklung bei der Klägerin, welche nach über einem
Jahr immer noch nicht zum Zuge gekommen ist.
23 VI. Soweit die Beklagten einräumen, als Empfangende selbst der Komplettierung ihrer zahlenden Achterreihe nachgeholfen und den einen oder
anderen Platz dort mitfinanziert zu haben, beweist auch dies nur die Unseriosität des Systems.
24 c) Unerheblich ist, ob sich die Beklagten der Sittenwidrigkeit des Schenk-Kreises bewusst gewesen sind. Der Rückforderungsanspruch der
Klägerin hängt von einer solchen subjektiven Seite nicht ab. Eine verschärfte Haftung bei Kenntnis nach § 819 BGB steht hier nicht in Frage.
25 Ebenso kommt es nicht darauf an, ob und wie es im konkreten Fall Probleme bei der Akquisition neuer Teilnehmerinnen gegeben hat oder nicht.
Das Verdikt der Sittenwidrigkeit folgt aus dem System als solchem und ergibt sich nicht daraus, ob einem Teilnehmer im Einzelfall ein Nachteil
entstanden ist oder nicht.
26 Auch eine Strafbarkeit des Schenk-Kreis-Systems ist für einen Rückforderungsanspruch der Klägerin aus Bereicherungsrecht nicht erforderlich,
so dass dem nicht weiter nachzugehen war.
27 d) Die Klägerin ist mit ihrem Bereicherungsanspruch nicht gem. § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil ihr selbst durch ihre Leistung ein Verstoß
gegen die guten Sitten vorzuwerfen wäre. Dazu wäre erforderlich, dass sich die Klägerin bei Zahlung der EUR 5.000 dieses Verstoßes auch
bewusst gewesen ist oder sie sich dieser Einsicht leichtfertig verschlossen hat (BGHZ 50, 90, 92; BGH NJW 1997, 2314 m.w.N.). Hierfür gibt es
keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Die Beklagten nehmen im Gegenteil für sich in Anspruch, selbst an die Zulässigkeit des Schenk-Kreis-
Systems geglaubt zu haben, und halten es nach wie vor nicht für sittenwidrig. Dieses Bewusstsein müssen sie ohne das Vorliegen sonstiger
Anhaltspunkte auch der Klägerin für die Zeit der Zahlung zubilligen. Das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit hängt im vorliegenden Fall
insbesondere von einer Bewertung des Spiel-Systems ab, über welche man durchaus geteilter Meinung sein kann. Es kann daher insgesamt
nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin schon bei ihrem Beitritt der Sittenwidrigkeit bewusst gewesen ist. Ihr
Rückforderungsanspruch ist damit nicht ausgeschlossen, so dass die Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von EUR 5.000 zu verurteilen waren.
3.
28 Hinsichtlich der geltend gemachten Anwaltskosten von EUR 197,78 ist die Klage unbegründet und abzuweisen.
29 Unabhängig davon, ob der Klägerin insoweit überhaupt ein verschuldensabhängiger Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zusteht, ist
ein Anspruch jedenfalls deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen hat. Insoweit ist nicht
ersichtlich, weshalb sie den Rat zweier verschiedener Rechtsanwälte bedurft hat. Hätte sie den jetzigen Klägervertreter sofort um Rat gefragt,
wäre die angefallene Ratsgebühr in den Prozeßkosten aufgegangen und nicht zusätzlich angefallen. Dasselbe gilt, wenn die Klägerin nicht den
jetzigen Klägervertreter mit der Klage beauftragt hätte, sondern Rechtsanwalt M., bei welchem die Ratsgebühr angefallen ist. Auch wenn die
Klägerin danach verpflichtet ist, beide Anwälte zu bezahlen, kann sie die doppelt angefallene Ratsgebühr nicht ersetzt verlangen. Es muß
vielmehr bei der Kostenentscheidung für den vorliegenden Prozeß sein Bewenden haben.
4.
30 Die Kostenentscheidung und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 92 I 1; 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Es erschien dabei als
angemessen, die Kosten nicht ausschließlich nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in der Hauptsache zu quoteln, sondern auch
danach, welchen Mehrkostenanteil die Klägerin durch die wenngleich nur geringfügige Überschreitung der Streitwertgrenze von EUR 5.000
veranlaßt und deshalb auch zu tragen hat.