Urteil des LG Stuttgart vom 01.02.2005

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LG Stuttgart Beschluß vom 1.2.2005, 10 T 546/04
Rechtsanwaltsvergütung: Terminsgebühr bei Anerkenntnisurteil im schriftlichen Verfahren
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 16.12.2004 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 03.12.2004
Aktenzeichen: 11 C 2079/04 - wie folgt abgeändert:
Der Beklagte hat aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Amtsgerichts Nürtingen vom 11.11.2004 - Az.: 11 C 2079/04 - 581,50 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des BGB seit 19.11.2004 an die Klägerin zu erstatten.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde zum BGH wird zugelassen.
Beschwerdewert: 226,00 EUR.
Gründe
I.
1
Im vorliegenden Verfahren erließ das Amtsgericht Nürtingen am 11.11.2004 ein schriftliches Anerkenntnisurteil gemäß § 307 ZPO, da der
Beklagte nach der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens durch das Amtsgericht Nürtingen die streitgegenständliche Forderung anerkannte.
2
Die Klägerin und Beschwerdeführerin beantragte daraufhin die Kosten gegen den Beklagten gemäß §§ 103 ff. ZPO festzusetzen und begehrte in
ihrem Antrag insbesondere auch die Festsetzung der Terminsgebühr gemäß § 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG in Höhe von 226,80 EUR.
3
Das Amtsgericht Nürtingen erließ am 03.12.2004 den Kostenfestsetzungsbeschluss, nach welchem der Beklagte 354, 70 EUR nebst Zinsen an
die Klägerin zu erstatten hat (Blatt 40/41 der Akte). Die beantragte Festsetzung der Terminsgebühr wurde mit der Begründung abgelehnt, dass
nach der ersatzlosen Streichung des § 307 Abs. 2 ZPO eine Terminsgebühr nach VV 3104 RVG nicht mehr entstünde.
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Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde der Klägerin am 06.12.2004 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 16.12.2004 legte sie hiergegen sofortige
Beschwerde ein, (Blatt 44/45 der Akte). In ihrer Beschwerdebegründung ist die Klägerin weiterhin der Ansicht, dass die Terminsgebühr
angefallen und erstattungsfähig sei.
5
Mit Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 20.12.2004 wurde der Rechtsstreit dem Landgericht vorgelegt.
6
Der Beklagte erhielt Gelegenheit zur sofortigen Beschwerde Stellung zu nehmen.
II.
7
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 567 Abs. 1 und 2 ZPO statthaft und wurde innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1
ZPO eingelegt.
8
Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Nürtingen vom 03.12.2004 war
abzuändern, da die Terminsgebühr gemäß § 13 Abs. 1, Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV (Vergütungsverzeichnis) RVG in Höhe von 226,80 EUR beim
Klägervertreter angefallen war.
9
Gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV entsteht die Terminsgebühr,
10 „wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder gemäß § 307 Abs. 2 oder
§ 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird, ...“.
11 Vor Inkrafttreten des 1. Justizmodernisierungsgesetzes wäre im vorliegenden Fall des § 307 Abs. 2 ZPO eine Terminsgebühr entstanden. Durch
Artikel 1 Nr. 9 a des 1. Justizmodernisierungsgesetzes, welches seit 01.09.2004 in Kraft ist, wurde § 307 Abs. 2 ZPO ersatzlos gestrichen.
Stattdessen wurde § 307 ZPO wie folgt formuliert: „Erkennt eine Partei den gegen sie geltend gemachten Anspruch ganz oder zum Teil an, so ist
sie dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen. Einer mündlichen Verhandlung bedarf es insoweit nicht.“
12 Die neue Fassung des § 307 ZPO umfasst damit die frühere Regelung des § 307 Abs. 2 ZPO. Der Text des VV 3104 I Nr. 1 wurde dem neuen
Gesetzeswortlaut jedoch nicht angepasst. Im Hinblick auf die Gebührenregelung im Vergütungsverzeichnis Nr. 3104 sollte nach der Intention des
Gesetzgebers beim Anerkenntnisurteil eine Terminsgebühr entstehen, wenn tatsächlich keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, weil
ein Anerkenntnisurteil im schriftlichen Vorverfahren erlassen wurde. Dieser Fall wird nunmehr aber in § 307 n.F. ZPO geregelt. Die Abänderung
des Vergütungsverzeichnisses Nr. 3104 wurde jedoch offensichtlich übersehen.
13 Es ergeben sich auch keine Anhaltspunkte aus den Gesetzesmaterialien zum 1. Justizmodernisierungsgesetz, die auf eine Abschaffung der
Terminsgebühr für den Fall des Anerkenntnisses im schriftlichen Vorverfahren hindeuten.
14 Nachdem der im VV Nr. 3104 geregelte Fall des § 307 Abs. 2 ZPO von der neuen Fassung des § 307 ZPO umfasst ist, handelt es sich bei der
Nichtanpassung um ein Versehen des Gesetzgebers. Die volle Terminsgebühr entsteht daher trotzdem (so auch Zöller, ZPO, 25. Auflage, § 307
Rdn. 12; Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 307 Rdn. 20).
15 Soweit das Amtsgericht Nürtingen meint, die Terminsgebühr sei nicht angefallen, da es nach § 307 Satz 2 ZPO für das Anerkenntnis einer
mündlichen Verhandlung nicht mehr bedarf, ist dem nicht zu folgen. Satz 2 des § 307 ZPO stellt lediglich klar, dass entgegen der früheren
Regelung, nach welcher ein Anerkenntnis nur in einer mündlichen Verhandlung abgegeben werden konnte, nunmehr ein Anerkenntnisurteil
ohne mündliche Verhandlung erlassen werden kann. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass es sich bei Verfahren, die mit einem
Anerkenntnisurteil abgeschlossen werden, um Verfahren handelt, für welche die mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Insoweit
genügt es, dass es sich um ein Verfahren handelt, für welches das Gesetz grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorschreibt. Eine
mündliche Verhandlung ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Verfahren auf den Erlass eines Urteils nach § 128 Abs. 1 ZPO grundsätzlich
immer notwendig (vgl. Peter Hartmann, Kostengesetze, 34. Auflage, VV 3104 Rdnr. 15).
16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
17 Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
zuzulassen.