Urteil des LG Stuttgart vom 07.04.2003

LG Stuttgart: gesellschaft mit beschränkter haftung, eugh, beurkundung, freiwillige gerichtsbarkeit, steuer, kapitalerhöhung, bezirk, aufwand, anteil, staat

LG Stuttgart Beschluß vom 7.4.2003, 19 T 288/02
Vorlage zum EuGH: Verstoß gegen die Gesellschaftssteuerrichtlinie durch die Erhebung von Gebühren für notarielle Beurkundungen von
Satzungsänderungen einer GmbH seitens eines württembergischen Amtsnotars
Tenor
1. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ausgesetzt.
2. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Artikel 234 EGV Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom
17.07.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl L 249, S. 25) in der Fassung der Richtlinie 85/303/EWG des
Rates vom 10.06.1985 (ABl L 156, S. 23, im folgenden: Richtlinie 69/335) zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Gebühren für die notarielle Beurkundung durch einen beamteten Notar eines unter diese Richtlinie fallenden Rechtsgeschäfts in einem
Rechtssystem wie dem im württembergischen Landesteil von Baden-Württemberg (Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart), in dem nebeneinander
beamtete und freiberufliche Notare tätig sind, wobei in jedem Fall der Notar selbst Gebührengläubiger ist, aber, soweit Notarbeamte tätig werden,
diese nach einem Landesgesetz einen - pauschalierten - Anteil der Gebühren an den Staat abzuführen haben, der der Dienstherr dieser Notare ist
und der diese Einnahmen für die Finanzierung seiner Aufgaben verwendet, als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335 in der geänderten Fassung
anzusehen - in Abgrenzung zu dem dem Beschluss des EuGH vom 21.03.2002 Rs. C-264/00 - "Gründerzentrum-Betriebs-GmbH" -
zugrundeliegenden Sachverhalt?
2. Falls diese Frage bejaht werden sollte: Entfällt die Eigenschaft als Steuer im Sinne der Richtlinie 69/335 dann, wenn der Staat auf die
Geltendmachung seines Anteils aus dem Rechtsgeschäft verzichtet, mithin die landesrechtliche Vorschrift, nach der ein Anteil der Gebühren an den
Staat abzuführen ist, nicht mehr anwendet?
Gründe
1
Die Vorlagefrage stellt sich in einem Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht Stuttgart gemäß § 156 Abs. 6 Kostenordnung (KostO) betreffend
Notarkosten im württembergischen Rechtsgebiet des Landes Baden-Württemberg (Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart).
2
Die Kammer sieht sich im Hinblick auf die Richtlinie 69/335 und die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH mit Beschluss vom
21.03.2002 Rs. C-264/00 "Gründerzentrum-Betriebs-GmbH" daran gehindert, ohne Anrufung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache zu
entscheiden.
I.
3
Der Beteiligte Ziff. 1 (staatlicher Notar im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart) hat in seiner Eigenschaft als öffentlicher Notar Beschlüsse in Bezug
auf die Beteiligte Ziff. 2 (Kostenschuldnerin) beurkundet und seine Kosten hierzu unter AV - II - 02 Nr. 65 mit insgesamt EUR 2.892,46
(Kostenrechnung vom 10.06.2002 in Anlage 1 zu Bl. 1/8) angesetzt.
4
Die Beteiligte Ziff. 2 ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Am 08.06.2002 ließen die Vorstandsmitglieder der ..., der alleinigen
Gesellschafterin der Kostenschuldnerin, vom Beteiligten Ziff. 1 unter UR-Nr. 1147/2002 folgende Beschlüsse der Kostenschuldnerin beurkunden
(Anlage 6 zu Bl. 1/8):
5
1. Zusammenlegung von Geschäftsanteilen zu einem einheitlichen Geschäftsanteil im Nennbetrag von ... DM
6
2. Umstellung des Stammkapitals und der Geschäftsanteile der Gesellschaft auf Euro
7
3. Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln um ... EUR auf ... EUR Namensänderung der Gesellschaft
8
Hierfür setzte der Beteiligte Ziff. 1 unter dem 10.06.2002 Kosten zu folgenden Werten an:
9
a) für die Zusammenlegung der Geschäftsanteile Wert: ... EUR
10 b) für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln Wert: ... EUR
11 c) für die Euroumstellung und Namensänderung (Satzungsänderung) Wert: ...EUR
12 Mit der Kostenrechnung wurden der Kostenschuldnerin die Gebühren und Auslagen für die Urkunde in Höhe von insgesamt 2.493,50 EUR
zuzüglich MwSt in Rechnung gestellt. Diese Kosten umfassen eine Beschlussgebühr gemäß § 47 KostO mit 1.584,-- EUR netto aus einem
Gesamtwert von ... EUR für die Kapitalerhöhung sowie die Satzungsänderung. Der Staatsanteil bemisst sich hieraus mit 1.183,83,-- EUR, der
Notaranteil mit 400,17 EUR.
13 Für die Tätigkeit der Beurkundung diesbezüglich hat der Beteiligte Ziff. 1 seinen persönlichen (Zeit)Aufwand wie folgt bemessen, und der
Beteiligte Ziff. 3 hieraus Aufwandskosten, die um den Sachaufwand und den Aufwand für notwendige Rückstellungen wegen möglicher
Haftungsansprüche noch zu erhöhen seien, errechnet:
14 5 Stunden Notartätigkeit
(Besoldungsgruppe A 13) à 59,-- EUR 295,00 EUR
1 Stunde Geschäftsstellentätigkeit
(bestenfalls BAT 5c) à 40,--
EUR 40,00 EUR
Gesamtbetrag
335,00 EUR
16 Der Dienstvorgesetzte des Notars, der Beteiligte Ziff. 3, vertritt die Meinung, der Kostenansatz verstoße im Lichte der Entscheidung des EuGH
vom 21.03.2003 Rs. C-264/00 "Gründerzentrum-Betriebs-GmbH" (Anlage 2 zu Bl. 1/8), die auch auf das Staatsnotariat in Württemberg
anwendbar sei, teilweise - in Bezug auf die Kosten für die Beurkundung der Kapitalerhöhung und Satzungsänderung - gegen die Richtlinie
69/335. Er hat deshalb den Beteiligten Ziff. 1 am 29.07.2002 angewiesen (Anlage 3 zu Bl. 1/8), die Entscheidung des Landgerichts gemäß § 156
Abs. 6 KostO herbeizuführen und den Kostenansatz dahin zu berichtigen, dass lediglich ein Betrag von 1.465,66 EUR brutto vom
Kostenschuldner zu erheben ist. Er meint, Kosten für Urkundsgeschäfte, die in den Anwendungsbereich der Gesellschaftssteuerrichtlinie fielen,
könnten überhaupt nicht - nicht einmal in Höhe des tatsächlichen Aufwands - angesetzt werden.
17 Der Beteiligte Ziff. 1, der den Kostenansatz in voller Höhe für berechtigt erachtet, ist der Anweisung zur Vorlage der Akten an die zuständige
Beschwerdekammer des Landgerichts Stuttgart nachgekommen (Bl. 10). Er vertritt die Meinung, an einer Reduzierung der Gebühren auf den
tatsächlichen Aufwand sehe er sich aufgrund der Bestimmungen der Kostenordnung und der Bundesnotarordnung gehindert. Jedenfalls sei der
Beschluss des EuGH vom 21.03.2002 nicht auf die Gebühren eines Württembergischen Amtsnotars anzuwenden, wenngleich das
Justizministerium Baden-Württemberg (Anlage 5 zu Bl. 1/8) den Anwendungsbereich der Richtlinie auch hierauf bezieht.
18 Im Erlass vom 22.05.2002 - Az. 5656/0227 (Anlage 5 zu Bl. 1/8), gerichtet auch an die Notarvereine und Notarkammer des Landes Baden-
Württemberg, hat das Justizministerium Baden-Württemberg - Ministerialdirektor - bis zu einer im Zuge der angestrebten Neuordnung des
Gebührenanteilsrechts der Notare im Landesdienst beabsichtigten europarechtskonformen Anpassung des Landesjustizkostengesetzes die
staatlichen Notare unter anderem angewiesen, sofern die durchzuführende Prüfung des tatsächlich angefallenen Aufwands im Einzelfall zum
Ergebnis führe, dass es sich bei einer nach der Kostenordnung anfallenden Gebühr um eine nach der Gesellschaftssteuerrichtlinie unzulässige
Steuer handele, diese bis auf weiteres in vollem Umfang nicht zu erheben.
II.
19 Die Kammer ist der Auffassung, dass die am konkret zu entscheidenden Fall orientierte Entscheidung des EuGH im Beschlussverfahren vom
21.03.2002 Rs. C-264/00 "Gründerzentrum-Betriebs-GmbH" nicht auf die hier zu entscheidende Fallkonstellation anzuwenden ist. Der Beschluss
des EuGH entfaltet räumlich und personell direkte Wirkungen nur für das Ausgangsverfahren vor dem Amtsgericht Müllheim/Baden (Beschluss
vom 20.06.2000 - UR II 42/99) und damit für die Notare im Landesdienst für das badische Rechtsgebiet. Auch die hierzu bislang ergangenen
obergerichtlichen Entscheidungen betreffen ausdrücklich nur diesen Rechtskreis (OLG Karlsruhe Beschluss vom 24.09.2002 - 14 Wx 133/00 =
Rpfleger 2002, 655, Beschluss vom 05.12.2002 - 14 Wx 130/01 = Rpfleger 2003, 218). Die Entscheidung entfaltet damit keine Bindungswirkung
für die Frage, ob die Erhebung von Notargebühren des Landes Baden-Württemberg im Bereich des Landesteiles Württemberg gegen die
Gesellschaftssteuerrichtlinie verstößt, soweit die Beurkundung durch Bezirksnotare (staatliche Notare) erfolgt.
20 Zwar sind im wesentlichen vergleichbare Sachverhalte in europarechtlicher Hinsicht auch gleich zu beurteilen, soweit sich aus der
Ausgangsentscheidung des Europäischen Gerichtshofes nicht ergibt, dass gerade die bestehenden Unterschiede eine abweichende Beurteilung
rechtfertigen. Die Kammer sieht aber für die vorliegende Sache eine rechtlich andere Beurteilung rechtfertigende Unterschiede zur
Ausgangsentscheidung, die auch in den Gründen der Entscheidung des EuGH Erwähnung gefunden haben.
III.
21 Nach Auffassung der Kammer sind die vom Beteiligten Ziff. 3 beanstandeten Kostenansätze mit der Regelung der Art. 10 und Art. 12 Nr. 1 lit. e.
der Richtlinie 69/335 vereinbar. Die Gebühren für die notarielle Beurkundung eines unter die Gesellschaftssteuerrichtlinie fallenden Vorgangs
(hier die nach §§ 2, 53 Abs. 2 GmbHG notwendig notariell beurkundungsbedürftige Kapitalerhöhung und Satzungsänderung einer juristischen
Person) werden auch bei Beurkundung durch einen beamteten Notar im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart nicht vom
Besteuerungsverbotstatbestand des Art. 10 lit. c (durch rechtsformbezogene Formalität ausgelöste, den Gesellschaften auferlegte Abgabe, die
die gleichen Merkmale wie die Gesellschaftssteuer ausweist) erfasst, da sie keine Steuer im Sinne der Richtlinie darstellen, sondern - nach der
Gesellschaftssteuerrichtlinie zulässig - als Abgaben mit Gebührencharakter zu qualifizieren sind.
22 Gem. § 115 Bundesnotarordnung (BNotO) vom 24.02.1961 (BGBl. I S. 97) in der durch das Gesetz zur Änderung des Einführungsgesetzes zur
Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3836) geänderten Fassung gilt die BNotO im
Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe nicht. An ihre Stelle tritt das Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 12. Februar 1975 (GBl. für
Baden-Württemberg 1975, S. 116, im folgenden LFGG) in der Fassung des Rechtsbereinigungsgesetzes vom 18. Dezember 1995 (GBl. für
Baden-Württemberg, S. 29).
23 Anders als im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe (badischer Landesteil) können nach § 116 BNotO, § 3 Abs. 2 LFGG im Bezirk des
Oberlandesgerichts Stuttgart (württembergischer Landesteil) aber nicht nur beamtete Notare sondern auch Anwaltsnotare - freiberufliche Notare -
bestellt werden. Hiervon wird auch in großem Umfang Gebrauch gemacht. Damit kann der Rechtsuchende im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart,
der die Dienste eines freien Notars in Anspruch nimmt, sich der staatlichen Gebührenerhebung entziehen. Er hat die freie Notarwahl und muss
auch keine zusätzlichen Wege in Kauf nehmen. Anders als in Portugal (hierzu EuGH vom 29.09.1999 Rs. C-56/98 "Modelo") und auch anders als
im badischen Teil Baden-Württembergs hat der Rechtsuchende die Möglichkeit des Ausweichens auf selbständige Notare (bei denen die
Gebühr keine Steuer oder Abgabe darstellt, da sie nicht dem Staat zufließt), weshalb der obligatorische Charakter der staatlichen Abgabe entfällt.
24 Auch die in anderer Weise geregelte Gebührengläubigerschaft rechtfertigt hier eine andere Beurteilung.
25 Nach § 20 BNotO kann mit der Beurkundung jeder Notar, ob beamtet oder freiberuflich tätig, beauftragt werden. Gemäß § 17 Abs. 1 BNotO ist der
Notar verpflichtet, für seine Tätigkeit die gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren zu erheben. Gebührengläubiger ist mithin in vollem Umfang der
Notar.
26 Die Gebühren sind im Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) vom 26. Juli 1957 (BGBl. I S.
960) in der durch das dritte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31. August 1998 geänderten Fassung (im
folgenden KostO) geregelt. Diese Gebühren gelten einheitlich im Bundesgebiet sowohl für die freiberuflich tätigen (ca. 94 %) als auch die
beamteten Notare. Zu erheben sind beim jeweiligen Kostenschuldner im gesamten Bundesgebiet in jeweils gleicher Höhe anzusetzende, nach
der KostO anfallende Gebühren, die sich nach dem Geschäftswert und der Gebührentabelle sowie einem bestimmten Gebührensatz bemessen.
27 Im Bezirk des Oberlandesgerichtes Karlsruhe ist nach § 10 Abs. 1 Landesjustizkostengesetz vom 30. März 1971 in der Fassung der
Bekanntmachung vom 15. Januar 1993 (im folgenden LJKG) in jedem Fall Gebührengläubiger die Staatskasse. Hiernach werden Gebühren und
Auslagen für die Tätigkeit der Notare im badischen Rechtsgebiet zur Staatskasse erhoben, wobei den Beamtennotaren neben ihren Bezügen
nach dem Landesbesoldungsgesetz ein Anteil an den Gebühren nach der Berechnung in § 11 LJKG zufließt.
28 Insoweit unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall von dem der Vorlage des Amtsgerichts Müllheim zugrundeliegenden (hierzu Tz. 19
des Beschlusses des EuGH vom 21.03.2002). Zwar erhalten auch im Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart die beamteten Notare feste
Dienstbezüge. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 LJKG, § 14 Abs. 1 LJKG i.V.m. § 3 Abs. 1 des LFGG sind für die hier fraglichen Beurkundungen aber
Gebührengläubiger die Notare selbst. Lediglich über eine landesrechtliche Regelung, § 14 LJKG, ist von den beamteten Notaren ein
pauschalierter Teil an die Staatskasse abzuführen (interner Gebührenzufluss). Die Staatskasse ist direkt nach § 15 LJKG erst dann zum Einzug
berechtigt, falls die Einziehung unterbleibt. Die Staatskasse kann aber auch von einer Erhebung der Kosten absehen, so wenn sie die
Anwendung des LJKG in diesem Punkt für europarechtswidrig hält, mithin auf Einziehung ihres Anteils verzichtet. Ein Anteil an
Beurkundungsgebühren fällt ihr nur soweit zu, als Rechtsuchende sich - frei in der Auswahl - für die Beurkundung gerade bei einem staatlichen
Notariat entscheiden. Mithin fließen dem Dienstherrn der Notare zur Finanzierung seiner Aufgaben nicht aus allen Beurkundungen im
Rechtskreis Einnahmen zu. Nicht jede Beurkundung erfolgt im übrigen durch das gültige Gebührensystem kostendeckend, zumal sich der
tatsächlich angefallene Aufwand nur schwer feststellen und errechnen lässt.
29 Die Kammer sieht sich zur Vorlagefrage Ziff. 2 veranlasst, da der Erlass des Justizministeriums vom 22.05.2002 - Az. 5656/02227 - zumindest
auch eine Anweisung dahingehend beinhalten könnte, den Staatsanteil vorbehaltlich einer Neuregelung des landesrechtlichen Kostengesetzes
nicht einzuziehen, so dass jedenfalls hierdurch ein Steuercharakter der Kostenerhebung entfallen ist.