Urteil des LG Stuttgart vom 11.07.2002

LG Stuttgart: amtshandlung, vollstreckungstitel, aufwand, rechtsgrundlage, gebühr, nummer, begriff, umkehrschluss, anspruchshäufung, zahl

LG Stuttgart Beschluß vom 11.7.2002, 19 T 222/02
Gerichtsvollzieherkosten: Einheitliche Vollstreckung aus mehreren Titeln
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.05.2002 (E 2 M 1885/02) dahingehend abgeändert,
dass die Gläubigerin nach dem Kostenansatz des Gerichtsvollziehers beim Amtsgericht Stuttgart vom 15.03.2002 (DR II 401/02) EUR 18,00 zu
entrichten hat. Im übrigen wird der Kostenansatz aufgehoben.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Aufgrund Auftrags der Gläubigerin vom 02.02.2002, dem 7 Titel, nämlich 2 Urteile, 3 Vollstreckungsbescheide und 2
Kostenfestsetzungsbeschlüsse über eine Gesamtforderung i.H.v. EUR 4705,22, resultierend jeweils aus einem Mietverhältnis der Gläubigerin mit
der Schuldnerin, beigefügt waren, hat der Gerichtsvollzieher einen erfolglosen Pfändungsversuch bei der Schuldnerin unternommen, da die
Schuldnerin den Zutritt zur Wohnung verweigert hat. Er hat die bis dahin angefallenen Gebühren wie folgt in Rechnung gestellt:
2
Erfolglose Amtshandlung KV 604 7 x 87,50 EUR
Wegegeld Pauschale KV 711 7 x
17,50 EUR
Auslagen Pauschale KV 713 7 x
21,00 EUR
Summe
126,00 EUR
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Gegen diesen Kostenansatz hat die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 03.04.2002 insoweit Erinnerung eingelegt, als die mehrfachen Gebühren (für
die Vollstreckung aus 7 Titeln) angesetzt worden sind, mit der Begründung, die Vervielfachung der Gebühren bei Vorhandensein mehrerer Titel
widerspreche der gesetzlichen Regelung und der Intention des Gesetzgebers. Vielmehr sei von einem einheitlichen Auftrag i.S.v. § 3 Abs. 1
GvKostG auszugehen. Unabhängig von der Anzahl der Schuldtitel handele es sich um einen Auftrag im kostenrechtlichen Sinn. Der Vertreter der
Staatskasse ist der Erinnerung unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des Amtsgerichts Stuttgart entgegengetreten. Bei Vorlage
mehrerer Titel sei jeder als gesonderter Auftrag zu behandeln, ein Fall des § 3 Abs. 2 GvKostG liege nicht vor.
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Mit dem angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.05.2002 wurde der Rechtsbehelf zurückgewiesen mit der Begründung, bei
Vorlage mehrerer Titel sei jeder als gesonderter Auftrag zu behandeln.
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Gegen die ihr am 04.06.2002 zugestellte Entscheidung wendet sich die Gläubigerin mit ihrem am 10.06.2002 beim Amtsgericht Stuttgart
eingegangenen Rechtsmittel. Der Amtsrichter hat der Beschwerde mit Beschluss vom 12.06.2002 nicht abgeholfen und die Akte zur
Entscheidung dem Landgericht vorgelegt. Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 11.07.2002 das Verfahren der Kammer gem. § 568 S. 2 Ziff. 2
ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen, so dass unabhängig von der Frage, ob nicht ohnehin bei einer Beschwerde gegen den
Kostenansatz originär die Kammer zuständig ist, die Kammer vorliegend zu entscheiden hat.
II.
10 Die gem. § 5 Abs. 2 GvKostG, § 5 Abs. 2 GKG zulässige Beschwerde der Gläubigerin ist auch in der Sache begründet.
11 Zutreffend macht die Gläubigerin geltend, dass, obgleich 7 Titel dem Auftragsschreiben beigefügt waren, von einem Auftrag im kostenrechtlichen
Sinn auszugehen ist. Mithin berechnen sich die im vorliegenden Fall gem. § 3 GvKostG i.d.F. v. 19.04.2001 (BGBl. I 623 ff) angefallenen Kosten
wie folgt:
12 Erfolglose Amtshandlung KV 604 1 x 12,50 EUR
Wegegeld Pauschale KV 711 1 x
2,50 EUR
Auslagen Pauschale KV 713 1 x
3,00 EUR
Summe
18,00 EUR
17 Die Kammer vertritt die Auffassung, dass § 3 Abs. 1 GvKostG keine Rechtsgrundlage dafür bietet, einen vom Gläubiger einheitlich erteilten
Auftrag, dem mehrere Vollstreckungstitel zugrunde liegen, kostenrechtlich wie mehrere Aufträge zu behandeln (auf die gleichlautende
Entscheidung der Kammer mit Beschluss vom 11.07.2002 - 19 T 180/02 - wird verwiesen.
18 Nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck des Gesetzes lässt § 3 GvKostG eine eindeutige, den Rechtsuchenden bzw. Schuldner belastende
Auslegung dahin, dass jeder Titel, der einer Auftragserteilung zugrunde liegt, als gesonderter Auftrag im Sinne dieser Norm zu betrachten ist,
nicht zu (so Lappe Rpfl 2002, 89, Winterstein, GvKostRecht, 9. Aufl. Anm. 2d zu § 3 GvKostG, Spring JurBüro 2002, 9, LG Hagen Beschluss vom
08.04.2002 - 3 T 96/02 -, LG Passau DGVZ 2002, 43, LG Wuppertal Rpfl 2002, 88, LG Hamburg Rpfl 2002, 370, LG Koblenz Rpfl 2002, 371, AG
Lüneburg Rpfl 2002, 373; entgegen Schröder-Kay, Das Kostenwesen der Gerichtsvollzieher, 11. Aufl. Rn. 11 zu § 3 GvKostG, Kessel DGVZ
2001, 149, LG Duisburg DGVZ 2002, 59, LG Karlsruhe Beschluss v. 06.02.2002 - 11 T 575/01 - und zahlreiche Amtsgerichte wie AG Stuttgart, AG
Böblingen, AG Ludwigsburg, AG Backnang). Wenn anderes gelten soll, muss dies der Gesetzgeber eindeutig sagen (Lappe aaO). Der Bürger
darf nur mit staatlichen Kosten und Gebühren belastet werden, wenn es hierfür eine zweifelsfreie Rechtsgrundlage gibt.
19 Der Begriff des Auftrags findet sich u.a. in § 3 und § 10 GvKostG. Gem. § 10 Abs. 1 S. 1 GvKostG wird bei Durchführung desselben Auftrags eine
Gebühr nach derselben Nummer des Kostenverzeichnisses nur einmal erhoben. Nach § 3 Abs. 1 GvKostG ist der Auftrag auf die Erledigung
einer oder mehrerer Amtshandlungen gerichtet. Hiernach ist der Auftrag Grundlage für die Berechnung von Gebühren und Auslagen und stellt
das Gesetz maßgebend auf die mit einem Auftrag angestrebten Amtshandlungen ab, nicht auf die Zahl der dem Auftrag bzw. der gewünschten
Amtshandlung(en) zugrundeliegenden Titel oder die Höhe der Vollstreckungsforderung(en). Auch bei einer Anspruchshäufung begehrt der
Gläubiger nur eine Vollstreckungsmaßnahme (Lappe aaO), erteilt mithin nur einen Auftrag.
20 Aus § 3 Abs. 2 GvKostG ergibt sich keineswegs eindeutig, dass jeder Vollstreckungstitel einen gesonderten Auftrag bedingt. Abs. 2 regelt
lediglich Fälle, in denen auch bei mehreren verschiedenen Amtshandlungen nur von einem - kostenrechtlichen - Auftrag auszugehen ist. Schon
dem Wortlaut der Norm kann ein weitergehender Regelungsgehalt nicht entnommen werden.
21 Namentlich aus § 3 Abs. 2 Nr. 3 GvKostG lässt sich auch nicht zwingend im Umkehrschluss herleiten, dass es sich um mehrere Aufträge handelt,
wenn der Gläubiger den Gerichtsvollzieher mit einer Vollstreckungshandlung aufgrund mehrerer Vollstreckungstitel beauftragt. Zutreffend haben
das LG Wuppertal und das LG Koblenz (aaO) ausgeführt, dass sich aus der Regelung genauso gut - wenn nicht eher - der Schluss ziehen lässt,
dass, wenn es sich schon um denselben Auftrag in den Fällen handelt, in denen der Gerichtsvollzieher gleichzeitig mit der Vornahme mehrerer
Amtshandlungen beauftragt wird, erst recht ein und derselbe Auftrag vorliegt, wenn der Gerichtsvollzieher mit der Erledigung nur einer
Amtshandlung, wenn auch aufgrund verschiedener Titel gegen den Schuldner, beauftragt wird.
22 Das Argument, der Gerichtsvollzieher habe bei Vorlage mehrerer Titel im Hinblick auf die Notwendigkeit der Prüfung der
Vollstreckungsvoraussetzungen und der Nachprüfung der Forderungsaufstellung einen Mehraufwand, mag zwar in der Regel zutreffend sein.
Der Gesetzgeber hat sich vorliegend aber für Festgebühren und nicht für eine Bemessung der Gebühren nach einem tatsächlichen Aufwand
entschieden und hat auch die Höhe der Gebühren nicht von der Höhe der Vollstreckungsforderung abhängig gemacht. Auch im Hinblick auf
andere, die Vollstreckung begleitenden Umstände, die die Tätigkeit eines Gerichtsvollziehers erschweren bzw. zeitaufwändig gestalten können,
findet im Gebührenrecht eine Erhöhung bzw. Vervielfachung der Gebühren nicht statt. Einen Ausgleich eines besonderen zeitlichen Aufwandes
schafft lediglich die Zeitgebühr nach KV 500.
23 Auf die Frage, ob Art. 19 des Entwurfes der Bundesregierung zum OLG-Vertretungsänderungsgesetz die ursprüngliche Intention des
Gesetzgebers zu § 3 GvKostG vom 19.04.2001 (BGBl. I S. 623) wiedergibt, kommt es nicht entscheidend an.
24 Eine Wegegeldpauschale und Auslagenpauschale kann ebenfalls nur je Auftrag geltend gemacht werden.
25 Für eine vervielfachte Wegegeldpauschale besteht schon deshalb kein Rechtsgrund, da Wegegeld nicht zu erheben ist, wenn tatsächlich ein
entsprechender Aufwand nicht entstanden ist (u.a. AG Waiblingen JurBüro 2002, 44). Da der Gerichtsvollzieher im vorliegenden Fall die
Schuldnerin zur Durchführung des Vollstreckungsauftrags nur einmal aufgesucht hat, den Weg somit tatsächlich nur einmal zurückgelegt hat, war
das Wegegeld nur einmal in Ansatz zu bringen.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 5 Abs. 2 S. 2 GvKostG, § 5 Abs. 6 GKG.
27 Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 574 ZPO zugelassen.