Urteil des LG Stuttgart vom 20.04.2004

LG Stuttgart: urkunde, kündigung, abtretung, rückzahlung, anwendungsbereich, verzinsung, verfügung, darlehensvertrag, rechtssicherheit, beweiserleichterung

LG Stuttgart Urteil vom 20.4.2004, 15 O 46/04
Handelbarkeit eines Schuldscheindarlehens
Leitsätze
Das Schuldscheindarlehen als Urkunde mit wertpapierähnlichem Charakter dient der erleichterten Refinanzierung des Kreditgebers bei
Kapitalsammelstellen und muss deshalb handelbar sein mit der Folge des Ausschlusses von Einwendungen aus dem Grundgeschäft wie bei einem
abstrakten Schuldversprechen/Schuldanerkenntnis.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 174.350,53 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz p.a. ab 10. Januar 2004
zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Streitwert: 174.350,53 EUR
Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Bezahlung restlicher Zinsen aus einem Schuldscheindarlehen.
2
Die Beklagte vereinbarte mit der B. telefonisch am 14. Dezember 1992 die Gewährung eines Darlehens über 10 Mio. DM mit einer Laufzeit bis
09.01.2013, einer beginnenden Tilgung nach zehn Jahren, einer Valuta zum 28. Dezember 1992 und einer (möglichen) Zinsanpassung zum 9.
Januar 2003 bei einem festen Zinssatz von 7,50 % für die ersten 10 tilgungsfreien Jahre (Anlage B 2, Bl. 45 d.A.).
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Die Vereinbarung bestätigte die B. mit Schreiben vom 16. Dezember 1992 (Anlage B 4, Bl. 47 d.A.), in dem u. a. festgehalten ist, dass der
Zinssatz 7,50 % bis einschließlich 9. Januar 2003 beträgt und dass das Darlehen beiderseits zum 9. Januar 2003 mit einer Frist von vier Wochen
zum Zwecke der Zinsanpassung kündbar ist. Die Zinsen sollten einmal im Jahr fällig sein, erstmals zum 9. Januar 1994, die Valutierung sollte am
28. Dezember 1992 erfolgen und eine Abtretung sollte dreimal möglich sein.
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Der Darlehensbetrag wurde zum 28. Dezember 1992 ausbezahlt.
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Am 26. Januar 1993 erstellte die Beklagte einen Schuldschein über das gewährte Darlehen (Anlage K 2, Bl. 15 d.A.) u. a. mit folgendem Inhalt:
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„1. Zinsen
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Das Darlehen ist beginnend mit dem Tag der Auszahlung, dem 28. Dezember 1992, bis zum Ablauf des der vereinbarten Fälligkeit des Kapitals
vorhergehenden Tages mit 7,50 % jährlich zu verzinsen; ...
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Die Zinsen sind jährlich nachträglich am 9. Januar, erstmals am 9. Januar 1994, fällig.
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2. Laufzeit und Rückzahlung
10 Das Darlehen ist nach zehn Freijahren in zehn gleichen Jahresraten am 9. Januar der Jahre 2004 bis 2013 mit jeweils 1.000.000,00 DM zur
Rückzahlung fällig.
...
11 4. Kündigung
12 Das Darlehen ist beiderseits zum 9. Januar 2003 mit einer Frist von vier Wochen zum Zwecke der Zinsanpassung kündbar.
13 Sollte keine Einigung über die Konditionen getroffen werden, wird das Darlehen zu pari zurückgezahlt.
14 Etwaige Kündigungsrechte der Schuldnerin nach § 609 a des Bürgerlichen Gesetzbuches sind ausgeschlossen.
15 5. Aufrechnungsverzicht
16 Die Darlehensschuldnerin verzichtet hinsichtlich der Darlehensforderung auf Aufrechnung und Zurückbehaltungsrechte, solange und soweit das
Darlehen zum gebundenen Vermögen im Sinne von § 54 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes oder zu einer aufgrund inländischer
gesetzlicher Vorschriften gebildeten Deckungsmasse für Schuldverschreibungen gehört; das gilt auch im Falle des Vergleichs oder Konkurses.
17 6. Abtretbarkeit
18 Die Abtretung der Darlehensforderung ist im Ganzen oder in Teilbeträgen dreimal zulässig. ..“
19 Der Schuldschein ist unterschrieben vom Bürgermeister D..
20 Am 3. Februar 1993 wurde das Schuldscheindarlehen rückwirkend zum 7. Januar 1993 von der B. an die Klägerin abgetreten (Anlage K 3, Bl. 16
d.A.). Die Abtretung wurde der Beklagten mit Schreiben vom 3. Februar 1993 (Anlage K 4, Bl. 17 d.A.) mitgeteilt.
21 Die Klägerin ist eine rechtsfähige Versorgungsanstalt des öffentlichen Rechts für Ä. und untersteht der Aufsicht des Sozialministeriums im
Benehmen mit dem Ministerium Ländlicher Raum (vgl. Satzung, Anlage K 1, Bl. 14 d.A.). Sie hat über eine Milliarde Euro in
Schuldscheindarlehen angelegt.
22 Mit Schreiben vom 17. Januar 2003 (Anlage K 5, Bl. 18 d.A.) kündigte die Beklagte gegenüber der Klägerin das Schuldscheindarlehen zum 14.
Februar 2003 zum Zwecke der Zinsanpassung. Die Klägerin stellte sich mit Schreiben vom 24. Januar 2003 (Anlage K 6, Bl. 19 d.A.) auf den
Standpunkt, dass die Kündigung verspätet erfolgt und damit unwirksam sei.
23 In der Folgezeit stritten die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der Kündigung und über eine Zinsanpassung.
24 Die Beklagte zahlte zum 9. Januar 2004 lediglich 4,09 % Zinsen aus 10 Mio. DM in Höhe von 209.118,38 EUR statt 7,50 % Zinsen aus 10 Mio.
DM in Höhe von insgesamt 383.468,91 EUR. Den Differenzbetrag von 174.350,53 EUR verlangt die Klägerin von der Beklagten mit der
vorliegenden Klage.
25 Die Klägerin vertritt die Rechtsauffassung, dass das Schuldscheindarlehen einen wertpapierähnlichen Charakter habe. Bei der Urkunde handle
es sich um ein abstraktes Schuldanerkenntnis, wodurch die erwünschte Handelbarkeit zum Zwecke der Refinanzierung erreicht werde.
Einwendungen aus dem Grundverhältnis seien deshalb der Beklagten gegenüber der Klägerin als Zessionarin abgeschnitten.
26 Die Klägerin beantragt:
27 Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 174.350,53 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz p. a. ab 10. Januar 2004
zu bezahlen.
28 Die Beklagte beantragt:
29 Klagabweisung.
30 Die Beklagte ist der Meinung, dass dem Schuldschein lediglich Beweisfunktion zukomme, weswegen ihr gegenüber der Klägerin die
Einwendungen aus dem ursprünglichen Darlehensvertrag weiterhin zustünden. Die Beklagte behauptet insoweit, dass beim mündlichen
Vertragsabschluss am 14. Dezember 1992 von einer Kündigung zum Zwecke der Zinsanpassung nicht die Rede gewesen sei wie später in dem
Bestätigungsschreiben vom 16. Dezember 1992 und im Schuldschein vom 26. Januar 1993. Deshalb sei es der Beklagten jederzeit nach dem 9.
Januar 2003 gestattet, eine Zinsanpassung von der Klägerin zu verlangen.
31 Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des
Sitzungsprotokolls vom 9. März 2004 (Bl. 58/59 d.A.) verwiesen.
32 Die Klägerin hat der B. den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit nicht beigetreten.
Entscheidungsgründe
33 Die zulässige Klage ist begründet.
34 Ob die Beklagte überhaupt Einwendungen aus dem mündlichen Vertragsabschluss vom 14. Dezember 1992 herleiten kann, nachdem sie selbst
den Schuldschein ausgestellt hat, ist fraglich, kann aber dahinstehen.
35 Denn bei dem Schuldscheindarlehen handelt es sich nicht nur um eine Urkunde mit Beweisfunktion, sondern um ein selbständiges
Schuldversprechen/-anerkenntnis im Sinne der §§ 780, 781 BGB und damit um einen einseitigen verpflichtenden abstrakten Vertrag, mit dem die
Beklagte eine selbständige, von dem zugrunde liegenden Kausalverhältnis losgelöste Verpflichtung eingegangen ist und damit der Klägerin
keine Einwendungen aus dem ursprünglichen Darlehensvertrag entgegen halten kann.
36 Beim Schuldscheindarlehen stellt der Kreditnehmer über das Darlehen einen Schuldschein aus, der nicht zur Beweiserleichterung für den
Gläubiger, sondern zur erleichterten Refinanzierung des Kreditgebers bei Kapitalsammelstellen dient. Schuldscheindarlehen sind nach §§ 7 a
bis d KAGG zugelassene Anlagemittel für Geldmarktfonds (Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl. 1997, Westermann, § 607 Rn. 87).
37 § 7 a KAGG erstreckt in Absatz 1 den Anwendungsbereich des Gesetzes auf Kapitalanlagegesellschaften, die das bei ihnen eingebrachte Geld
in Geldmarktinstrumenten und Bankguthaben (Geldmarkt-Sondervermögen) anlegen. Er regelt in Absatz 2, dass zu den Geldmarktinstrumenten
verzinsliche Wertpapiere und Schuldscheindarlehen zählen, die im Zeitpunkt ihres Erwerbs für das Sondervermögen eine restliche Laufzeit von
höchstens 12 Monaten haben oder deren Verzinsung nach den Ausgabebedingungen während ihrer gesamten Laufzeit regelmäßig, mindestens
aber einmal in 12 Monaten, marktgerecht angepasst werden.
38 Nach § 7 b Abs. 1 KAGG darf die Kapitalanlagegesellschaft für ein Geldmarkt-Sondervermögen Geldmarktinstrumente erwerben, deren
Aussteller (Schuldner) u. a. eine inländische Gebietskörperschaft (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 b KAGG) ist, die zugleich auch für die Verzinsung und
Rückzahlung die Gewährleistung übernommen haben muss. Das Geldmarkt-Sondervermögen darf jedoch nur in solchen Forderungen aus
Schuldscheindarlehen angelegt werden, die nach dem Erwerb für das Sondervermögen mindestens zweimal abgetreten werden können.
39 Schuldscheindarlehen mit den kurzen Laufzeiten des Geldmarktes stellen aber nicht nur im Sinne des Kapitalanlagegesellschaftengesetzes
(KAGG) Geldmarktinstrumente dar, sondern sollen nach den Gesetzesmaterialien auch von der Definition der Geldmarktinstrumente in Absatz 1
a des § 2 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) erfasst werden (Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 8.20). In diesem Absatz
heißt es, dass Geldmarktinstrumente im Sinne des WpHG Forderungen sind, die nicht unter Absatz 1 (Aktien, Schuldverschreibungen usw.) fallen
und üblicherweise auf dem Geldmarkt gehandelt werden. Solche Geldmarktinstrumente fallen gemäß § 1 WpHG in dessen Anwendungsbereich.
40 Zwar handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Schuldscheindarlehen nicht um ein solches mit den kurzen Laufzeiten des Geldmarktes.
Durch die in diesem Fall erfolgte Klassifizierung als Geldmarktinstrument erhellt sich jedoch, dass es sich durchaus um eine Urkunde mit
wertpapierähnlichem Charakter handelt. Diese Urkunde wird ausgestellt zur erleichterten Refinanzierung des Kreditgebers bei
Kapitalsammelstellen, nicht aber zur bloßen Beweiserleichterung für den Gläubiger. Um den genannten Zweck erreichen zu können, muss das
Schuldscheindarlehen handelbar sein. Das ist aber nur möglich, wenn die im Schuldschein festgehaltene Verpflichtung losgelöst vom
Grundgeschäft und damit abstrakt eingegangen wird.
41 Dieser angestrebte Zweck der Refinanzierung durch Handelbarkeit ergibt sich aber bereits aus dem Text des Schuldscheins vom 26. Januar
1993, und zwar insbesondere aus den Ziff. 5. und 6.
42 In Ziff. 5. verzichtet die Beklagte hinsichtlich der Darlehensforderung auf Aufrechnung und Zurückbehaltungsrechte, solange und soweit das
Darlehen zum gebundenen Vermögen im Sinne von § 54 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes oder zu einer aufgrund inländischer
gesetzlicher Vorschriften gebildeten Deckungsmasse für Schuldverschreibungen gehört.
43 Gemäß Ziff. 6. ist die Abtretung der Darlehensforderung im Ganzen oder in Teilbeträgen dreimal zulässig.
44 Aus beiden Bestimmungen ergibt sich zweifelsfrei, dass der Schuldschein am 26. Januar 1993 - und damit vier Wochen nach Valutierung -
ausgestellt wurde, um zum Zwecke der erleichterten Refinanzierung eine Handelbarkeit des Schuldscheindarlehens zu erreichen.
45 Die Auslegung des Schuldscheines kann deshalb nur zu dem Ergebnis führen, dass die Beklagte eine abstrakte Verpflichtung losgelöst vom
Grundgeschäft eingehen wollte und musste.
46 Anderenfalls würde für jeden Zessionar die erforderliche Rechtssicherheit fehlen. Er müsste ständig mit Einwendungen des
Darlehensschuldners aus dem Grundverhältnis rechnen. Das Schuldscheindarlehen würde damit jegliche Handelbarkeit verlieren und im Falle
von kurzen Laufzeiten im Sinne des KAGG als Geldmarktinstrument wertlos sein. Das Ziel der erleichterten Refinanzierung würde verfehlt
werden.
47 Eine unterschiedliche rechtliche Qualifizierung von Schuldscheindarlehen mit kurzer und langer Laufzeit verbietet sich aber bereits unter dem
Gesichtspunkt der gebotenen Rechtssicherheit und -klarheit im Geschäftsverkehr.
48 Ein Widerspruch zu der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung (u.a. BGH NJW 1986, 2571 und BGHZ 66, 250) ist nicht gegeben. Denn die
vorliegend zu beurteilende Art des Schuldscheindarlehens über hohe Kommunalkredite entspricht nicht derjenigen, die bislang von der
Rechtsprechung abgehandelt wurde. Dort ging es in verschiedenen Varianten um Schuldscheine über Darlehen, die kein Handelsobjekt am
Geldmarkt darstellen. Bei diesen ist es gerechtfertigt nur eine Beweisfunktion der Urkunde zugunsten des Gläubigers anzunehmen. Beim
streitgegenständlichen wertpapierähnlichen Schuldscheindarlehen ist es dagegen erforderlich, von einem abstrakten Schuldversprechen/-
anerkenntnis auszugehen, um das Ziel der erleichterten Refinanzierung und damit Handelbarkeit erreichen zu können.
49 Im Hinblick auf diese Ausführungen ist die Beklagte an die abstrakte Verpflichtung des Schuldscheines gebunden. Auf etwaige andere
Vereinbarungen am 14. Dezember 1992 kann sie sich nicht berufen.
50 Wenn sie eine Zinsanpassung zum 9. Januar 2003 hätte erreichen wollen, dann hätte sie spätestens am 12. Dezember 2002 kündigen müssen,
was unproblematisch möglich gewesen wäre. Die verspätete Kündigung vom 17. Januar 2003 kann entsprechend Ziff. 4. des Schuldscheines
vom 26. Januar 1993 das Ziel der Zinsanpassung nicht mehr erreichen. Die Verzinsung beträgt bis zum Laufzeitende des Darlehens 7,50 %.
51 Damit ist der Klage in vollem Umfang als begründet stattzugeben.
52 Auf die von den Parteien angebotenen Beweise kommt es unter Berücksichtigung der obigen Darlegungen nicht an. Es war ausschließlich eine
Rechtsfrage zu entscheiden, wie auch von der Beklagten im Schriftsatz vom 26. März 2004 (Bl. 78 d.A.) ausgeführt. Die Problematik der
Branchenüblichkeit war für die rechtliche Klassifizierung des Schuldscheindarlehens nicht mehr entscheidungserheblich, da in hinreichendem
Maße andere Kriterien für die Beurteilung zur Verfügung standen.
53 Die Verzugszinsen sind gerechtfertigt gem. §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 4, 288 Abs.1, 2 BGB. Das Zinseszinsverbot des § 289 BGB steht der
Geltendmachung nicht entgegen, da es den Schadensersatz wegen verzögerter Zahlung von vertraglich vereinbarten Kreditzinsen nicht
ausschließt (BGH NJW 1993, 1260). Außerdem fällt die Klägerin in den Anwendungsbereich des § 248 Abs. 2 BGB als „Inhaber von
Bankgeschäften“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Kreditwesengesetz (KWG).
54 Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO. Die Art der Sicherheitsleistung folgt aus § 108 ZPO, so dass hierüber kein gesonderter
Ausspruch erforderlich ist.