Urteil des LG Stuttgart vom 25.01.2007

LG Stuttgart (kläger, visa, höhe, angemessene entschädigung, familie, leistung, zpo, aug, entschädigung, urlaub)

LG Stuttgart Entscheidung vom 25.1.2007, 12 O 488/06
Reisevertrag: Vorliegen von Reiseleistungen bei Beschaffung von Flugtickets und Visa durch den
Reiseveranstalter
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.645,00 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.09.2006 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger den gemäß Ziffer 1 ausgeurteilten Betrag auch aus
vorsätzlicher unerlaubter Handlung schuldet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere EUR 154,10 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 23.11.2006 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt jede Partei die Hälfte.
6. Das Urteil ist für den Kläger ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Streitwert:
Antrag Ziffer 1 EUR 2.645,00
Antrag Ziffer 2 EUR 3.000,00
Antrag Ziffer 3 EUR 300,00
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Rückzahlung der von ihm erbrachten Leistungen für Flugtickets und
Visabeschaffung sowie eine Entschädigung für sich und seine Familie wegen nutzlos aufgewendeter
Urlaubszeit.
2
Der Kläger trägt vor, über die Beklagte vier Flugtickets der Air Astana von Frankfurt/Main nach
Astana/Kasachstan mit Hinflug am 15.08.2006 und Rückflug am 01.09.2006 samt Visabeschaffung und
Portopauschale zum Preis von EUR 2.645,00 gebucht zu haben. Die Familie habe in ihrem Heimatland
Kasachstan den gemeinsamen Urlaub verbringen wollen. Der vereinbarte Reisepreis sei durch Überweisungen
auf das Konto der Beklagten am 09.06.2006 in Höhe von EUR 800,00 und am 27.07.2006 in Höhe von EUR
1.845,00 EUR bezahlt worden.
3
Die Reisepässe der Familie seien vom Kläger Anfang Juni 2006 an die Beklagte zum Zweck der Visa-
Beschaffung übersandt worden, jedoch etwa eine Woche vor dem Abflugtermin ohne Visa zurückgekommen.
Auch seien von der Beklagten kein Flugtickets übersandt worden. Daraufhin habe sich zwar der Kläger noch
beim kasachischen Konsulat in Frankfurt/Main bemüht, Visa zu erhalten, doch sei ihm dies unter Hinweis auf
die Bearbeitungsdauer von drei Wochen verweigert worden. Die Familie habe deshalb die für den Urlaub
vorgesehene Zeit zu Hause verbringen müssen. Eine anderweitige Gestaltung des Urlaubs sei aus finanziellen
Gründen nicht mehr möglich gewesen. Auch habe der Arbeitgeber eine Verlegung des bereits bewilligten
Urlaubs verweigert.
4
Nach fruchtlosen Rückzahlungsaufforderungen des Klägers habe sein Prozessbevollmächtigter mit Schriftsatz
vom 01.09.2006 den Vertrag gekündigt und die Beklagte aufgefordert, den geleisteten Reisepreis sowie
immateriellen Schadensersatz in Höhe von EUR 3.000,00 unter Fristsetzung bis 22.09.2006 zu leisten.
Etwaige Rechte seiner Familienmitglieder seien ihm abgetreten worden.
5
Der Kläger behauptet, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Absicht gehabt
habe, die eingegangenen Verpflichtungen nicht zu erfüllen.
6
Der Kläger beantragt:
7
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe 2.645,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.09.2006 zu bezahlen.
8
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Schmerzensgeldzahlung, deren konkrete Höhe in das
Ermessen des Gerichts gestellt wird, vorzunehmen.
9
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte den Zahlbetrag von 2.645,00 EUR sowie das in das Ermessen des
Gerichts gestellte Schmerzensgeld auch aus dem Tatbestand einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung
schuldet.
10 4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 278,05 EUR nebst Zinsen
hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
11 Dem Beklagten wurden die Klage sowie die Ladung zum Haupttermin zur mündlichen Verhandlung vom
11.01.2007 am 19.12.2006 zugestellt. Im Termin war die Beklagte weder anwesend noch vertreten.
12 Der Kläger hat den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt (Bl. 21 d.A.).
Entscheidungsgründe
I.
13 Soweit die Klage Erfolg hat, ist durch echtes Versäumnisurteil gem. § 331 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO zu
entscheiden. Die Beklagte hat den schlüssigen Vortrag des Klägers zugestanden (§ 331 Abs. 1 ZPO), dass er
von der Beklagten betrogen worden sei, weshalb diese gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zum
Schadensersatz verpflichtet sei. Als Schaden sind die behaupteten Zahlungen an die Beklagte in Höhe von
EUR 2.645,00, darauf entfallende Verzugszinsen sowie ein Verzugsschaden in Höhe der nicht anzurechnenden
vorgerichtlichen Anwaltskosten aus einem Streitwert von EUR 2.645,00 schlüssig.
II.
14 Im Übrigen ist die Klage durch unechtes Versäumnisurteil abzuweisen, da der Vortrag das weitere Begehren
des Klägers nicht rechtfertigt.
15 1. Aus dem Vortrag des Klägers kann ein Anspruch gemäß § 651 f Abs. 2 BGB auf eine angemessene
Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit nicht abgeleitet werden, da zwischen den Parteien
ein Reisevertrag gemäß § 651 a BGB nicht zustande gekommen ist.
16 a) Ein Reisevertrag gemäß § 651a Abs.1 BGB setzt als vertragstypische Leistung voraus, dass sich der
Reiseveranstalter verpflichtet, dem Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen zu erbringen. Notwendig
sind dabei mindestens zwei einzelne Reiseleistungen, die zu einer Gesamtheit verbunden sind (Staudinger-
Eckert § 651a BGB Rdnr. 12, MüKo-Tonner, 4. Aufl., § 651a BGB Rdnr. 12). Im vorliegenden Fall hat die
Beklagte mit der Verpflichtung zur Beschaffung der Flugtickets und der Visa zwei Reiseleistungen im weitesten
Sinne übernommen. Allerdings kann die Übernahme der Visa-Beschaffung gegen Entgelt nicht als
eigenständige Reiseleistung im Sinne von § 651 a BGB beurteilt werden.
17 Der Begriff der Reiseleistung gemäß § 651 a BGB ist nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates
vom 13.06.1990 über Pauschalreisen unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes vom 30.04.2002 (C-400/00) europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass es sich um
eine touristische Dienstleistung handeln muss. Von einer touristischen Dienstleistung kann aber nur
gesprochen werden, wenn es sich bei der geschuldeten Leistung um einen erlebbaren Teil einer Reise handelt.
Dieser Fall liegt aber nicht vor, wenn von einem Reisebüro - wie hier - lediglich Flugtickets vermittelt werden
und in diesem Zusammenhang die Visabeschaffung übernommen wird. Denn die Visa berechtigen nur dazu,
die Flugleistung in Anspruch zu nehmen, beinhalten aber keinerlei Anspruch auf Beförderung, Unterkunft,
Verpflege oder Teilnahme an einer Erlebnisveranstaltung. Somit ist die Visa-Beschaffung als selbständige
Nebenleistung der Vermittlung der Flugleistung (funktionelle touristische Dienstleistung) zuzuordnen (vgl. dazu
Staudinger-Eckert § 651a Rdnr. 14; ähnlich Führich, Reiserecht, 4. Aufl., Rdnr. 81). Eine Nebenleistung ist aber
gemäß Art 2 Nr. 1 lit. c der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen keine
vertragstypische Reiseleistung und kann deshalb in Verbindung mit nur einer weiteren (Haupt-)Reiseleistung
nicht zur Annahme eine Reisevertrags gemäß § 651a BGB führen.
18 Selbst wenn aber die Visa-Beschaffung als selbständige Reiseleistung zu qualifizieren wäre, so wäre es
allenfalls eine untergeordnete Nebenleistung, welche zur Annahme eines Pauschalreisevertrages im Sinne von
§ 651a BGB nicht ausreichen würde. Die Visa-Beschaffung ist vergleichbar mit den von der Rechtsprechung
bereits entschiedenen Fällen der Reiserücktrittskostenversicherung (BGHZ 119, 152, 159) oder dem Angebot
zur Benutzung eines Schwimmbades bzw. einer Sauna (BGH NJW 2000, 1639, 1640) jeweils neben der
Unterkunftsleistung.
19 2. Auch eine entsprechende Anwendung der §§ 651a ff. BGB kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
20 Die Rechtsprechung befürwortet die analoge Anwendung dieser Vorschriften bei Vorliegen auch nur einer
einzelnen Reiseleistung (BGHZ 119, 152, 163; 130, 128, 131; BGH NJW 1985, 906, 907) und begründet dies
mit derselben Interessenlage wie beim Erwerb einer Gesamtheit von Reiseleistungen. Voraussetzung für eine
solche Annahme ist aber, dass der Vertragspartner (zumeist ein Reisebüro) aus Sicht des Reisenden die
Leistung als eigenverantwortlicher Veranstalter, d.h. mit Verantwortung für den Erfolg, anbietet und nicht nur
fremde Leistungen vermittelt (BGHZ 119, 152, 163; BGH NJW 1985, 906, 907; Palandt-Sprau, 66. Aufl., Einf v
§ 651a BGB Rdnr. 5). Es ist zudem entscheidend, ob nach dem Gesamteindruck und Auftreten eine bestimmte
Gestaltung der Reise versprochen wird oder ob sich die Leistung in der bloßen Bereitstellung erschöpft (BGHZ
130, 128, 132).
21 Nach diesen Grundsätzen kann die Visa-Beschaffung nicht als Gestaltung der Reise mit Erfolgsgarantie
beurteilt werden. Sowohl nach dem Inhalt des Vertrages wie auch nach dem Auftreten der Beklagten ist davon
auszugehen, dass sie für die Visa-Beschaffung nur die Geschäftsbesorgung, aber nicht den Erfolg übernehmen
wollte. Die Erteilung von Visa liegt nämlich in der ausschließlichen Entscheidungsbefugnis des Einreisestaates
und kann vom Reiseveranstalter grundsätzlich nicht beeinflusst werden.
22 3. Weitere Anspruchsgrundlagen für die Entschädigung nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit sind vom Kläger
weder dargetan noch nicht ersichtlich. § 253 Abs. 1 und Abs. 2 BGB sind insoweit abschließende Regelungen.
23 Nach der Kodifizierung des Reiserechts in § 651a ff BGB kann auch der in der früheren Rechtsprechung
ausgeführte Kommerzialisierungsgedanke (BGHZ 63, 98, 101; 77, 116, 120; 86, 212, 215; BGH NJW 1985, 906
f.) nicht zur Begründung eines immateriellen Schadens heran gezogen werden. Anhaltspunkte für eine
Vereitelung oder schwere Beeinträchtigung der mit dem Urlaub verbundenen Erholungsmöglichkeit bestehen
nicht.
24 4. Nachdem ein eigener Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadensersatz sich als unbegründet
erwiesen hat, kommen auch keine Ansprüche aus abgetretenem Recht aufgrund desselben
Lebenssachverhalts in Betracht.
25 5. Nachdem die Klage nur bezüglich des im Klagantrag Ziff. 1 geltend gemachten Hauptsachebetrags für
schlüssig zu erachten ist, beschränkt sich auch die Schlüssigkeit des mit vorprozessualen Anwaltskosten
geltend gemachten Verzugsschadens auf einen Streitwert von EUR 2.645,00.
26 Der begründete Anspruch errechnet sich wie folgt:
27 Gebühr 1,3 Ziff. 2300 RVG
EUR 245,70
Auslagenpauschale
EUR 20,00
EUR 265,70
davon gem. Vorbem 3 Abs. 4 die HälfteEUR 132,85
16 % USt
EUR 21,25
EUR 154,10
28 Im Übrigen ist die Klage als unschlüssig abzuweisen.
III.
29 Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 2; 708 Nr. 11, 711 ZPO.