Urteil des LG Stuttgart vom 21.10.2008

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LG Stuttgart Urteil vom 21.10.2008, 15 O 118/08
Allgemeine Geschäftsbedingungen im Bauvertrag: (Un-)Wirksamkeit einer formularmäßigen
Gewährleistungseinbehaltsklausel bzw. einer alternativ möglichen Bürgschaft auf erstes Anfordern
Leitsätze
Zur Unwirksamkeit einer von einem öffentlichen Auftraggeber formularmäßig verwendeten Klausel, nach der eine
Sicherheit für Gewährleistungsansprüche nur durch Gewährleistungseinbehalt oder durch eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern gestellt werden kann.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages.
Streitwert: 27.511,-- Euro
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer von der Beklagten gestellten
Gewährleistungsbürgschaft wegen Mängeln des von der Hauptschuldnerin hergestellten Bauwerks.
2
Die Klägerin schloss mit der P. GmbH & Co. KG (Hauptschuldnerin) am 15.05.2002 unter Vereinbarung der
VOB/B einen Werkvertrag bezüglich des Ausbaus der Weilerstraße und Schulstraße in S., wobei die P. GmbH
& Co. KG das Gewerk Wasserleitungstiefbau, Kanalisation und Straßenbau herzustellen hatte. Das Gewerk der
Hauptschuldnerin wurde am 23.10.2002 abgenommen.
3
Als Sicherheit für die Erfüllung der Ansprüche auf Gewährleistung einschließlich Schadensersatz und für die
Erstattung von Überzahlungen gewährte die Beklagte der Klägerin als Sicherheit eine
Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 27.511,00 EUR (Bürgschaftsurkunde Nr. B 381-02108/13-03/1 vom
26.06.2003). Die Bürgschaft wurde gemäß dem Formular KEFB-Sich 2 (Gewährleistungsbürgschaft) ausgestellt
(Anlage K 1). Demnach war die Bürgschaft als Bürgschaft auf erstes Anfordern ausgestaltet; die Beklagte
verzichtete auf die Einrede der Anfechtung, der Aufrechnung und der Vorausklage.
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Der Bürgschaft liegt eine Sicherungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin - die
inzwischen in Insolvenz geraten ist - zugrunde. Die Leistung, die an die Hauptschuldnerin vergeben wurde,
wurde gemäß VOB/A ausgeschrieben. Der Ausschreibung lagen die vorformulierten besonderen
Vertragsbedingungen (KEVM (B) BVB - nachfolgend: BVB / Anlage B3) sowie die zusätzlichen
Vertragsbedingungen (KEVM (B) ZVB - nachfolgend: ZVB / Anlage B4) der Klägerin zugrunde. In dem
vorformulierten Angebot nach KEVM (B) Ang. (Anlage B1) ist unter dem Punkt „Sicherheiten“ folgendes
ausgeführt:
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Sicherheiten
(…)
werden geleistet nach § 17 VOB/B
a) Nr. 4 Sicherheit durch Bürgschaft nach KEFB Sich 1 bzw. 2 (auf erstes Anfordern)
b) Nr. 6 Sicherheit durch Einbehalt.
Ist keine der angegebenen Wahlmöglichkeiten ausgewählt, dann gilt a) als vereinbart.
6
Angekreuzt wurde das Feld a). Das Feld b) ist durchgestrichen.
7
In den BVB heißt es unter Ziff. 6 (Sicherheitsleistung § 17):
8
8
6.1. Vertragserfüllungsbürgschaft
(...)
6.2. Gewährleistungsbürgschaft
9
Als Sicherheit für die Gewährleistung nach Nr. 35.2 ZVB werden 5 v.H. der Auftragssumme einschließlich
der Nachträge (Bruttosumme) einbehalten, nach Feststellung der Abrechnungssumme ist diese
maßgebend.
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Der Auftragnehmer kann stattdessen eine Gewährleistungsbürgschaft nach dem Formblatt KFB-Sich 2
stellen.
11 In den ZVB heißt es unter Ziff 36 (Bürgschaften §§ 16 und 17)
12
36.1 Ist Sicherheit durch Bürgschaft zu leisten, sind die Formblätter des Auftraggebers zu verwenden.
(...)
36.4. Der Bürge hat auf erstes Anfordern zu leisten.
13 Die Klägerin trägt vor,
14 nach der Abnahme seien verschiedene erhebliche Mängel der Werkleistung der Hauptschuldnerin aufgetreten.
Die Hauptschuldnerin sei vorgerichtlich mehrfach ordnungsgemäß unter angemessener Fristsetzung
aufgefordert worden, die Mängel auszubessern. Die Fristen seien jeweils fruchtlos verstrichen. Zur Beseitigung
der verschiedenen Mängel seien Kosten von über 27.511,00 EUR erforderlich. Für die Ansprüche der Klägerin
gegen die Hauptschuldnerin hafte die Beklagte aus der Bürgschaft.
15 Die Bürgschaft sei rechtswirksam. Die Hauptschuldnerin habe die Alternativen gehabt, als Sicherheit für die
Gewährleistung entweder einen Einbehalt von 5 v.H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge
(Bruttosumme) als Sicherheit zu akzeptieren oder alternativ eine selbstschuldnerische
Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu leisten. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne
von § 9 AGBG a.F. bzw. § 307 BGB n.F. sei darin nicht zu sehen. Denn die Hauptschuldnerin habe die freie
Wahl gehabt, die Sicherung - primär - durch Einbehalt in Höhe von 5 % zu erfüllen oder eben durch eine
Gewährleistungsbürgschaft. Sie sei also gerade nicht zur Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern
verpflichtet worden.
16 Selbst wenn man zu der Auffassung käme, dass die Gewährleistungsbürgschaft unwirksam sei, so könne sich
jedenfalls die Beklagte nicht darauf berufen. Dieser Einwand sei verjährt, da zwischenzeitlich auch der
Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verjährt sei.
17 Hilfsweise müsse die Bürgschaft auf erste Anfordern in eine wirksame Bürgschaft unbefristeter,
selbstschuldnerischer Art ohne das zusätzliche Merkmal „auf erstes Anfordern“ umgedeutet werden.
18 Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 27.511,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-
Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank p.a. ab 21.12.2007 zu
bezahlen.
20 Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
22 und trägt hierzu vor,
23 die Sicherungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin sei nach AGB-Recht unwirksam,
da die Sicherungsvereinbarung die Hauptschuldnerin unangemessen benachteilige. Nach den dem Vertrag
zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin zugrunde liegenden - unstreitig vorformulierten - Bedingungen
habe die Hauptschuldnerin lediglich die Möglichkeit gehabt, die Sicherheit durch Gewährleistungseinbehalt
durch eine Bürgschaft auf erste Anforderung abzulösen. Letzteres stelle keinen angemessenen Ausgleich dar,
da im Ergebnis der Auftraggeber sofort einen Betrag einbehalten und daher ohne Darlegung des Bestands der
Hauptforderung sich liquide Mittel beschaffen könnte. Die hierbei zu beachtende ständige Rechtsprechung zur
Unwirksamkeit derartiger Sicherungsvereinbarungen gelte auch für die öffentliche Hand. Eine
geltungserhaltende Reaktion sei nicht möglich.
24 Daneben beruft sich die Beklagte auf den Einwand der Verjährung.
25 Das Gericht hat mit Hinweisbeschluss vom 15.08.2008 (Bl. 62 d.A.) rechtliche Hinweise erteilt.
Entscheidungsgründe
I.
26 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Zahlung aus der
Gewährleistungsbürgschaft verlangen, weil die der Gewährleistungsbürgschaft zugrunde liegende
Sicherungsvereinbarung unwirksam ist. Auf diese Unwirksamkeit kann sich auch die Beklagte berufen.
27
1.
der Hauptschuldnerin und der Klägerin ist unwirksam, da sie die Hauptschuldnerin unangemessen i.S.v. § 307
BGB benachteiligt.
28
a. Der Hauptschuldnerin verblieb im vorliegenden Fall im Hinblick auf die Stellung von Sicherheiten für die
Gewährleistung gemäß dem vorformulierten Angebot „KEVM (B) Ang“ 6.2. und den Besonderen
Vertragsbedingungen (BVB) i.V.m. Ziff. 36 der Zusätzlichen Vertragsbedingungen (ZVB) lediglich die Wahl
zwischen einem Sicherungseinbehalt iHv 5% und dem Beibringen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern:
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In dem - im Rahmen der Ausschreibung i.S.v. AGB durch die Beklagte vorformulierten - Angebot (KEVM
(B) Ang / Anlage B1) der Hauptschuldnerin ist zu den Sicherheiten der Hauptschuldnerin die Wahl gelassen
zwischen einer Sicherheit durch Einbehalt (Punkt b) und einer Bürgschaft auf erstes Anfordern (Punkt a).
und einer. Dies korrespondiert mit Ziff. 6. der BVB - die ebenfalls als AGB anzusehen sind -, wonach
gleichfalls die Wahl zwischen Einbehalt und Bürgschaft in der Weise besteht, dass „statt“ des
Gewährleistungseinbehalt eine Bürgschaft gestellt werden kann. Die BVB ihrerseits sind in Zusammenhang
zu sehen mit den ZVB. Aus letzteren ergibt sich - wie auch schon aus dem Angebot - dass für den Fall der
Bürgschaftsstellung diese eine Bürgschaft auf erstes Anfordern sein muss. Es liegt daher eine
formularmäßige Gewährleistungseinbehaltsklausel vor, mit der Möglichkeit, diese durch eine Bürgschaft
auf erstes Anfordern abzulösen.
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b. Eine formularmäßige Gewährleistungseinbehaltsklausel benachteiligt entgegen Treu und Glauben den
Bauunternehmer unangemessen (st. Rspr., vgl. BGHZ 136, 27). Der Einbehalt in Höhe eines bestimmten
Prozentsatzes der Auftragssumme für die gesamte Dauer der Gewährleistungszeit stellt sich als -
missbräuchlicher - Versuch dar, die Interessen des Auftraggebers auf Kosten des Auftragnehmers
durchzusetzen. Denn das Liquiditätsinteresse des Auftragnehmers bleibt bei dieser Gestaltung gänzlich
unberücksichtigt. Die Klausel kann daher nur Bestand haben, falls dem Auftragnehmer ein angemessener
Ausgleich zugestanden wird. Ein solcher kann die Möglichkeit einer Bürgschaftsstellung sein, jedoch nur
dann, wenn es sich nicht um eine solche auf erstes Anfordern handelt (st. Rspr., grundlegend BGHZ 136,
27 und in der Folge BGHZ 157, 29; BGH, Urt. v. 09.12.2004 - VII ZR 265/03 = NZBau 2005, 219; BGH,
Urt. v. 14.04.2005 - VII ZR 56/04 = NZBau 2005, 460; dazu auch Werner / Pastor , Der Bauprozess, 12.
Aufl. 2008, Rn. 1241). Denn der Fall, dass dem Auftragnehmer (nur) die Möglichkeit gegeben wird, eine
Bürgschaft auf erstes Anfordern als Sicherheit zu stellen, ist seinerseits als eine unangemessene
Benachteiligung des Auftragnehmers anzusehen ( Werner / Pastor , Der Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rn.
1260 m.w.N.).
31
c. Die Hauptschuldnerin hatte demgemäß im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der Klägerin keine
freie Wahlmöglichkeit, bei der eine der beiden Alternativen eine angemessene, Treu und Glauben
entsprechende Sicherungsmöglichkeit enthielt. Denn beide Alternativen stellen sich nach dem eben
Gesagten als „unangemessen“ i.S.v. § 307 Abs. 1 BGB dar.
32
d. Die dargestellten Grundsätze zur Unwirksamkeit formularmäßiger Sicherungsklauseln gelten auch
gegenüber öffentlichen Auftraggebern (st. Rspr., BGH, Urt. v. 09.12.2004 - VII ZR 265/03 = NZBau 2005,
219; BGH, Urt. v. 20.10.2005 - VII ZR 153/04 = NZBau 2006, 107).
33
2.
den Zusatz „auf erstes Anfordern“ auszulegen wäre, kommt nicht in Betracht. Denn eine ergänzende
Vertragsauslegung, die durch eine Vertragslücke infolge einer unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingung
veranlasst ist, hat sich stets an einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu orientieren, der am Willen und
Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet sein muss. Sie verbietet sich demnach im
vorliegenden Fall bereits Hinblick auf die vielfältigen Möglichkeiten einer Sicherung des Auftraggebers, wie sie
insbesondere durch § 17 VOB/B vorgegeben sind und auch in der Praxis verwendet werden. Die
Rechtsprechung hat dies bereits mehrmals entscheiden (BGH, Urt. v. 09.12.2004 - VII ZR 265/03 = NZBau
2005, 219; BGH, Urt. v. 14.04.2005 - VII ZR 56/04 = NZBau 2005, 460; vgl. dazu Werner / Pastor , Der
Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rn. 1260).
34 Soweit die Klägerin meint, etwas anderes ergebe sich aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 25.03.2004 - VII ZR
453/02 = NZBau 2004, 322, ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung sich (wie auch die Entscheidung
BGHZ 151, 229 = NZBau 2002, 559) ausdrücklich auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft, nicht hingegen auf
eine Gewährleistungsbürgschaft bezog (zu dieser - maßgebenden - Differenzierung auch Werner / Pastor , Der
Bauprozess, 12. Aufl. 2008, Rn. 1260). Eine ergänzende Vertragsauslegung in dem Falle, dass bei der
Sicherung von Gewährleistungsansprüchen formularmäßig kein angemessener Ausgleich vorgesehen ist,
kommt daher nicht in Betracht.
35
3.
der Sicherungsabrede berufen (vgl. nur BGH, Urt. v. 09.12.2004 - VII ZR 265/03 = NZBau 2005, 219). Daran ist
die Beklagte vorliegend auch dann nicht gehindert, wenn - möglicherweise - ein bereicherungsrechtlicher
Anspruch der Hauptschuldnerin auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verjährt sein sollte. Die auf die
Inanspruchnahme aus der Bürgschaft gerichtete Einrede der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede wird durch
die Verjährung des auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde gerichteten Anspruches nämlich nicht berührt. Aus
der (möglichen) Verjährung des Herausgabeanspruch folgt somit nicht, dass der Bürge plötzlich schutzlos
gestellt und unbedingt zur Leistung verpflichtet wäre. Er behält vielmehr seine Rechte aus § 768 BGB.
II.
36 Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 91 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709
Satz 2 ZPO.