Urteil des LG Siegen vom 27.11.2008

LG Siegen: treuhänder, nettoeinkommen, erwerbstätigkeit, obliegenheit, angestellter, deckung, dienstverhältnis, kausalzusammenhang, zahlungsunfähigkeit, auskunftserteilung

Landgericht Siegen, 4 T 130/08
Datum:
27.11.2008
Gericht:
Landgericht Siegen
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 T 130/08
Tenor:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Schuldner
auferlegt.
3. Der Gegenstandswert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.
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G r ü n d e:
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I.
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Der Schuldner hat am 06.08.2004 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und am
10.08.2004 die Erteilung der Restschuldbefreiung unter Beifügung einer
Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 S. 1 InsO beantragt. Mit Beschluss des
Amtsgerichts Siegen vom 28.01.2005 ist über das Vermögen des Schuldners das
Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit eröffnet und Rechtsanwalt T zum
Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach Abhaltung des Schlusstermins am 24.05.2006
hat das Amtsgericht Siegen mit Beschluss vom 24.05.2006 dem Schuldner gemäß §
291 InsO die Restschuldbefreiung angekündigt und Rechtsanwalt T zum Treuhänder
bestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 23.06.2006 ist das
Insolvenzverfahren mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben
worden.
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In seinen Berichten vom 23.07.2007 und 07.01.2008, auf die Bezug genommen wird (Bl.
115 d.A. Sbd.), hat der Treuhänder folgendes mitgeteilt:
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Aufgrund der vom Schuldner vorgelegten Unterlagen lasse sich nicht zweifelsfrei
feststellen, ob dieser ein pfändbares Einkommen beziehe oder nicht. Es seien keine
Rechnungen eingereicht worden, welche die Zahlungseingänge auf den
Kontoauszügen nachwiesen. Die Ausgangsrechnungen der Privatpraxis seien weder
mit Rechnungsnummern noch chronologisch erfasst, so dass ihre Vollständigkeit nicht
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überprüft werden könne. Bei einer Beschäftigung als angestellter Arzt könne der 1951
geborene Schuldner nach BAT Vergütungsgruppe II.a unter Berücksichtigung seiner
Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau ein monatliches Bruttoeinkommen von
4.206,28 € erzielen. Nach Steuerklasse III führe dies zu einem Nettoeinkommen von
2.613,86 €. Hiervon sei nach der Pfändungstabelle zu § 850c ZPO monatlich ein Anteil
von 627,05 € pfändbar.
Die Beteiligten zu 1.) bis 4.) haben mit Schreiben vom 27.11.2007, 28.11.2007,
31.10.2007 und 13.11.2007, ergänzt durch Schreiben vom 11.02.2008, 28.02.2008 und
07.03.2008 beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen.
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Sie behaupten: Der Schuldner habe gegen seine Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1
Ziff. 1 und 3 InsO verstoßen. So habe er sich nicht um eine angemessene
Erwerbstätigkeit bemüht. Auch habe er keinerlei pfändbaren Beträge an den Treuhänder
gezahlt und über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Nachweise
vorgelegt. Es liege auch eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 2 InsO vor, da
der Schuldner als angestellter Arzt ein Einkommen erzielen könnte, von dem monatlich
mindestens 1.424, 40 € pfändbar sei. Die Beteiligte zu 3.) errechnet ein nach BAT II.a
erzielbares monatliches Nettoeinkommen des Schuldners von 2.182,81 €, von dem ein
Betrag von 836,40 € pfändbar sei. Durch sein Verhalten habe der Schuldner die
Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt.
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Der Schuldner behauptet: Er habe dem Treuhänder alle angeforderten Unterlagen zur
Verfügung gestellt.
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Mit Beschluss vom 16.05.2008, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird,
hat das Amtsgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung versagt. Zur Begründung
hat es ausgeführt: Der Schuldner habe während der Wohlverhaltenszeit entgegen §
295. Abs. 1 Ziff. 1 InsO keine angemessene Erwerbstätigkeit ausgeübt und sich auch
nicht um eine solche bemüht. Außerdem habe er entgegen § 295 Abs. 1 Ziff. 3 InsO dem
Gericht und dem Treuhänder keine Auskunft über seine Bezüge und sein Vermögen
erteilt.
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Gegen diesen am 24.05.2008 zugestellten Beschluss hat der Schuldner mit Schreiben
vom 26.05.2008, bei Gericht eingegangen am 29.05.2008, Einspruch eingelegt, den er
wie folgt begründet:
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Der Treuhänder habe während seiner privatärztlichen Tätigkeit ab 15.03.2006 sämtliche
Kontoauszüge, Quittungen und Belege erhalten. Er – der Schuldner - unterhalte
lediglich ein einziges Konto bei der X Bank, auf das die Überweisungen der
Privatpatienten erfolgten. Nach Wiedererteilung seiner Kassenzulassung am
30.01.2008 habe er erst ab 01.04.2008 seine Kassenarzttätigkeit wieder aufnehmen
können. Von der kassenärztlichen Vereinigung beziehe er monatlich eine
Abschlagszahlung von 5.000,00 €, die zur Deckung der Praxiskosten nicht ausreiche.
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Seine Ehefrau und vier Kinder seien nunmehr in seiner Praxis gegen Entgelt in
unterschiedlicher Höhe angestellt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Schreiben
des Schuldners vom 10.07.2008 Bezug genommen (Bl. 172 d.A. Sbd.)
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II.
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Die gemäß § 296 Abs. 3 InsO zulässige Beschwerde ist unbegründet.
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Das Amtsgericht hat dem Schuldner im Ergebnis zu Recht die Restschuldbefreiung
versagt. Er hat gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO während der sechsjährigen
sogenannten Wohlverhaltensperiode, die mit der am 24.05.2006 erfolgten Ankündigung
der Restschuldbefreiung begann, seine Obliegenheiten gemäß § 295 InsO verletzt.
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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegt allerdings keine Verletzung der
Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 InsO vor. Die Obliegenheit nach § 295
Abs. 1 Ziff. 1 InsO, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, betrifft nur den in
abhängiger Beschäftigung stehenden erwerbsfähigen Schuldner (Münchener
Kommentar/Ehricke, § 295 InsO Rn. 13; HK/Streck, § 295 InsO Rn. 3). Die
Auskunftsobliegenheit gemäß § 295 Abs. 1 Ziff. 3 InsO richtet sich zwar sowohl an den
unselbständig tätigen als auch den selbständig tätigen Schuldner. Soweit es jedoch um
Auskunftserteilung über Bezüge geht, sind hier jedoch lediglich Bezüge gemeint, die
von der Abtretungserklärung nach § 287 Abs. 2 InsO erfasst werden. Hierunter fällt nicht
der Gewinn aus selbständiger Tätigkeit (BGH NJW-RR 2006, 1138). Da der Treuhänder
den Schuldner im vorliegenden Fall gerade zur Auskunft über seine Einnahmen aus
selbständiger Tätigkeit aufgefordert hat, liegt in der unvollständig erteilten Auskunft
keine Obliegenheitsverletzung nach dieser Vorschrift.
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Der Schuldner hat allerdings seiner Obliegenheit gemäß § 295 Abs. 2 InsO
zuwidergehandelt. Danach obliegt es dem Schuldner, der eine selbständige Tätigkeit
ausübt, die Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, wie
wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre. Mit dieser Regelung
soll erreicht werden, dass sich der Schuldner während der Wohlverhaltensperiode nach
Kräften darum bemüht, die Gläubigerforderungen so weit als möglich zu befriedigen. In
den Genuss der Restschuldbefreiung soll nämlich nur der redliche Schuldner kommen
Die Obliegenheit gemäß § 295 Abs. 2 InsO verbietet es dem Schuldner zwar nicht, einer
selbständigen Tätigkeit nachzugehen. Sie berücksichtigt andererseits aber auch das
Befriedigungsinteresse der Gläubiger, indem sie dem Schuldner aufgibt, seine
Gläubiger so zu stellen, wie sie bei Eingehung eines angemessenen abhängigen
Dienstverhältnisses stünden (Münchener Kommentar/Ehricke, § 295 InsO Rn. 1, 100).
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Die Beteiligten zu 1.) bis 4.) haben glaubhaft gemacht, dass der Schuldner nach den
Berechnungen des Treuhänders als angestellter Arzt im öffentlichen Dienst nach dem
BAT, Vergütungsgruppe II a ein monatliches Nettoeinkommen von 2.613,86 € erzielen
könnte. Unter Zugrundelegung einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Ehefrau
errechnete sich nach der Pfändungstabelle zu § 850 c ZPO ein pfändbarer Betrag von
monatlich 627,05 €, den zumindest er an die Insolvenzgläubiger abführen müsste. Das
fiktive Nettoeinkommen, auf das nach § 295 Abs. 2 InsO alleine abzustellen ist, ist aus
einem angemessenen Dienstverhältnis, d.h. eine dem Schuldner mögliche abhängige
Tätigkeit zu berechnen (BGH NZI 2007, 297). Der Schuldner ist der Richtigkeit dieser
Berechnung nicht entgegen getreten. Sein Einwand, ein derartiges Einkommen aus
abhängiger Beschäftigung reiche zur Deckung seiner Kosten aus selbständiger
Tätigkeit nicht aus, ist unerheblich. Die Regelung des § 295 Abs. 2 InsO stellt gerade
auf ein fiktives und nicht auf das konkret erzielte Einkommen des Schuldners ab.
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Durch die Obliegenheitsverletzung ist auch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger
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konkret beeinträchtigt worden (§ 296 Abs. 1 S. 1, 1. HS InsO). Ein
Kausalzusammenhang besteht dann, wenn die Insolvenzgläubiger ohne die
Obliegenheitsverletzung eine bessere Befriedigung im Hinblick auf ihre Forderungen
hätten erreichen können (BGH NZI 2008, 623). Die Befriedigung der Gläubiger wird in
Höhe des nicht abgeführten pfändbaren Betrages von 627,05 € beeinträchtigt.
Der Schuldner hat schließlich nicht dargelegt, dass ihn an der festgestellten
Obliegenheitsverletzung kein Verschulden trifft (§ 296 Abs. 1 S. 1 InsO).
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Die Versagung der Restschuldbefreiung kann auch auf die Obliegenheitsverletzung
gemäß § 295 Abs. 2 InsO gestützt werden, obwohl das Amtsgericht diesen Grund bei
seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hat. Die Beteiligten zu 1.) und 4.) haben
nämlich spätestens nach dem Bericht des Treuhänders vom 07.01.2008 und damit
binnen der Jahresfrist des § 296 Abs. 1 S. 2 InsO in ihren Stellungnahmen vom
28.02.2008 und 12.03.2008 den Versagungsantrag auch mit der
Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 2 InsO begründet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 4 InsO, 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des
Gegenstandswertes auf §§ 28 Abs. 3, 23 Abs. 3 S. 2 RVG.
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