Urteil des LG Siegen vom 24.01.2006

LG Siegen: treu und glauben, geringes verschulden, zugesicherte eigenschaft, medikamentöse behandlung, krasses missverhältnis, atembeschwerden, hersteller, preisnachlass, vergleich, firma

Landgericht Siegen, 8 O 115/06
Datum:
24.01.2006
Gericht:
Landgericht Siegen
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 115/06
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Atembeschwerden, Klebstoff,
Ausdünstungen, handelsüblich, Vergleich
Normen:
BGB § 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 847
Leitsätze:
Der Werkunternehmer ist nicht schon dadurch entlastet, dass er ein
handelsübliches Produkt verwendet hat (hier Klebstoff zur Verlegung
von Teppichböden).
Ein einvernehmlicher Preisnachlass nach Kenntnis der
gesundheitlichen Beeinträchtigungen steht als Vergleichsvertrag der
Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche wegen
gesundheitlicher Schäden entgegen, sofern nicht die Verschlimmerung
außergewöhnlich und fern liegend ist.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
vollstreckten Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Beklagte verlegte am 25./26.3.2003 in der Wohnung des Klägers einen
Teppichboden der Firma U Typ 730 und benutzte zum Verkleben den Kleber der Firma
V, Typ ZU 90. Gemäß Produktdatenblatt des Herstellers (Blatt 35) handelt es sich um
einen wasserbasierenden Dispersionsklebstoff, der lösemittelfrei und 51 "sehr
emissionsarm" gemäß EC 1 ist und" keine nach heutigen Kenntnisstand relevanten
Emissionen " aufweist.
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Nach dem der Kläger über Atembeschwerden geklagt hatte, hat der Beklagte am
3./4.4.2003 dem Teppichboden gegen neue Ware ausgetauscht und zuvor den Estrich
abgeschliffen, sodann diesen geschachtelt und am nächsten Tag mit dem Kleber V
verklebt. Dieser ist nach Angaben des Herstellers "sehr emissionsarm gemäß EC 1"
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(Datenblatt des Herstellers Blatt 30 bis 32). Unter dem 18.4.2003 erteilte der Beklagte
dem Kläger eine Rechnung über 1.868,85 € (Blatt 29). Im Schreiben von 22.4.2003
(Blatt 49) teilte der Kläger dem Beklagten mit:" Ich hoffe, dass sie die gesundheitlichen
Belastungen die wir fast drei Wochen durchstehen mussten berücksichtigen und einen
dem entsprechenden Abzug der Rechnung vornehmen". In diesem Schreiben sprach
der Kläger von "unangenehmen 10 Tage Belastungen in gesundheitlichen Bereich, die
auch noch 14 Tage bestanden haben als die Arbeit beendet war". Im Schreiben vom
7.5.2003 (Blatt 50) hat der Kläger den Beklagten an die Beantwortung des Schreibens
vom 22.4. 2003 erinnert, gesundheitliche Beschwerden jedoch nicht mehr erwähnt. Im
Telefongespräch vom 8.5. 2003 haben sich die Parteien auf eine Reduzierung der
Rechnung auf 1000 € geeinigt.
Am 1.4.2003 suchte der Kläger wegen Atemschwierigkeiten Dr. med. S auf
(Bescheinigung vom 12.4.2005, Blatt 8). Die ärztliche Bescheinigung vom 20.10.2004
(Blatt 9) bestätigt, der Kläger klage seit 18 Monaten über Atemnot, nach Kontakt mit
einem Kleber zum Verlegen eines Fußbodens. Eine Allergie hat der Arzt allerdings nicht
bestätigt, stattdessen eine Verschlechterung der kardialen Situation diagnostiziert und
daher eine kardiale Nachuntersuchung empfohlen.
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Der Kläger behauptet, der Beklagte habe bei der ersten Verlegung des Teppichbodens
einen Fehler begangen, in dem er den alten Klebstoff nicht vollständig entfernt und
darauf direkt dem neuen Klebstoff aufgebracht habe, um den neuen Teppichboden zu
befestigen. Dadurch sei es zu einer chemischen Reaktion gekommen, die bei ihnen
nach kurzem Aufenthalt im Wohnzimmer Atemprobleme verursacht habe. Bis dahin sei
er sportlich aktiv gewesen, in dem er geschwommen sei, geturnt habe und Rad gefahren
sei. Inzwischen hätten die Atemwegebeschwerden trotz des Austauschs des
Teppichbodens zugenommen und ihm sei eine Sauerstofflangzeittherapie verordnet
worden.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das
Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 25.000 € nebst 5% Zinsen über
dem Basiszinssatz ab dem 21.5.2005 nebst vorgerichtliche Anwaltskosten von 528,84 €
zu zahlen,
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen materiellen und
immateriellen Schäden aus dem Ereignis vom 25.3.2003 zu bezahlen, soweit die
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte behauptet, die Ausdünstungen des Klebstoffes sei schlichtweg
hinzunehmen und sei nur durch Lüften zu bewältigen. Er habe die Regeln der Technik
eingehalten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Teppichboden und den
Atembeschwerden des Klägers bestehe nicht. Der Beklagte ist der Ansicht, aus den
vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ergebe sich eine gesundheitliche
Beeinträchtigung durch den Klebstoff nicht, da nicht einmal Medikamente dem Kläger
verordnet wurden. Durch die Reduktion der Rechnung auf 1000 € seien alle
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wechselseitigen Ansprüche erledigt wurden.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen und die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Ein Schadensersatzanspruch steht dem Kläger
nicht zu.
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Ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 634 Nr. 4, 636, 280, 281, 847 BGB setzte einen
Mangel im Sinn von § 633 Abs. 1, 2 BGB voraus. Dieser wäre gegeben, wenn die
Ausdünstungen aus dem Teppichboden, den zur Zeit der Verlegung geltenden
anerkannten Regeln der Technik nicht entsprochen hätte oder die Verlegung des
Teppichbodens mit Fehlern behaftet wäre, die seine Gebrauchstauglichkeit aufhöben
oder minderten, oder wenn ihm eine zugesicherte Eigenschaft fehlte.
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I.
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Der Werkunternehmer ist nicht schon dadurch entlastet, dass er ein handelsübliches
Produkt verwendet hat (vgl. OLG Köln 3. Zivilsenat, Urteil vom 17. Dezember 2002, Az:
3 U 66/02 = Juris Nr: KORE503752003 = MDR 2003, 618-619) oder dem Kunden
ebenfalls ein Anspruch nach dem Produkthaftpflichtgesetz gegen den Hersteller zu
steht. Hier steht es dem Werkunternehmer frei, dem Hersteller den Streit zu verkünden.
Der Verleger eines Teppichbodens haftet auf Schadensersatz, wenn eine chemische
Unverträglichkeit von Kleber und Teppichboden zu übelriechenden Ausgasungen
geführt hat (und der Verleger die vom Hersteller empfohlenen Probeversuche
unterlassen hat – vgl. OLG Frankfurt 23. Zivilsenat, Urteil vom 1. März 2000, Az: 23 U
221/96 = Juris Nr: KORE542212000 = NJW-RR 2000, 1188).
17
II.
18
Der Frage der Mangelhaftigkeit der Werkleistung des Beklagten ist hier nicht
nachzugehen, weil etwaige Schadenersatzansprüche des Klägers durch den
Abfindungsvergleich der Parteien vom 8.5.2003 abgegolten sind.
19
1.
20
Die einvernehmliche Reduzierung der Rechnung vom 18.4.2003 über 1.868,85 € (Blatt
29) im Telefongespräch der Parteien vom 8.5.2003 auf 1000 € stellt einen Vergleich dar,
der im Rahmen des gegenseitigen Nachgebens einen Erlass etwaiger weitergehender
Schadensersatzforderungen (vgl. BGHZ 83, 245, 250) beinhaltet. Die Rechtswirkungen
des Vergleichs sind dabei durch interessengerechte Vertragsauslegung zu ermitteln.
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Der Beklagte durfte das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Vergleichsvertrages
dahin verstehen, dass damit auch die behaupteten Atembeschwerden abgegolten
werden sollten. Nachdem der Beklagte nur wenige Tage nach der Verlegung des ersten
Teppichbodens am 26.3.2003 an 4.4.2003 den Teppichboden mit einem anderen vom
Hersteller als sehr emissionsarm eingestuften Klebstoff V neu verlegt hat, konnte er den
Vorschlag des Klägers zu Reduzierung der Rechnung im Schreiben vom 22.4.2003
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(Blatt 49) nur dahin verstehen, dass damit auch etwaige gesundheitliche
Beeinträchtigungen abgegolten sein sollten, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung
bei ausreichenden Lüften nur einige Tage bestanden haben können. Dass dem auch so
war, hatte der Kläger selbst in seinem Schreiben vom 22.4.2003 (Blatt 49) gegenüber
dem Beklagten bestätigt, indem er die gesundheitlichen Probleme zu Anlass des
Vorschlages der Reduzierung des Werklohnes aufgeführt und zugleich die
gesundheitlichen Probleme in der Vergangenheitsform erwähnt hat: "…die
gesundheitlichen Belastungen die wir fast drei Wochen durchstehen mussten
berücksichtigen und ein dem entsprechenden Abzug der Rechnung vornehmen…".
Einen solchen Vergleichsvorschlag konnte der Beklagte gar nicht anders verstehen, als
dass damit neben weiteren möglichen Schadensersatzansprüchen auch etwaige
gesundheitliche Beeinträchtigungen des Klägers abgegolten sein sollten.
2.
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Die Voraussetzungen der Unwirksamkeit des Vergleichsvertrages oder der
Notwendigkeit seiner Anpassung gemäß §§ 311,779 BGB hat der Kläger nicht
dargelegt.
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Diese setzten neben dem Auftreten nicht vorhergesehener, die Schadenshöhe
betreffender Umstände ein krasses Missverhältnis zwischen der Vergleichssumme und
dem Schaden voraus. Fallen die eingetretenen Veränderungen in den vom
Geschädigten übernommenen Risikobereich, so muss dieser grundsätzlich auch bei
erheblichen Opfern, die sich später herausstellen, diese Folgen tragen (vgl. OLG
Koblenz 12. Zivilsenat, Urteil vom 29. September 2003, Az: 12 U 854/02 = Juris Nr:
KORE427602003 = NJW 2004, 782-783; BGH VersR 1957, 505, 508; 1990, 984; NJW
1984, 115, 116). Grundsätzlich trägt jeder Vertragspartner beim Abschluss eines
Vergleichs ein Prognoserisiko, dass ihm nicht durch die bloße Veränderung der
tatsächlichen Umstände und Verschlimmerung der zunächst eingetretenen Folgen zu
Lasten des anderen abgenommen werden kann.
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Zwar war der Kläger bei Abgabe des Vergleichsvorschlages im Schreiben vom
22.4.2003 davon ausgegangen, dass die gesundheitliche Beeinträchtigungen lediglich
über einem Zeitraum von 14 Tagen bestanden haben, wie die Formulierung belegt:
"unangenehmen 10 Tage Belastungen in gesundheitlichen Bereich, die auch noch 14
Tage bestanden haben als die Arbeit beendet war". Auch wenn man davon ausgeht,
dass sich die heute behaupteten andauernde chronische Atemwegebeschwerden erst
längere Zeit nach der Verlegung des Teppichbodens verschlimmert haben, ist das kein
Grund, ein Festhalten an dem Vergleichsvertrag als unzumutbar oder nicht
interessengerecht anzusehen. Der Beklagte hat mit über 800 € einen recht erheblichen
Preisnachlass von fast 50% gewährt, nachdem er bereits einmal die Werkleistung
komplett neu erbracht hatte. Da er sich dabei bemüht hat, den Atemwegebeschwerden
des Klägers gerecht zu werden und einen anderen als sehr emissionsarm gehandelten
handelsüblichen Werkstoff benutzt hat, wäre ihm - eine mangelhafte Werkleistung
unterstellt - nur ein geringes Verschulden vorzuwerfen. Der Hersteller hatte die
verwendeten Kleber V und V1 als nach der Norm Emicode EC 1 "sehr emissionsarm
"bezeichnet und dazu angegeben, nach heutigem Kenntnisstand Weise dieser keine
relevanten Emissionen von Schadstoffen auf. Damit hatte der Beklagte, abgesehen von
der behaupteten unzureichenden Entfernung des alten Klebers bei der ersten
Verlegung, alles in seinen Kräften stehende getan, um die Beanstandungen des
Klägers zu beheben und durfte gemeinsam mit den Kläger davon ausgehen, durch den
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Preisnachlass von 46% etwaige gesundheitliche Beeinträchtigungen abgegolten zu
haben und somit auch in der Zukunft von Schadensersatzforderungen des Klägers frei
zu sein.
Eine Wiederkehr beziehungsweise Verschlimmerung der Atembeschwerden war
angesichts des gesundheitlichen Zustandes des Klägers, der unter einer koronarer
Erkrankung litt und zum damaligen Zeitpunkt bereits 76 Jahre alt war, bereits aus
Gründen des allgemeinen Lebens- und Altersrisikos nicht unwahrscheinlich. Wegen der
altersbedingt geschwächten Gesundheit und Widerstandskraft im Vergleich zu jüngeren
Geschädigten sowie zuvor bestehenden Einschränkungen aufgrund der koronaren
Erkrankung, war eine Verschlimmerung des gesundheitlichen Zustandes in den
folgenden Jahren, die möglicherweise auch auf das Schadensereignis zurückgehende
Atemwegebeschwerden beinhalten konnte, nicht fern liegend und musste von den
Parteien bei sorgfältiger Abwägung der möglichen künftigen Folgen mit einkalkuliert
werden.
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Die Berufung des Geschädigten auf eingetretene Verschlimmerung kann
ausnahmsweise auch bei vorhersehbaren Spätfolgen nach Treu und Glauben zulässig
sein, wenn zunächst alle Beteiligten einschließlich der Ärzte von nur vorübergehenden
Verletzungsfolgen ausgegangen sind und sich zunächst hierauf einstellen durften und
eingestellt haben, die später eingetretene Gesundheitsbeschädigung demgegenüber
aber außergewöhnlich und existenzbedrohend ist, wie etwa bei einer
Querschnittslähmung (OLG Hamm 6. Zivilsenat, Urteil vom 3. November 1998, Az: 6 U
48/98 = Nr: KORE508739900 = ZfSch 1999, 93-94). So liegt der Fall hier aber nicht,
denn die erste vom Kläger vorgelegte ärztliche Bescheinigung aus dem Zeitraum nach
Abschluss des Vergleichsvertrages datiert vom 20.10.2004 (Anlage K2), ohne jedoch
eine konkrete medikamentöse Behandlung im Bereich der Atembeschwerden zu
belegen. Erst die ärztliche Bescheinigung vom 28.10.2005 (Blatt 64) dokumentiert nach
mehr als zweieinhalb Jahren nach der behaupteten Pflichtverletzung eine erhebliche
Verschlimmerung der Atemwegebeschwerden durch die Verordnung eines
Flüssiggassauerstoffsystems. Diese Verschlimmerung stellt zwar auch für den
inzwischen fast 79 jährigen Kläger eine erhebliche Einschränkung seiner
Lebensqualität dar, erreicht aber nicht den Grad der Verschlimmerung, der erforderlich
wäre, um ein Festhalten an dem im Alter von 77 Jahren abgeschlossenen
Abfindungsvergleichvertrag als treuwidrig zu bewerten.
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III.
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Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
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