Urteil des LG Siegen vom 07.03.2007

LG Siegen: erfüllungsort, internationale zuständigkeit, ware, bestimmungsort, käufer, werklieferungsvertrag, bindungswirkung, ipr, transport, cisg

Landgericht Siegen, 8 O 250/06
Datum:
07.03.2007
Gericht:
Landgericht Siegen
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Teilurteil
Aktenzeichen:
8 O 250/06
Normen:
ZPO § 281; Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO; Incotermklausel DDU-
Bestimmungsort
Leitsätze:
1.
Eine Verweisung gemäß § 281 ZPO bindet nicht hinsichtlich der
internationalen Zuständigkeit.
2.
Bei einem Werklieferungsvertrag bestimmt sich der Erfüllungsort nach
Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO.
3.
DDU-Bestimmungsort-Klausel als Vereinbarung über den Erfüllungsort.
Tenor:
Das Gericht ist zur Entscheidung des Rechtsstreits international
zuständig.
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin forderte die Beklagte mit Faxschreiben vom 26.06.2003 " aufgrund unserer
Einkaufsbedingungen ", "geliefert Fa. T1, T2" zu einem Angebot für die Fertigung und
Lieferung von Schmiedestücken ihren nach technischen Vorgaben auf (K 2). Bereits mit
Schreiben vom 20.11.2002 hatte die Klägerin unter Beifügung ihrer
Einkaufsbedingungen bei der Beklagten Schmiedestücke bestellt gehabt (K 19, Bl. 73
d.A.). Der Vertrag war entsprechend der Bestellung durchgeführt worden.
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Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Faxschreiben vom 2.7./14.7.2003 ein Angebot
unter Bezugnahme auf die Faxanfrage der Klägerin vom 26.6.2003 (Bl. 148 bis 150
d.A.). Das Angebot enthält zur "Preisstellung" die Klausel: "frei Ihrem Werk –
Verpackung ausschließlich". Mit bei der Beklagten am 22.7.2003 eingegangenem
Schreiben vom 9.7.2003 gab die Klägerin bei der Beklagten unter Bezugnahme auf
deren Angebot vom 4.7. (richtig: 2.7.2003) und 14.7.2003 eine Bestellung auf (K 2). In
dem Bestellschreiben befindet sich u.a. die Klausel: "Lieferbedingung: DDU Fa. T1".
Der Bestellung waren die C – Einkaufsbedingungen "T" Stand Januar 2002 beigefügt,
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die u.a. folgende Klausel enthalten:
"19.2: Gerichtsstand ist nach Wahl der C entweder M am Rhein oder der allg.
Gerichtsstand des Auftragnehmers."
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Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 17.9.2003 technische
Unterlagen zur Bestellung vom 9.7.2003 (K 4).
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In der Folgezeit fertigte die Beklagte nach den technischen Zeichnungen der Klägerin
die Schmiedestücke und lieferte sie in 3 Chargen am 27.11., 02.12. und 03.12.2003 an
die mit der Weiterverarbeitung beauftragte Fa. T1 nach T2 aus. Die Lieferscheine
übersandte sie jeweils der Klägerin. Bei Fa. T1 wurden die einzelnen Werkstücke zur
Herstellung eines Druckbehälters verschweißt. Dieser wurde mit anderen Teilen zum
Bau eines Hochdruckabscheiders verwendet.
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Nach Abschluss der Schweißarbeiten gelangten die Klägerin und Fa. T1 aufgrund
eingeholter Analysen zu der Überzeugung, dass der von der Beklagten für die
Schmiedestücke verwendete Stahl einen höheren Kohlenstoffgehalt aufwies, als er
nach dem für die Fertigung maßgeblichen VdTÜV –Werkstoffblatt 440/3 zulässig war.
Mit Schreiben vom 20.2.2004 an die Beklagte machte die Klägerin Mängelrügen geltend
und verlangte Nachbesserung. Die Beklagte hat für die beanstandeten Schmiedestücke
eine Ersatzlieferung vorgenommen.
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Mit der Klage macht die Klägerin Ersatz der Kosten in Höhe von 66.600,00 € geltend,
die dadurch entstanden sind, dass Fa. T1 die ursprünglich von der Beklagten gelieferten
Werkstücke aus dem Hochdruckabscheider herausgeschnitten und durch die
ersatzgelieferten Stücke ersetzt hat.
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Die beim für den Sitz der Klägerin zuständigen Landgericht Frankenthal erhobene
Klage ist durch Beschluss dieses Gerichts vom 16.2.2006, auf den Bezug genommen
wird, Bl. 99 d.A., an das Landgericht Siegen verwiesen worden.
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Das Gericht hat die abgesonderte Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage
angeordnet.
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Die Klägerin ist der Auffassung: Das Landgericht Siegen sei für die Entscheidung
international zuständig. Erfüllungsort gemäss Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO sei der Ort, an den
die Waren vertragsgemäß geliefert worden seien. Dies sei nach dem Inhalt ihrer
Bestellung vom 9.7.2003 T2 als Sitz der Fa. T1. Für den Erfüllungsort am Sitz dieser
Firma spreche auch die in der Bestellung angegebene Lieferbedingung "DDU Fa. T1".
Damit habe die Beklagte alle Kosten und Gefahren bis zum Bestimmungsort
übernommen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 66.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von
8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit sowie 920,00 € vorgerichtliche Kosten zu zahlen,
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hilfsweise, den Rechtsstreit an das zuständige Zivilgericht in Italien zu
verweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Vorab rügt sie die internationale Unzuständigkeit des Landgerichts Siegen.
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Sie ist der Ansicht, Erfüllungsort nach dem hier maßgeblichen UN-Kaufrecht sei der Ort,
an dem die Ware dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer übergeben
worden sei. Sie behauptet: Zwischen den Parteien sei eine Versendungskauf vereinbart
worden. Sie habe mit der Lieferung der Schmiedestücke an Fa. T1 eine fremde
Transportfirma, Fa. P, beauftragt. Diese habe die Teile bei ihr abgeholt und nach T2
geliefert. Die Beklagte meint weiter: Gegen einen Versendungskauf spreche auch nicht
die "DDU – Klausel" in der Bestellung der Klägerin. Da diese in ihrem – der Beklagten –
Angebot nicht enthalten sei, sei bereits fraglich, ob sie wirksamer Vertragsbestandteil
geworden sei. Im übrigen gelte der Erfüllungsort des Versendungskaufs – Ort der
Übergabe an den ersten Beförderer – auch dann, wenn die Ware nicht an den Sitz des
Käufers, sondern – wie hier – unmittelbar an den Sitz des Abnehmers des Käufers
geliefert werde.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist zulässig.
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Das Landgericht Siegen ist zur Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig.
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Nachdem die Beklagte die Rüge der internationalen Zuständigkeit vor dem Landgericht
Siegen aufrechterhalten hat, war hierüber von Amts wegen zu entscheiden. Insoweit hat
der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankenthal vom 16.2.2006 keine
Bindungswirkung gemäss § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Die Verweisung gemäss § 281 ZPO
betrifft nur die örtliche und sachliche, nicht jedoch die internationale Zuständigkeit
(Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Rdnr. 1). Bindungswirkung ergibt sich daher lediglich,
soweit das Landgericht Frankenthal den Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit
an das Landgericht Siegen verwiesen hat. Außerhalb des Anwendungsbereichs des
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§ 281 ZPO ist der Verweisungsbeschluss nicht bindend (Thomas/Puzo/Reichold, a.a.O.,
Rdnr. 14; OLG Karlsruhe NJW-RR 89, 187).
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Im vorliegenden Fall ist das Landgericht Siegen international zuständig.
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In Übereinstimmung mit dem Landgericht Frankenthal geht das Gericht davon aus, dass
eine Gerichtsstandsvereinbarung gemäss Art. 23 EuGVVO nicht wirksam zustande
gekommen ist, sich der Gerichtsstand vielmehr nach dem Erfüllungsort gemäss Art. 5
EuGVVO bestimmt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts Frankenthal ist im
vorliegenden Fall jedoch nicht Art. 5 Nr. 1 a, sondern Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO
maßgeblich. Sofern nämlich der Vertrag die Voraussetzungen des Art. 5 Nr. 1b erfüllt, ist
der Erfüllungsort dieser Vorschrift zu entnehmen, es sei denn der hiernach ermittelte
Erfüllungsort läge außerhalb des geographischen Anwendungsbereichs der EuGVVO
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oder die Parteien hätten einen anderen Erfüllungsort vereinbart (OLG Düsseldorf OLGR
04, 208; Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, Art. 5 EuGVVO Rdnr. 85, 92). Art.
5 Nr. 1 b gilt für den Verkauf beweglicher Sachen bzw. für die Erbringung von
Dienstleistungen. Erfüllungsort ist der Ort in einem Mitgliedsstaat, an den die Waren
vertragsgemäß geliefert bzw. die Dienstleistungen vertragsgemäß erbracht worden sind.
Dabei ist der Erfüllungsort nicht mehr nach dem IPR des Gerichtsstaates, sondern
gemeinschaftsrechtlich autonom zu bestimmen. Abgestellt wird einheitlich für Leistung
und Gegenleistung auf den Ort der Erbringung der vertragscharakteristischen Leistung
(OLG Düsseldorf a.a.O., Geimer/Schütze a.a.O. Rdnr. 84, 85).
Der zwischen den Parteien zustande gekommene Vertrag stellt einen
Werklieferungsvertrag dar. Die Beklagte hatte die geschuldeten Schmiedestücke aus
von ihr beschafftem Material zu fertigen und an die Klägerin zu liefern.
Werklieferungsverträge sind Verträge im Sinne des Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO, bestehend
aus einem kaufvertraglichen und werkvertraglichen Element, wobei der werkvertragliche
Teil als Dienstleistung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO anzusehen ist (OLG
Düsseldorf a.a.O., Musielak/Weth, ZPO, Art. 5 EuGVVO Rdnr. 2).
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Es kann allerdings dahingestellt bleiben, an welchem Ort die vertragscharakteristische
Leistung aus dem Werklieferungsvertrag gemäss Art. 5 Nr. 1 b EuGVVO erbracht
worden ist. Die Parteien haben nämlich hinsichtlich des Erfüllungsortes eine
Vereinbarung getroffen. Die Voraussetzungen und die Wirksamkeit dieser Vereinbarung
richten sich nicht nach dem vom IPR des Gerichtsstaates vorgegebenen materiellen
Recht, sondern nach einheitlichem durch die Verordnung geschaffenen
Gemeinschaftsrecht (Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 5 Rdnr. 92). Sie unterliegt auch nicht
den Regeln des Art. 23 EuGVVO (Geimer/Schütze, a.a.O., Art. 23 EuGVVO Rdnr. 52).
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Im vorliegenden Fall hat die Klägerin mit ihrer Bestellung vom 9.7.2003 das
Vertragsangebot der Beklagten vom 2.7./14.7.2003 angenommen. Die in dieser
Annahmeerklärung enthaltene Klausel "DDU Fa. T1" stellt eine Abweichung vom
Angebot dar mit der Folge, dass die Bestellung der Klägerin als Ablehnung des
Angebotes und Unterbreitung eines neuen Angebotes zu verstehen ist. Dieses neue
Angebot hat die Beklagte durch widerspruchslose Ausführung des Vertrages konkludent
angenommen. Die Klausel ist damit Vertragsinhalt geworden.
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Aufgrund der gesamten Umstände ist davon auszugehen, dass die Parteien mit der
Verwendung der DDU-Klausel den Erfüllungsort am Sitz der Fa. T1 in T2 festgelegt
haben. Bei dieser Klausel handelt es sich um eine internationale Handelsklausel, die
neben Regelungen über Kosten und Gefahrtragung gerade auch die Lieferpflichten des
Verkäufers betrifft. Nach A.4 dieser Klausel hat der Verkäufer die Ware dem Käufer oder
einer anderen vom Käufer benannten Person am benannten Bestimmungsort zur
Verfügung zu stellen. Da diese Klausel ihr Schwergewicht in der Bestimmung hat, dass
der Verkäufer für die Ankunft der Ware am vereinbarten Ort verantwortlich ist
(Münchener Kommentar/Westemann, § 447 BGB Rdnr. 12), geht sie über eine bloße
Kostenregelung hinaus. Sie regelt die Verantwortung des Verkäufers dahin, dass der
Transport wie bei der Bringschuld zu seinem Pflichtenkreis gehört, so dass ein
selbständig eingeschalteter Beförderer als sein Erfüllungsgehilfe handelt und der
Transport auf Gefahr des Verkäufers erfolgt (Bamberger/Roth, Art. 31 CISG, Rdnr. 19).
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