Urteil des LG Saarbrücken vom 04.01.2011

LG Saarbrücken: rechtliches gehör, gefahr im verzug, persönliche anhörung, fax, behörde, absender, vollstreckungsverfahren, akteneinsicht, unterbringung, befragung

LG Saarbrücken Beschluß vom 4.1.2011, 5 T 522/10
Leitsätze
1. Die Entscheidung des Betreuungsgerichts, ob die Auslagen des Betroffenen, soweit sie
zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, ganz oder teilweise der
Staatskasse aufzuerlegen sind (§ 307 FamFG), ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu
treffen.
2. Dazu ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen, bei der sowohl das eigene
Verhalten des Betroffenen eine maßgebliche Bedeutung hat, als auch eventuelle
Verfahrensmängel des entscheidenden Gerichtes zu berücksichtigen sind.
3. Der Betroffene muss von dem Betreuungsgericht vor der Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Überprüfung seiner Betreuungsbedürftigkeit grundsätzlich
nicht persönlich angehört werden (§ 278 Abs. 1Fam FG).
4. Anders verhält es sich nur dann, wenn das Betreuungsgericht anordnet, dass der
Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige
Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird oder wenn es zur Vorbereitung des
Sachverständigengutachtens die Unterbringung des Betroffenen beschließt (vgl. §§ 278
Abs. 1, 283 Abs. 1 S. 2, 284 Abs. 1 S. 2 FamFG).
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
A.
Das Amtsgericht Homburg – Betreuungsgericht – hat ein den Beschwerdeführer
betreffendes Betreuungsverfahren eingeleitet, nachdem ein Wachtmeister des
Amtsgerichtes dem Betreuungsgericht mitgeteilt hatte, der Betroffene „bombardiere“ das
Gericht mit täglich 40 – 50 wortgleichen Faxen mit dem Ziel, den Betrieb des Gerichtes
lahm zu legen. Er werde unterstützt von anderen Mitgliedern der „Ringvorsorge“, die die
gleichen Faxe unterschrieben schicken würden.
Der Betroffene vertrete die Auffassung, die Bundesrepublik Deutschland sei nicht
ordnungsgemäß gegründet, deshalb seien alle Verfassungsorgane nicht wirksam bestellt
worden. Alle Richter oder andere staatlichen Stellen hätten eigentlich deshalb keine
Entscheidungsbefugnis.
Der Betroffene sei teilweise auch aggressiv, die zuständige Gerichtsvollzieherin habe
mittlerweile Angst vor ihm.
Das Betreuungsgericht hat durch Beschluss vom 29.03.2010 eine medizinische
Sachverständige damit beauftragt, nach persönlicher Untersuchung oder Befragung des
Betroffenen ein Sachverständigengutachten zu dessen Betreuungsbedürftigkeit zu
erstellen.
Dagegen hat der Betroffene durch Schreiben vom 06.04.2010 „Widerspruch“ eingelegt
und die Zusendung der Akten zur Einsichtnahme beantragt.
Er hat ausgeführt, nach Durchsicht der Unterlagen werde er sich zu der anmaßenden
Unterstellung äußern.
Das Amtsgericht hat dem Betroffenen daraufhin Akteneinsicht bei der Geschäftsstelle
angeboten.
Mit Schriftsatz vom 19.04.2010 hat sich der Prozessbevollmächtigte des Betroffenen
bestellt und um Akteneinsicht gebeten, die ihm das Betreuungsgericht gewährt hat.
Durch Schriftsatz vom 27.05.2010 hat der Betroffene durch seinen
Prozessbevollmächtigten beantragt, das Verfahren einzustellen.
Er hat ausgeführt, er sei höchst erstaunt, aus den Akten zu erfahren, dass nach Angaben
eines Justizwachtmeisters angeblich das Amtsgericht mit Eingaben „bombardiert“ worden
sein solle. Er habe nur ein einziges Fax an das Amtsgericht geschickt. Alle weiteren Faxe
stammten nicht von ihm und seien auch nicht von ihm veranlasst worden. Offenbar gehöre
es zur Taktik der „Ringvorsorge“, der der Betroffene vor zwei Jahren beigetreten ist,
Gerichte und andere Stellen mit Faxschreiben zu überhäufen. Dies sei dem Betroffenen
jedoch nicht zuzurechnen.
Er habe keine Gerichtsvollzieherin zu Gesicht bekommen. Seine angebliche Aggressivität ihr
gegenüber könne daher schwerlich stattgefunden haben.
Das Verfahren sei einzustellen, jede weitere Begutachtung und Behelligung in dieser Sache
sei rechtswidrig.
Das Amtsgericht hat der beauftragten Sachverständigen durch Verfügung vom
01.06.2010 mitgeteilt, die Begutachtung solle nun durchgeführt werden.
Die von dem Amtsgericht beauftragte Sachverständige hat den Betroffenen zu einer
Begutachtung für den 27.08.2010 einbestellt. Der Betroffene hat diesen Termin
wahrgenommen und er hat sich gegenüber der Sachverständigen „durchgehend höflich,
angemessen und kooperativ“ gezeigt.
Die Sachverständige hat in ihrem schriftlichen Gutachten vom 14.09.2010 ausgeführt, bei
dem Betroffenen bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Zügen, die
Konfliktanfälligkeit im sozialen Leben bedinge.
Subjektiv erlebte Ungerechtigkeiten könnten zu übersteigerten Reaktionen und zu einem
übertriebenen Bestehen auf vermeintliche eigene Rechte führen.
Der Betroffene könne seine Angelegenheiten weiterhin selbst besorgen. Bei ihm lägen
überdauernde Persönlichkeitsmerkmale vor, die jedoch aktuell keine Betreuung erforderlich
machten.
Das Amtsgericht hat am 17.09.2010 beschlossen, für den Betroffenen keinen Betreuer zu
bestellen. Das eingeholte Sachverständigengutachten habe ergeben, dass keine
Notwendigkeit zur Bestellung eines Betreuers bestehe.
Den Antrag des Betroffenen, seine Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, hat das
Amtsgericht durch Beschluss vom 12.10.2010 zurückgewiesen und die Beschwerde
zugelassen.
Das Amtsgericht hat ausgeführt, der Betroffene habe Anlass zur Einleitung eines
Betreuungsverfahrens gegeben. Zumindest auch durch ihn selbst seien Faxe der
sogenannten Ringvorsorge-Gemeinschaft an das Amtsgericht übersandt worden. Der
Betroffene sei Mitglied in der „Weltanschauungsgemeinschaft Ringvorsorge“. Seine
Angaben, es könne nicht zu seinen Lasten gehen, dass Dritte als „Drittbrettfahrer“ „das
Original“ jeweils unterschreiben und versenden, ohne „den Urheber zu fragen“,
überzeugten nicht.
Gegen den am 29. Oktober 2010 zugestellten Beschluss hat der Betroffene am 17.
November 2010 Beschwerde eingelegt.
Er macht geltend, die Ausführungen der von dem Amtsgericht beauftragten
Sachverständigen deuteten darauf hin, dass aus ärztlicher Sicht entweder kein oder kaum
ein Anfangsverdacht auf Betreuungsbedürftigkeit vorhanden gewesen sei. Dies müsse sich
auf die Kosten auswirken.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie der erkennenden Kammer
zur Entscheidung vorgelegt.
B.
I.
Die von dem Amtsgericht gemäß § 61 Abs. 2 FamFG zugelassene Beschwerde ist zulässig,
sie ist gemäß § 58 FamFG statthaft und fristgerecht (§ 63 Abs. 1 FamFG) eingelegt
worden.
II.
Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.
1. Wenn – wie im vorliegenden Fall – das Betreuungsgericht die Anordnung einer Betreuung
ablehnt, kann das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, ganz oder teilweise der
Staatskasse auferlegen (§ 307 FamFG). Diese nach pflichtgemäßem Ermessen zu
treffende Entscheidung bedarf einer wertenden Gesamtbetrachtung, bei der sowohl das
eigene Verhalten des Betroffenen eine maßgebliche Bedeutung hat, als auch evtl.
Verfahrensmängel des entscheidenden Gerichtes zu berücksichtigen sind (vgl. dazu
Keidel/Budde, FamFG, 16. Auflage, § 307 FamFG Rn. 6 m.w.N.).
2. Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung auf das Verhalten des Betroffenen
abgestellt und ausgeführt, er habe Anlass zu der Vermutung gegeben, dass bei ihm eine
psychische Erkrankung vorliege und deshalb die Anordnung der Betreuung in Betracht
komme. In diesem Zusammenhang stellt das Betreuungsgericht auf einige Faxeingänge
ab, die bei dem Amtsgericht Homburg zur Weiterleitung an die zuständige
Gerichtsvollzieherin in einem den Betroffenen angehenden Vollstreckungsverfahren
eingegangen sind. Diese Faxschreiben sind mit dem Absender „... ...
(Weltanschauungsgemeinschaft) RV“ verfasst, in einem Fall nur mit dem Namen des
Betroffenen und in acht weiteren Fällen wie folgt unterzeichnet: „..., Unterschrift gemäß
EU-Annex doc 10111/06“ und zusätzlich jeweils mit einem anderen Namenszug. In diesen
Faxschreiben wird jeweils Bezug genommen auf das Vollstreckungsverfahren der „OGV ...,
Az.: DR-II 0185/10“ und auf ein Gerichtsverfahren des Landgerichts Ellwangen mit dem
Aktenzeichen 4 O 110/08. Ferner bezeichnen sich die Verfasser der Faxschreiben als Teil
der „Weltanschauungsgemeinschaft Ringvorsorge“.
Diese Fax-Schreiben sind alle in einer den Betroffenen als Schuldner angehenden
Zwangsvollstreckungsangelegenheit verfasst worden und als Absender ist der Name des
Betroffenen angegeben. Deshalb durfte das Betreuungsgericht in Betracht ziehen, dass der
Betroffene diese Fax-Schreiben veranlasst hat. Ferner handelt es sich unter
Berücksichtigung von Anzahl und Inhalt der Fax-Schreiben um Auffälligkeiten, die das
Betreuungsgericht zu Recht zu der Überprüfung veranlasst haben, ob gegen den
Betroffenen als mutmaßlichen Veranlasser dieser Fax-Schreiben eine Betreuung gemäß §
1896 BGB anzuordnen ist.
In diesem Stadium musste das Betreuungsgericht noch nicht der Frage nachgehen, ob der
- von dem Betroffenen bestrittene Vorwurf gerechtfertigt war – der Betroffene habe sich
aggressiv gezeigt und die Gerichtsvollzieherin habe deshalb Angst vor ihm. Dieser Vorwurf
der Fremdgefährdung hätte geklärt werden müssen, wenn das Betreuungsgericht eine
zwangsweise Unterbringung des Betroffenen erwogen hätte.
3. Das Vorgehen des Betreuungsgerichts war nicht verfahrensfehlerhaft.
Der Umstand, dass der Betroffene vor der Anordnung der Einholung eines
Sachverständigengutachtens zur Überprüfung seiner Betreuungsbedürftigkeit nicht
persönlich angehört worden war, ist unschädlich.
Grundsätzlich ist die persönliche Anhörung des Betroffenen durch § 278 Abs. 1 FamFG erst
vor der Bestellung eines Betreuers vorgeschrieben, nicht bereits für den Zeitpunkt der
Einleitung des Betreuungsüberprüfungsverfahrens. Von diesem Grundsatz gibt es zwei
gesetzlich geregelte Ausnahmen. Bevor das Betreuungsgericht anordnet, dass der
Betroffene zur Vorbereitung eines Gutachtens untersucht und durch die zuständige
Behörde zu einer Untersuchung vorgeführt wird, soll es den Betroffenen persönlich anhören
(vergleiche § 283 Abs. 1 S. 2 FamFG). Außerdem kann das Betreuungsgericht nach
Anhörung eines Sachverständigen beschließen, dass der Betroffene auf bestimmte Dauer
untergebracht und beobachtet wird, soweit dies zur Vorbereitung des Gutachtens
erforderlich ist (§ 284 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Vor Erlass eines solchen Beschlusses ist der
Betroffene persönlich anzuhören (§ 284 Abs. 1 S. 2 FamFG).
Das Betreuungsgericht hat nicht angeordnet, dass der Betroffene zur Vorbereitung des in
Auftrag gegebenen Gutachtens untersucht und durch die zuständige Behörde zu einer
Untersuchung vorgeführt wird. Die Anweisung in dem Beschluss vom 29.03.2010, das
Gutachten nach persönlicher Untersuchung oder Befragung des Betroffenen zu erstellen,
richtet sich an die von dem Amtsgericht beauftragte Sachverständige. Der Betroffene war
aufgrund dieses Beschlusses nicht verpflichtet, sich von der Sachverständigen untersuchen
zu lassen. Eine solche richterliche Anordnung wäre erst in Betracht gekommen, wenn der
Betroffene einer Einladung der Sachverständigen zu einem Untersuchungstermin nicht
Folge geleistet hätte. In diesem Fall hätte dem Betroffenen, solange keine Gefahr im
Verzug bestand, rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährt werden müssen (BGH
NJW-RR 2008, 737, zitiert nach juris, Rn. 24). Dann hätte das Betreuungsgericht in
Ausübung des ihm durch § 283 Abs. 1 S. 2 FamFG eingeräumten
Entscheidungsspielraums den Betroffenen entweder mündlich oder schriftlich anhören
müssen (vgl. dazu Keidel/Budde § 283 FamFG Rn. 3). Würde das Betreuungsgericht die
Vorführung des Betroffenen zu seiner Untersuchung anordnen, ohne diesem rechtliches
Gehör zu gewähren, ohne ihn erforderlichenfalls persönlich oder schriftlich anzuhören und
ohne sonstige Feststellungen zu treffen, die die Annahme seiner Betreuungsbedürftigkeit
rechtfertigen könnten, wäre ihm ein erheblich verfahrensfehlerhaftes Vorgehen
vorzuwerfen (vgl. dazu BGH NJW 2007, 3575, zitiert nach juris, Rn. 17 m.w.N.). Dann
wären die Auslagen, die dem Betroffenen durch die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes
entstanden sind, gemäß § 307 FamFG der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. dazu OLG
Zweibrücken, FamRZ 2003, 1126; OLG München, FamRZ 2006, 1617, zitiert nach juris,
Rn. 8 m.w.N.; Keidel/Budde, § 307 FamFG Rn. 6 m.w.N.).
Da jedoch der Betroffene durch sein Verhalten einen hinreichenden Anlass zur Einleitung
eines Betreuungsüberprüfungsverfahrens gegeben hat und da dem Betreuungsgericht kein
– erheblicher - Verfahrensfehler unterlaufen ist, hat die Beschwerde keinen Erfolg.
4. Die Entscheidung ergeht gemäß § 131 Abs. 5 KostO gerichtsgebührenfrei.