Urteil des LG Saarbrücken vom 26.11.2010

LG Saarbrücken: gläubigerversammlung, mehrheit, verweigerung, auflage, verfügungsgeschäft, unterrichtung, genehmigung, entlastung, beweiswürdigung, zwangsversteigerung

LG Saarbrücken Beschluß vom 26.11.2010, 5 T 621/09
Leitsätze
1. Durch § 78 Abs. 1 InsO wird es dem Insolvenzgericht ermöglicht, das gemeinsame
Interesse der Gläubiger gegenüber der jeweiligen Mehrheit in der Gläubigerversammlung zu
wahren. Damit wird jedoch dem Insolvenzgericht nicht die Aufgabe übertragen, im
Interesse des Insolvenzverwalters dessen eventuelle Inanspruchnahme auf Schadensersatz
durch die Gläubiger zu verhindern.
2. Die gemäß § 160 InsO von dem Insolvenzverwalter für die Veräußerung des
Unternehmens der Schuldners einzuholende Zustimmung der Gläubigerversammlung ist im
Außenverhältnis für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes zwischen dem
Insolvenzverwalter und dem Übernehmer nicht erforderlich. Dies gilt sowohl für das
Verpflichtungs- als auch für das Verfügungsgeschäft.
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken/Sulzbach vom 03.11.2009 - Az.: 111 IN
37/08 – wird aufgehoben.
2. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 60.000,-- Euro.
Gründe
A.
Das Amtsgericht Saarbrücken – Insolvenzgericht – hat durch Beschluss vom 1. Oktober
2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der DOL... eröffnet und Herrn
Rechtsanwalt ... zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Insolvenzverwalter hat durch Vertrag vom 20. August 2009 mit Wirkung zum 1. Juli
2009 an die ..., ..., das gesamte bewegliche Anlagevermögen sowie die immateriellen
Vermögenswerte des Geschäftsbetriebes der Insolvenzschuldnerin verkauft und
übereignet.
Das Insolvenzgericht hat auf Antrag des Insolvenzverwalters durch Beschluss vom
08.09.2009 Termin für eine Gläubigerversammlung bestimmt auf den 16.09.2009 zur
Zustimmung zur Vereinbarung mit der ....
In der Gläubigerversammlung vom 16.09.2009 haben die Gläubiger die Zustimmung
mehrheitlich abgelehnt.
Daraufhin hat der Insolvenzverwalter die Aufhebung dieses Beschlusses der
Gläubigerversammlung beantragt.
Der Beschwerdeführer, der Insolvenzgläubiger ist, hat beantragt,
den Aufhebungsantrag des Insolvenzverwalters zurückzuweisen und
den Insolvenzverwalter aus seinem Amt zu entlassen.
Das Insolvenzgericht hat durch Beschluss vom 03.11.2009 den Beschluss der
Gläubigerversammlung vom 16.09.2009 über die Ablehnung der Vereinbarung mit der ...
aufgehoben.
Das Amtsgericht hat ausgeführt, der beschwerdeführende Gläubiger habe trotz seiner
Kenntnis, dass in dem Gläubigerversammlungstermin am 16.09.2009 eine Abstimmung
erfolgen sollte, kein verbindliches Angebot für den Kauf des Anlagevermögens und der
immateriellen Vermögenswerte der Insolvenzschuldnerin abgegeben.
Die Verwertungsentscheidung des Insolvenzverwalters sei ordnungsgemäß und unter den
gegebenen Umständen die für alle Gläubiger Bestmöglichste.
Gegen diesen Beschluss hat der Beschwerdeführer am 09.11.2009 beim Amtsgericht
sofortige Beschwerde eingelegt.
Er behauptet, der Insolvenzverwalter habe gegen die gesetzlichen Vorschriften der
Insolvenzordnung verstoßen und den Gläubigern einen Schaden von mindestens 300.000,--
Euro zugefügt.
Sein Aufhebungsantrag diene nicht der Wahrung der gemeinsamen Interessen der
Gläubiger, sondern ausschließlich der Wahrung seiner eigenen Interessen. Er wolle sich
durch die Aufhebung der Entscheidung der Gläubigerversammlung von
Schadensersatzforderungen formal reinwaschen. Der Aufhebungsantrag sei deshalb
rechtsmissbräuchlich.
Er habe dem Insolvenzverwalter für den Erwerb des Geschäftsbetriebs der
Insolvenzschuldnerin 300.000,-- Euro geboten.
Für das Inventar der Schuldnerin habe er 50.000,-- Euro und für deren Rechte an
Internetdomänen 35.000,-- Euro sowie für die Geschäftsanteile der Insolvenzschuldnerin
weitere 100.000,-- Euro geboten.
Daraus errechne sich ein Gesamtschaden von 307.000,-- Euro.
Der Insolvenzverwalter beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er bestreitet, von dem Beschwerdeführer Kaufvertragsangebote erhalten zu haben.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie der erkennenden
Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
B.
I.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 78 Abs. 2 S. 2, 6 InsO zulässig.
II.
Die sofortige Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 03.11.2009.
1. Die Voraussetzungen des § 78 Abs. 1 InsO für die Aufhebung des Beschlusses der
Gläubigerversammlung vom 16.09.2009 sind nicht erfüllt.
Gemäß § 78 Abs. 1 InsO hätte das Insolvenzgericht auf den entsprechenden Antrag des
Insolvenzverwalters den Beschluss der Gläubigerversammlung nur dann aufheben dürfen,
wenn die Verweigerung der Zustimmung zu dem „Asset Deal“ des Insolvenzverwalters mit
der ... dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widersprochen hätte.
Das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger besteht in der bestmöglichen
Befriedigung ihrer ungesicherten Insolvenzforderungen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom
23.03.2001, Az.: 7 W 8076/00, zitiert nach juris, Rn. 28, ZinsO 2001, 411- 414). Dazu ist
die Entwicklung der zur Verteilung stehenden Insolvenzmasse mit dem aufzuhebenden
Beschluss der Gläubigerversammlung der Situation ohne diesen Beschluss
gegenüberzustellen (vgl. dazu Ehricke in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2.
Auflage 2007, § 78 InsO, Rn. 25).
2. Im vorliegenden Fall hat der Beschluss der Gläubigerversammlung allerdings keinen
unmittelbaren Einfluss auf die Insolvenzmasse.
Der Insolvenzverwalter hat die Vereinbarung über den „Asset Deal“ mit der ... in dem
Vertrag vom 20. August 2009 nicht von der Zustimmung der Gläubigerversammlung
abhängig gemacht. Eine solche Abhängigkeit besteht auch nicht von Gesetzes wegen.
Zwar hat der Insolvenzverwalter gemäß § 160 Abs. 1 InsO die Zustimmung des
Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung einzuholen, wenn er
Rechtshandlungen vornehmen will, die für das Insolvenzvermögen von besonderer
Bedeutung sind. Diese Zustimmung der Gläubigerversammlung, die auch im Nachhinein in
Form einer Genehmigung (§ 184 BGB) erteilt werden kann (vgl. dazu Görg in Münchener
Kommentar, Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 160 InsO Rn. 25), ist jedoch im
Außenverhältnis für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes zwischen dem
Insolvenzverwalter und dem Übernehmer nicht erforderlich (vgl. dazu Görg, a.a.O., Rn.
26). Dies gilt sowohl für das Verpflichtungs- als auch für das Verfügungsgeschäft (vgl. dazu
Görg, a.a.O., Rn. 5, 26).
3. Wenn – wie im vorliegenden Fall – der Insolvenzverwalter die Zustimmung der
Gläubigerversammlung erst im Nachhinein einholt, dient dieses Vorgehen einerseits der
Unterrichtung der Gläubiger und andererseits seiner Entlastung wegen einer eventuellen
Haftung aufgrund der Unternehmensveräußerung (vgl. dazu Görg, a.a.O., Rn. 25, 27). Die
Zustimmung der Gläubigerversammlung entbindet den Insolvenzverwalter zwar nicht
vollständig von einer eventuellen Schadensersatzverpflichtung, sie beeinflusst jedoch in
einem späteren Rechtsstreit um Schadensersatzforderungen die Beweiswürdigung
zugunsten des Verwalters (vgl. dazu Görg, a.a.O., Rn. 28).
Durch § 78 Abs. 1 InsO wird es dem Insolvenzgericht ermöglicht, das gemeinsame
Interesse der Gläubiger gegenüber der jeweiligen Mehrheit in der Gläubigerversammlung zu
schützen. Damit wird jedoch dem Insolvenzgericht nicht die Aufgabe übertragen, im
Interesse des Insolvenzverwalters dessen eventuelle Inanspruchnahme auf Schadensersatz
durch die Gläubigern zu verhindern (vgl. dazu KG, a.a.O., juris Rn. 39).
4. Der Ablehnungsbeschluss der Gläubigerversammlung widerspricht somit auch nicht dem
gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger. Im Gegenteil, die Mehrheit der
Insolvenzgläubiger bringt durch die Verweigerung der nachträglichen Zustimmung zu dem
„Asset Deal“ ihre Auffassung zum Ausdruck, den Insolvenzverwalter wegen der ohne
Zustimmung der Gläubigerversammlung erfolgten Veräußerung des Unternehmens
möglicherweise auf Schadensersatz (vgl. § 60 InsO) in Anspruch nehmen zu wollen. Könnte
ein solcher Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht und
vollstreckt werden – dazu müsste gemäß § 92 S. 2 InsO ein neuer Insolvenzverwalter
bestellt werden - , würde dies die Insolvenzmasse sogar erhöhen und das gemeinsame
Interesse der Insolvenzgläubiger an einer möglichst hohen Quote verbessern.
5. Im Hinblick darauf war der angefochtene Beschluss des Insolvenzgerichts aufzuheben
und damit der ablehnende Beschluss der Gläubigerversammlung vom 16.09.2009 wieder
herzustellen.
Die Erstattung außergerichtlicher Kosten kommt nicht in Betracht, weil sich die Beteiligten
in diesem Beschwerdeverfahren nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung
gegenüberstehen (vgl. dazu für die Zwangsversteigerung: BGH NJW 2007, 2993; BGH
NJW-RR 2007, 194; BGH WM 2008, 1833).
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 3 ZPO in Höhe von 20 %
des von dem Beschwerdeführer behaupteten Mindererlöses für die
Unternehmensveräußerung festgesetzt.