Urteil des LG Saarbrücken vom 17.12.2010

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LG Saarbrücken Urteil vom 17.12.2010, 13 S 129/10
Leitsätze
Zur Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren im Verkehrsunfallprozess, die zur Einholung
einer Deckungszusage bei dem Rechtsschutzversicherer des Geschädigten für ein
beabsichtigtes Klageverfahren gegen den Schädiger angefallen sind.
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Ottweiler vom 31.8.2010
(2 C 98/10) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am ... in
... ereignet hat und bei dem die Einstandspflicht der Beklagten nicht mehr im Streit steht.
Soweit in der Berufung noch von Belang, beauftragte die Klägerin ihren
Prozessbevollmächtigten mit der Durchsetzung ihrer Forderungen, die dem Haftungsgrund
nach unstreitig gestellt, aber in der von Klägerseite gestellten Zahlungsfrist bis zum
12.2.2010 nicht bezahlt wurden. Hierzu unterzeichnete sie am 4.3.2010 eine
Prozessvollmacht für ein durchzuführendes Klageverfahren gegen die beiden Beklagten. Ihr
Anwalt fertigte zunächst einen Klageentwurf sowie am 8.3.2010 ein Schreiben an die
Rechtsschutzversicherung der Klägerin mit dem Ziel, eine Deckungszusage zur
gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche zu erreichen. Diesem Schreiben lag der
Klageentwurf bei. Die Rechtsschutzversicherung erteilte sodann Deckungszusage. Für
diese Tätigkeit macht der Prozessbevollmächtigte eine Gebührenforderung in Höhe von
insgesamt 316,18 EUR geltend. Die Klägerin hat unter anderem Freistellung von dieser
Forderung geltend gemacht.
Das Erstgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
eine anwaltliche Hilfestellung zur Einholung einer Deckungszusage sei umständehalber nicht
erforderlich gewesen. Angesichts der Tatsache, dass die Erstellung des Klageentwurfs
bereits durch die Beauftragung zur Geltendmachung von Forderungen gegen die Beklagten
abgegolten worden sei, wäre es der Klägerin ohne weiteres möglich gewesen, in einem
kurzen Formschreiben den Klageentwurf ihrer Versicherung vorzulegen und um
Deckungszusage zu bitten. Im Übrigen ergebe sich insbesondere aus den vorgelegten
Vollmachten des Prozessbevollmächtigten nicht, dass ein eigener kostenpflichtiger Auftrag
zur Einholung der Deckungszusage an den Anwalt erteilt worden sei.
Mit der zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihren Freistellungsantrag weiter.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Erstgericht hat zu Recht
angenommen, dass der Schädiger nicht für etwaige Gebühren des Rechtsanwalts aus der
Einholung der Deckungszusage einzustehen hat und ein Freistellungsanspruch daher nicht
begründet ist.
1. Zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Geschädigte eines
Verkehrsunfalls auf der Grundlage von §§ 7, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 115 VVG
vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB den erforderlichen
Herstellungsaufwand verlangen kann. Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem
Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung
von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu
dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum
dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum
Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist
grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung
gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis
aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation
zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 19.
Oktober 2010 – VI ZR 237/09, Rdn. 15 m.w.N., JURIS).
2. Ob die Klägerin im Innenverhältnis zu ihrem Rechtsanwalt zum Ausgleich der in
Rechnung gestellten Gebühren wegen der Einholung einer Deckungszusage verpflichtet ist,
hat das Erstgericht mit Recht offen gelassen. Im Streitfall bedarf dies – auch wenn bereits
die Entstehung eines Gebührenanspruch aus unterschiedlichen Gesichtspunkten zweifelhaft
sein kann (vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom
9.9.2010 – 8 O 1617/10; JURIS Rdn. 32 f. m.w.N. zum Streitstand) – keiner Entscheidung,
weil die anwaltliche Tätigkeit aus der Sicht des Geschädigten jedenfalls nicht zur
Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich war.
a) Teil der Schadensabwicklung ist auch die Entscheidung, den
Schadensfall einem Versicherer zu melden. Ist es aus Sicht des
Geschädigten erforderlich, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen,
so gilt dies grundsätzlich auch für die Anmeldung des
Versicherungsfalles bei dem – wie hier – eigenen Versicherer (vgl. zur
Kaskoversicherung: BGH, Urt. vom 18. Januar 2005 - VI ZR 73/04 =
VersR 2005, 558; Kammerurteil vom 27.11.2009 – 13 S 194/09;
zur Unfallversicherung: BGH, Urt. vom 10. Januar 2006 - VI ZR 43/05
= VersR 2006, 521; zur Sachversicherung bei Brandschäden: LG
Münster, VersR 2003, 98 f.). Auch die dadurch anfallenden
Rechtsverfolgungskosten können ersatzfähig sein, wenn sie adäquat
kausal auf dem Schadensereignis beruhen und die Inanspruchnahme
anwaltlicher Hilfe unter den Umständen des Falles erforderlich war
(BGH, Urteil vom 18. Januar 2005 aaO).
b) Macht der Geschädigte gegenüber seinem Versicherer eine
Forderung geltend, die zwar nach den Versicherungsbedingungen
begründet ist, vom Schädiger aber nicht zu ersetzen ist, weil es
insoweit an einem Schaden des Geschädigten fehlt, ist zu prüfen,
inwieweit die durch die Anmeldung entstandenen Anwaltskosten dem
Schädiger als Folgen seines Verhaltens zugerechnet werden können.
Im Vordergrund steht dabei das Interesse des Geschädigten an einer
vollständigen Restitution. Daran fehlt es, wenn der Geschädigte
Kosten aufwendet, um von seinem privaten Versicherer Leistungen
zu erhalten, die den von dem Schädiger zu erbringenden
Ersatzleistungen weder ganz noch teilweise entsprechen (vgl. BGH,
Urteil vom 10. Januar 2006 aaO m.w.N.). So liegt es hier. Der
Schädiger haftet für Rechtsverfolgungskosten, die zur
Geltendmachung begründeter Forderungen entstanden sind. Die
Rechtsschutzversicherung dient demgegenüber der Absicherung des
Kostenrisikos, das dem Geschädigten dadurch entsteht, dass er
unberechtigte Ansprüche gegen den Schädiger geltend macht. Denn
sind seine Ansprüche berechtigt und ist er mit einer entsprechenden
Klage erfolgreich, sind die Kosten von dem unterlegenen Schädiger
gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen; ein etwaiges sekundäres
Kostenrisiko für den Fall, dass der Unterlegene nicht zu leisten
vermag, besteht bei der jederzeit möglichen direkten
Inanspruchnahme eines Haftpflichtversicherers gem. § 115 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 VVG faktisch nicht. Mithin sind die Leistungen der
Rechtsschutzversicherung auf solche Kosten gerichtet, die gerade
nicht der Ersatzleistung des Schädigers entsprechen (so auch LG
Erfurt ZfS 2010, 345 mit zust. Anmerkung Hansens; LG Berlin ZfS
2001, 85; LG Nürnberg-Fürth aaO; Palandt/Grüneberg, BGB, 70.
Aufl., § 249 Rdn. 57, je m.w.N. zum Streitstand).
c) Soweit die Rechtsschutzversicherung daneben auch zur
Vorfinanzierung von Prozesskosten dient, die bei Obsiegen des
Geschädigten vom Schädiger auszugleichen sind, führt dies zu keiner
anderen Beurteilung. Denn das Risiko, zur Durchsetzung seiner
begründeten Ersatzansprüche gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen
zu müssen und hierzu hinsichtlich der Gerichtsgebühren in Vorlage
treten zu müssen, wenn kein Anspruch auf Prozesskostenhilfe
besteht, gehört zu dem allgemeinen Prozessrisiko, das – ebenso wie
die Gefahr, aufgrund eines Verkehrsunfalls in ein Strafverfahren
verwickelt zu werden – jeden Bürger treffen kann und daher
außerhalb des haftungsrechtlichen Schutzzwecks liegt (vgl. BGHZ 27,
137, 141). Ungeachtet dessen ist es dem Geschädigten auch
zumutbar, bei gerichtlicher Inanspruchnahme zur Durchsetzung
seiner Forderungen in Vorlage zu treten oder – bei Vorliegen der
Voraussetzungen – Prozesskostenhilfe zur Durchführung des
Verfahrens zu beantragen. Die Rechtsschutzversicherung, die dies
vermeiden hilft, dient daher auch insoweit eigenen, vom Schädiger
nicht zu ersetzenden Vermögensinteressen des Geschädigten.
d) Eine Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten kann nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Einzelfall aber auch
dann in Betracht kommen, wenn es – wie hier – an einer derartigen
Entsprechung zwischen der Leistung des eigenen Versicherers und
dem vom Schädiger zu ersetzenden Schaden fehlt. Ein solcher Fall
kann gegeben sein, wenn der Geschädigte etwa aus Mangel an
geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit
oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden bei seinem
Versicherer selbst anzumelden (vgl. BGH, Urteil vom 8. November
1994, VersR 1995, 183, 184). Vorliegend hat das Erstgericht
festgestellt, die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe sei nicht
erforderlich gewesen, denn die Klägerin hätte – wie bei der
Inanspruchnahme jeder anderen Versicherung auch – unter
Zuhilfenahme der ohnehin mit den Kosten der Beauftragung ihres
Prozessbevollmächtigten zur Erhebung der Klage abgegoltenen
Entwurf der Klageschrift die Ansprüche selbst geltend machen
können. Dies ist entgegen der Berufung nicht zu beanstanden. Weder
der Umstand, dass es sich bei der Geschädigten um eine ältere
Dame handelt, noch die Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte
eine klärende Anfrage der Rechtsschutzversicherung beantworten
musste, führt zu einer anderen Beurteilung.
aa) Eine besondere geschäftliche Gewandtheit setzt die
Inanspruchnahme der Rechtsschutzversicherung nicht
voraus, sofern – wie hier – kein Streit über die
Voraussetzungen für das Eingreifen der Versicherung
entsteht. Insbesondere sind – anders als die Berufung
meint – keine besonderen Verfahrenshürden erkennbar,
zu deren Überwindung es einer besonderen rechtlichen
Kenntnis bedarf. Auch ist nicht ersichtlich, dass die
Übersendung des Klageentwurfs durch den
Versicherungsnehmer anders als bei Übersendung durch
den Anwalt zu einer nennenswerten Verzögerung bei der
Erteilung der Deckungszusage führen sollte. Selbst wenn –
wie die Klägerin vorträgen lässt – von Seiten der
Rechtschutzversicherung zudem eine Kostennote des
Anwalts und eine Aufstellung anfallender Gebühren bei
dem beabsichtigten Verfahren angefordert werden sollte,
wäre auch diese Leistung des Anwalts im Rahmen des
bestehenden Mandatsverhältnisses zur Geltendmachung
der Schadensforderung abgedeckt. Sie ist daher insoweit
der Schadensforderung abgedeckt. Sie ist daher insoweit
auch älteren und geschäftlich weniger gewandten
Personen zumutbar.
bb) Soweit daneben im Streitfall eine Rückfrage der
Rechtsschutzversicherung erfolgte, bevor
Deckungszusage erteilt wurde, war der Anwalt schon mit
Blick auf das bestehende Mandatsverhältnis mit der
Klägerin verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Denn es kann
keinen Unterschied machen, ob der Mandant nach
Rücksprache mit seinem Rechtsschutzversicherer selber
seinen Anwalt um Erläuterung der beabsichtigten Klage
bittet oder seinen Rechtsschutzversicherer bevollmächtigt,
in diesem Zusammenhang anstehende Fragen direkt mit
seinem Anwalt abzuklären.
e) Keine andere Beurteilung ist geboten, soweit sich die Klägerin auf
den Gesichtspunkt des Verzuges des gegnerischen
Haftpflichtversicherers stützt. Ungeachtet der Frage, ob und ggfs. zu
welchem Zeitpunkt die Zweitbeklagte in Verzug geraten war und sie
gem. §§ 286, 280 Abs. 1 und 2 BGB für den durch die Verzögerung
eingetretenen Schaden einzustehen hätte, gehören die infolge der
Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Einholung einer
Deckungszusage entstehenden Kosten jedoch aus den bereits oben
dargelegten Erwägungen im Streitfall nicht zu den als Verzugschaden
ersatzfähigen Kosten der Rechtsverfolgung. Die Inanspruchnahme
der Rechtsschutzversicherung ist – wie gezeigt – Teil des allgemeinen
Prozessrisikos, so dass der Schädiger auch insoweit nur bei Eingreifen
der oben unter d) aufgeführten Voraussetzungen in Anspruch
genommen werden kann (vgl. etwa Meinel, ZfS 2010, 312 m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit
auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision war nicht zuzulassen,
da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und sie keine Veranlassung gibt, eine
Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Voraussetzungen,
unter denen Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht werden können, sind bereits
höchstrichterlich vorgezeichnet. Ob es zu dem ersatzfähigen Schaden gehört, dass auch
ein Anwalt eingeschaltet wurde, um im Verhältnis des Geschädigten zu dessen
Rechtsschutzversicherer tätig zu werden, ist letztlich eine Frage des Einzelfalls.