Urteil des LG Rottweil vom 27.02.2017

aufschiebende wirkung, gütliche erledigung, zustellung, hauptsache

LG Rottweil Beschluß vom 27.2.2017, 1 T 9/17
Inhaltliche und formelle Anforderungen an ein Vollstreckungsersuchen betreffend
Rundfunkbeiträge in Baden-Württemberg
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oberndorf am Neckar vom
28.11.2016, Az. 3 M 1769/16, wird zurückgewiesen.
2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 1.000,00 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung wegen rückständiger
Rundfunkbeiträge und Nebenkosten. Mit Vollstreckungsersuchen vom 01.10.2016 beantragte die
Gläubigerin zunächst die gütliche Erledigung gemäß § 802b ZPO und - für den Fall, dass eine gütliche
Erledigung nicht möglich sein sollte - die Bestimmung eines Termins zur Abnahme der Vermögensauskunft
gemäß § 802f Abs. 1 ZPO sowie die Übersendung einer Abschrift des Vermögensverzeichnisses gemäß § 802f
Abs. 6 ZPO. Mit Schreiben vom 11.10.2016 forderte die Obergerichtsvollzieherin bei dem Amtsgericht
Oberndorf den Schuldner unter Fristsetzung zur Zahlung eines Betrages von 715,56 EUR auf und wies
darauf hin, dass der Schuldner mit weiteren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu rechnen habe, falls keine
Zahlung bzw. Ratenzahlungs- oder Stundungsvereinbarung erfolge. Hiergegen legte der Schuldner mit
Schreiben vom 16.10.2016 unbenannten Rechtsbehelf ein. Zur Begründung führt er an, dass die
Obergerichtsvollzieherin aufgrund des Vollstreckungsersuchens nicht in der Lage sei, die
Vollstreckungsvoraussetzungen pflichtgemäß zu prüfen, weil darin die gesetzlich notwendigen Angaben zur
Vollstreckungsbehörde, zum Festsetzungsbescheid, zur Zustellung des Festsetzungsbescheides, zur Fälligkeit
der beizutreibenden Forderung und zur Mahnung fehlen würden. Im Übrigen werde die (förmliche)
Zustellung des Festsetzungsbescheides bestritten. Das Amtsgericht Oberndorf - Vollstreckungsgericht - legte
das Schreiben des Schuldners vom 16.10.2016 als Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO aus und wies
diese mit Beschluss vom 28.11.2016 zurück. Gegen diesen ihm am 02.12.2016 zugestellten Beschluss hat
der Schuldner mit am 14.12.2016 bei Gericht eingegangen Schreiben vom 09.12.2016 den Rechtsbehelf der
„Beschwerde […] wegen der Verletzung [der Rechte] aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1
GG“ sowie „grundgesetzliches Rechtsmittel gemäß Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 17 GG“ eingelegt, mit
denen er sich gegen die Auslegung seines ursprünglichen Rechtsbehelfs als Vollstreckungserinnerung gemäß
§ 766 ZPO wendet, weil seiner Meinung nach die ordentlichen Gerichte für die Zwangsvollstreckung einer
öffentlich-rechtlichen Forderung nicht zuständig seien.
II.
2 1. Der Rechtsbehelf vom 09.12.2016 ist zugunsten des Schuldners als sofortige Beschwerde gemäß §§ 567
Abs. 1 Nr. 1, 793 ZPO auszulegen, weil etwaige verwaltungsgerichtliche oder verfassungsgerichtliche
Rechtsbehelfe ersichtlich nicht statthaft wären. Gemäß § 793 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen
Entscheidungen statt, die - wie im vorliegenden Fall - im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche
Verhandlung ergehen können. In seinem Beschluss vom 28.11.2016 hat das Amtsgericht deutlich gemacht,
dass es als Vollstreckungsgericht tätig werde, indem es über eine Vollstreckungserinnerung gemäß § 766
ZPO entscheide. Ob dies sachlich richtig war, kann dahinstehen. Denn für die Art des eingelegten
Rechtsbehelfs kommt es formal nur darauf an, in welcher Funktion das Amtsgericht entschieden hat, nicht in
welcher es hätte entscheiden müssen (BGH, Beschl. v. 06.02.1992 - BLw 18/91, juris Rn. 2).
3 2. Das Landgericht Rottweil ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde berufen. Die Rüge der
Unzulässigkeit des Zivilrechtsweges erstmals im Beschwerdeverfahren hat gemäß § 17a Abs. 5 GVG keinen
Erfolg. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache
entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Über die Zulässigkeit des Rechtsweges wird
allein in erster Instanz entschieden, nämlich entweder im Vorabverfahren gemäß § 17a Abs. 2 und 3 GVG
oder bei Bejahung in der Entscheidung in der Hauptsache. Demgemäß darf das Gericht, das über ein
Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüfen, ob der beschrittene
Rechtsweg zulässig ist. Diese Beschränkung gilt für alle Rechtsmittelverfahren, also sowohl für das
Berufungs- und Revisionsverfahren als auch für das eine Sachentscheidung betreffende
Beschwerdeverfahren (Lückemann, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 17a GVG Rn. 18) und zwar auch dann,
wenn - wie im vorliegenden Fall - weder die Beteiligten noch das Gericht die Problematik des
eingeschlagenen Rechtsweges erkannt und erörtert haben und dessen Zulässigkeit daher stillschweigend
erst mit der erstinstanzlichen Sachentscheidung bejaht wurde (BGH Beschl. v. 18.09.2008 - V ZB 40/08,
juris Rn. 13).
4 3. In der Sache ist die zulässige sofortige Beschwerde nicht begründet. Die Voraussetzungen der
Zwangsvollstreckung liegen allesamt vor.
5 a) Die Zwangsvollstreckung richtet sich nach dem baden-württembergischen LVwVG
(Verwaltungsvollstreckungsgesetz für Baden-Württemberg vom 12. März 1974), das gemäß § 1 Abs. 1
LVwVG auch für diejenigen öffentlichen Stellen Anwendung findet, die - wie die Gläubigerin gemäß §§ 1 Abs.
1, 35, 37 SWRStVtrG BW (Gesetz zu dem Staatsvertrag über den Südwestrundfunk und zur Änderung
medienrechtlicher und datenschutzrechtlicher Vorschriften vom 3. Dezember 2013) - unter Aufsicht des
Landes stehen. Dementsprechend sieht § 10 Abs. 6 RdFunkBeitrStVtr (Rundfunkbeitragsstaatsvertrag vom
17. Dezember 2010) vor, dass Bescheide über die Festsetzung von Rundfunkbeiträgen im
Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt werden. Grundlage der Zwangsvollstreckung ist danach ein
schriftliches Vollstreckungsersuchen gemäß § 15a Abs. 4 LVwVG, welches gemäß § 15a Abs. 3 Satz 2 LVwVG
an die Stelle der vollstreckbaren Ausfertigung des Schuldtitels tritt.
6 b) Das Vollstreckungsersuchen vom 01.10.2016 genügt den Anforderungen des § 15a Abs. 4 LVwVG. Die
Kammer schließt sich insoweit der Entscheidung des Amtsgerichts Mannheim vom 13.10.2016 (7 M 45/16,
juris Rn. 9-13) ausdrücklich an.
7 aa) Aus Seite 1 des Vollstreckungsersuchens ergibt sich eindeutig die Bezeichnung der vollstreckenden
Behörde (§ 15a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 LVwVG), nämlich des Südwestrundfunks als Anstalt des öffentlichen
Rechts. Der ARD ZDF Deutschland-radio Beitragsservice in Köln ist lediglich als Postanschrift („c/o“ = care
of) genannt. Unklarheiten hinsichtlich der Identität der Vollstreckungsbehörde ergeben sich daraus nicht.
Dass das Vollstreckungsersuchen nicht unterzeichnet ist, ist unerheblich, weil bei einem
Vollstreckungsersuchen, das wie hier mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt worden ist, Dienstsiegel
und Unterschrift fehlen können (§ 15a Abs. 4 Satz 2 LVwVG).
8 bb) Aus Seite 3 des Vollstreckungsersuchens ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit der zu vollstreckende
Verwaltungsakt, die erlassende Behörde sowie das Datum und das Aktenzeichen des Verwaltungsaktes (§
15 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LVwVG). Im Vollstreckungsersuchen wird darauf hingewiesen, dass die im Einzelnen
genannten Beitragsbescheide unter der genannten Beitragsnummer übersandt worden sind. Damit ist das
Aktenzeichen des Vorgangs ausreichend genau genannt. Da es um ein Vollstreckungsersuchen des
Südwestrundfunks wegen Rundfunkbeiträgen geht, wird aus dem Gesamtzusammenhang auch hinreichend
deutlich, dass es sich bei den Festsetzungsbescheiden, auf denen das Vollstreckungsersuchen beruht, um
Beitragsbescheide des Südwestrundfunks handelt (vgl. hierzu eingehend BGH, Beschl. v. 11.06.2015 - I ZB
64/14, juris Rn. 48-54; BGH, Beschl. v. 08.10.2015 - VII ZB 11/15, juris Rn. 19-22).
9 cc) Die Höhe der zu vollstreckenden Geldforderung wird auf Seite 1 und 3 des Vollstreckungsersuchens mit
„691,56 EUR“ eindeutig bezeichnet (§ 15a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 LVwVG).
10 dd) Auch die Voraussetzungen des § 15a Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 LVwVG sind erfüllt, weil mit der Formulierung,
die Gebühren-/Beitragsbescheide seien „unanfechtbar geworden bzw. hat ein Rechtsbehelf nach § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung“ hinreichend klar wird, dass unbeschadet der Frage der
Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes jedenfalls die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt.
Eine differenzierte Darlegung, warum dies der Fall ist, ist nicht erforderlich (BGH, Beschl. v. 08.10.2015 - VII
ZB 11/15, juris 25).
11 ee) Die Person, gegen die sich die Vollstreckung richten soll, ist auf Seite 1 des Vollstreckungsersuchens
ebenfalls zweifelsfrei bezeichnet (§ 15a Abs. 4 Nr. 5 LVwVG).
12 ff) Schließlich finden sich auf Seite 3 des Vollstreckungsersuchens alle notwendigen Angaben, wann der
Schuldner gemahnt worden ist (§ 15a Abs. 4 Nr. 6 LVwVG). Eines Zustellungsnachweises bedarf es insoweit
nicht.
13 c) Ohne Erfolg wendet der Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung ein, dass ihm zuvor kein
Festsetzungsbescheid förmlich zugestellt worden sei. Hierauf kommt es im Beschwerdeverfahren nicht
entscheidungserheblich an. Das Amtsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - im
Erinnerungsverfahren gemäß § 766 ZPO lediglich geprüft, ob die einschlägigen Voraussetzungen der
Zwangsvollstreckung vorliegen. Grundlage der beantragten Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist nicht der
Festsetzungsbescheid, dessen Wirksamkeit gegebenenfalls im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen
Vollstreckungsgegenklage gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 767 ZPO zu überprüfen wäre (vgl. LG
Stuttgart, Beschl. v. 31.08.2016 - 10 T 348/16, juris Rn. 10 f.), sondern das Vollstreckungsersuchen. Soweit
das Landgericht Tübingen in seiner Entscheidung vom 16.09.2016 (5 T 232/16, juris Rn. 18-25)
demgegenüber die Auffassung vertritt, dass es an einer wirksamen Titelzustellung als Voraussetzung der
Zwangsvollstreckung fehle, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Entscheidung lässt bereits im Ansatz die
grundlegende Unterscheidung zwischen der Zustellung des Festsetzungsbescheides einerseits und der des
Vollstreckungsersuchens andererseits vermissen. Gemäß 15a Abs. 3 Satz 1 LVwVG i.V.m. § 750 Abs. 1 ZPO
setzt die Zwangsvollstreckung im Allgemeinen die Zustellung des Schuldtitels voraus. In dem besonderen
Fall einer Zwangsvollstreckung wegen rückständiger Rundfunkbeiträge ersetzt das Vollstreckungsersuchen
den Schuldtitel. Über die Verweisung des § 16 Abs. 3 Satz 3 Hs. 2 LVwVG auf § 15a Abs. 4 Satz 1 LVwVG
und von dort auf § 15a Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 LVwVG stellt das Gesetz ausdrücklich und unmissverständlich
klar, dass es einer Zustellung dieses titelersetzenden Vollstreckungsersuchens nicht bedarf. Soweit das
Landgericht Tübingen zur weiteren Begründung seiner Auffassung auf die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts München vom 15.03.2016 (M 26 K 15.2682, juris Rn. 26) verweist, ist dies
unbehelflich. Dieser Entscheidung liegt eine Vollstreckung nach den Regeln des bayerischen
Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetztes zugrunde (VwZVG). Anders als nach den hier
anzuwendenden Regeln des baden-württembergischen LVwVG kann danach ein Verwaltungsakt, mit dem
eine öffentlich-rechtliche Geldforderung gefordert wird, nur dann vollstreckt werden, wenn er dem
Leistungspflichtigen zugestellt wird (Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 BayVwZVG). Diese bayerische Landesvorschrift
greift hier aber nicht Platz.
14 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Mit Blick auf den Einwand des Schuldners, dass er
keine Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO eingelegt habe, er folglich den Beschluss des Amtsgerichts
vom 28.11.2016 nicht veranlasst habe, kommt eine Nichterhebung von Kosten gemäß § 21 Abs. 1 GKG nicht
in Betracht. Zu Recht hat das Amtsgericht den unbenannten Rechtsbehelf des Schuldners vom 16.10.2016
als Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO ausgelegt, weil sich der Schuldner der Sache nach nicht
gegen den der Zwangsvollstreckung zugrunde liegenden Festsetzungsbescheid, sondern gegen die
Zwangsvollstreckung als solche wendet.
15 5. Der Beschwerdewert ist gemäß § 3 ZPO auf bis zu 1.000,00 EUR festzusetzen.
16 6. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mit Blick auf die gegenteilige Entscheidung des
Landgerichts Tübingen vom 16.09.2016 (5 T 232/16) zuzulassen.