Urteil des LG Rottweil vom 14.12.2016

verbraucher, wirkung ex nunc, muster, widerrufsrecht

LG Rottweil Urteil vom 14.12.2016, 1 S 82/16
Anforderungen an Widerrufsbelehrung zur eindeutigen Beschreibung des Beginns der
Widerrufsfrist
Leitsätze
Anforderungen an Widerrufsbelehrung zur eindeutigen Beschreibung des Beginns der Widerrufsfrist -
Pflichtangaben
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 29.06.2016, Az. 6 C
539/15, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte hinsichtlich der
Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Vergütungsvereinbarung für die Vermittlung einer
fondsgebundenen Lebens- und Rentenversicherung der A. Lebensversicherung S. A. vom 09.09.2012
(Anlage K7, Blatt 89 ff d.A.).
2 Die Lebensversicherung vermittelte der Zeuge R. an die Beklagte.
3 Bei der am 09.09.2012 vermittelten Lebens-und Rentenversicherung handelt es sich um eine so genannte
Nettopolice, welche keine Provisionsanteile für die Vermittlung enthält.
4 Stattdessen wurde am 09.09.2012 eine separate Vergütungsvereinbarung geschlossen (Anlage K1, Blatt 13
f. d.A.), welche am Ende eine Widerrufsbelehrung beinhaltet.
5 Diese Widerrufsbelehrung lautet auszugsweise wie folgt:
6
„Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B.
Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem Sie alle
Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art der entgeltlichen Finanzierungshilfe, Angabe
zum Barzahlungspreis, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten haben. Sie haben alle Pflichtangaben
erhalten, wenn sie in der für Sie bestimmten Ausfertigung Ihres Antrags oder in der für Sie bestimmten
Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für Sie bestimmten Abschrift Ihres Antrags oder der
Vertragsurkunde enthalten sind und Ihnen eine solche Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist. (...)“
7 Die Datumsangaben 01.09.2012 in den Anlagen K1 und K7 muss richtigerweise auf den 09.09.2012 lauten.
8 Mit Schreiben vom 16.10.2013 (Anlage B 4, Blatt 197 ff d.A.) erklärte die Beklagte über ihren
Prozessbevollmächtigten den Widerruf in Bezug auf die Vergütungsvereinbarung.
9 Nachdem die Klägerin erstinstanzlich zunächst den Zugang des Schreibens der Beklagten vom 16.10.2013
in Abrede gestellt hat, stellt die Klägerin dies in zweiter Instanz ausweislich des Schriftsatzes vom
27.10.2016 (Blatt 225 ff d.A.) nicht mehr in Abrede.
10 Die Beklagte hat auf die streitgegenständliche Vergütungsvereinbarung zwölf Raten zu jeweils 35,18 EUR
für den Zeitraum September 2012 bis September 2013 geleistet.
11 Mit Schreiben vom 22.10.2013 (Anlage K2, Blatt 18 f. d.A.) wurde die Beklagte darauf hingewiesen, dass
sich der Rückstand der von ihr geschuldeten monatlichen Raten per 22.10.2013 auf 153,90 EUR beläuft.
Trotz der Zahlungsaufforderung vom 22.10.2013 unter Fristsetzung zum 08.11.2013 zahlte die Beklagte
keine weiteren Beträge. Im Schreiben vom 22.10.2013 wurde die Beklagte auf die Ziff. 14 der
Vergütungsvereinbarung (Gesamtfälligstellung für die ersten fünf Versicherungsjahre) hingewiesen. Mit
weiterem Schreiben vom 15.11.2013 (Anlage K3, Bl. 20 f. d.A.) wurden sodann sämtliche noch zu
entrichtenden Vergütungsbeträge der ersten fünf Versicherungsjahre fällig gestellt; dies erfolgte unter
Beachtung des Rückkaufswerts.
12 Die Klägerin hat vorgetragen,
dass die Vermittlungstätigkeit aufgrund des wirksam abgeschlossenen Versicherungsvertrages erbracht
worden sei und daher die Zahlung der vereinbarten Vergütung gemäß Ziff. 5 der Vergütungsvereinbarung
auch fällig sei. Im Übrigen wird auf das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin Bezug genommen.
13 Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
14 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.112,02 EUR nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 01.12.2013 sowie 201,71 EUR nebst 5,00 EUR vorgerichtliche
Mahnauslagen zu bezahlen.
15 Die Beklagte hat beantragt,
16 die Klage abzuweisen.
17 Sie äußert im Wesentlichen die Auffassung,
dass der Klägerin die begehrte Zahlung nicht zustehe. Auf das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten
wird insofern verwiesen.
18 Das Amtsgericht Freudenstadt hat mit dem angefochtenen Urteil vom 29.06.2016 (Blatt 150 - 156 d.A.) der
Klage stattgegeben und hierbei ausgeführt, dass mit Zustandekommen des Versicherungsvertrages und nach
Ziff. 5 der Vergütungsvereinbarung auch der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Vergütung entstanden
sei.
19 Die Vergütungsvereinbarung sei durch die Beklagte auch nicht wirksam widerrufen worden. Nach der
Vergütungsvereinbarung vom 09.09.2012 habe die Beklagte die Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen
nach Abschluss des Vertrages unter Angabe aller Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB widerrufen können.
Von diesem Widerrufsrecht habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.
20 Im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
21 Auf die Frage der Ordnungsgemäßheit der Widerrufsbelehrung und die Frage, ob die Widerrufserklärung der
Beklagten vom 16.10.2013 tatsächlich verfristet erfolgt ist, ging das erstinstanzliche Gericht nicht ein.
22 Gegen dieses ihrem Prozessbevollmächtigten am 05.07.2016 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit
ihrer Berufung vom 25.07.2016 (Bl. 166/167 d.A.), eingegangen beim Landgericht Rottweil per Telefax am
gleichen Tag, und begründet mit Schriftsatz vom 05.09.2016 (Bl. 176-182 d.A.), eingegangen beim
Landgericht Rottweil per Telefax am selben Tag.
23 Die Beklagte trägt insofern unter anderem vor,
ein Widerruf der Vergütungsvereinbarung sei wirksam erfolgt.
24 Insbesondere habe ihr auch noch im Oktober 2013 ein Widerrufsrecht zugestanden. Eine ordnungsgemäße
Belehrung über das Widerrufsrecht sei in der Vergütungsvereinbarung und auch sonst nicht erfolgt. Die
Angaben zur Widerrufsfrist seien nicht klar und verständlich gewesen, so dass die Widerrufsfrist nicht zu
laufen begonnen habe. So seien in Satz 2 der von der Klägerin in der Vergütungsvereinbarung vom
09.09.2012 verwendeten Widerrufsbelehrung die notwendigen Pflichtangaben, die ein Verbraucher erhalten
haben muss, damit die Frist für den Widerruf der Vertragserklärung anläuft, lediglich teilweise aufgeführt. Es
sei jedoch weder dort noch sonst wo erkennbar, welche weiteren Angaben der Verbraucher erhalten haben
muss.
25 Nichts anderes ergebe sich aus den Sätzen 3 und 4 der Widerrufsbelehrung, da es auch hiernach dem
Verbraucher überlassen bleibe zu prüfen, ob die Pflichtangaben in den zur Verfügung gestellten Unterlagen
enthalten sind oder nicht. Es ergebe sich aus dieser Formulierung aber gerade nicht, dass bei Übergabe von
Vertragsunterlagen stets alle Pflichtangaben enthalten seien.
26 Nichts anderes ergebe sich aus der beklagtenseits vorgelegten europäischen Standardinformation für
Verbraucherkredite. Auch dieser Unterlage sei nicht zu entnehmen, welche Angaben vorliegen müssen, um
die 14-tägige Widerrufsfrist in Gang zu setzen.
27 Die Beklagte beruft sich ferner darauf, dass ihr die europäische Standardinformation für Verbraucherkredite
nicht ausgehändigt worden sei.
28 Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 05.09.2016 (Blatt 176 - 182 d.A.), den Schriftsatz vom
20.10.2016 (Blatt 223 f. d.A.) sowie den Schriftsatz vom 09.11.2016 (Blatt 234 - 236 d.A.) Bezug
genommen.
29 Die Beklagte beantragt deshalb,
30 das Urteil des Amtsgerichts Freudenstadt vom 29.6.2016, Az. 6 C 539/ 15 abzuändern und die Klage
abzuweisen.
31 Die Klägerin beantragt,
32 die Berufung zurückzuweisen.
33 Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt unter anderem aus, der Beklagten habe im Oktober 2013
ein Widerrufsrecht nicht mehr zugestanden. Der Vertragstext der Vergütungsvereinbarung habe sämtliche
erforderlichen Pflichtangaben im Hinblick auf die entgeltliche Finanzierungshilfe aufgewiesen. Im Übrigen sei
der Beklagten bereits am 01.09.2012 in P. die europäische Standardinformation für Verbraucherkredite
ausgehändigt worden (Anlage BB2, Blatt 230 f. d.A.), was die Beklagte am 01.09.2012 auch durch ihre
Unterschrift bestätigt habe.
34 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift der Kammer vom 16.11.2016 (Blatt 239 - 241 d.A.) Bezug
genommen.
II.
35 Die zulässige Berufung ist begründet.
1)
36 Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung des Betrages von 1.112,02 EUR aus der
Vergütungsvereinbarung vom 09.09.2012 zu.
37 Der seitens der Beklagten erklärte Widerruf der streitgegenständlichen Vergütungsvereinbarung vom
09.09.2012 war wirksam.
38 Insbesondere stand der Beklagten auch noch im Oktober 2013 ein Widerrufsrecht nach Maßgabe der §§ 506
Abs. 3 (i.d.F. vom 29.07.2009), 501 Satz 1 (i.d.F. vom 26.11.2001), 495 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 (i.d.F. vom
24.07.2010), 355 (i.d.F. vom 29.07.2009) BGB zu, wodurch sich der streitgegenständliche Vertrag in Form
der Vergütungsvereinbarung vom 01.09.2012 nach Maßgabe der §§ 357 Abs. 1 Satz 1 (i.d.F. vom
27.07.2011) i.V.m. 346 Abs. 1 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis gewandelt hat.
a)
39 Da die Vergütung für die Vermittlung der streitgegenständlichen Versicherung in Teilzahlungen zu erbringen
war, handelt es sich um ein Teilzahlungsgeschäft nach § 506 Abs. 3 BGB (i.d.F. vom 29.07.2009), sodass der
Beklagten nach Maßgabe der oben genannten Regelungen ein Widerrufsrecht in Bezug auf die
Vergütungsvereinbarung zustand.
b)
40 Auch konnte der Widerruf am 16.10.2013 - lange nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 355 Abs. 2 Satz 1
BGB (i.d.F. vom 29.07.2009) - die Vergütungsvereinbarung mit der Wirkung ex nunc in ein
Rückgewährschuldverhältnis wandeln, da die in der Vergütungsvereinbarung enthaltene
Widerrufsbelehrung nicht ordnungsgemäß war und somit die Widerrufsfrist nicht in Gang setzen konnte.
c)
41 Hintergrund dafür ist, dass in der Widerrufsbelehrung der Fristanlauf für die Widerrufsfrist nicht eindeutig
beschrieben ist, Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB (i.d.F. vom 27.07.2011).
42 Die Widerrufsbelehrung enthält lediglich teilweise die nach Maßgabe der §§ 492 Abs. 2 BGB (i.d.F. vom
24.07.2010) i.V.m. Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 1 EGBGB (i.d.F. vom 27.07.2011) notwendigen Pflichtangaben,
die die Beklagte nach Maßgabe der oben genannten Regelungen erhalten haben muss, damit die Frist für
den Widerruf der Vertragserklärung durch die Beklagte anläuft (LG Saarbrücken, Urteil vom 06. Mai 2016 -
1 O 247/15 -, juris Rn 23; LG Ravensburg, Urteil vom 19. November 2015 - 2 O 223/15 -, juris Rn 51; OLG
München, Urteil vom 21.05.2015 - 17 U 334/15 juris Rn 33 ff). Welche weiteren - über den Klammerzusatz
hinausgehenden - Angaben die Beklagte noch erhalten muss, ist dort und auch sonst nicht beschrieben.
Damit ist aber für den Verbraucher nicht klar, wann die Frist zum Widerruf der Vertragserklärung in Hinblick
auf die Vergütungsvereinbarung an- und damit die 14-tägige Widerrufsfrist abläuft (LG Saarbrücken a.a.O.
m.z.w.N., sowie LG Ravensburg a.a.O.; OLG München a.a.O.).
d)
43 Es handelt sich hierbei um eine Wertungsfrage, ob es dem durchschnittlichen Verbraucher zuzumuten ist,
zur Bestimmung des Fristlaufs den Gesetzestext selbst heranzuziehen und zu lesen.
44 Maßgeblich ist insofern, in welchem Umfang dies geschehen muss.
45 Ist eine Frist durch einen "einfachen Blick ins Gesetz" in Erfahrung zu bringen, wird man dies einem
durchschnittlichen Verbraucher durchaus zumuten können.
46 So liegt der Fall indes hier nicht.
47 Durch die bloß beispielhafte Aufzählung der (vermeintlichen) Pflichtangaben wird der Schutzzweck des
Verbraucher-Widerrufsrechts verfehlt, denn der Verbraucher ist selbst bei rechtskundiger Beratung nicht in
der Lage nachzuvollziehen, nach Erhalt welcher Angaben konkret die Frist zu laufen beginnt (vgl. OLG Celle,
Beschluss vom 02.12.2015, juris Rn 46).
48 So bedurfte es im vorliegenden Fall zur Bestimmung des Fristlaufs einer Lektüre der §§ 506 Abs. 3, 501 Satz
1, 495 Abs. 1, 492 Abs. 2 BGB - je a.F. - und der Regelung des Art. 247 §§ 6-13 EGBGB a.F. durch den
Verbraucher.
49 Es handelt sich um einen Verweis auf einen längeren Normkomplex, der für Verbraucher nicht ohne Weiteres
zugänglich und nicht ohne Weiteres verständlich ist.
e)
50 Zwar birgt das Erfordernis einer umfassenden Abbildung der Pflichtangaben in der Widerrufsbelehrung die
Gefahr in sich, dieselbe zu überfrachten (vgl. insofern OLG Stuttgart, Urteil vom 24.05.2016 - 6 U 222/15 -,
juris Rn 54; OLG Stuttgart, Urteil vom 11. Oktober 2016 - 6 U 78/16 - juris Rn 29 ff), jedoch ist diesem
Aspekt letztlich entgegenzuhalten, dass es für den Verbraucher aus Sicht der Kammer leichter sein dürfte,
einen Abgleich zwischen den in der Widerrufbelehrung aufgeführten Pflichtangaben und denen im Vertrag
gemachten Angaben vorzunehmen als sich - juristisch nicht vorgebildet - die maßgeblichen Pflichtangaben
mit dem Risiko der Fehlerhaftigkeit über eine vorherige Internetrecherche erst selbst zusammensuchen zu
müssen (so auch LG Saarbrücken, Urteil vom 06. Mai 2016 - 1 O 247/15 - juris Rn 25). Hinzutritt, dass die
gerade jeweils gültige und damit einschlägige Fassung des Gesetzes, die zahlreichen Änderungen
unterzogen war, bei genauer Lektüre herauszufiltern ist.
51 Daher ist auch der Einwand der Klägerin nicht zielführend, dass die Vergütungsvereinbarung selbst die
notwendigen Pflichtangaben enthalten habe. So war für die Beklagte auch nach Lektüre der
Vergütungsvereinbarung nicht klar, ob die Vergütungsvereinbarung alle notwendigen Pflichtangaben
beinhaltet und auf welche es konkret für den Lauf der Widerrufsfrist letztlich erheblich ankommt. Ohne die
Einschaltung rechtskundigen Rates wäre der Beklagten im Übrigen die Prüfung nicht möglich gewesen, ob
sie bereits über alle Pflichtangaben in der streitgegenständlichen Vergütungsvereinbarung verfügte. Dies ist
letztlich auch deshalb so, da es sich - wie dargelegt - bei den einschlägigen gesetzlichen Regelungen um
einen längeren, unübersichtlichen und nicht ohne Weiteres verständlichen Normenkomplex handelt.
52 Auch die Sätze 3 und 4 der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung vermögen an diesem Ergebnis nichts
ändern.
53 Denn aus der Formulierung
„Sie haben alle Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für Sie bestimmten
Ausfertigung Ihres Antrags oder in der für Sie bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer
für Sie bestimmten Abschrift Ihres Antrags oder der Vertragsurkunde enthalten sind und Ihnen eine solche
Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist.“ kann der Verbraucher letztlich nicht ableiten, dass auch alle
notwendigen Angaben in der ihm vorliegenden Ausfertigung oder Abschrift des Antrages oder der
Vertragsurkunde enthalten sind. Auch insofern wird der Verbraucher mithin nicht davon befreit, sich die
nötige Kenntnis durch die Lektüre der einschlägigen gesetzlichen - und wie dargelegt unübersichtlichen -
Normen ggf. unter Einschaltung rechtskundigen Rates zu verschaffen.
54 Auch ändert sich an diesem Ergebnis durch die - in Abrede gestellte - Auslieferung der europäischen
Standardinformation für Verbraucherkredite nichts.
f)
55 Bereits aus Verbraucherschutzgesichtspunkten ist zu fordern, dass der Fristlauf eindeutig bestimmt werden
kann (Deutlichkeitsgebot).
56 Ziel der Vorschriften über die Belehrung des potentiell Widerrufenden über den Fristbeginn des
Widerrufsrechts ist es, den insofern regelmäßig rechtsunkundigen Verbraucher über den Beginn der
Widerrufsfrist eindeutig und zweifelsfrei zu informieren, damit der Verbraucher weder über den Anlauf noch
über den Ablauf und die damit einhergehende Berechnung der Widerrufsfrist im Unklaren ist.
57 Der mit der Einräumung des befristeten Widerrufsrechts beabsichtigte Schutz des Verbrauchers erfordert
daher eine möglichst umfassende, unmissverständliche und aus dem Verständnis des Verbrauchers
eindeutige und unzweifelhafte Belehrung (BGH, Urteil vom 10. März 2009 - XI ZR 33/08 -, juris Rn 16).
58 Dieser Anforderung genügt die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung jedoch - wie dargelegt -
nicht.
59 In einem ähnlich gelagerte Fall, in dem die Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ in einer
Widerrufsbelehrung im Streit stand, entschied der Bundesgerichtshof, dass diese Formulierung den
Verbraucher über den in § 355 Abs. 2 BGB maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht hinreichend
belehrt, da die Belehrung insofern nicht umfassend ist. Insofern führte der Bundesgerichtshof unter anderem
aus, dass der Verbraucher der Verwendung des Wortes „frühestens“ zwar entnehmen kann, dass der
Beginn des Fristlaufs noch von weiteren Voraussetzungen abhängig ist, er jedoch bei Verwendung dieser
Formulierung im Unklaren darüber gelassen wird, um welche Voraussetzungen es sich dabei handelt (vgl.
BGH, Urteil vom 09. Dezember 2009 - VIII ZR 219/08 - juris Rn 12).
60 Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Rechts- und Schutzgedanke muss aber auch im vorliegenden Fall
Gültigkeit besitzen und bei der Frage der Ordnungsgemäßheit der hier streitgegenständlichen
Widerrufsbelehrung herangezogen werden.
g)
61 Auch der Umstand, dass die Widerrufsbelehrung im Zeitpunkt der Verwendung am 09.09.2012 an dem
Muster für eine Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge nach Anlage 6 zu Art. 247 § 6
EGBGB (i. D. F. vom 27.07.2011) angelehnt war und sich die Klägerin demnach auf die Gesetzlichkeitsfiktion
hinsichtlich Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB (i.d.F. vom 27.07.2011) berufen kann, führt zu keinem
anderen Ergebnis.
62 Die streitgegenständliche Widerrufsinformation entspricht - jedenfalls bei Heranziehung der Regelung des
Art 247 § 12 EGBGB (i. d. F. vom 27.7.2011) - dem Muster für eine Widerrufsinformation, da die
Widerrufsbelehrung auf den vorliegenden Vertrag der Vergütungsvereinbarung angepasst war, indem der
Wortlaut „
z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur
Vertragslaufzeit“ in der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung durch den Passus „z.B. Angabe zur Art
der entgeltlichen Finanzierungshilfe, Angabe zum Barzahlungspreis, Angabe zur Vertragslaufzeit“ ersetzt
wurde.
63 Das Muster für eine Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge nach Anlage 6 zu Art. 247 § 6
EGBGB (in der Fassung vom 27.07.2011) hat auszugsweise folgenden Inhalt:
64
„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle
Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum
Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. Der Darlehensnehmer hat alle
Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung seines Antrags
oder in der für den Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für den
Darlehensnehmer bestimmten Abschrift seines Antrags oder der Vertragsurkunde enthalten sind und dem
Darlehensnehmer eine solche Unterlage zur Verfügung gestellt worden ist“
65 Anders als die auf Grundlage von § 14 BGB-InfoV erlassene Musterwiderrufsbelehrung nach Anlage 2 zu §
14 BGB-InfoV hatte die Musterinformation nach der hier einschlägigen Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2
EGBGB a.F. Gesetzesrang.
66 Der Gesetzgeber hat mit seiner Musterwiderrufsinformation gem. Anl. 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB
jedoch aus Sicht der Kammer nicht entschieden, dass eine reine exemplarische Aufzählung der
Pflichtangaben ausreiche und dem Verbraucher zuzumuten sei, den Gesetzestext, auf den verwiesen werde,
selbst zu lesen (so aber LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 15.10.2015, 6 O 2628/15, juris Rn 73; OLG
Stuttgart, Urteil vom 11. Oktober 2016 - 6 U 78/16 - juris Rn 29 ff).
67 Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass der Gesetzgeber mit der in der Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2
EGBGB (i. d. F. vom 27.07.2011) gewählten Formulierung keine generelle Entscheidung oder Wertung
dahingehend treffen wollte, eine Kaskadenverweisung über § 492 Abs. 2 BGB mit beispielhafter Aufzählung
von drei Pflichtangaben sei ausreichend zur Belehrung des Verbrauchers.
68 So erschöpft sich die Bedeutung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Musterwiderrufsinformation vielmehr
darin, dass dem Verwender des Musters eine Vertrauensschutzfiktion zuteilwird, wenn der zugrunde
liegende Verbrauchervertrag, hier die Vergütungsvereinbarung, eine Vertragsklausel in hervorgehobener
und deutlich gestalteter Form enthält, die dem oben genannten Muster entspricht (a.A. OLG Stuttgart,
Urteil vom 11. Oktober 2016 - 6 U 78/16 -, Rn. 31, juris).
69 Hierfür spricht auch die Regierungsbegründung, welche auszugsweise wie folgt lautet:
70
„Für die vorvertragliche Information existieren im Regierungsentwurf bereits Muster mit der
Fiktionswirkung, Artikel 247 § 2 Abs. 3 EGBGB-E. Für die Vertragsangabe ist das Belehrungsmuster
inhaltlich ungeeignet, da weder die Angaben über den Fristbeginn noch über die Folgen des Widerrufs im
Muster mit den gesetzlichen Erfordernissen übereinstimmen.
71
Allenfalls könnte erwogen werden, eine Vertragsklausel mit der im Vertrag erforderlichen Pflichtangabe zu
formulieren. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Außerdem sind solche Vertragsklauseln stets
im Kontext des gesamten Vertrags zu würdigen. Es wäre nicht möglich, gesetzlich eine Klausel zu
formulieren, die dem jeweiligen Vertragsduktus angepasst ist. Der Gesetzentwurf leistet insoweit die
maximal mögliche Hilfe, indem er den Inhalt dieser Vertragsklausel in Artikel 247 § 6 Abs. 2 EGBGB-E
wiedergibt.“ (BT-Drucksache 16/11643, Seite 164, 165).
72 Mehr kann aus der Regelung jedoch nicht abgeleitet werden.
2)
73 In der Folge steht der Klägerin gegen die Beklagte auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen
sowie vorgerichtlichen Mahn- und Rechtsanwaltskosten zu.
III.
74 Die Kostenentscheidung beruht auf der Regelung des § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den Regelungen der §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
75 Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, nachdem die aufgeworfene Rechtsfrage,
ob die vorliegende Widerrufsbelehrung den Fristlauf für die Einlegung des Widerrufsrechts in Gang setzen
konnte, grundsätzliche Bedeutung hat und hierzu bislang - soweit ersichtlich - höchstrichterliche
Rechtsprechung nicht vorliegt. Die Revision war ferner nach Maßgabe des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO
zuzulassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts
erfordert. Auf die divergierenden Entscheidungen des OLG München, Urteil vom 21.05.2015 - 17 U 334/15 -
juris Rn 33 ff und des OLG Stuttgart, Urteil vom 24.05.2016 - 6 U 222/15 - juris Rn 54 wird verwiesen.