Urteil des LG Rottweil vom 21.10.2015

satzung, nachschusspflicht, genossenschaft, beendigung

LG Rottweil Urteil vom 21.10.2015, 1 S 78/15
Kürzung des Auseinandersetzungsguthabens auf Null; Nachschusspflicht des ausscheidenden
Genossenschaftsmitglieds bei einem "negativen Auseinandersetzungsguthaben"
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Rottweil vom 04.05.2015, Az. 1 C 631/13, wird
zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Rottweil ist ohne
Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
1 Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
2 1. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen
Anspruch auf Zahlung von 3.840,10 EUR gemäß § 73 GenG i.V.m. §§ 12, 17 der Satzung.
3 a) Nach Beendigung der Mitgliedschaft des Beklagten hat gemäß § 73 GenG i.V.m. § 12 der Satzung die
Auseinandersetzung zu erfolgen. Das Geschäftsguthaben ist auszuzahlen. Wie das Erstgericht zutreffend
festgestellt hat, geht die von der Klägerin angestellte Berechnung bereits im Ansatz fehl, weil das
Auseinandersetzungsguthaben anhand der tatsächlich geleisteten Einzahlungen und nicht anhand der
Mindestbeteiligung vorzunehmen ist, was die Klägerin trotz entsprechenden Hinweises des Erstgerichts
versäumt hat (vgl. Sitzungsprotokoll vom 11.02.2015, Bl. 119 d.A.). Die Klage war daher zu Recht als
unschlüssig abzuweisen.
4 Dass es für die Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens auf die tatsächlich geleisteten Einzahlungen
ankommt, ergibt sich bereits eindeutig aus §§ 12 Abs. 2, 17 Abs. 9 der Satzung. Danach ist das
Auseinandersetzungsguthaben nach dem Geschäftsguthaben des Mitglieds zu berechnen. Das
Geschäftsguthaben wird wiederum gebildet durch die Einzahlungen auf den bzw. die Geschäftsanteile,
vermehrt um die zugeschriebenen Gewinnanteile, vermindert um die abgeschriebenen Verlustanteile.
Soweit die Klägerin demgegenüber auf die Mindestbeteiligung abstellt, verkennt sie, dass sich
Geschäftsanteil und Geschäftsguthaben im Sinne des Genossenschaftsgesetzes terminologisch
unterscheiden. § 17 der Satzung greift diesen Unterschied bereits in der Überschrift auf. Geschäftsanteil ist
danach der Betrag, mit dem sich die Genossen mit Einlagen an der Genossenschaft beteiligen können (vgl. §
7a GenG). Geschäftsguthaben ist hingegen der Betrag, mit dem der einzelne Genosse an der
Genossenschaft tatsächlich beteiligt ist. Im Gegensatz zum Geschäftsanteil ist das Geschäftsguthaben damit
eine variable Größe. Es setzt sich zusammen aus den Einlagen der Genossen und aus Gewinnzuweisungen.
Dies zugrunde gelegt ist die Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens anhand der tatsächlich
geleisteten Einzahlungen und nicht anhand der Mindestbeteiligung vorzunehmen.
5 b) Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Klägerin gehen allesamt fehl.
6 aa) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass bei dem von ihr behaupteten Verlustvortrag auf
Rechnung unter Schonung der Geschäftsguthaben und der Rücklagen das Auseinandersetzungsguthaben
um den entsprechenden Anteil am Verlust im Verhältnis zumindest der „gezeichneten Pflichtbeteiligung“ zu
„kürzen“ sei, so dass sich zu ihren Gunsten eine Auseinandersetzungsforderung in Höhe von 3.840,10 EUR
ergebe. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der klägerische Vortrag jegliche Substantiierung, geschweige
denn geeigneten Beweisantritt - beispielsweise durch Vorlage entsprechender
Bilanzgenehmigungsbeschlüsse - vermissen lässt. Einmal unterstellt, es habe einen solchen Verlustvortrag
gegeben, ist die Berechnung der Klägerin im Übrigen unzutreffend. Richtig ist, dass gemäß § 73 Abs. 2 Satz
1 GenG die Auseinandersetzung aufgrund der Bilanz erfolgt und sie deswegen allein schon durch einen in
der Bilanz ausgewiesenen Verlust beeinflusst wird (Schulte, in: Lang/Weidenmüller, GenG, 37. Aufl. 2011, §
73 Rn. 15). Von daher ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass das
Auseinandersetzungsguthaben - unbeschadet einer etwaigen Nachschusspflicht - „gekürzt“ werden kann,
soweit die Jahresbilanz einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist (BGH, Urt. v.
26.05.2003 - II ZR 169/02, juris Rn. 9; OLG Dresden, Urt. v. 10.12.2003 - 12 U 1209/03, juris Rn. 31;
Beuthien, GenG, 15. Aufl. 2011, § 73 Rn. 9; Schulte, in: Lang/Weidenmüller, a.a.O., § 73 Rn. 15). Ob es
hierfür einer ausdrücklichen Satzungsregelung bedarf (offen lassend BGH, Urt. v. 26.05.2003 - II ZR 169/02,
juris Rn. 9), welche freilich nicht vorliegt, oder ob es genügt, dass immerhin § 41 der Satzung bestimmt, dass
das Geschäftsguthaben zur Verlustdeckung herangezogen werden kann (so Schulte, in: Lang/Weidenmüller,
a.a.O., § 73 Rn. 15), kann dabei dahinstehen. Denn wie die Klägerin selber unter Bezugnahme auf die von
ihr zitierten Entscheidungen des BGH vom 26.05.2003 (Az. II ZR 169/02) und des OLG Dresden vom
10.12.2003 (Az. 12 U 1209/03) vorträgt, führt die anteilige Anrechnung eines Verlustvortrags auf den
Auseinandersetzungsanspruch nur zu einer „Kürzung“, d.h. allenfalls zu einer Minderung des
Auseinandersetzungsguthabens auf Null, keinesfalls aber zu einer Nachzahlungspflicht gegenüber der
Genossenschaft.
7 bb) Ebenso verfehlt ist der Einwand der Klägerin, dass bei der Berechnung des
Auseinandersetzungsguthabens Berücksichtigung finden müsse, dass der Beklagte noch nicht einmal seine
Mindestbeteiligung erbracht habe. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass mit dem Zeitpunkt der
Beendigung der Mitgliedschaft die Einlageverpflichtung des Genossen auf die Pflichtleistung erlischt und die
Abwicklung der vermögensrechtlichen Beziehung nur noch über § 73 Abs. 2 GenG erfolgt (vgl. OLG
Schleswig, Urt. v. 23.11.2006 - 5 U 140/06, juris Rn. 40 f.). Dieser gibt - wie vorstehend ausgeführt wurde -
für eine Auseinandersetzungsforderung der Klägerin jedoch nichts her. Ob der im Einlagenrückstand
befindliche Genosse ohne jedes Risiko an dem wirtschaftlichen Erfolg der Genossenschaft partizipieren
könne, wie von der Klägerin als Argument für ihre Berechnungsweise vorgebracht wird, mag dabei als
hypothetische Betrachtungsweise dahinstehen. Das wirtschaftliche Risiko ist in jedem Fall der Klägerin
zuzuweisen, die es durch eine entsprechende Satzungsgestaltung in der Hand hätte, die
Einlageverpflichtung im Hinblick auf eine vorzeitige Beendigung der Mitgliedschaft durchzusetzen.
8 cc) Soweit die Klägerin schließlich vorträgt, dass es gegen den genossenschaftsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, den ausscheidenden Beklagten von einer Verlustzuweisung
auszunehmen, verkennt sie dessen Inhalt und Reichweite. Der genossenschaftsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz steht gemäß § 18 Satz 2 GenG unter dem Vorbehalt der Bestimmungen des
Genossenschaftsgesetzes und, soweit davon abgewichen werden kann, denen der Satzung (BGH, Urt. v.
26.05.2003 - II ZR 169/02, juris Rn. 10). Für den Fall, dass die Auseinandersetzungsbilanz eine
Überschuldung ausweist, erlaubt es § 73 Abs. 2 Satz 4 GenG, eine Nachschusspflicht zu statuieren. Hiervon
hat die Klägerin ausweislich § 19 der Satzung ausdrücklich keinen Gebrauch gemacht. Wie das Erstgericht
zutreffend erkannt hat, liefe das von der Klägerin errechnete „negative Auseinandersetzungsguthaben“
hingegen auf eine Nachschusspflicht des Beklagten hinaus.
9 b) Einmal unterstellt, die Mindestbeteiligung sei die maßgebliche Bezugsgröße für die Berechnung des
Auseinandersetzungsguthabens, hat im Übrigen die Berufung selbst dann keinen Erfolg, weil die Klägerin für
die Richtigkeit der einzelnen Berechnungsparameter (Bilanzsumme, Bilanzverlust) beweisfällig geblieben ist.
Die Berechnung wurde von dem Beklagten als unsubstantiiert bestritten. Trotz mehrfacher gerichtlicher
Hinweise sowohl des Erstgerichts (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16.09.2014, Bl. 101 d.A. und
Sitzungsprotokoll vom 11.02.2015, Bl. 119 d.A.) als auch der erkennenden Kammer (vgl. Hinweisverfügung
vom 10.09.2015, Bl. 181 d.A.) blieb die Klägerin eine nähere Darlegung unter Beweisantritt schuldig. Mit
der Vorlage des Abrechnungsbogens und einer Kurzbilanz genügt die Klägerin ihrer Darlegungs- und
Beweislast nicht. Soweit sie sich darauf beruft, dass die angeblich vorschriftsmäßig und nach
kaufmännischen Gesichtspunkten aufgestellte Bilanz für die Berechnung des
Auseinandersetzungsguthabens maßgebend sei, weil diese Bilanz - richtig wohl der
Bilanzgenehmigungsbeschluss - von dem Beklagten nicht wirksam angefochten worden sei, verkennt die
Klägerin, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Beschlussfassung gemäß § 51 GenG schon gar nicht mehr
anfechtungsberechtigt war (vgl. Beuthin, a.a.O., § 73 Rn. 12).
10 2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
11 3. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Die Sache hat keine
grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts.