Urteil des LG Rottweil vom 31.08.2016

schutz der gläubiger, ausschluss der haftung, rückzahlung, auflage

LG Rottweil Urteil vom 31.8.2016, 1 S 31/16
Entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften über den Verbraucherkredit (§§ 491 ff. BGB);
Anwendung von § 152 Abs. 2 S. 1 KAGB auf Fälle vor Inkrafttreten
Leitsätze
Revision wurde zugelassen und eingelegt (BGH Az. II ZR 239/16)
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Horb am Neckar vom 26.02.2016, Az. 1 C
368/15, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Horb am Neckar ist
ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger
vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten über die Außenhaftung des Beklagten als Kommanditisten wegen Einlagenrückgewähr.
Der Kläger begehrt die Rückzahlung der erhaltenen Ausschüttung in Höhe von 3.600 EUR (Ausschüttungen
in Gesamthöhe von 7.600 EUR abzüglich freiwilliger Rückzahlung von 4.000 EUR).
2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem durch Beschluss vom 09.12.2013 (Anlage K1, Bl. 8 d.A.) unter dem
Aktenzeichen … beim Amtsgericht N. eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin, der MS V. GmbH & Co. Containerschiff KG. Gegenstand des Unternehmens war der
Erwerb und Betrieb des Containerschiffs V. Der Beklagte hat als Kommanditist der Insolvenzschuldnerin eine
Einlageverpflichtung in Höhe von 20.000,00 EUR übernommen (Handelsregisterauszug als Anlage K2, Bl. 9 f.
d.A.).
3
Die Insolvenzschuldnerin erwirtschaftete seit ihrer Gründung im Jahre 2003 nach den Gewinn- und
Verlustrechnungen (Anlage K3, Bl. 11 - 14 d.A.) regelmäßig Verluste. Die Jahresergebnisse lauten im
Einzelnen wie folgt:
4
Jahr
Ergebnis
2003 - 2.692,86 EUR
2004 - 2.023.176,76 EUR
2005 - 217.798,60 EUR
2006 152.946,99 EUR
2007 135.761,52 EUR
2008 - 14.999,60 EUR
2009 - 2.281.622,69 EUR
2010 - 2.511.123,12 EUR
2011 - 797.987,29 EUR
5
Die Kapitalkonten der Kommanditisten waren infolge der Verluste bereits im Beitrittsjahr unter den Betrag
der jeweiligen Hafteinlage herabgemindert worden. Zu einer Auffüllung der Kapitalkonten kam es in der
Folgezeit wegen der weiteren zugewiesenen Verluste nicht. In den Jahren 2005 bis 2008 wurden
Ausschüttungen in Höhe von 8 % und 10 % des Kommanditkapitals an die Kommanditisten getätigt
(Kontobelege in Anlage K4, Bl. 15 - 35 d.A.). An den Beklagten wurden seitens der Insolvenzschuldnerin
hierbei folgende Zahlungen vorgenommen:
6
Jahr
Betrag
2005 1.600,00 EUR
2006 2.000,00 EUR
2007 2.000,00 EUR
2008 2.000,00 EUR
7
Der Beklagte hat die Ausschüttungen mit dazu verwendet, neue Schiffsbeteiligungen zu zeichnen, und
zwar im Jahr 2005 MS M. mit 15.000 EUR (Anlage B 1, Bl. 55 d.A.), im Jahr 2006 MI. mit 20.000 EUR (erste
Rate 2006 in Höhe von 8.600 EUR (Anlage B 2 Bl. 56 d.A.), im Jahr 2007 C. Tanker mit 10.000 EUR (Anlage
B 3, Bl. 57 d.A.) und im Jahr 2008 MS P. mit 20.000 EUR, Anlage B 4, Bl. 58 d.A.), die alle nur noch
„Erinnerungswert“ haben.
8
Im Rahmen von Sanierungsbemühungen bezahlte der Beklagte später (vor Klageerhebung) einen Betrag in
Höhe von 4.000,00 EUR an die Insolvenzschuldnerin zurück. Im Insolvenzverfahren sind Forderungen der
Gläubiger in Höhe von 6.050.968,39 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet und nur in Höhe von 711.575,50
EUR bestritten worden. Die freie Masse genügt nicht, um sämtliche Verbindlichkeiten zu befriedigen.
9
Mit Schreiben vom 06.03.2015 (Anlage K6, Bl. 37 f. d.A.) forderte der Kläger den Beklagten zur Rückzahlung
der in den Jahren 2005 bis 2008 erhaltenen Auszahlungen, abzüglich bereits zurückbezahlter 4.000,00
EUR, unter Fristsetzung bis zum 27.03.2015 auf. Mit Schreiben vom 10.03.2015 (Anlage K7, Bl. 39 d.A.)
wies der Beklagte die Ansprüche des Klägers zurück. Der Kläger bevollmächtigte anschließend seine
Prozessbevollmächtigten mit der Prüfung und Durchsetzung des Zahlungsanspruchs gegen den Beklagten.
Diese forderten den Beklagten mit Schreiben vom 07.04.2015 (Anlage K8, Bl. 40 - 43 d.A.) erneut zur
Rückzahlung der erhaltenen Zahlungen auf. Mit Schreiben vom 13.04.2015 (Anlage K9, Bl. 44 f. d.A.) wies
der Beklagte die Ansprüche zurück. Durch das außergerichtliche Tätigwerden der Prozessbevollmächtigten
des Klägers sind dem Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR entstanden.
10 Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 07.12.2015 den Widerruf der „Entnahmen“ von Liquidität der MS V.
GmbH & Co. Containerschiff KG in den Jahren 2005 bis 2008 erklärt (Bl. 51 d.A.) und die Einrede der
Verjährung erhoben (Bl. 52 d.A.). Außerdem hat der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer
Forderung gegen den Kläger aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Höhe von 3.600,00 EUR erklärt
(Bl. 54 d.A.).
11 Die Klägerin ist der Auffassung, die erfolgten Auszahlungen an den Beklagten würden eine Rückgewähr der
Kommanditeinlage darstellen, da sie zu Zeitpunkten erfolgt seien, in denen das Kapitalkonto des Beklagten
bereits unter den Betrag der jeweiligen Hafteinlage herabgemindert war. In Höhe der Auszahlungen sei die
Haftung des Beklagten somit wieder aufgelebt. Dem Kläger stehe daher in seiner Eigenschaft als
Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ein Zahlungsanspruch gegen den
Beklagten gemäß §§ 172 Abs. 4, 171 Abs. 1, Abs. 2 HGB zu.
12 Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:
13 1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 3.600,00 EUR nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.03.2015 zu zahlen.
14 2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Kosten in Höhe von 413,64 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.04.2015 zu zahlen.
15 Der Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
16 die Klage abzuweisen.
17 Der Beklagte ist der Auffassung, für Rechtsstreitigkeiten wie den vorliegenden gelte seit 22.07.2013 der §
152 Abs. 2 Kapitalanlagengesetzbuch (KAGB). Hiernach dürfe eine Ausschüttung, die den Wert der
Kommanditeinlage unter den Betrag der Einlage herabmindert, nur mit Zustimmung des betreffenden
Kommanditisten erfolgen. Vor der Zustimmung sei dieser darauf hinzuweisen, dass er den Gläubigern der
Gesellschaft unmittelbar hafte, soweit die Einlage durch die Ausschüttung zurückbezahlt werde. Da weder
ein Hinweis vor den Auszahlungen an den Beklagten erfolgt sei, noch dieser nach einem solchen seine
Zustimmung erteilt habe, seien die Auszahlungen unwirksam.
18 § 172 Abs. 4 S. 2 HGB sei auf den vorliegenden Rechtsstreit nicht anwendbar, da eine Entnahme von
Gewinnanteilen hinsichtlich der Ausschüttungen der Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2005 bis 2008 nicht
vorlag, sondern eine Ausschüttung von überschüssiger Liquidität.
19 Hinsichtlich der Zeichnung eines Kapitalanteils und der Gesellschafterstellung bei der Insolvenzschuldnerin
würden für den Beklagten die Schutzvorschriften des Verbraucherkreditrechts gelten, da die Begründung
der Haftung nach § 172 Abs. 4 S. 2 HGB durch eine Liquiditätsausschüttung dieselbe Wirkung wie ein
Schuldbeitritt habe. Die Ausschüttungen auf die sich die Klage bezieht, seien jeweils der Begründung einer
Gesamtschuld für die Kreditverbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin gegenüber der Commerzbank
gleichzustellen, denn in der Insolvenz, welche der Kläger zu verwalten hat, gehe es nur noch um die
Durchsetzung der Kreditforderungen der Commerzbank gegen die Insolvenzschuldnerin. Ein Schuldbeitritt
sei nach ständiger Rechtsprechung des BGH wie ein Darlehensvertrag im Sinne des § 491 BGB zu
beurteilen. Daher liege eine Formnichtigkeit gemäß § 125 BGB vor. Außerdem sei ein Widerrufsrecht nach §
495 BGB gegeben.
20 Durch den Widerruf und ohnehin schon durch den Formmangel nach §§ 492, 125 BGB seien die
Ausschüttungen der Jahre 2005 bis 2008 ohne rechtlichen Grund erfolgt. Ursache für die Widerruflichkeit
seien die mangelnden Hinweise auf die Folgen der Auszahlung, so dass die Schuldnerin bei der Auszahlung
bewusst ohne Rechtsgrund an die Gesellschafter geleistet habe. Die Rückforderung sei daher gemäß § 814
BGB ausgeschlossen. Zudem sei er durch die Wiederanlage in Schiffsbeteiligungen, die allesamt wertlos
geworden seien, entreichert.
21 Da es sich bei den Ausschüttungen wegen der Widerrufsmöglichkeit der Empfänger um Zahlungen auf ein
schwebendes Rechtsverhältnis gehandelt habe, sei die Rückforderung - abgesehen vom
Kondiktionsausschluss nach § 814 BGB - seit dem Zeitpunkt der Ausschüttung möglich gewesen.
Infolgedessen sei der Bereicherungsanspruch verjährt.
22 Überdies begehe der Kläger eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung gegenüber dem Beklagten, da dieser
einen sonst nicht begründeten Anspruch der Bank als Insolvenzforderung erhebe. Hieraus ergebe sich ein
Anspruch des Kommanditisten gegen den Kläger aus §§ 826 BGB, 60 Abs. 1 S. 2 InsO. Dieser richte sich
gegen die Insolvenzmasse und habe den Inhalt, den Beklagten von der Haftung zu befreien. Da der
Anspruch im Insolvenzverfahren geltend zu machen sei, wandele er sich nach § 45 InsO in einen
Geldanspruch.
23 Ergänzend wird auf die in erster Instanz eingereichten Schriftsätze des Klägers vom 23.10.2015 nebst
Anlagen (Bl. 11 ff d.A.) und 18.01.2016 (Bl. 75 ff d.A.) sowie die Schriftsätze des Beklagten vom 07.12.2015
(Bl. 50 ff d.A.) und 18.01.2016 (Bl. 78 ff d.A.) Bezug genommen.
24 Das Amtsgericht Horb a. N. hat (ohne mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128
Abs. 2 ZPO) mit Urteil vom 25.02.2016 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und dem Beklagten die
Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung von 3.600 EUR aus §§ 171
Abs. 1 u. 2, 172 Abs. 4 S. 1 BGB zu. Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom
25.02.2016 Bezug genommen (Bl. 96 - 101 d. A.).
25 Gegen das dem Beklagten am 29.02.2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte durch Schriftsatz seiner
Prozessbevollmächtigten vom 11.03.2016, der am 14.03.2016 beim Landgericht eingegangen ist, Berufung
eingelegt. Mit am 22.04.2016 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom 22.04.2016 wurde die
Berufung begründet.
26 Zur Begründung der Berufung bringt der Beklagte vor, das erstinstanzliche Gericht habe rechtsfehlerhaft
einen Zahlungsanspruch bejaht. In mehrfacher Hinsicht habe das Amtsgericht die Rechtslage verkannt. Eine
Zahlungspflicht scheitere bereits am fehlenden Hinweis nach § 152 Abs. 2 KAGB. Zudem sei die
Kommanditistenhaftung aus § 172 Abs. 4 HGB einem Schuldbeitritt zu einem Kreditvertrag gleichzusetzen,
weshalb die Schutzvorschriften des Verbraucherkreditrechts der §§ 491 ff BGB Anwendung finden müssten,
was zur Formnichtigkeit und zudem zum wirksam erklärten Widerruf der Entnahme führe
(Widerrufserklärung im Schriftsatz vom 07.12.2015, Seite 2, Bl. 51 d.A.). Des Weiteren habe das
Amtsgericht seinen Vortrag, dass die erfolgten Ausschüttungen nicht aus erzieltem Gewinn, sondern aus
überschüssiger Liquidität erfolgt seien, nicht berücksichtigt und insoweit auch seiner Hinweispflicht nach §
139 Abs. 2 u. 3 ZPO nicht genügt. Zudem habe das Amtsgericht zu Unrecht den hilfsweise zur Aufrechnung
gestellten Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB verneint.
27 Der Beklagte beantragt in zweiter Instanz:
28 Das Urteil des Amtsgerichts Horb a.N. vom 25.02.2016, Az. 1 C 368/15, wird aufgehoben.
29 Die Klage wird abgewiesen.
30 Der Kläger beantragt in zweiter Instanz,
31 die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
32 Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Rechtsansichten des Amtsgerichts seien zutreffend.
33 Ergänzend wird zum Vorbringen in der Berufungsinstanz Bezug genommen auf die Schriftsätze des
Beklagten vom 22.04.2016 (Bl. 112 ff d.A.), 04.07.2016 (Bl. 150 ff d.A.) und 18.07.2016 (Bl. 159 f. d.A.)
und des Klägers vom 13.06.2016 (Bl. 132 ff d.A.) und 11.07.2016 (Bl. 153 ff d.A.).
34 Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung fand statt am 27.07.2016. Zum Inhalt wird auf das
Protokoll vom 27.07.2016 Bezug genommen (Bl. 161 ff d.A.).
II.
35 Die an sich statthafte sowie nach Form, Frist und Beschwer und auch im Übrigen zulässige Berufung des
Beklagten (§§ 511 ff ZPO) ist nicht begründet.
36 Das Amtsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der
MS V. GmbH Co & Container Schiff KG ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 3.600,00 EUR
nach §§ 171 Abs. 1, Abs. 2, 172 Abs. 4 S. 1 HGB sowie die zugesprochenen Nebenforderungen zustehen.
Die Berufungsangriffe des Beklagten greifen nicht. Zur Begründung wird in vollem Umfang auf die
zutreffenden Entscheidungsgründe im Urteil des Amtsgerichts (Bl. 6 ff, Bl. 96 ff d. A.) Bezug genommen.
37 Ergänzend ist auszuführen:
1.
38 Bei den seitens der Insolvenzschuldnerin an den Beklagten erfolgten Zahlung in den Jahren 2005 bis 2008
in einer Gesamthöhe von 7.600,00 EUR handelt es sich um Zahlungen im Sinne von § 172 Abs. 4 HGB.
39 Es entspricht herrschender Auffassung in Rechtsprechungen und Literatur, dass der Wortlaut des § 172 Abs.
4 S. 1 HGB zu eng ist und unter Rückzahlung im Sinne dieser Vorschrift jede Zuwendung an den
Kommanditisten zu verstehen ist, durch die dem Gesellschaftsvermögen ein Wert ohne eine entsprechende
Gegenleistung entzogen wird. Denn die Vorschriften der §§ 171, 172 HGB dienen dem Schutz der
Gesellschaftsgläubiger. Diese sollen sich darauf verlassen dürfen, dass ihnen die im Handelsregister
eingetragenen Haftsummen zur Verfügung stehen. Die Haftung lebt aus diesem Grund gegenüber dem
Gesellschaftsgläubiger immer dann wieder auf, wenn eine zunächst erbrachte Einlage nach Maßgabe des §
172 Abs. 4 HGB unter den bisher geleisteten Betrag geschmälert wird. Unerheblich ist dabei, ob eine
Rückzahlung (§ 172 Abs. 4 S. 1 HGB) erfolgt oder ob Gewinnanteile entnommen werden (§ 172 Abs. 4 S. 2
HGB). Haftungsauslösend ist jede Verminderung des Gesellschaftsvermögens zugunsten des
Kommanditisten, die ihm gemessen an der Vermögenslage der Gesellschaft und gemessen an seiner
Haftsumme gegenüber den Gläubigern nicht zusteht und von der er auch nicht annehmen durfte, dass sie
ihm zusteht (§ 172 Abs. 5 HGB). Der Umfang der Haftsumme des einzelnen Kommanditisten richtet sich
danach, inwieweit sein Kapitalanteil seine Haftsumme nicht mehr deckt. (BGH NJW 1963, 1873,1876; BGH
NJW 1967, 1321; BAG NJW 1983, 1869, 1870; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn,
Handelsgesetzbuch, 3. Auflage 2014, § 172 Rn. 21; Schmidt in Münchner Kommentar, Handelsgesetzbuch,
3. Auflage 2012 §§ 171,172 Rn. 66; Thiessen in Staub, Handelsgesetzbuch, 5. Auflage 2015, Bd. 4, § 172
Rn. 72, 82; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Morck, HGB 8. Auflage 2015, § 172 Rn. 22 ff).
40 Eine solche Zuwendung ist vorliegend in Höhe von 7.600,00 EUR erfolgt, denn dem Beklagten sind von der
Insolvenzschuldnerin in den Jahren 2005 bis 2008 insgesamt 7.600,00 EUR ausbezahlt worden, ohne dass
es sich hierbei um Gewinne handelte oder eine wertdeckende Gegenleistung des Beklagten vorlag. Dem
Gesellschaftsvermögen ist ein Wert in Höhe von 7.600,00 EUR entzogen worden, der lediglich durch die
spätere Zahlung des Beklagten in Höhe von 4.000,00 EUR wieder ausgeglichen worden ist. Dadurch wurden
im Ergebnis 3.600,00 EUR dem Gesellschaftsvermögen entzogen.
41 Da unter Rückzahlung, wie ausgeführt, jede Zuwendung an den Kommanditisten zu verstehen ist, durch die
dem Gesellschaftsvermögen ein Wert ohne eine entsprechende Gegenleistung entzogen wird, kommt es auf
das Vorbringen des Beklagten, die Ausschüttungen seien aus überschüssiger Liquidität erfolgt, nicht an. Die
„Ausschüttungsqualität“ ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht maßgeblich. Dieser Sachvortrag
des Beklagten ist unerheblich. Aus diesem Grund bedurfte es auch keiner rechtlichen Hinweise des
Amtsgerichts nach § 139 ZPO.
42 Die Auszahlung führt zum Wiederaufleben der persönlichen Haftung. Denn zu den Zeitpunkten der
Ausschüttungen war unstreitig jeweils der Kapitalanteil des Beklagten durch die vorherigen Verluste unter
den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert, ohne dass die Gewinne in den Geschäftsjahren 2006
und 2007 dies kompensieren konnten. Rechtsfolge ist die Haftung des Beklagten in Höhe der erhaltenen
Ausschüttungen für die Jahre 2005 und 2008 gem. § 172 Abs. 4 S. 1 HGB, für die Jahre 2006 und 2007
gem. § 172 Abs. 4 S. 2 HGB.
2.
43 a) Die Haftung des Beklagten ist auch nicht durch § 152 Abs. 2 S. 1 KAGB, wonach eine Rückgewährung der
Einlage oder eine Ausschüttung, die den Wert der Kommanditeinlage unter dem Betrag der Einlage
herabmindern, nur mit Zustimmung des betroffenen Kommanditisten erfolgen darf, nicht ausgeschlossen.
Denn diese Vorschrift ist erst zum 22.07.2013 in Kraft getreten. Die Übergangsvorschriften des KAGB (§
353 Abs. 4 KAGB) sehen keine Rückwirkung vor.
44 Im Übrigen führt eine unter Verstoß gegen § 152 Abs. 2 S. 1 KAGB, d.h. ohne oder nach Belehrung, aber
ohne Zustimmung, erfolgte Auszahlung an den Kommanditisten nicht dazu, dass die Haftung nicht wieder
auflebt. Die persönliche Haftung tritt gleichwohl ein. Es hat im Interesse des Gläubigerschutzes bei der
Anwendbarkeit des § 172 Abs. 4 HGB zu bleiben. Hat eine Einlagenrückgewähr ohne entsprechende
Belehrung stattgefunden, ist der Kommanditist auf Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft, die
sich wiederum an die Geschäftsführer halten kann, zu verweisen (Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn,
Handelsgesetzbuch, 3. Auflage 2014, § 172 Rn. 21; Freitag, NZG 2013, 329, 335; Könnecke in Baur,
Investmentgesetze, Stand September 2014, § 152 KAGB Rn. 82 - zitiert nach Leseprobe im Internet; a. A.
wohl Zeising DZWIR 2016, 301).
45 b) Für die Rechtsauffassung des Beklagten, dass mit der neuen gesetzlichen Bestimmun des § 152 Abs. 2 S.
1 KAGB kein neuer Rechtsgedanke geschaffen worden sei, sondern vielmehr ein im Gesetz existenter und
historisch, systematisch sowie teleologisch gebotener Schutzgedanken nur in das Gesetz aufgenommen
worden ist, gibt es, soweit ersichtlich, in Rechtsprechung und Literatur keine Anhaltspunkte. Sie überzeugt
auch nicht.
46 § 172 HGB ist eine die Gläubiger der Gesellschaft schützende Norm. Die rückwirkende Anwendung von §
152 Abs. 2 KAGB auf abgeschlossene Fälle ebenso wie die rückwirkende Anwendung des Rechtsgedankens
zugunsten des Schutzes des Verbrauchers würde diesen Schutz der Gläubiger, die über interne Vorgänge
und damit auch erfolgte oder nicht erfolgte Belehrungen und Zustimmungen keine Kenntnis haben,
aushebeln. Es handelt sich um Konkurrenz zweier Schutzvorschriften. Der Gesetzgeber hat - jedenfalls für
die Vergangenheit - hier nicht eingegriffen, das Konkurrenzverhältnis nicht neu geregelt. Unerheblich ist,
dass bei Insolvenzeröffnung am 09.12.2013 das KAGB bereits in Kraft war. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der
Ausschüttungen.
47 Im Übrigen verhindert nicht einmal § 152 Abs. 2 KAGB nach aktueller Rechtslage bei fehlender Belehrung
und Zustimmung das Wiederaufleben der Haftung des Kommanditisten, sondern begründet nur Ansprüche
gegen die Gesellschaft (vgl. vorstehend II 2 a).
3.
48 Ein Ausschluss der Haftung des Beklagten ergibt sich nicht aus einer entsprechenden Anwendung der §§
491 ff BGB. Die Vorschriften des Verbraucherkreditrechts sind auf dem vorliegenden Sachverhalt nicht
anzuwenden. Die Entnahme nach §§ 171 Abs., 172 Abs. 4 S. 1 HGB und ein Schuldbeitritt, auf den die
Vorschriften des Verbraucherkreditrechts nach der Rechtsprechung des BGH entsprechend anwendet (BGHZ
165,43; BGH NJW-RR 2012,166), sind nicht miteinander vergleichbar.
49 a) Zutreffend weist das Amtsgericht daraufhin, dass der Schuldbeitritt zu einer unbegrenzten,
akzessorischen Haftung des Beitretenden führt. Dem Beitretenden sollen bei Abgabe der
Mithaftungserklärung die wesentlichen Kreditkonditionen in klar erkennbarer Weise bekannt sein, damit er,
wie der Hauptschuldner, rechtzeitig und zuverlässig erkennen kann, auf was er sich einlässt. Die Haftung
des Kommanditisten nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 S. 1 HGB ist hingegen stets begrenzt auf die Höhe der
Einlage (§ 171 Abs. 1 S. 1 HGB). Die Haftung ist unabhängig von der Entwicklung der Schulden der
Gesellschaft jeweils durch die Höhe der Einlage begrenzt.
50 b) Da einerseits die Haftung des Kommanditisten auf Gesetz beruht und andererseits die §§ 491 ff BGB ihrer
Schutzrichtung nach allein auf den Vertragspartner abzielen, kommt ihre entsprechende Anwendung nicht
in Betracht (BGH ZIP 2006, 1622, 1626; BGH ZIP 2007, 64, 68; Schürnbrand Münchner Kommentar zum
BGB 7. Auflage 2016, § 461 Rn. 15). §§ 171, 172 HGB sind Gläubigerschutzvorschriften. Hingegen würde
die entsprechende Anwendung von §§ 491 ff BGB zu einem Schutz des Kapitalanlegers führen.
51 c) Im Übrigen fehlt es an einem Rechtsgeschäft, wie es der Schuldbeitritt darstellt. Das Wiederaufleben der
Haftung nach §§ 171 Abs.1, 172 Abs. 4 S. 1 HGB ist eine gesetzliche Folge der Zurückgewährung. Was
zurückgewährt ist, gilt wie nicht geleistet. Der Empfang der Leistung entspricht nicht einem
Vertragsschluss, wie dies bei Abschluss eines Darlehensvertrages oder eines Schuldbeitritts der Fall ist.
52 Mangels des Vorliegens eines Rechtsgeschäft ist auch kein „Widerruf der Entnahme“, wie ihn der Beklagte in
seinem Schriftsatz vom 7. Dezember 2015 (Bl. 51 d. A.) vorgenommen hat, rechtswirksam möglich.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ruft der Leistungsempfang nach § 172 Abs. 4 HGB kein
vergleichbares Schutzbedürfnis hervor wie der Abschluss eines Vertrages. Die Zuwendung an den
Kommanditisten, durch die dem Gesellschaftsvermögen ein Wert ohne eine entsprechende Gegenleistung
entzogen wird, stellt keinen rechtsgeschäftsähnlichen Vorgang dar. Auch die Existenz des § 152 Abs. 2
KAGB führt nicht zu einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung über die Rückzahlung. § 152 KAGB sieht
lediglich vor, dass eine ohne Zustimmung des Kommanditisten erfolgende Ausschüttung, die den Wert der
Kommanditeinlage unter der Wert der Einlage herabmindert, von der Gesellschaft nicht vorgenommen
werden darf und zu einer Haftung der Gesellschaft führt. § 152 Abs. 2 KAGB regelt nicht, dass eine unter
Verstoß gegen die Verpflichtung der Gesellschaft auf den Hinweis ein Wiederaufleben der Haftung nach §
172 Abs. 4 HGB erfolgte Zahlung die persönliche Haftung ausschließt. Auch hier ist klar zwischen
Innenverhältnis und Außenverhältnis zu unterscheiden (vgl. die Nachweise unter II 2 a).
53 Auch aus Empfängersicht ist der Empfang der Auszahlung nicht als Rechtsgeschäft zu verstehen. Dies gilt
jedenfalls für die Zeit vor des Inkrafttreten des § 152 Abs. 2 KAGB, als Ausschüttungen ohne jede
Mitwirkung des Kommanditisten erfolgen konnten.
54 d) Die Haftung entfällt auch nicht nach § 172 Abs. 5 HGB. Die Vorschrift greift nur bei einer unrichtigen
Bilanz. Dies ist vorliegend unstreitig nicht der Fall.
4.
55 Die Forderung des Klägers ist auch nicht durch die Aufrechnung des Beklagten mit einem Gegenanspruch
aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) erloschen (§§ 389, 387, 388 BGB). Denn ein
Anspruch aus § 826 BGB besteht nicht.
56 § 826 Abs.1 BGB setzt die vorsätzliche Zufügung eines Schadens in einer gegen die guten Sitten
verstoßenden Weise voraus. Nach der Rechtsprechung erfordert dies eine objektiv sittenwidrige Handlung,
die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d. h. mit
dem grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (Sprau in Palandt, BGB,
75. Auflage 2016, § 826 Rn. 3 ff). Die Beweislast trägt der Geschädigte (Sprau in Palandt, aaO, § 826 Rn.
18).
57 Der Anspruch scheitert bereits daran, dass der Beklagte für seinen bestrittenen Vortrag, dass der
kreditgebenden Bank der Insolvenzschuldnerin gelegen gewesen sei, dass überschüssige Liquidität an die
Kommanditisten ausgeschüttet wird anstatt damit Darlehensrückzahlungen vorzunehmen, um weiterhin
Zinszahlungen aus Kreditverträgen mit der Insolvenzschuldnerin zu erhalten und zugleich das Ausfallrisiko
der Kommanditisten abzuwälzen, keinen Beweis angetreten hat. Die Behauptung, dass die Bank die
Ausschüttungen selber zu einem früheren Zeitpunkt veranlasst habe, ist unsubstantiiert, Beweis ist nicht
angetreten. Hierauf wurde der Beklagte im Termin 27.07.2016 hingewiesen. Der Kläger hat vorgetragen,
dass eine autonome Entscheidung der Gesellschafter der Insolvenzschuldner bezüglich der Ausschüttung
vorliege. Der Beklagte hätte daher seine Behauptung des Zusammenwirkens der Gesellschaft mit der
finanzierenden Bank näher darlegen und hierfür Beweis antreten müssen. Dies ist nicht geschehen.
58 Auch hat der Beklagte nicht dargelegt, dass Sondertilgungen nach den Kreditverträgen überhaupt zulässig
gewesen wären. Hinzu tritt, dass die Zuweisung von Verlusten durch Zinszahlungen bei der Bank und damit
die Nichtrückführung der Kredite, sondern Vornahme von Ausschüttungen durchaus auch im Interesse der
Anleger liegen kann.
5.
59 Zum Anspruch des Klägers auf Verzugszinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wird auf
die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts unter Ziff. II 7 und 8, Seite 9 des Urteils, Bl. 99 d.A.) Bezug
genommen.
V.
60 Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt
aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
61 Die Revision wird zugelassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. ZPO). Die vom Beklagten aufgeworfene Fragen der
Rückwirkung des § 152 Abs. 2 KAGB auf Ausschüttungen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes sowie der
Rechtsfolge einer etwaigen Anwendbarkeit des § 152 KAGB im Verhältnis zu Gesellschaftsgläubigern haben
ebenso grundsätzliche Bedeutung wie die aufgeworfene Frage der entsprechenden Anwendung der §§ 491 ff
BGB auf die Rückzahlungen nach § 172 Abs. 4 S. 1 und 2 HGB.