Urteil des LG Ravensburg vom 30.01.2014

öffentlich, anteil, entsorgung, altpapier

LG Ravensburg Beschluß vom 30.1.2014, 4 O 260/12
Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für Übereignungs- u.
Herausgabeanspruch des Systembetreibers gegen den öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträger
Leitsätze
Ob ein Systembetreiber i.S.v. § 6 Abs. 3 VerpackV vom Landkreis als öffentlich-
rechtlichem Entsorgungsträger verlangen kann, dass ihm von dem Altpapier (Papier-
Pappe-Kartonagen), welches der Landkreis bei Straßensammlungen durch Vereine
einsammelt, ein dem Anteil der Verkaufsverpackungen entsprechender Teil
übereignet und herausgegeben wird, richtet sich nicht nach bürgerlichem Recht,
sondern nach den grundsätzlichen Bestimmungen der Verpackungsverordnung über
die Kooperation von öffentlichen und privaten Stellen bei Entsorgung und Verwertung
von Sekundärrohstoffen, d.h. nach öffentlichem Recht i.S.v. § 40 Abs. 1 VwGO.
Tenor
1. Der angerufene Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist für den Hilfsantrag Ziffer 1 und
den Antrag Ziffer 2 unzulässig.
2. Das Verfahren, soweit nach dem Teilurteil vom 30.1.2014 hier noch anhängig, wird
an das zuständige
Verwaltungsgericht Sigmaringen
verwiesen.
Gründe
I.
1 Hinsichtlich des Hilfsantrags Ziffer 1 und des Antrags Ziffer 2 ist vorab über die
Rechtswegfrage zu entscheiden.
2 Die Parteien streiten über die Eigentumsverhältnisse an gebrauchten
Verkaufsverpackungen, welche der Beklagte im Rahmen von Altpapier-
Vereinssammlungen in seiner Eigenschaft als öffentlich-rechtlicher
Entsorgungsträger sammelt. Die Klägerin betreibt ein duales System i.S.d. § 6 Abs.
3 VerpackV.
3 In einvernehmlicher Praxis der Parteien über etwa 20 Jahre hin verwertete der
Beklagte das gesamte Altpapier und zahlte der Klägerin entsprechend dem Anteil
der Verkaufsverpackungen einen Betrag aus. Erstmals 2011 verlangte die Klägerin
von dem Beklagten statt einer Zahlung die Herausgabe des gesammelten
Materials, um dieses selbst der Verwertung zuzuführen. Man einigte sich für das
Jahr 2011 auf die Überlassung eines 11-prozentigen Anteils an der Gesamtmenge
des Altpapiers. Vertragliche Vereinbarungen zu im Rahmen von
Vereinssammlungen gesammeltem Altpapier über diesen Zeitraum hinaus
bestehen zwischen den Parteien nicht; die Gestaltung der Zusammenarbeit und
die Rechtsverhältnisse für die Zeit ab 1.1.2012 sind Gegenstand des Streits der
Parteien.
4 Die Klägerin meint, mit dem Einwurf der Verpackungen in die
Sammelvorrichtungen des Beklagten gem. § 929 S. 1 BGB bzw. §§ 947, 948 S. 2
BGB Eigentum anteilig an der Gesamtmenge zu erwerben (siehe S. 28 ff. der
Klageschrift vom 30.07.2012, Bl. 28 ff. d.A.). Auch bestehe ein Erwerbsverbot für
den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (S. 20 f. des Schriftsatzes vom
26.11.2012, Bl. 99 f. d.A.). Sie meint, grundsätzlich ihren Anteil an den
Verpackungen in natura heraus verlangen zu können.
5 Die Klägerin ist der Auffassung, dass sich der Eigentumserwerb nach den
Vorschriften des BGB richte, dies also die streitentscheidenden Normen seien, und
daher auch für den Hilfsantrag Ziffer 1 (Übereignungsverpflichtung) und den Antrag
Ziffer 2 der Zivilrechtsweg gem. § 13 GVG eröffnet sei.
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Die Klägerin beantragt
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1. festzustellen, dass sie ab dem 01.01.2012 Miteigentümerin des vom Beklagten
im Rahmen einer sogenannten Vereinssammlung erfassten Altpapiers ist, und
zwar in Höhe des bei der Klägerin jeweils lizensierten
Verkaufsverpackungsanteils, der sich ergibt aus der monatlich vom Beklagten
insgesamt erfassten Altpapiermenge, einem Verkaufsverpackungsmasseanteil
von insgesamt 11% und dem auf die Klägerin entfallenden prozentualen
Planmengenanteil an Verkaufsverpackungen, der quartalsweise durch die
Gemeinsame Stelle gem. § 6 Abs. 7 VerpackV („Clearingstelle“) berechnet wird,
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hilfsweise
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, einen nach vorstehender
Berechnungsmethode ermittelten Anteil des von ihm erfassten Altpapiers an die
Klägerin zu übereignen.
10 2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Anteil der Klägerin gemäß
Ziffer 1 monatlich in wirtschaftlich sinnvollen Transporteinheiten an einem von der
Klägerin zu benennenden Umschlagplatz bereitzustellen und Zug um Zug gegen
Zahlung eines angemessenen Entgelts gemäß § 6 Abs. 4, S.5 und 6 VerpackV an
die Klägerin herauszugeben.
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Der Beklagte beantragt
12 Klagabweisung
13 und rügt vorab die Unzulässigkeit des Rechtswegs.
14 Der Beklagte meint, dass hinsichtlich aller Anträge der Verwaltungsrechtsweg gem.
§ 40 Abs. 1 S. 1 VwGO zulässig sei (vgl. zur Rüge des Beklagten S. 5 seines
Schriftsatz vom 28.09.2012, Bl. 55 d.A., und S. 1 des Schriftsatzes vom
14.02.2013, Bl. 133 d.A.). Die Eigentumsfrage richte sich nicht nach den
zivilrechtlichen Vorschriften, sondern sei nach dem öffentlich-rechtlichen
Regelwerk zu beurteilen. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Beklagten als
öffentlich-rechtlichem Entsorgungsträger und der Klägerin als Systembetreiberin
i.S.d. § 6 Abs. 3 VerpackV werde namentlich durch die öffentlich-rechtlichen
Vorschriften der VerpackV bestimmt (siehe zusammenfassend den Schriftsatz des
Beklagten vom 17.12.2012, Bl. 127 ff. d.A.). Auch bestehe gem. § 17 Abs. 1 S.1
KrWG - als einer ebenfalls öffentlich-rechtlichen Norm - eine Überlassungspflicht
des Verbrauchers an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (vgl. S. 8 des
Schriftsatzes vom 28.09.2012, Bl. 58 d.A.); jedenfalls bestimme dieses Gesetz das
Rechtsverhältnis der Parteien maßgeblich (zusammenfassend siehe S. 2 des
Schriftsatzes vom 15.11.2012, Bl. 78 d.A.).
15 Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen und im übrigen wird Bezug
genommen auf die gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Urkunden.
16 Mit Verfügungen vom 02.10.2012 (Bl. 74 d.A.) und 12.12.2012 (Bl. 124 d.A.) und
Hinweisbeschluss vom 22.01.2013 (Bl. 130 d.A.) hat die Kammer den Parteien
Gelegenheit gegeben, sich zu der Frage des zulässigen Rechtswegs zu allen
Klageanträgen zu äußern.
17 Die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Zivilgerichten für den Hauptantrag Ziffer 1
wurde durch Beschluss der Kammer vom 18.2.2013 bejaht (Bl. 138ff d.A.). Mit Teil-
Urteil vom heutigen Tage hat die Kammer die Klage im Hauptantrag Ziffer 1 als
unbegründet abgewiesen.
II.
18 Nach der klageabweisenden Entscheidung über den Hauptantrag Ziffer 1 durch
Teilurteil vom heutigen Tage stehen noch der Hilfsantrag Ziffer 1 und der Antrag
Ziffer 2 zur Entscheidung (zum Verständnis der klägerseitigen Antragstellung siehe
Hinweisbeschluss vom 22.01.2013, Bl. 130 d.A.). Insoweit ist aber zunächst gem.
§ 17a Abs. 2 GVG über die Rechtswegfrage zu entscheiden (vgl. Ziff. A. II. 4. des
genannten Beschlusses vom 22.01.2013).
19 Für die beiden verbleibenden Anträge ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40
Abs. 1 S. 1 VwGO zulässig, da es sich hinsichtlich des Übereignungs- und
Herausgabeanspruchs um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt.
20 1. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn sich die Beteiligten um die
Rechtsfolgen aus der Anwendung von Vorschriften des öffentlichen Rechts
streiten; maßgebend ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der
Klageanspruch hergeleitet wird (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.7.2012,
10 S 2554/10 - juris Rn. 55).
21 2. Die Klägerin stützt sich in ihrer Anspruchsbegründung darauf, dass der gesamte
Bereich der Entsorgung von Verkaufsverpackungen durch die VerpackV dem
öffentlich-rechtlichen Entsorger entzogen sei und im Verantwortungsbereich der
Systemversorger liege; die Zulässigkeit des Rechtswegs vor den Zivilgerichten sei
aber deshalb gegeben, weil es für ihren Anspruch ausschließlich auf §§ 929 ff.
BGB ankomme (S. 34 des Schriftsatzes vom 26.11.2012, Bl. 112 d.A.). Entgegen
dieser Auffassung der Klägerin sind der nunmehr zur Prüfung anstehende
Hilfsantrag Ziffer 1 und der Antrag Ziffer 2 ausschließlich nach öffentlich-rechtlichen
Normen zu entscheiden.
22 a) Die §§ 929 ff. BGB sind die maßgeblichen Normen, wenn es darum geht, ob
jemand rechtsgeschäftlich Eigentum von einem anderen erlangt hat;
dementsprechend hat die Kammer für den Hauptantrag Ziffer 1 - in dem es der
Klägerin um die Feststellung ging, dass sie (Mit-)Eigentümerin sei (was eine bereits
wirksam erfolgte Übereignung voraussetzt) - die Zuständigkeit des
Zivilrechtsweges bejaht.
23 Mit dem Hilfsantrag Ziffer 1 und dem Antrag Ziffer 2 dagegen macht die Klägerin
einen Anspruch auf (erst noch zu erfolgende) Übereignung und Herausgabe
geltend. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen, aus denen sich ein solcher
Anspruch ergeben könnte, bestehen aber nicht. Da die Klägerin nicht (Mit-)
Eigentümerin des Altpapiers ist (siehe Teilurteil vom 30.1.2014), besteht ein
Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht. Weitere privatrechtliche
Anspruchsgrundlagen, seien es vertragliche oder gesetzliche, aus denen sich ein
Übereignungsanspruch und ein hiervon abhängiger Herausgabeanspruch
ergeben könnten, sind nicht ersichtlich. Zwischen den Parteien besteht unstreitig
keine derzeit gültige Vereinbarung, die eine Übereignungspflicht begründet, oder
auch nur eine Abrede zum Umgang mit bei Vereinssammlungen erfassten
Verkaufsverpackungen.
24 b) Es verbleibt damit nur die VerpackV, aus der sich möglicherweise eine Pflicht
des Beklagten zur anteiligen Übereignung des Altpapiers an die Klägerin ergeben
könnte. Die Bestimmungen der VerpackV aber über die Etablierung eines
Systems, welches gekennzeichnet ist durch eine notwendige Kooperation von
öffentlichen und privaten Stellen bei Entsorgung und Verwertung von
Sekundärrohstoffen, und die hieraus herzuleitende Abgrenzung zwischen den
Aufgabenbereichen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger und der privaten
Systembetreiber sind öffentliches Recht.
25 Die Klägerin erlangt durch die Feststellung nach § 6 VerpackV eine öffentlich-
rechtliche Rechtsposition, die ihr Ansprüche und Pflichten gegen den öffentlich-
rechtlichen Entsorgungsträger verleiht. Dies hat zur Folge, dass die unmittelbar
aus dieser Rechtsposition folgenden Pflichten dem Grunde nach öffentlich-
rechtliche Pflichten sind (so VG Stuttgart, Urteil v. 30.9.2010, 2 K 639/09 in einem
Fall, in dem es um die Mitbenutzungspflicht von Sammeleinrichtungen durch einen
Systembetreiber ging). Wenn also wie hier der Systembetreiber, ohne Bestehen
vertraglicher Vereinbarungen zwischen ihm und dem öffentlich-rechtlichen
Entsorger, Ansprüche basierend auf den sich unmittelbar aus der
Verpackungsverordnung ergebenden Rechtspositionen geltend macht, handelt es
sich um Streitigkeiten öffentlich-rechtlicher Natur. Bei der von der Klägerin geltend
gemachten Übereignungsverpflichtung gestützt auf die VerpackV handelt es sich -
vergleichbar mit der Mitbenutzungsverpflichtung - um eine grundsätzliche
Verpflichtung, „gedanklich noch auf einer ersten Ebene“ (so das VG Stuttgart, aaO,
Rn. 25 zur Mitbenutzungsverpflichtung); auf dieser Ebene gibt es aus Gründen der
geregelten Entsorgung keine Privatautonomie, die Beziehung zwischen den
Beteiligten ist insoweit vielmehr dem öffentlichen Recht zuzuordnen.
26 Unbeachtlich ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die VerpackV
keine expliziten Regelungen zu möglichen Übereignungspflichten enthält, sondern
in § 6 Abs. 1 lediglich Rücknahmepflichten statuiert. Entscheidend für die Frage
der Rechtswegzuständigkeit ist allein, dass sich die Klägerin auf die VerpackV
bezieht und diese grundsätzlich die Beziehung zwischen dem Systembetreiber
und dem öffentlich-rechtlichen Entsorger regelt, sodass die sich hieraus
ergebenden Rechtsbeziehungen die alleinige Basis für einen
Übereignungsanspruch sein können. Ob ein solcher dann tatsächlich hieraus
abgeleitet werden kann, ist durch das zuständige Verwaltungsgericht zu
entscheiden.