Urteil des LG Ravensburg vom 19.11.2015

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LG Ravensburg Urteil vom 19.11.2015, 2 O 223/15
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehende
Darlehensvertrag Nr.: 6... durch den Widerruf des Klägers vom 26.04.2015,
welcher der Beklagten am 26.04.2015 zugegangen ist, wirksam beendet worden
ist und sich in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt hat.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: bis EUR 16.000,00.
Tatbestand
1 Am 08.11.2011 schlossen der Kläger als Verbraucher und die Beklagte als
Unternehmerin einen Immobiliardarlehensvertrag mit der Nr. 6... im Nennbetrag
EUR 149.000,- (Anlage K1). Zum 22.12.2014 betrug das Obligo des
Darlehensvertrages EUR 133.577,44.
2 In dem Darlehensvertrag ist unter Ziffer 14 eingerahmt die folgende auszugweise
wiedergegebene Widerrufsinformation enthalten:
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Widerrufsrecht
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Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen
ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die
Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der
Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur
Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur
Vertragslaufzeit) erhalten hat.
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– wenn der Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr (§ 312g Abs. 1 Satz 1
BGB) abgeschlossen wird –
6
Die Frist beginnt aber erst, nachdem die Sparkasse ihre Pflichten aus § 312g
Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 246 § 3 EGBGB erfüllt hat.
7
Der Darlehensnehmer hat alle Pflichtangaben erhalten, wenn sie in der für den
Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung seines Antrags oder in der für den
Darlehensnehmer bestimmten Ausfertigung der Vertragsurkunde oder in einer für
den Darlehensnehmer bestimmten Abschrift seines Antrags oder der
Vertragsurkunde enthalten sind und dem Darlehensnehmer eine solche Unterlage
zur Verfügung gestellt worden ist. Über in den Vertragstext nicht aufgenommene
Pflichtangaben kann der Darlehensnehmer nachträglich in Textform informiert
werden; die Widerrufsfrist beträgt dann einen Monat. Der Darlehensnehmer ist mit
den nachgeholten Pflichtangaben nochmals auf den Beginn der Widerrufsfrist
hinzuweisen. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung
des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an:
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(Name/Firma und ladungsfähige Anschrift der Sparkasse. Zusätzlich können
angegeben werden: Telefax-Nr., E-Mail-Adresse und/oder, wenn der
Darlehensnehmer eine Bestätigung seiner Widerrufserklärung an die Sparkasse
erhält, auch eine Internet-Adresse.)
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{es folgen Adresse und E-Mail-Adresse der Sparkasse}
10 […]
11 [ ] - bei Vorliegen eines verbundenen Vertrags (§ 358 BGB) –
12 Besonderheiten bei weiteren Verträgen:
Wenn dem Darlehensnehmer für den weiteren Vertrag ein Rückgaberecht
anstelle eines Widerrufsrechts eingeräumt wurde, steht die Rückgabe im
Folgenden dem Widerruf gleich
[ ] - wenn der Vertrag nicht den Erwerb von Finanzinstrumenten zum Gegenstand
hat –
13 […]
14 [ ] - wenn der Vertrag den Erwerb von Finanzinstrumenten zum Gegenstand hat -:
15 […]
16
Widerrufsfolgen
17 Der Darlehensnehmer hat innerhalb von 30 Tagen das Darlehen, soweit es
bereits ausbezahlt wurde, zurückzuzahlen und für den Zeitraum zwischen der
Auszahlung und der Rückzahlung des Darlehens den vereinbarten Sollzins zu
entrichten. Die Frist beginnt mit der Absendung der Widerrufserklärung. Für den
Zeitraum zwischen Auszahlung und Rückzahlung ist bei vollständiger
Inanspruchnahme des Darlehens pro Tag ein Zinsbetrag in Höhe von 14,86
RUR zu zahlen. (genauer Zinsbetrag in Euro pro Tag, Cent-Beträge sind als
Dezimalstellen anzugeben)
Dieser Betrag verringert sich entsprechend, wenn das Darlehen nur teilweise in
Anspruch genommen wurde.
18 Wenn der Darlehensnehmer nachweist, dass der Wert seines Gebrauchsvorteils
niedriger war als der Vertragszins, muss er nur den niedrigeren Betrag zahlen.
Dies kann z.B. in Betracht kommen, wenn der marktübliche Zins geringer war als
der Vertragszins.
19 [ ] […]
20 [ ] […]
21 [ ] […]
22 [ ] […]
23
Einwendungen bei verbundenen Verträgen
24 Der Darlehensnehmer kann die Rückzahlung des Darlehens verweigern, soweit
ihn Einwendungen berechtigen würden, seine Leistung gegenüber dem
Vertragspartner aus dem verbundenen Vertrag zu verweigern. Dies gilt nicht,
wenn das finanzierte Entgelt weniger als 200 Euro beträgt oder wenn der
Rechtsgrund für die Einwendung auf einer Vereinbarung beruht, die zwischen
dem Darlehensnehmer und dem anderen Vertragspartner nach dem Abschluss
des Darlehensvertrags getroffen wurde. Kann der Darlehensnehmer von dem
anderen Vertragspartner nach Erfüllung verlangen, so kann er die Rückzahlung
des Darlehens erst verweigern, wenn die nach Erfüllung fehlgeschlagen ist.“
25 Am 14.01.2015 kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten
den Widerruf des Vertrages an. Das entsprechende Schreiben wurde der
Beklagten am 16.01.2015 zugestellt. Mangels Reaktion erklärte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers am 26.04.2015 vorab per Fax und durch
Einschreiben mit Rückschein erneut den Widerruf. Das Schreiben wurde am
28.04.2015 zugestellt.
26
Der Kläger bringt vor:
27 Der Darlehensvertrag sei vom Kläger wirksam widerrufen worden. Die
Widerrufsfrist habe nicht zu laufen begonnen, weil die Widerrufsbelehrung der
Beklagten unter anderem wie folgt fehlerhaft gewesen sei:
28 Die Widerrufsbelehrung verstoße gegen das gesetzliche Deutlichkeitsgebot,
welches in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB in damaliger Fassung verankert sei.
29 Die Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft, da die Pflichtangaben in Klammern („z.B.
Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur
Vertragslaufzeit“) lediglich beispielhaft aufgezählt seien und ansonsten auf § 492
BGB verwiesen werde, welcher wiederum auf Normen des EGBGB verweise. Die
Widerrufsbelehrung sei wegen der beispielhaften Aufzählung der Pflichtangaben
irreführend (unter Verweis auf OLG München, Urteil vom 22.05.2015, Az.: 17 U
334/15). Aufgrund der Veränderungen der Widerrufsbelehrung könne sich die
Beklagte nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen. Schließlich seien auch
„marginale“ inhaltliche Bearbeitungen erhebliche Abweichungen (unter Verweis auf
BGH, Beschluss vom 28.04.2015, Az.: XI ZA 18/14).
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Der Kläger beantragt:
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1. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehende
Darlehensvertrag Nr.: 6... durch den Widerruf des Kläger vom 26.04.2015,
welcher der Beklagten am 26.04.2015 zugegangen ist, wirksam beendet
worden ist und sich in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt hat.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auf der Grundlage des Widerrufes
vom 26.04.2015 eine Endabrechnung zu dem Darlehensvertrag Nr.: 6... und
dem sich daraus ergebenden Rückabwicklungsverhältnis zum 26.04.2015
zu erteilen.
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3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rückabwicklung des
Darlehensvertrages Nr.: 6... seit dem 13.05.2015 im Verzug befindet.
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4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Kosten in
Höhe von 538,36 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
hieraus seit dem 13.05.2015 zu bezahlen.
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5. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
36
6. Das Urteil ist – notfalls gegen Sicherheitsleistung – vorläufig vollstreckbar.
37
Die Beklagte beantragt:
38
Die Klage wird abgewiesen.
39
Die Beklagte bringt vor:
40 Die gewählte Ankreuzoption sei nicht zu beanstanden (unter Verweis auf OLG
Stuttgart, Urteil vom 24.04.2014, Az.: 2 U 98/13; LG Wuppertal, Urteil vom
10.07.2014, Az.: 4 O 129/14 LG Heidelberg, Urteil vom 14.10.2014, Az.: 2 O
168/14; OLG Stuttgart, Az.: 2 U 81/14).
41 Die Widerrufsinformation entspreche weiterhin vollständig der Muster-
Widerrufsbelehrung gem. Anlage 6 zu Art. 247 EGBGB in damaliger Fassung, so
dass die in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 niedergelegte Gesetzlichkeitsfiktion greife.
42 Selbst bei Negation der Gesetzlichkeitsfiktion sei der Kläger ausreichend über sein
gesetzliches Widerrufsrecht informiert (unter Verweis auf LG Münster, Urteil vom
01.04.2014, Az.: 14 O 206/13; OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.04.2014, Az.: I-17 U
127/14; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 15.10.2015, Az.: 6 O 2628/15).
43 Einem Verbraucher sei es möglich und auch zumutbar, durch Blick in das Gesetz
weitere Voraussetzungen und Verweisungen in Erfahrung zu bringen, so dass
eine lediglich beispielhafte Aufzählung der Pflichtangaben („z.B.“) die
Widerrufsinformation nicht fehlerhaft mache (unter Verweis auf LG Münster, Urteil
vom 01.04.2014, 14 O 206/13). Der Gesetzgeber sei ebenso dieser Ansicht, wie
sich dies aus der Muster-Widerrufsbelehrung zum Verbraucherkreditrichtlinien-
Umsetzungsgesetz vom 29.07.2009 und den anschließenden Muster-
Widerrufsbelehrungen ergebe.
44 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtakten, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (Bl. 42 f. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
45 Die Klage ist teilweise zulässig und begründet.
I.
46 Der Feststellungsantrag Ziffer 1 des Klägers ist zulässig und begründet.
1.
47 Der Kläger hat das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1
ZPO. Die Umwandlung des Darlehensvertragsverhältnisses durch Widerruf in ein
Rückabwicklungsschuldverhältnis ist für die Parteien in mehrerlei Hinsicht von
Bedeutung. Eine Leistungsklage auf Rückzahlung kann der Kläger zudem nicht
sachgerecht erheben, da er an die Beklagte bei wirtschaftlich saldierender
Betrachtung Zahlungen zu leisten haben wird. Da der Kläger keine Kenntnis von
den von der Beklagten gezogenen Nutzungen hat, kann er auch nicht selbst
abschließend beziffern. Auf die von der Rechtsprechung anerkannte Vermutung
von Nutzungen der Bank in Höhe der Verzugszinsen muss der Kläger sich nicht
verweisen verlassen.
2.
48 Der Kläger hat den Darlehensvertrag Nr.: 6... wirksam durch Erklärung vom
26.04.2015 widerrufen, wodurch das Vertragsverhältnis beendet wurde und sich in
ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt hat (§§ 355 Abs. 1, 357 Abs. 1
S. 1, 346 Abs. 1, 495 Abs. 1 BGB a.F.).
49 Das Widerrufsrecht des Klägers gemäß § 495 Abs. 1 BGB a.F. war noch nicht
erloschen, da gemäß § 495 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 355 Abs. 3 S. 1 BGB a.F.
die Widerrufsfrist mangels ordnungsgemäßer Mitteilung der Pflichtangaben nach
Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB a.F. nicht zu laufen begonnen hatte. Besteht ein
Widerrufsrecht nach § 495 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, müssen im Vertrag
unter anderem Angaben zur Frist und zu anderen Umständen für die Erklärung
des Widerrufs sowie ein Hinweis auf die Verpflichtung des Darlehensnehmers
enthalten sein. § 6 Abs. 2 EGBGB dient dabei der Umsetzung von Art. 10 der
Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG), wie sich aus der
Bundestagsdrucksache 16/11643 vom 21.01.2009, S. 127 ergibt. Nach Art. 10
Abs. 2 lit. p) der Verbraucherkreditrichtlinie (Richtlinie 2008/48/EG) ist in klarer und
prägnanter Form anzugeben:
50 „das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die
anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts, einschließlich der
Angaben zu der Verpflichtung des Verbrauchers, das in Anspruch genommene
Kapital zurückzuzahlen, den Zinsen gemäß Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe b und
der Höhe der Zinsen pro Tag“.
51 Zu diesen Pflichtangaben gehört nach Auffassung der Kammer auch die klare und
prägnante Information über die Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist.
Die vorliegende Widerrufsinformation wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Der
Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB a.F. mit der dort angelegten Kaskadenverweisung
hinsichtlich der für den Beginn der Widerrufsfrist vorausgesetzten Pflichtangaben
ist für einen Durchschnittsverbraucher nicht nachvollziehbar (a). Dem kann auch
nicht entgegengehalten werden, dass die Darlehensgeberin mit der beispielhaften
Aufzählung von Pflichtangaben („z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum
Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit“) exakt den Wortlaut der
damaligen Musterwiderrufsinformation in Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 Abs. 2 und §
12 Abs. 1 EGBGB übernommen hat (b).
a)
52 Zwar könnte es einem mündigen, verständigen Durchschnittsverbraucher noch
ohne Verstoß gegen das Deutlichkeitsgebot zumutbar sein, eine einzelne in einer
Widerrufsbelehrung eingefügte Norm nachzuschlagen. Die im vorliegenden Fall
gewählte Kaskadenverweisung stellt an einen Verbraucher jedoch überhöhte
Anforderungen (vgl. auch OLG München, Urteil vom 21.05.2015, Az.: 17 U
334/15):
53 Der in der Widerrufsinformation benannte § 492 Abs. 2 BGB a. F. verweist
hinsichtlich der anzugebenden Pflichtangaben in einem ersten Schritt auf Art. 247
§§ 6 bis 13 EGBGB a.F. Im Fall eines wie hier vorliegenden
Immobiliendarlehensvertrags müsste der Verbraucher in einem weiteren Schritt
subsumieren, ob ein Immobiliardarlehensvertrag im Sinne des Art. 247 § 9 Abs. 1
S. 1 EGBGB i. V. m. § 503 BGB a. F. vorliegt. Da nach Art. 247 § 9 Abs. 1 S. 1
EGBGB a.F. für Immobiliardarlehensverträge der Katalog der Pflichtangaben
eingeschränkt wurde, hätte der Verbraucher in einem weiteren Schritt in
Anwendung von Art. 247 § 6 Abs. 1, Abs. 2 und § 3 Abs. 1 bis 7, 10 und 13
EGBGB, sowie von Art. 247 § 3 Abs. 4 und § 8 EGBGB a. F. den für seinen Fall
maßgeblichen Katalog der Pflichtangaben zu ermitteln. Eine derartige
Verweisungskette hinsichtlich einer Vielzahl von einzelnen Pflichtangaben erreicht
eine Komplexität, die selbst bei gewissen juristischen Vorkenntnissen keine
sichere Subsumtion erwarten lässt, sondern vielmehr die Frage aufwirft, ob
überhaupt hinsichtlich dieser Frage nicht besonderes geschultes Bankpersonal auf
Anhieb in der Lage wäre, die Pflichtangaben zu ermitteln. Das vorgenannte
Fehlerrisiko wird durch die beispielhafte Aufzählung von Pflichtangaben („z.B.
Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur
Vertragslaufzeit“) nur hinsichtlich der konkret benannten Beispiele, im Übrigen aber
nicht maßgeblich vermindert. Durch die Formulierung „z.B.“ wird insoweit lediglich
zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den benannten Pflichtangaben nicht um
eine abschließende Aufzählung handelt, allerdings lässt gerade die unvollständige
Aufzählung den Verbraucher darüber im Unklaren, welche Pflichtangaben im
Übrigen für ihn gelten.
54 Stimmig ist die vorgenannte Einschätzung mit dem Umstand, dass vor der für
Banksachen sonderzuständigen Kammer bereits mehrfach offenbar von
Volljuristen einschlägiger Formularverlage verfasste Widerrufsinformationen von
genossenschaftlichen Banken als auch von öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten
verfahrensgegenständlich waren, die für Immobiliardarlehen als Pflichtangabe
beispielsweise die zuständige Aufsichtsbehörde benannten. Gemäß Art. 247 § 9
Abs. 1 EGBGB a.F. (und n.F.) handelt es sich bei dieser Angabe für den Bereich
der Immobiliardarlehen aber gerade nicht um eine Pflichtangabe.
55 Soweit das LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 15.10.2015, Az.: 6 O 2628/15, Rn. 73,
juris) darauf abhebt, dass es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urteil
vom 27.04.1994, Az. VIII ZR 223/93, Rn. 21, juris) auch ausreiche, wenn das für
den Beginn der Widerrufsfrist maßgebliche Ereignis in der Widerrufsbelehrung
benannt werde, ohne dass eine zusätzliche Belehrung über den Inhalt der §§ 187,
188 BGB notwendig sei, und dass nicht ersichtlich sei, weshalb in Bezug auf die
Pflichtangaben gem. § 492 Abs. 2 BGB a.F. anderes gelten solle, kann dies nicht
überzeugen. Denn wenn das maßgebliche Ereignis bekannt ist, kann dem
Verbraucher allenfalls noch unklar sein, wann die Frist exakt beginnt (mit dem
maßgeblichen Ereignis oder einen Tag später), während es bei den
Pflichtangaben um die ungleich bedeutsamere Frage geht, welches das
maßgebliche Ereignis ist, ob also die Frist überhaupt zu laufen beginnt.
b)
56 Der Gesetzgeber hat mit seiner Musterwiderrufsinformation gem. Anl. 6 zu Art. 247
§ 6 Abs. 2 EGBGB nicht entschieden, dass eine reine exemplarische Aufzählung
der Pflichtangaben ausreiche, da dem Verbraucher zuzumuten sei, den
Gesetzestext, auf den verwiesen werde, selbst zu lesen (so aber LG Nürnberg-
Fürth, Urteil vom 15.10.2015, Az.: 6 O 2628/15, Rn. 73, juris). Die Kammer geht
davon aus, dass der Gesetzgeber mit der in der Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2
EGBGB i. d. F. vom 27.07.2011 gewählten Formulierung keine generelle
Entscheidung oder Wertung dahingehend treffen wollte, eine Kaskadenverweisung
über § 492 Abs. 2 BGB mit beispielhafter Aufzählung von drei Pflichtangaben sei
ausreichend zur Belehrung der Verbrauchers. Die Bedeutung der vom
Gesetzgeber vorgegebenen Musterwiderrufsinformation erschöpft sich vielmehr
darin, dass dem Verwender des Musters die Vertrauensschutzfiktion des Art. 247 §
6 Abs. 2 S. 3 EGBGB i. d. F. vom 27.07.2011 zuteil wird, wenn der
Verbraucherdarlehensvertrag eine Vertragsklausel in hervorgehobener und
deutlich gestalteter Form enthält, die dem Muster in Anlage 6 entspricht. Davon
geht offenbar auch die Regierungsbegründung (BT-Drucksache 16/11643, Seite
164, 165) aus, wenn dort formuliert wird:
57 „Für die vorvertragliche Information existieren im Regierungsentwurf bereits Muster
mit der Fiktionswirkung, Artikel 247 § 2 Abs. 3 EGBGB-E. Für die Vertragsangabe
ist das Belehrungsmuster inhaltlich ungeeignet, da weder die Angaben über den
Fristbeginn noch über die Folgen des Widerrufs im Muster mit den gesetzlichen
Erfordernissen übereinstimmen.
Allenfalls könnte erwogen werden, eine Vertragsklausel mit der im Vertrag
erforderlichen Pflichtangabe zu formulieren. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des
Gesetzgebers. Außerdem sind solche Vertragsklauseln stets im Kontext des
gesamten Vertrags zu würdigen. Es wäre nicht möglich, gesetzlich eine Klausel zu
formulieren, die dem jeweiligen Vertragsduktus angepasst ist. Der Gesetzentwurf
leistet insoweit die maximal mögliche Hilfe, indem er den Inhalt dieser
Vertragsklausel in Artikel 247 § 6 Abs. 2 EGBGB-E wiedergibt.“
2.
58 Die Beklagten können sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion hinsichtlich gem. Art.
247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB i. d. F. vom 27.07.2011 berufen, da die
streitgegenständliche Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 6 nicht
entspricht. Wie sich im Umkehrschluss aus Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 5 i. d. F. vom
27.07.2011 ergibt, tritt der Vertrauensschutz nur ein, wenn die Widerrufsinformation
dem Muster sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig
entspricht, wobei unter Beachtung von Satz 3 in Format und Schriftgröße jeweils
von dem Muster abgewichen werden kann.
59 Die Verwendung eines durch Ankreuzoptionen herbeigeführten
Baukastensystems führt für sich gesehen zwar noch zu keinem Verstoß gegen
das auch nach neuem Recht Geltung beanspruchende Deutlichkeitsgebot (vgl.
OLG Stuttgart, Urteil vom 24. April 2014 – 2 U 98/13 –, juris; zum
Deutlichkeitsgebot: OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. Mai 2015 – 17 U 59/14 –, juris)
und zu einer Fehlerhaftigkeit der Widerrufsinformation. Die Widerrufsinformation im
Baukastensystem und Ankreuzoption weicht aber nach Inhalt und Gestaltung
erheblich von der Musterwiderrufsinformation ab.
60 Der Gesetzgeber hat mit Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 5 EGBGB positiv und abschließend
benannt, wann Abweichungen für die Vertrauensschutzfiktion unschädlich sind.
Eine Abweichung darf hiernach nur hinsichtlich Format und Schriftgröße erfolgen,
wenn zudem die Deutlichkeit und Hervorhebung hierunter nicht leidet. Im Rahmen
der Gestaltungshinweise der Musterwiderrufsinformation selbst ist durch
Anführungszeichen und unter den Zusätzen *, **, *** deutlich gemacht, welche
Textteile der Gestaltungshinweise in die Musterwiderrufsinformation Eingang
finden dürfen bzw. als Umformulierungen aus Sicht des Gesetzgebers unschädlich
sind. Ankreuzoptionen im Baukastensystem – wie von der Beklagten verwendet –
werden hier nicht erwähnt.
3.
61 Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die eine Verwirkung oder einen
Rechtsmissbrauch des Klägers nahelegen könnten.
II.
62 Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer
Endabrechnung auf der Grundlage des Widerrufs vom 26.04.2015 des
Darlehensvertrags Nr.: 6... und dem sich daraus ergebenden
Rückabwicklungsschuldverhältnis zum 26.04.2015 als aus § 242 BGB
nachvertraglicher Nebenpflicht der Beklagten.
63 Eine solche kostenlose Pflicht zur Abrechnung könnte sich nur vor dem
Hintergrund des § 242 BGB rechtfertigen lassen, wenn es dem fachanwaltlich
vertretenen Kläger nur mit unzumutbarem Aufwand möglich wäre, seine
Ansprüche ohne Abrechnung durchzusetzen und die Beklagten vergleichsweise
einfach abrechnen kann. Hinzu treten muss, dass der Kläger zudem ein
schützenswertes Interesse an der Auskunft hat.
64 Die gegenseitigen Leistungen sind nach erklärtem Widerruf Zug-um-Zug
zurückzugewähren, § 348 BGB. Bis auf die gezogenen Nutzungen der Beklagten
kennt der Kläger alle Daten zur Abrechnung zu einer entsprechenden
Leistungsantragstellung. Zudem ist der Kammer aus einer Mehrzahl von Verfahren
– bei welcher u. a. seitens des Klägervertreters Abrechnungen vorgelegt wurden –
bekannt, dass die mathematische Abrechnung mit vom Kläger vorgegebenen
Daten durch unterschiedliche Dienstleister am Markt erschwinglich angeboten
wird. Der Anspruch des Klägers könnte daher nur auf Auskunft, hinsichtlich der
vom Darlehensgeber gezogenen Nutzungen gerichtet sein.
65 Der Kläger selbst benennt auch nicht, nach welchen Kriterien die Abrechnung
seinem Begehren nach zu erteilen wäre. Mag man die Antragstellung des Klägers
noch als hinreichend bestimmt erachten, so stellt sich gleichwohl die Frage, wie die
Beklagte überhaupt abrechnen soll. Die Abrechnungsmodalitäten nach erklärtem
Verbraucherdarlehenswiderruf sind umstritten. Während nach aktueller
Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 22.09.2015, Az.: XI ZR 116/15, juris)
der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer gemäß § 346 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB
die Herausgabe bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistungen und gemäß § 346
Abs. 1 Halbsatz 2 BGB die Herausgabe von Nutzungsersatz wegen der
(widerleglich) vermuteten Nutzung der bis zum Wirksamwerden des Widerrufs
erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen schuldet, soll nach dem Berufungsurteil
des OLG Stuttgart (Urteil vom 06. Oktober 2015, Az. 6 U 148/14, juris) auf
Tilgungsleistungen des Darlehensnehmers kein Nutzungsersatz anfallen.
III.
66 Der Klageantrag zu Ziffer 3 ist unzulässig. Die ungenaue Formulierung lässt schon
offen, ob die Beklagte sich im Schuldnerverzug mit einer bestimmten Rechtspflicht
oder Annahmeverzug mit einer bestimmten Leistung des Klägers befinden soll. Da
eine Abwicklung nach § 348 BGB stattzufinden hat, kann die Beklagte auch nicht
mit „der Rückabwicklung“ in Verzug sein. Die Kammer hat hierauf in der
mündlichen Verhandlung hingewiesen. Eine Klarstellung erfolgte nicht.
IV.
67 Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 280 BGB auf Schadensersatz in Form der
vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten für die Beauftragung des Klägervertreters
zur Ausübung und Durchsetzung des Widerrufs des Darlehensvertrags in Höhe
von EUR 538,36 gegen die Beklagte:
1.
68 Selbst bei Unterstellung einer zu vertretenden Pflichtverletzung der Beklagten im
Sinne des § 280 Abs. 1 BGB durch die fehlerhafte Widerrufsinformation ginge die
Schadensersatzverpflichtung der Beklagten nur auf das negative Interesse. Der
Kläger wäre folglich nach der Differenzhypothese so zu stellen, als wäre eine
ordnungsgemäße Belehrung erfolgt. In dieser Konstellation hätte der Kläger keine
Möglichkeit zum wirksamen Widerruf am 26.04.2015 gehabt. Eine Lösung vom
Vertrag wäre nur unter Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung möglich
gewesen. Diese hätte die behaupteten Rechtsanwaltskosten weit überstiegen. Die
fehlerhafte Belehrung der Beklagten bleibt für den Kläger lediglich wirtschaftlich
vorteilhaft.
2.
69 Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Beauftragung des Klägervertreters
und dessen gebührenauslösender Tätigkeit auch nicht im Schuldnerverzug, § 286
Abs. 1 BGB. Erst durch rechtsgestaltende Widerrufserklärung des bereits
vorbeauftragten Klägervertreters im Namen des Klägers erfolgte die Umwandlung
in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis. Es würde sich insoweit auch unter
verzugsschadensrechtlichen Gesichtspunkten um einen Sowiesoschaden
handeln.
V.
70 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
71 Den Streitwert hat die Kammer gemäß § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO nach
Maßgabe der gefestigten Rechtsprechung des OLG Stuttgart (Beschluss vom
14.04.2015, Az.: 6 W 23/15) geschätzt. Danach ist bei der vorliegenden
Feststellungsklage die Zinsersparnis als wirtschaftliches Interesse bei der
Schätzung nach § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO anzusetzen, unter Beachtung
der Obergrenze des § 9 ZPO. Der Zinslauf bis zum 30.09.2021 entspricht ca. 77
Monaten ab Widerruf, so dass nur 42 Monate ansatzfähig sind. Bei Widerruf betrug
der offene Darlehensobligo weniger als 133.577,44 EUR. Der Nominalzins beträgt
laut Vertrag 3,59 Prozent p.a. Das Gericht schätzt danach das wirtschaftliche
Interesse somit auf bis EUR 16.000,-. Die Klageanträge zu den Ziffern 2 und 3
haben neben Klagantrag Ziffer 1 keinen wirtschaftlichen Eigenwert.