Urteil des LG Ravensburg vom 06.03.2007

LG Ravensburg (amtliches kennzeichen, kläger, fahrzeug, richtlinie, kaufvertrag, ewg, prospekt, käufer, sachmangel, minderwert)

LG Ravensburg Urteil vom 6.3.2007, 2 O 297/06
Sachmängelhaftung: Erhöhter Treibstoffverbrauch eines Neuwagens; Erheblichkeit eines Sachmangels
bei 3,03 % Mehrverbrauch gegenüber auf die Richtlinie 80/1268/EWG bezogenen Prospektangaben;
Minderwert des Pkw
Leitsätze
1. Ein Kraftstoffmehrverbrauch eines Pkw von 3,03 % gegenüber den auf die Richtlinie 80/1268/EWG bezogenen
Angaben im Verkaufsprospekt stellt - nach neuem Schuldrecht - einen Sachmangel dar.
2. Ein Kraftstoffmehrverbrauch eines Pkw von 3,03 % gegenüber den auf die Richtlinie 80/1268/EWG bezogenen
Angaben im Verkaufsprospekt ist unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB n.F.; die
Erheblichkeitsschwelle ist bei § 323 Abs. 5 S. 2 BGB n.F. höher anzusetzen als bei § 459 Abs. 1 S. 2 BGB a.F..
3. Allein wegen eines Kraftstoffmehrverbrauchs von 3,03 % gegenüber den Angaben im Verkaufsprospekt ist
jedenfalls bei einem ohnehin nicht besonders sparsamen Pkw (angegebener Durchschnittsverbrauch 9,9 Liter
Super Plus / 1oo km) - wegen der Besonderheiten des Messverfahrens nach Richtlinie 80/1268/EGW und weil die
hierauf bezogenen Angaben im Prospekt nur der Vergleichbarkeit von Fahrzeugen mit unterschiedlichem
Verbrauch dienen - ein Minderwert des Pkw nicht anzunehmen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 27.850,00 Euro
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Kaufvertrag über ein neues Kraftfahrzeug wegen erhöhten
Treibstoffverbrauchs.
2
Der Kläger bestellte bei der Beklagten am 05. März 2005 einen Pkw Chrysler PT Cruiser Cabrio GT „Street
Cruiser“ 2,4 Turbo. Käuferin des Fahrzeugs sollte die D.C. Services Leasing GmbH sein. Mit dieser
Gesellschaft schloss der Kläger – vermittelt durch die Beklagte als D.C. Vertragshändler - einen Leasingvertrag
über das genannte Fahrzeug ab. Das bestellte Fahrzeug wurde von der Beklagten am 11. März 2005 an den
Kläger als Leasingnehmer ausgeliefert und der D.C. Services Leasing GmbH als Erwerberin und
Leasinggeberin mit dem vereinbarten Kaufpreis von 27.850,00 Euro in Rechnung gestellt. Gemäß Ziffer XIII.
der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Leasingvertrag sind sämtliche Sachmängelansprüche der
Leasinggeberin gegen den Verkäufer an den Kläger als Leasingnehmer abgetreten mit der Maßgabe, dass beim
Rücktritt vom Kaufvertrag etwaige Zahlungen des Verkäufers direkt an den Leasinggeber zu leisten sind.
3
Dem Kläger lag vor der Fahrzeugbestellung ein Verkaufsprospekt für das genannte Fahrzeug vor. In diesem
Prospekt (Original als Anlage B6 vorgelegt) ist als Kraftstoffverbrauch (innerorts/außerorts/kombiniert, jeweils
in l/100 km) angegeben „Super Plus Bleifrei - 13,2/8,2/9,9“.
4
Eine Fußnote zu dieser Verbrauchsangabe lautet wie folgt: „Die angegebenen Werte wurden nach dem
vorgeschriebenen Meßverfahren (Richtlinie 80/1268/EWG in der gegenwärtig geltenden Fassung) ermittelt. Die
Angaben beziehen sich nicht auf ein einzelnes Fahrzeug und sind nicht Bestandteil des Angebots, sondern
dienen allein Vergleichszwecken zwischen verschiedenen Fahrzeugen.“
5
Schon wenige Monate nach der Fahrzeugübergabe beklagte der Kläger einen überhöhten Treibstoffverbrauch
des Fahrzeugs. Zwei Abhilfeversuche der Beklagten am 14. September und 24. Oktober 2005 brachten keine
Veränderung. Nach fruchtloser Fristsetzung erklärte der Kläger schließlich den Rücktritt vom Kaufvertrag.
6
Der Kläger trägt vor:
7
Der tatsächliche Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs bewege sich in einer Größenordnung zwischen 14 und 16
l/100 km. Auch bei einer Messung nach dem in der Richtlinie 80/1268/EWG vorgeschriebenen Verfahren werde
sich deshalb ein weitaus höherer Verbrauch als in dem Prospekt angegeben herausstellen. Er sei deshalb zum
Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.
8
Hilfsweise macht er Minderung des Kaufpreises geltend.
9
Der Kläger beantragt in erster Linie:
10
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die D.C. Services Leasing GmbH, Siemensstraße 7, 70469 Stuttgart, zu
27.850,00 Euro
%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückgabe des
Pkw Chrysler PT Cruiser Cabrio GT „Street Cruiser“ 2,4 Turbo, Fahrgestell-Nr. 1C3AYN5S05T510718,
amtliches Kennzeichen RV-AH 1610, sowie 594,73 Euro vorgerichtliche Kosten zu zahlen.
11
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkws Chrysler PT Cruiser Cabrio
GT „Street Cruiser“ 2,4 Turbo, Fahrgestell-Nr. 1C3AYN5S05T510718, amtliches Kennzeichen RV-AH
1610, in Annahmeverzug befindet.
12
Hilfsweise beantragt er:
13
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 700,00 Euro nebst jährlichen Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-
Punkten über dem Basiszinssatz ab 27. Februar 2007 zu bezahlen.
14
Die Beklagte beantragt
15
die Klage abzuweisen.
16 Sie macht geltend:
17 Aufgrund des in der Prospektfußnote angegebenen Zwecks der Verbrauchsangabe im Prospekt könne der
Kläger aus den tatsächlichen Verbrauchswerten des ihm überlassenen Fahrzeugs von vornherein keine
Ansprüche herleiten.
18 Ein Minderwert des Fahrzeugs bestehe nicht.
19 Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und im Übrigen, insbesondere auch zum vorgerichtlichen
Schriftwechsel zwischen den Parteien, wird Bezug genommen auf die vorgelegten Schriftsätze und Urkunden
sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 25. September 2006 und 27. Februar 2007.
20 Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 30. Oktober 2006 (Bl. 29 d.A.) über den Treibstoffverbrauch des
Fahrzeugs Beweis erhoben durch ein mündlich vorgetragenes Sachverständigengutachten. Die beim
Abgastestcenter B. des TÜV vorgenommene Messung gemäß Richtlinie 80/1268/EWG in der aktuellen
Fassung ergab für den Stadtbereich einen durchschnittlichen Mehrverbrauch gegenüber den Prospektangaben
von 6,55 %, im Überlandbereich einen durchschnittlichen Minderverbrauch von 3,41 % und im gewichteten
Gesamtverbrauch einen Mehrverbrauch von 3,03 % (vgl. Prüfprotokoll Bl. 42 d.A.); wegen der erläuternden
Ausführungen des Sachverständigen U. hierzu wird auf das Terminsprotokoll vom 27. Februar 2007 (Bl. 44 ff
d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
21 Die Klage ist zulässig, aber weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet.
I.
22 Dem Kläger steht ein Rücktrittsrecht nicht zu.
23 1. Die Verbrauchsangaben im Prospekt sind nicht wegen des relativierenden Fußnotenzusatzes für das
individuelle Vertragsverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer unbeachtlich. Trotz eines solchen
Fußnotenzusatzes kann und darf der Käufer eines Produktes aus industrieller Serienfertigung eine derartige
Prospektangabe zumindest dahingehend verstehen, dass auch das konkret von ihm erworbene Produkt
(hier: Fahrzeug) jedenfalls bei der Prüfstandsmessung, wie sie auch der Prospektangabe zugrunde liegt, die
angegebenen Werte einzuhalten vermag.
24 2. Der erworbene Pkw weist einen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB auf.
25
Nach § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. war eine Abweichung der Ist-Beschaffenheit der Kaufsache von der
vertraglichen Soll-Beschaffenheit gewährleistungsrechtlich nicht relevant, wenn eine nur unerhebliche
Minderung der Tauglichkeit vorlag. Bezogen hierauf hat der BGH einen Kraftstoffmehrverbrauch von bis zu
10 % gegenüber den Herstellerangaben als unerheblich angesehen (BGHZ 132, 55; BGH NZV 1997, 398).
26
Nach der durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vorgenommenen Neuregelung gibt es für die
Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht, kein Erheblichkeitskriterium mehr. Ein im vorgeschriebenen
Prüfstandstestverfahren festgestellter Kraftstoffmehrverbrauch stellt deshalb bereits dann einen
Sachmangel dar, wenn er jenseits desjenigen Toleranzbereiches liegt, der durch Fertigungstoleranzen und
unvermeidbare Ungenauigkeiten der Verbrauchswertemessung vorgegeben ist (vgl. Reinking/Eggert , Der
Autokauf, 9. Auflage 2005, RdNr. 251 = Seite 150); ob mit Blick auf die Überlassung des
Herstellersprospekts durch den Verkäufer auf § 434 Abs. 1 Satz 1 BGB oder aber § 434 Abs. 1 Satz 2
Ziffer 2 i.V.m. Satz 3 BGB abzustellen ist, kann dahinstehen.
27
Für die Frage der Mangelhaftigkeit ist - jedenfalls dann, wenn der gemessene Verbrauch nicht bei einer der
beiden Teilprüfungen (innerorts/außerorts) einen ganz eklatanten Mehrverbrauch ergibt (wie etwa im Fall
OLG München, NJW 1987, 3012) - allein auf den gewichteten Gesamtverbrauch abzustellen (so für die
frühere Normvorgabe „Euro-Mix“ BGH NZV 1997, 398). Die aufgrund des Messverfahrens unvermeidbar
hinzunehmende Toleranz beläuft sich nach den Angaben des erfahrenen Sachverständigen U. auf 1,5 %
bis 2 %; dafür, dass das Fertigungsverfahren noch größere Toleranzen unausweichlich mit sich bringe, ist
nichts ersichtlich. Der Mehrverbrauch von 3,03 % im gewichteten Gesamtverbrauch beim vorliegenden
Fahrzeug stellt sich deshalb als Mangel dar.
28 3. Dem Kläger steht gleichwohl kein Rücktrittsrecht zu, weil der Sachmangel im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz
2 BGB unerheblich ist.
29
Das reformierte Schuldrecht hat zwar das Erheblichkeitskriterium, wie es nach § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB
a.F. für die Feststellung des Mangels an sich galt, fallen gelassen. Durch die Vorschrift des § 323 Abs. 5
Satz 2 BGB ist jedoch sicher gestellt, dass wegen nur unerheblicher Mängel jedenfalls kein Rücktritt vom
Kaufvertrag erfolgen darf. Zur Frage, nach welchen Kriterien im Einzelnen die Frage der Erheblichkeit nach
dieser Vorschrift zu bestimmen ist, ist im Einzelnen noch vieles streitig; insbesondere stellt sich hier die
Frage, inwieweit auf die zu § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. ergangene Rechtssprechung zurückgegriffen
werden kann. Speziell hinsichtlich der Frage des Kraftstoffmehrverbrauchs werden unterschiedliche
Positionen vertreten: Zum Teil heißt es unter Bezugnahme auf die oben zitierte (zum alten Recht
ergangene) BGH-Rechtsprechung, ein Kraftstoffmehrverbrauch bis zu 10 % oder gar 15 % sei unerheblich
(Palandt- Weidenkaff , 66. Auflage 2007, § 437 RdNr. 23); zum Teil heißt es, dass der 10 %-Grenzwert der
alten Rechtsprechung mit Rücksicht auf das gestiegene Umweltbewusstsein und die entsprechende
Zielsetzung der europarechtlichen Vorgaben für die Kennzeichnung des Treibstoffverbrauchs wohl
herabzusetzen sei ( Schmidt , NJW 2005, 329, 332; MünchKomm- Westermann , BGB, 4. Auflage 2004,
RdNr. 12; BeckOK- Faust , BGB, Stand 01. März 2006, § 437, RdNr. 26). Veröffentlichte Rechtsprechung
zu dieser Frage auf der Grundlage des neuen Schuldrechts ist nicht ersichtlich. - Entscheidend erscheint
dem Gericht der Blick darauf, an welcher Stelle des Gewährleistungsrechts und mit welchen Rechtsfolgen
die Erheblichkeitsschwelle vom Gesetzgeber nach altem Recht angesiedelt war und was die
Schuldrechtsreform insoweit geändert hat. Nach altem Recht war bei Unerheblichkeit der
Tauglichkeitsminderung bereits ein Sachmangel nicht gegeben; dem Käufer standen von vornherein
keinerlei Gewährleistungsrechte zu. Nach neuem Recht dagegen ist gänzlich unabhängig von der
Erheblichkeitsfrage eine vertragswidrige Beschaffenheitsabweichung als Mangel zu qualifizieren, dem
Käufer steht ein Nacherfüllungsanspruch in seinen verschiedenen Ausprägungen zu; die Prüfung der
Erheblichkeit des Mangels (technisch spricht § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB von der „Pflichtverletzung“) hat der
Gesetzgeber lediglich für die (bezogen auf das Schicksal des Vertrages an sich) weitestreichende
Rechtsfolge, nämlich das Rücktrittsrecht, vorgesehen. Dies spricht dafür, die Erheblichkeitsschwelle bei §
323 Abs. 5 Satz 2 BGB deutlich höher anzusetzen als bei § 459 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. (ebenso OLG
Bamberg, DAR 2006, 456; ausführlich hierzu MünchKomm- Ernst , 4. Auflage 2003, § 323 RdNr. 243).
30
Ein gegenüber den Prospektangaben festzustellender Kraftstoffmehrverbrauch von 3,03 % im gewichteten
Gesamtverbrauch ist deshalb unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB und rechtfertigt keinen
Rücktritt vom Kaufvertrag.
II.
31 Auch das Minderungsbegehren des Klägers bleibt erfolglos.
32 1. Wegen der Feststellung eines Mangels wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen. Das
Minderungsrecht des Käufers setzt nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung in § 441 Abs. 1 Satz 2
BGB eine wie immer geartete Erheblichkeit des Mangels nicht voraus.
33 2. Der aus dem Prüfprotokoll sich ergebende Mehrverbrauch des streitgegenständlichen Fahrzeugs hat jedoch
keine Wertminderung des Fahrzeugs zur Folge, so dass eine Kaufpreisherabsetzung nach § 441 Abs. 3
BGB nicht in Frage kommt.
34
a) Zu dieser Feststellung bedurfte es nicht der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Die
Parteien haben ausdrücklich dem Gericht die Schätzung, ob überhaupt und ggfls. in welcher Höhe ein
Minderwert festzustellen sei, überlassen (vgl. auch § 441 Abs. 3 Satz 2 BGB).
35
b) Ab welchem Ausmaß eines festgestellten Kraftstoffmehrverbrauches ein Minderwert anzunehmen sein
wird (5 %?, 10 %?), kann hier dahinstehen. Jedenfalls für den hier festgestellten Mehrverbrauch von
3,03 % liegt beim hier betroffenen Fahrzeugtyp ein Minderwert nicht vor.
36
· Zum einen liegt der festgestellte Wert nur sehr knapp jenseits des Toleranzbereiches, wie er allein
schon durch das Messverfahren bedingt ist (+/- 2 %).
37
· Zum anderen kommt hier der eingeschränkte Zweck der Verbrauchsangaben im Prospekt
entsprechend der dortigen Fußnote zum Tragen. Die nach dem vorgeschriebenen
Prüfstandsverfahren ermittelten Werte sollen dem Käufer einen Vergleich zwischen verschiedenen
Fahrzeugen ermöglichen. Solange aber die Durchschnittsverbrauchswerte bei Personenkraftwagen
unterschiedlichster Art zwischen, grob gesagt, 5 l/100 km und 20 l/100 km variieren, ist nicht nur die
Zuordnung eines Fahrzeugs zur entsprechenden Verbrauchsgrößenordnung letztlich unabhängig
davon, ob 9,9 oder 10,2 l/100 km verbraucht werden; es kann auch nicht angenommen werden, dass
auf dem allgemeinen Fahrzeugmarkt ein Neufahrzeug anstelle von 27.850,00 Euro allein aufgrund
einer so minimalen Differenz gleich weniger wert sein soll. Für jeden umwelt- und
folgekostenbewussten Käufer ist der hier betroffene Fahrzeugtyp allein schon aus den
Prospektangaben als außerordentlich wenig sparsames Fahrzeug erkennbar.
38
· Schließlich und vor allem ist auf die Besonderheit des Messverfahrens abzustellen. Nach den
eindrücklichen Darlegungen des Sachverständigen bildet der von der EU-Norm vorgeschriebene
Fahrzyklus, wie er auf dem Prüfstand zu simulieren ist, gerade nicht ein durchschnittliches,
gleichsam „normales“ Fahrverhalten ab. Insbesondere die jeweiligen Beschleunigungswerte werden
nur bei außergewöhnlich zurückhaltender Fahrweise erreicht und wären etwa bei einer
Verkehrsunfallkonstruktion als unrealistisch niedrig auszuklammern. Die tatsächlich von den
Fahrzeughaltern festgestellten Verbrauchswerte liegen demnach praktisch immer deutlich über den
Herstellerangaben, die auf der genormten Prüfstandsmessung beruhen. Das Ausmaß des
tatsächlichen Mehrverbrauchs hängt dabei von verschiedensten Faktoren ab (Fahrweise;
Bereifung/Luftdruckkontrolle; Zuschaltung ergänzender Verbraucher im Bereich Komfort und
Sicherheit - Klimaanlage, Abblendlicht bei Tag, Musikanlage und dergleichen). Beim hier betroffenen
Fahrzeugtyp kommt dem Faktor Fahrverhalten besondere Bedeutung zu: Wer einen Pkw mit
Turbomotor kauft, wird im Alltag eher selten so gemächlich beschleunigen, wie es der Prüfstands-
Fahrzyklus vorsieht; der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass man gerade bei einem
Turbo-Benzinmotor sehr leicht besonderes hohen Kraftstoffverbrauch feststellt, wenn man dessen
besondere Beschleunigungs- bzw. Durchzugsmöglichkeiten auch entsprechend nutzt. Auch vor
diesem Hintergrund hält das Gericht es für ausgeschlossen, dass der allgemeine Fahrzeugmarkt den
Wert eines Fahrzeugs wie es hier streitgegenständlich ist, deshalb niedriger ansetzt, weil es in
einem genormten Prüfstandsverfahren von durchaus eingeschränktem Realitätsbezug die
vorgegebenen Werte um 3,03 % übersteigt.
39
· Ob der Kläger im Falle eines etwaigen Weiterverkaufes des Fahrzeugs auf das eingeholte Gutachten
hinzuweisen hat oder nicht, ist nach alledem unerheblich, weil - wie dargelegt - der Markt den
denkbar geringfügigen Mehrverbrauch bei standardisierter Prüfstandsmessung gar nicht bei der
Wertschätzung des Fahrzeugs berücksichtigt.
III.
40 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709
Satz 1 ZPO.