Urteil des LG Ravensburg vom 09.01.2007

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LG Ravensburg Beschluß vom 9.1.2007, 1 T 32/06
Einstweilige Anordnung im Wohnungseigentumsverfahren: Rechtsanwaltsgebühr für eine verschiedene
Angelegenheit; Rechtsschutzinteresse für die Festsetzung eines gesonderten Gegenstandswertes
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bad Waldsee vom 23.06.2006, Az. GR 56/05 WEG, wird dahingehend
abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Verfahren betreffend der einstweiligen Anordnung auf EUR
3.000,00 festgesetzt wird.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Mit Schriftsatz vom 11.10.2005 haben die Antragsteller in einem WEG-Verfahren einen Hauptsacheantrag und
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 44 Abs. 3 WEG gestellt. Mit Beschluss vom
17.10.2005 hat das Amtsgericht gemäß § 44 Abs. 3 ZPO eine einstweilige Anordnung im Beschlusswege
erlassen, diese jedoch durch einen weiteren Beschluss vom 07.11..2005 wieder aufgehoben. Nach
durchgeführter mündlicher Verhandlung hat das Amtsgericht sodann mit Beschluss vom 27.03.2006 sämtliche
Anträge aus dem Schriftsatz vom 11.10.2005 abgewiesen und den Gegenstandwert auf EUR 10.000,00
festgesetzt.
2
Gegen diesen Beschluss vom 27.03.2006 haben die Antragsteller am 18.04.2006 sofortige Beschwerde
eingelegt, die am 18.05.2006 zurückgenommen wurde.
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Ebenfalls am 18.04.2006 haben die Antragsteller beim Amtsgericht beantragt, den Gegenstandswert für das
Verfahren einstweilige Anordnung festzusetzen. Mit Beschluss vom 23.06.2006 hat das Amtsgericht
entschieden, dass eine gesonderte Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren einstweilige
Anordnung nicht veranlasst sei. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, das Verfahren einstweilige
Anordnung erhöhe den Gegenstandswert nicht. Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom
07.07.2006. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und im Vorlagebeschluss an das
Landgericht ausgeführt, dass § 17 Nr. 4b RVG keine Anwendung finde, da es im WEG-Verfahren eine isolierte
einstweilige Anordnung ohne ein etwaiges Hauptsacheverfahren nicht gebe.
II.
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Die gemäß § 31 Abs. 3 KostO, § 32 Abs. 2 RVG zulässige Beschwerde ist begründet.
5
Mit der Beschwerde wird zu Recht eine gesonderte Festsetzung des Gegenstandwertes für das Verfahren
betreffend der einstweiligen Anordnung begehrt, da gemäß dem auch im WEG-Verfahren Anwendung findenden
§ 17 Nr. 4b RVG das Hauptsacheverfahren und das Verfahren über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung vergütungsrechtlich verschiedene Angelegenheiten darstellen und daher die Beschwerdeführer ein
berechtigtes Interesse an der Festsetzung des gesonderten Gegenstandswertes haben.
6
Ausdrückliche gerichtliche Entscheidungen zur Frage, ob § 17 Nr. 4b RVG auch im WEG-Verfahren
Anwendung findet, liegen der Kammer nicht vor. In der Literatur ist diese Frage umstritten.
7
Eine Auffassung (Drasdo, MDR 2005, 786 f; offensichtlich sich anschließend: Hartmann, Kostengesetze, 36.
Auflage, § 17 RVG, Rz. 11) verneint die Anwendbarkeit des § 17 Nr. 4b RVG im WEG-Verfahren und führt zur
Begründung aus, dass in Wohnungseigentumssachen kein selbständiges Verfahren zum Zwecke des Erlasses
einer einstweiligen Anordnung existiere. Nach § 44 Abs. 3 WEG werde eine solche durch den Richter im
laufenden Verfahren von Amts wegen erlassen. Ein dahingehender Antrag könne daher nur als Anregung
gegenüber dem Gericht verstanden werden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 44 Abs. 3 WEG
könne auch ohne ausdrücklichen Antrag erfolgen. Die Entscheidung könne somit ohne die Mitwirkung und
sogar ohne die Kenntnis des Rechtsanwaltes erfolgen. Daher sei nicht einzusehen, dass der Rechtsanwalt eine
Vergütung erhalten solle.
8
Die andere Auffassung hingegen hält § 17 Nr. 4b RVG auch im WEG-Verfahren grundsätzlich für anwendbar
(vgl. Abramenko, ZMR 2005,166, 169; das BayObLG verweist in seiner Entscheidung vom 23. März 2005, 2Z
BR 238/04 zur alten Rechtslage bezüglich der neuen Rechtslage auf diesen Aufsatz; Göttlich/Mümmler, RVG,
2. Auflage, Seite 1254; Gerold/Schmidt, RVG, Anhang II, Rz. 5). Eine Verfahrens- bzw. Terminsgebühr des
Rechtsanwaltes werde ausgelöst, wenn die einstweilige Anordnung auf Antrag einer Seite erfolge. Keine
Gebühren entstünden hingegen, sofern die einstweilige Anordnung ohne vorherigen Antrag bzw. ohne Anregung
vom Amts wegen erlassen würde und die Entscheidung vom Rechtsanwalt nur entgegen genommen werde.
Hier würden die Gebühren erst mit einem Antrag auf Abänderung oder Aufhebung bzw. der Stellungnahme
hierzu begründet. Ob ein vorhergehender Antrag bzw. eine Anregung auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
vorliege, sei durch Auslegung der Anträge zu ermitteln.
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Die Kammer schließt sich der zweiten Auffassung an und hält § 17 Nr. 4b RVG auch im WEG-Verfahren für
anwendbar.
10 Dass ein Rechtsanwalt allein für die Entgegennahme einer von Amts wegen erlassenen einstweiligen
Anordnung keine Gebühren erhält, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 17 Nr. b RVG, nach welchem ein
„Verfahren über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung“ vorliegen muss. Die grundsätzliche
Anwendung des § 17 Nr. 4b RVG auch in WEG-Sachen führt also keinesfalls dazu, dass der Rechtsanwalt
Gebühren ohne jedes Tätigwerden verdient.
11 Nach Auffassung der Kammer ist es auch nicht von Bedeutung, dass es ein isoliertes Verfahren auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung in WEG-Sachen nicht gibt. Entscheidend ist vielmehr, dass auch in WEG-
Sachen über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, auch wenn er nur als Anregung verstanden
wird, durch das Gericht entschieden werden muss . Zuvor kann zu diesem Antrag schriftsätzlich Stellung
genommen werden, an ihn kann - bei Untätigkeit des Gerichts - erinnert werden und über ihn kann mündlich
verhandelt werden. Insoweit liegt nicht nur eine gesonderte Tätigkeit des Rechtsanwaltes, sondern auch ein
Verfahren über diesen Antrag vor, auch wenn dieses Verfahren im Rahmen des Hauptsacheverfahrens
stattfindet.
12 Das Erfordernis eines gesonderten oder isolierten Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 17 Nr. 4b RVG ergibt sich auch nicht aus den
Gesetzesmaterialien. In der Begründung zum Regierungsentwurf zu § 17 RVG (vgl. BT-Dr. 15/1971, S. 191 f)
heißt es vielmehr:
13 „Daneben sollen künftig auch einstweilige sowie vorläufige Anordnungen in Verfahren der freiwilligen
Gerichtsbarkeit besondere Angelegenheiten bilden. (...) Die meisten einstweiligen oder vorläufigen
Anordnungen in FGG-Verfahren ergehen auf Antrag oder Anregung eines Beteiligten und sind oft mit der
Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwaltes verbunden. (....) Wenngleich die
vorläufigen Anordnungen nur ausnahmsweise gesetzlich geregelt sind, ist in der Rechtssprechung anerkannt,
dass in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit grundsätzlich vorläufige Anordnungen ergehen können. (...)
14 Aus der Begründung zum Regierungsentwurf ergibt sich nach Auffassung der Kammer, dass auch einstweilige
Anordnungen, denen nur eine „Anregung“ vorausging, von § 17 Nr.4b RVG erfasst sein sollen. Die Vorschrift
soll nach den dortigen Ausführungen auch für gesetzlich nicht geregelte vorläufige Anordnungen in FGG-
Verfahren gelten. Dieses können ebenfalls Anordnungen sein, die im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens
ergehen. So nehmen die Gesetzesmaterialien ausdrücklich Bezug auf das gerichtliche Verfahren in
Landwirtschaftssachen. Nach § 18 des Landwirtschaftsverfahrensgesetzes kann das Gericht bis zur
Rechtskraft der Entscheidung vorläufige Anordnungen treffen, für die nach § 39 eine gesonderte Gebühr
anzusetzen ist.
15 Nach der neuen gesetzlichen Regelung ist daher eine gesonderte Vergütung der Tätigkeit des Rechtsanwaltes
in Verfahren über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch in WEG-Sachen angezeigt.
16 Die Kammer hält für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall einen Wert
von 30% des Hauptsacheverfahrens für angemessen und hat den Gegenstandswert daher auf EUR 3.000,00
festgesetzt.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 31 Abs. 5 KostO.