Urteil des LG Ravensburg vom 29.05.2007

LG Ravensburg (heim, möbliertes zimmer, person, vergütung, familie, bestand, zahl, wechsel, wohnung, beschwerde)

LG Ravensburg Beschluß vom 29.5.2007, 2 T 78/06
Betreuungsrecht: Voraussetzung der Qualifizierung eines "Betreuten Wohnens in Familien" als
Heimunterbringung im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG
Leitsätze
1. Für die Frage, ob ein "Betreutes Wohnen in Familien" im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG als Heimunterbringung
anzusehen ist, ist allein auf die konkrete Familie, in welcher der Betroffene wohnt, abzustellen; die vom
Gesetzgeber gewählte Regelung verbietet es, wegen der fachkundigen Unterstützung der Betreuer durch einen
Trägerverein und des dadurch bedingten geringeren Zeitaufwandes auf das Betreuungs- und Wohnmodell
insgesamt (Trägerverein + Familien-"Pool") abzustellen.
2. Jedenfalls dann, wenn eine Pflegefamilie erstmalig eine oder zwei Personen aufnimmt, ohne von vornherein ihre
Bereitschaft zur nachfolgenden Aufnahme weiterer Personen zu erklären, liegt eine "in ihrem Bestand von
Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängige" Einrichtung und damit ein Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG noch nicht
vor.
Tenor
1. Der Beschluss des Notariats I Ravensburg - Vormundschaftsgericht - vom 10.10.2006 wird in Ziff. 1 insoweit
aufgehoben, als darin festgestellt wird, dass bei der Betroffenen ab 5.7.2006 Heimstatus vorliegt.
Es wird festgestellt, dass über den 4.7.2006 hinaus Wohnungsstatus vorliegt.
2. Der Beschluss des Notariats I Ravensburg - Vormundschaftsgericht - vom 10.10.2006 wird in Ziff. 2 insoweit
aufgehoben, als darin die Vergütung der Betreuerin für die Zeit ab 5.7.2006 nach Heimstatus festgesetzt ist; das
Vormundschaftsgericht wird angewiesen, über die Vergütungsfestsetzung erneut unter Beachtung der Feststellung
in Ziff. 1 dieses Beschlusses zu entscheiden.
Gründe
I.
1
Mit vormundschaftsgerichtlichem Beschluss vom 18.5.2006 (Bl. 25) wurde für die Betroffene eine Betreuung
eingerichtet und die Beschwerdeführerin, eine Berufsbetreuerin, zur Betreuerin bestellt.
2
Die Betroffene, die bis 31.3.2006 bei ihrer Schwester wohnte und dann vorübergehend im ZfP W. untergebracht
war, wohnt seit 4.7.2006 bei einer Pflegefamilie. Dem liegt zugrunde ein dreiseitiger Vertrag zwischen der
Betroffenen, der „Gastfamilie“ und dem Verein A. e.V. in R. (Bl. 41ff). Die Aufgaben der Gastfamilie sind in Ziff.
2 dieses Vertrags u.a. wie folgt geregelt:
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2.1 Die Gastfamilie sorgt unter Berücksichtigung der Erkrankung / Behinderung für die individuell
notwendige Unterstützung des Bewohners (z.B. bei der Tagesstrukturierung, der persönlichen
Hygiene, der Wahrnehmung der vereinbarten (Fach)Arzttermine, der Einnahme der verordneten
Medikamente). Die Gastfamilie gewährt eine angemessene Versorgung (insbes. ausgewogene
Verpflegung, Wäscheversorgung, Sorge für die Reinigung des Wohnraumes usw.), welche am
Lebensstandard der übrigen Familienmitglieder zu messen ist.
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Dem Bewohner wird ein eigenes möbliertes Zimmer zur Verfügung gestellt. Ein Mietverhältnis wird
dadurch nicht begründet.
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Die Aufnahme der Betroffenen bei der Pflegefamilie erfolgte im Rahmen des Modells „Betreutes Wohnen in
Familien“, dessen Träger der Verein A. e.V. ist. Die Pflegefamilien erhalten für die geleistete Betreuung ein
monatliches Entgelt; sie werden durch Fachkräfte des Vereins (Krankenpfleger und Sozialarbeiter) unterstützt.
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Wie lange der Aufenthalt einer Person bei der Pflegefamilie dauert, bestimmen im wesentlichen Familie und
Gast; die Betreuungsverhältnisse können über Jahre andauern oder auch nach relativ kurzer Zeit wieder
beendet sein. Manche Pflegefamilien haben bereits mehrfach Personen bei sich aufgenommen (wobei es bei
Wiederbelegungen häufig zu längeren Pausen kommt), andere beteiligen sich am Modell „Betreutes Wohnen in
Familien“ nur einmalig. Eine Bereitschaft der Pflegefamilie, ggf. erneut eine Person aufzunehmen, ist nicht
Voraussetzung für die Mitwirkung.
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Wegen der Einzelheiten zur Struktur des Modells wird auf den Akteninhalt Bezug genommen, insbesondere die
vom Trägerverein erstellte „Konzeption“ und den Kurzprospekt (Unterlagenkonvolut Bl. 64) und das Schreiben
des Trägervereins vom 9.1.2007 (Bl. 65) auf die Anfrage des Gerichts vom 20.12.2006 (Bl. 62).
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Die Pflegefamilie, bei welcher die Betroffene wohnt, nahm erstmals im Oktober 2005 eine Person auf; die
Betroffene wurde dann im Juli 2006 als zweite Person aufgenommen (was nach den Richtlinien des
Trägervereins in Ausnahmefällen möglich ist).
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Mit Vergütungsantrag vom 25.8.2006 begehrte die Betreuerin die Festsetzung ihrer Vergütung für den Zeitraum
19.5.-18.8.2006. Als Statusmerkmale gab sie an „vermögend / Wohnung“. Nach Anhörung der Betreuerin und
der Betroffenen stellte das Vormundschaftsgericht mit Beschluss vom 10.10.2006 (Bl. 50) für die
Vergütungsabrechnung fest, dass seit 4.7.2006 das Merkmal Heimstatus vorliege, und setzte die Vergütung
entsprechend fest. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass der Heimbegriff des § 1 Abs. 1 HeimG nicht
einschlägig sei, und unter ausführlicher Würdigung der vertraglichen Gestaltung dargelegt, dass die Wohnform
des „Betreuten Wohnens in Familien“ über das übliche „betreute Wohnen“ hinausgehe und deshalb als
Heimunterbringung i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG anzusehen sei.
10 Gegen diesen Beschluss hat die Betreuerin Beschwerde eingelegt, der das Vormundschaftsgericht nicht
abgeholfen hat. Sie macht geltend, dass wegen der Ausgestaltung der Arbeit der Pflegefamilien eine dortige
Unterbringung nicht als Heimunterbringung anzusehen sei (vgl. im einzelnen das Beschwerdeschreiben vom
23.11.2006, Bl. 59).
II.
11 Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
12 1. Das Wohnen der Betroffenen bei einer Pflegefamilie im Rahmen des Modells „Betreutes Wohnen in
Familien“ des Vereins A. e.V. ist (jedenfalls bei den hier gegebenen konkreten Umständen) nicht als
Heimunterbringung i.S.v. § 5 VBVB anzusehen; die Vergütung der Betreuerin richtet sich deshalb nach
„Wohnungsstatus“.
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a) Nach § 5 VBVG richtet sich die dem Betreuer zustehende Vergütung nach pauschalierten
Zeitaufwandssätzen, wobei danach differenziert wird, ob der Betroffene mittellos oder vermögend ist
und ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht. § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG regelt
den Begriff des Heims im Sinne dieser Vorschrift wie folgt (im wesentlichen angelehnt an § 1 Abs. 1
HeimG, vgl. BT-Drs. 15/2494 S. 32): „Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen,
ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen
oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind und
entgeltlich betrieben werden“ . § 1 Abs. 2 des Heimgesetzes (mit Regelungen über dreiseitige
Verhältnisse zwischen Bewohner, Vermieter und Anbietern von Betreuungsleistungen - „betreutes
Wohnen“) gilt nach § 5 Abs. 3 S. 2 VBVG entsprechend.
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b) Da der Gesetzgeber für das System der Betreuervergütung eine eigenständige Definition des Heims
(wenn auch derjenigen des HeimG nachgebildet) entwickelt hat, kann der Umstand, dass eine
Pflegefamilie nicht der Heimaufsicht unterliegt, nicht ausschlaggebend sein.
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Die Grundelemente der Überlassung von Wohnraum und der tatsächlichen Betreuung und Verpflegung der
Bewohner (vom OLG München, Beschl. v. 13.4.2006 - 33 Wx 42/06 -, NJW-RR 2006, 1016, dahingehend
auf den Punkt gebracht, dass die Bewohner jeweils eine „Rundumversorgung aus einer Hand“ erhalten)
sind beim „Betreuten Wohnen in Familien“ in der hier zu beurteilenden Ausgestaltung ohne weiteres
vorhanden. Da die Gastfamilien nicht etwa nur auf Nachweis Auslagenersatz erhalten, sondern feste
Vergütungssätze, ist auch das Merkmal der Entgeltlichkeit erfüllt.
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c) Die Pflegefamilien, welche im Rahmen des Modells kranke Personen aufnehmen, sind jedoch nicht in
ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig ; dies gilt zumindest dann, wenn - wie
im vorliegenden Fall - die Pflegefamilie noch nicht wiederholt und regelmäßig Personen aufgenommen
hat.
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(1) Dieses Merkmal (ebenso in § 1 Abs. 1 HeimG) wird dahingehend verstanden, dass die Einrichtung
nicht nur für einen einzelnen Menschen, sondern für eine Gruppe geschaffen sein muss und sich
so z.B. von der Familie unterscheidet; die Versorgung und Betreuung von einem oder mehreren
alten oder pflegebedürftigen Familienangehörigen fällt deshalb nicht unter den Heimbegriff ( Kunz ,
in: Kunz/Ruf/Wiedemann, HeimG, 8. Aufl. 1998, § 1 Rn. 2 Ziff. 5). Dabei kann die Zugehörigkeit
der versorgten Person zur Familie nicht das entscheidende Abgrenzungskriterium sein. Auch wenn
keine verwandtschaftlichen Beziehungen vorliegen, macht nicht allein die Versorgung eines oder
mehrerer kranker Menschen die pflegende Familie schon zu einer in ihrem Bestand von diesem
konkreten Pflegeverhältnis unabhängigen „Einrichtung“.
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Entscheidend ist vielmehr, ob die Absicht besteht, einen Personenwechsel jederzeit zuzulassen (OLG
Oldenburg, Beschl. v. 2.5.2006 - 5 W 48/06, FamRZ 2006, 1710 mit Nachw.). Nach Jürgens (in: ders.,
Betreuungsrecht, 3. Aufl. 2005, Rn. 9 zu § 5 VBVB) zeichnet sich eine als Heim zu qualifizierende
Einrichtung dadurch aus, dass für wechselnde Bewohner Zimmer bzw. Betten vorgehalten werden.
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Für das hier zu beurteilende Modell gilt nun: Nach der Mitteilung des Trägervereins muss eine Familie, um
als Pflegefamilie im Modell mitwirken zu können, keineswegs von vornherein erklären, dass sie wiederholt
immer wieder neue Pflegepersonen bei sich aufzunehmen bereit ist; es wird danach nicht einmal gefragt.
Vielmehr steht es jeder Pflegefamilie frei, nach Beendigung des einen Pflegeverhältnisses erneut
jemanden aufzunehmen oder nicht. Häufig kommen auch nur einmalige Pflegeverhältnisse zustande. Allein
der Umstand, dass ein Probewohnen vorgesehen ist und bei Schwierigkeiten ein Austausch der kranken
Personen zwischen Pflegefamilien u.U. möglich ist (auf derartige Umstände stellen OLG Oldenburg a.a.O.
und die Vorinstanz LG Aurich, Beschl. v. 30.11.2005 - 4 T 457/05, BtPrax 2006, 77 [Ls.] - juris-Dok,
maßgeblich ab) ändert daran nichts. Es werden also von den Pflegefamilien keine Zimmer „vorgehalten“;
die Absicht, einen Personenwechsel jederzeit zuzulassen, ist nicht generell festzustellen.
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Nach alledem liegt deshalb jedenfalls dann, wenn eine Pflegefamilie erstmalig eine oder (während des
Laufs des erstbegründeten Pflegeverhältnisses) eine zweite Person bei sich aufnimmt, ohne von
vornherein ihre Bereitschaft zur nachfolgenden Aufnahme weiterer Personen zu erklären, eine „in ihrem
Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängige“ Einrichtung noch nicht vor.
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Ob von einem Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG dann gesprochen werden kann, wenn eine Pflegefamilie
schon mehrfach in Folge im Rahmen dieses Modells eine Person bei sich aufgenommen hat, oder ob dann
die Einstufung als Heim an der geringen Zahl von höchstens zwei Bewohnern scheitert (nach OLG
Oldenburg a.a.O. ist, weil es eine gesetzliche Bestimmung über eine Mindestbewohnerzahl nicht gibt, die
Bewohnerzahl für die Einstufung einer Einrichtung als Heim generell unbeachtlich), bedarf hier keiner
Entscheidung.
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(2) Weil die Pflegefamilien im Rahmen dieses Modells von einem Trägerverein mit fachkundigen
Mitarbeitern begleitet werden, ist die Annahme begründet, dass der Aufwand des rechtlichen
Betreuers geringer ist als wenn die betreute Person im herkömmlichen Sinne in der eigenen
Wohnung lebt. Auch dies rechtfertigt jedoch nicht die Einstufung der Pflegefamilien als Heim i.S.v.
§ 5 Abs. 3 S. 1 VBVG.
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Das System der pauschalen Vergütung der Betreuer, wie es durch das Betreuungsrechtsänderungsgesetz
eingeführt wurde, soll einfach, streitvermeidend, realitätsbezogen und für die Berufsbetreuer auskömmlich
sein (BT-Drs. 15/2494, S. 31). Nach der rechtstatsächlichen Untersuchung, auf welcher das System
basiert, ist es für den Betreuungsaufwand von erheblicher Bedeutung, ob der Betroffene zu Hause oder in
einer Einrichtung lebt; der Betreuungsaufwand eines zu Hause wohnenden Betreuten wurde als signifikant
höher festgestellt. Der zitierten Begründung des Gesetzentwurfes ist nicht zu entnehmen, nach welchen
Kriterien in der rechtstatsächlichen Untersuchung die Zuordnung einer Betreuungssituation zu Heim- oder
Wohnungsunterbringung vorgenommen wurde; nach Deinert , Gewöhnlicher (Heim-) Aufenthalt und
pauschale Betreuervergütung, FamRZ 2005, 954 (S. 955 li.Sp.) waren nicht spezielle Heimformen gemeint,
sondern es wurde auf ein Leben „außerhalb des eigenen Zuhauses“ abgestellt. Der Gesetzgeber hat
jedenfalls die Umschreibung wie in § 5 Abs. 3 S. 1 VBVG gewählt als geeignet angesehen, um diesen
typischen Unterschied im Betreuungsaufwand für die Zwecke einer letztlich auskömmlichen
Mischkalkulation pauschalierend, aber doch angemessen zu erfassen.
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Im Rahmen des hier zu beurteilenden Modells „Betreutes Wohnen in Familien“ erhalten die jeweils
Betroffenen in ihrer jeweiligen Pflegefamilie eine „Rundumversorgung aus einer Hand“, das Entgelt der
Pflegefamilie wiederum richtet sich nach festgelegten Vergütungssätzen, und bei verschiedensten
Problemsituationen bekommen die Pflegefamilien vom Fachpersonal des Trägervereins Hilfe. Deshalb
spricht alles dafür, dass der vom rechtlichen Betreuer zu betreibende Aufwand hier ähnlich niedrig liegt wie
bei einer klassischen Heimunterbringung, jedenfalls deutlich niedriger als bei Wohnen in der eigenen
Wohnung im herkömmlichen Sinn. Mit Blick auf den Zweck der vom Gesetzgeber vorgenommenen
Differenzierung läge es deshalb nahe, das Modell insgesamt als Heimunterbringung einzustufen.
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Der Gesetzgeber hat jedoch nicht den vom Betreuer zu betreibenden Aufwand unmittelbar als gesetzliches
Differenzierungskriterium gewählt, sondern - wie dargelegt - den von ihm näher bestimmten, im allgemeinen
Sprachgebrauch bekannten und auch gesetzlich bereits verwendeten Begriff des Heims als ausreichend
angesehen, um die von ihm bezweckte Differenzierung zu erreichen. Wollte man nun, wenn bei der hier
vorliegenden Wohnform die Verwendung der gesetzlich vorgesehenen Kriterien den vom Gesetzgeber
verfolgten Regelungszweck verfehlt, unter Berufung auf den Gesetzeszweck von der einzelnen
Pflegefamilie abstrahieren und auf den Gesamtzusammenhang des vom Trägerverein betriebenen Modells
abstellen, wäre dies mit dem Gesetzeswortlaut nicht mehr zu vereinen (ebenso LG Flensburg, Beschl. vom
22.2.2006 - 5 T 399/05 - juris-Dok.).
26 2. Die Neufestsetzung der konkreten Vergütung unter Berücksichtigung dieser Statusfestsetzung überlässt
das Beschwerdegericht dem Vormundschaftsgericht.
27 3. Da die Beschwerde Erfolg hat, bedarf es keiner Kostenentscheidung oder Wertfestsetzung; eine
Erstattungspflicht bzgl. außergerichtlicher Kosten anzuordnen hält das Gericht nicht für angezeigt.