Urteil des LG Potsdam vom 15.03.2017

LG Potsdam: verbreitung, gefängnis, kandidat, rechtsverletzung, meinungsfreiheit, beleidigung, gewohnheitsverbrecher, widerruf, fernsehsendung, haftstrafe

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Gericht:
LG Potsdam 2.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 O 172/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 823 BGB, § 1004 BGB, Art 1
GG, Art 2 GG, Art 5 GG
Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und
Tatsachenbehauptung: Äußerungen eines Fernsehmoderators in
einer Quizsendung über die Dauer der Inhaftierung einer
öffentlichen Person
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers durch eine
Äußerung des Beklagten in der Sendung „Wer wird Millionär?“.
Der Kläger ist ehemaliger Welt- und Europameister im Boxen. Im Juni 1999 wurde er
wegen Hehlerei, Drogenhandels, unerlaubten Waffenbesitzes und Anstiftung zur
Urkundenfälschung zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt; von der Haftstrafe verbüßte
der Kläger zwischen 1998 und 2003 insgesamt 4 ½ Jahre.
Der Beklagte ist unter anderem Moderator der RTL-Fernsehsendung „Wer wird
Millionär?“. In dieser Sendung stellt er Kandidaten Fragen mit mehreren
Antwortmöglichkeiten, von denen nur eine richtig ist; wird diese richtige Antwort gewählt,
erhält der Kandidat eine bestimmte, sich jeweils erhöhende Summe Geldes bis hin zu
1.000.000 €. Die Sendung wird regelmäßig von 6 bis 10 Millionen Zuschauern verfolgt.
In der Sendung am 23. Dezember 2005 führte der Beklagte mit dem Kandidaten K. ein
durch gegenseitige Witzeleien geprägtes Gespräch, in dessen Zusammenhang der
Kandidat unter anderem die Frage beantworten sollte, wer im Jahr 2004 als
ungeschlagener Boxweltmeister abgetreten sei. Als eine - falsche - Antwortmöglichkeit
wurde unter „B“ der Name des Klägers vorgeschlagen. Der Kandidat entschied sich in
der Folge für die richtige Antwort und sagte in diesem Zusammenhang sinngemäß, das
der Kläger 2004 „im Knast gesessen“ habe und daher nicht als die gesuchte Person in
Frage komme. Daraufhin sagte der Beklagte (nach einer Werbeunterbrechung) wörtlich:
Wegen der Einzelheiten wird auf die von
dem Beklagten als Anlage B 5 zur Akte gereichte Aufzeichnung der Sendung auf DVD
verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vom 7. September 2006 abgespielt wurde
(Minuten 32 bis 42).
Der Kläger ist der Ansicht, dass diese Bemerkung eine ehrverletzende, falsche
Tatsachenbehauptung und damit eine schwere Persönlichkeitsbeeinträchtigung darstellt,
die sowohl den Tatbestand der Beleidigung als auch den der üblen Nachrede erfüllt. Der
Beklagte habe mit dieser Äußerung einem Millionenpublikum von Fernsehzuschauern
den - unzutreffenden - Eindruck vermittelt, der Kläger sitze häufiger im Gefängnis; damit
habe er ihn als Gewohnheitsverbrecher abgestempelt.
Der Kläger behauptet, aufgrund der Bemerkung des Beklagten seien mehrere
Werbeveranstaltungen storniert worden, durch die ihm Gagen in Höhe von insgesamt
21.300 Euro entgangen seien. Hierzu legt er Bestätigungsschreiben sowie Absagen einer
Sportschule, einer Discothek sowie zweier Veranstalter von Benefiz- und Werbeaktionen
vor. Alle Absagen nennen als Grund den in der streitgegenständlichen Sendung
vermittelten Eindruck, bei dem Kläger handele es sich in erster Linie um einen
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vermittelten Eindruck, bei dem Kläger handele es sich in erster Linie um einen
Kriminellen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K 2 bis K 8 der Klageschrift
(Blatt 14 bis 21 d.A.) Bezug genommen. Der Kläger trat den Kündigungen seiner
Engagements nicht entgegen.
Der Kläger hat den Beklagten mit Schreiben seines Rechtsanwaltes vom 15. Februar
2006 (Anlage K 9 der Klageschrift, Blatt 22f. d.A.) erfolglos abgemahnt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu
250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, wörtlich oder
sinngemäß die Behauptung über den Kläger aufzustellen und/oder zu verbreiten: „Der
sitzt ja dauernd im Knast“;
den Beklagten zu verurteilen, die Behauptung „Der sitzt ja dauernd im Knast“ zu
widerrufen und den Widerruf in der nächsten Fernsehsendung des RTL-Ratequiz „Wer
wird Millionär?“ wie folgt zu veröffentlichen: „In der Sendung vom 23.12.2005 habe ich
behauptet, dass Herrn W. dauernd im Knast sitzt. Diese Behauptung ist falsch: Herr W.
war nur einmal für einige Zeit im Gefängnis“;
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger denjenigen Schaden
zu ersetzen, der dem Kläger aus der Verbreitung der Behauptung „Der sitzt ja dauernd
im Knast“ entstanden ist und künftig entstehen wird;
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zum Ausgleich des dem Kläger
durch die Verbreitung der Behauptung „Der sitzt ja dauernd im Knast“ entstandenen
immateriellen Schadens einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des
Gerichts gestellt wird, 10.000 € aber nicht unterschreiten sollte;
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zum Ausgleich des dem Kläger
durch die Verbreitung der Behauptung „Der sitzt ja dauernd im Knast“ entstandenen
materiellen Schadens in Höhe von 21.300 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist unter anderem der Ansicht, die streitgegenständliche Äußerung stelle
keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers dar. Vielmehr handele es sich hierbei
um eine zulässige Meinungsäußerung in einer lockeren, von witzigen Bemerkungen
geprägten Gesprächsrunde, die nicht die Grenze der Schmähkritik erreiche. Weiter
verweist der Beklagte darauf, dass der Kläger - was unstreitig ist - vielfach aufgrund
eigener Initiative wegen krimineller Vorwürfe bzw. seiner Freiheitsstrafe Gegenstand der
Zeitungs- und Fernsehberichterstattung gewesen sei und auch den
streitgegenständlichen Vorwurf medial für Schlagzeilen in eigener Sache genutzt habe.
Insoweit wird auf die Anlagen B 1, B 3, B 7, B 10 bis 13 (Blatt 67 bis 82, 88, 90 und 91
sowie 98 bis 116) zum Schriftsatz des Beklagten vom 26. Juni 2006 sowie die Anlagen B
17 bis B 20 und B 25 (Blatt 141 bis 145 und 167 d.A.) Bezug genommen. Zudem fehlt es
nach Ansicht des Beklagten für den Richtigstellungsanspruch an der Passivlegitimation;
hierzu behauptet der Beklagte, eine Entscheidung darüber könne nur der Sender treffen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten
Ansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Unterlassung
beantragt. Die Voraussetzungen des § 1004 Abs. 1 S.2 BGB, der in entsprechender
Anwendung die materiellrechtliche Anspruchsgrundlage bildet, liegen nicht vor.
Hierzu fehlt es bereits an der erforderlichen Rechtsverletzung.
a. Es liegt keine Rechtsverletzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 185,
186 StGB vor. Die streitgegenständlichen Äußerungen des Beklagten erfüllen weder den
Tatbestand der Beleidigung noch den der üblen Nachrede, §§ 185, 186 StGB.
§ 185 StGB schützt bei Medienberichterstattung nur die Verbreitung ehrenrühriger
Meinungsäußerungen, wohingegen die Behauptung oder Verbreitung unwahrer
Tatsachen, die geeignet sind, einen anderen verächtlich zu machen oder in der
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, durch § 186 StGB geschützt wird. Bei
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öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, durch § 186 StGB geschützt wird. Bei
Medienberichterstattung können also entgegen der Ansicht des Klägers lediglich
entweder § 185 StGB oder aber § 186 StGB Anwendung finden.
Bei der Äußerung des Beklagten handelt es sich um eine Meinungs- und nicht um eine
Tatsachenäußerung, so daß ausschließlich der Anwendungsbereich des § 185 StGB
eröffnet ist.
Dies ergibt sich aus einer Auslegung der streitgegenständlichen Äußerung im Hinblick
auf ihren Charakter und ihren Kontext.
Tatsachen sind Äußerungen über Tatbestände und Vorgänge, die Anspruch auf
Wirklichkeitstreue erheben und auf ihre Richtigkeit hin objektiv überprüfbar sind.
Demgegenüber sind Meinungsäußerungen solche, die nicht mit dem Anspruch auf
Wahrheit ausgestattet sind, sondern durch Elemente des Meinens und Dafürhaltens
geprägt sind und damit ein Werturteil darstellen. Für die Einordnung ist entscheidend,
was der unbefangene durchschnittliche Leser oder Hörer einer Äußerung ihr für einen
Sachverhalt entnimmt (vgl. , Presserecht, 2. Auflage, 1995, Rz. 14.3ff.).
Vorliegend könnte die Aussage allein „der sitzt ja dauernd im Knast“ zwar als reine
Tatsachenbehauptung dahingehend angesehen werden, dass der Kläger immerfort im
Gefängnis sitze. Hiergegen spricht zunächst aber schon, dass sich aus der Bezeichnung
„dauernd“ bereits unter Zugrundelegung des allgemeinen Sprachgebrauchs ein
unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten wertendes Element ergibt. Denn die
Bezeichnung „dauernd“ wird in der überwiegenden Zahl der Fälle im Sinne einer -
wertenden - Übertreibung gebraucht („dauernd betrunken“, „dauernd krank“). So sieht
es auch der Kläger, der kritisiert, damit als „Gewohnheitsverbrecher“ abgestempelt
worden zu sein. Das Tatsachenelement wird andererseits gegenüber der Wertung
dadurch betont, dass der Beklagte sofort die Aussage „oder hat ja jahrelang gesessen“
nachgeschoben und damit den Erklärungswert des ersten Satzes zugunsten einer
stärker tatsachenbezogenen Aussage relativiert hat. Hingegen sprechen für eine
Meinungsäußerung wieder der Abschluss mit einem leicht dahingesagten „wird schon
stimmen“ sowie der insgesamt durch scherzhafte Bemerkungen geprägte Kontext der
Unterhaltung zwischen Beklagtem und dem Kandidaten K.. Ein unbefangener Hörer
könnte daher die Aussage insgesamt auch dahingehend interpretieren, dass der
Beklagte sich darüber belustigt zeigt, dass der Kläger aus seiner Sicht eher als Straftäter
denn als Boxer aufgefallen ist.
Soweit es sich bei der Aussage des Beklagten augenscheinlich der verschiedenen,
soeben aufgezeigten Interpretationsmöglichkeiten um eine Mischform handelt, ist für die
Einordnung entscheidend, ob der tatsächliche oder wertende Charakter der Aussage
überwiegt bzw. welchen Kern eine Aussage hat. Dabei ist entscheidend, ob das
tatsächliche Element der Aussage oder das Element der Stellungnahme überwiegt,
wobei im Zweifel im Kontext einer Presseveröffentlichung wegen der Bedeutung von Art.
5 GG eine Meinungsäußerung anzunehmen ist. Dies führt vorliegend zu einer Einordnung
als Meinungsäußerung, für die angesichts der Bezeichnung „dauernd“ sowie den Kontext
der Aussage die überwiegenden Argumente, jedenfalls aber die Auslegungsregel im
Zweifel zugunsten einer Meinungsäußerung sprechen.
Die Meinungsäußerung des Beklagten ist nicht ehrverletzend.
Eine Meinungsäußerung ist ehrenrührig, wenn sie dem Betroffenen gegenüber Miß- oder
Nichtachtung zum Ausdruck bringt, indem sie diesem den elementaren Menschenwert
oder seinen ethischen oder sozialen Wert ganz oder teilweise abspricht und dadurch
seinen Achtungsanspruch verletzt. Für die Auslegung ist der Sinn der Äußerung sowie
die gesamten Begleitumstände zu ermitteln.
Danach ergibt sich vorliegend keine Herabsetzung des Achtungsanspruchs des Klägers.
Wie bereits ausgeführt, fand die streitgegenständliche Äußerung im Kontext einer
‘Frotzelei’ zwischen dem Beklagten und dem Kandidaten K. statt. Wie ebenfalls
ausgeführt, darf die Äußerung nicht auf den Satz „der sitzt ja dauernd im Knast“
beschränkt werden, sondern muß im Gesamtkontext und hier insbesondere im
Zusammenhang mit dem darauffolgenden Satz „oder hat ja jahrelang gesessen“
Betrachtung finden. Daraus ergibt sich, dass der Beklagte lediglich meinungsäußernd im
Sinne einer Belustigung die Tatsache betonen wollte, dass der Kläger - für bekannte
Sportler nicht unbedingt alltäglich - eine erhebliche Haftstrafe abgebüßt hat. Dabei kann
dahinstehen, ob sich diese Bemerkung durch besonderen Geschmack oder Geist
auszeichnet, da jedenfalls nicht ersichtlich ist, inwieweit der Beklagte dadurch eine
besondere Miss- oder Nichtachtung des Klägers zum Ausdruck gebracht hat. Dessen
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besondere Miss- oder Nichtachtung des Klägers zum Ausdruck gebracht hat. Dessen
strafrechtliche Vergangenheit war unstreitig wiederholt Thema der
Medienberichterstattung. Deren Erwähnung schlechthin reicht somit nicht aus, den
Kläger in seinem sozialen Geltungsanspruch herabzusetzen. Hinzutreten müssten
vielmehr besondere Umstände, aus denen sich eine Herabsetzung ergibt. Soweit die
Bezeichnung „dauernd“ nach dem oben Gesagten hierzu grundsätzlich geeignet wäre,
hat der Beklagte diese Bedeutung durch den Nachsatz „oder hat ja jahrelang gesessen“
hinreichend abgeschwächt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Nachsatz „Nö.
Wird schon stimmen“, der sich nach Auffassung der Kammer auf die Art und Weise der
Beantwortung der Frage durch den Kandidaten und nicht auf die
Strafgefangeneneigenschaft des Klägers bezieht.
Eine Anwendung des § 186 StGB scheidet bereits tatbestandlich aus, da es sich
vorliegend nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt.
b. Der Kläger kann auch nicht die Verletzung seines über §§ 185, 186 StGB hinaus gem.
§ 823 Abs. 1 BGB als „sonstiges Recht“ zivilrechtlich geschützten allgemeinen
Persönlichkeitsrechts geltend machen.
Dies ergibt sich unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falles aus einer
Abwägung des aus Art. 1 und 2 GG folgenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts des
Klägers und dem ebenfalls grundrechtlich geschützten Rechts auf Presse- und
Meinungsfreiheit, das der Beklagte für sich in Anspruch nehmen kann.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Presse-
bzw. Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht als widerstreitende, beidseits
grundrechtlich geschützte Interessen durch Abwägung der Interessen und Umstände im
Einzelfall miteinander in Ausgleich zu bringen, wobei für die Zulässigkeit der Verbreitung
einer Meinung schon eine Vermutung streitet und die Meinungsfreiheit lediglich dort ihre
Grenze findet, wo sie in bewußte Schmähkritik umschlägt (BVerfGE 42, 163). Wie oben
bereits festgestellt, ist dies vorliegend nicht der Fall.
Widerruf und
Gegendarstellung
Äußerung als Meinung, im übrigen aber auch aus der bereits festgestellten, fehlenden
Rechtsgutsverletzung. Es kann daher dahinstehen, inwieweit der Beklagte
passivlegitimiert ist.
Schadensersatz
ebenfalls an der erforderlichen Rechtsverletzung, so dass dahinstehen kann, inwieweit
die Voraussetzungen für immateriellen Schadensersatz vorliegen und die geltend
gemachten Schäden im Hinblick auf das Bestreiten des Beklagten hinreichend
substantiiert und unter Beweis gestellt worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus § 709 S. 1 und 2
ZPO.
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