Urteil des LG Paderborn vom 03.12.2009

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Landgericht Paderborn, 5 S 101/09
Datum:
03.12.2009
Gericht:
Landgericht Paderborn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 101/09
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.07.2009 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Paderborn wird auf Kosten der Beklagten mit der
Maßgabe verworfen, dass Zinsen erst ab dem 10.05.2004 zu zahlen
sind.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
I.
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Von den gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu treffenden Feststellungen zur
Tatsachengrundlage wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO
abgesehen.
2
II.
3
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg und war mit der
Maßgabe zu verwerfen, dass Zinsen erst ab dem 10. Mai 2004 zu zahlen sind.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des restlichen
Arzthonorars in Höhe von 2.290,09 Euro aus §§ 611, 398 I BGB in Verbindung mit der
Honorarvereinbarung vom 16.01.2004.
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Der Anspruch des Arztes auf das aus der Behandlung vom 02.03.2004 bis 05.03.2004
resultierende Honorar wurde mit Zustimmung der Beklagten wirksam an die Klägerin
abgetreten.
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Die Honorarvereinbarung, die der behandelnde Arzt mit der Beklagten unter dem
16.01.2004 geschlossen hat, ist wirksam und verstößt insbesondere nicht gegen § 2
Abs. 1 GOÄ.
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Die Vorschrift des § 2 I GOÄ bestimmt, dass durch Vereinbarung eine von der
Gebührenordnung abweichende Höhe der Vergütung festgelegt werden kann. § 2 II
GOÄ enthält hinsichtlich des Abschlusses einer solchen Vereinbarung zwingende
Schutzvorschriften zugunsten des Patienten. So ist eine abweichende
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Honorarvereinbarung nach Satz 1 vor Erbringung der Leistung des Arztes zu treffen und
bedarf aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der Schriftform. Dem
Schutz des Zahlungspflichtigen dient auch der nach Satz 2 erforderliche Hinweis, dass
eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem
Umfang gewährleistet ist. Schließlich dürfen nach Satz 3 weitere Erklärungen in das
Schriftstück nicht aufgenommen werden.
Nach Auffassung der Kammer steht die streitige Honorarvereinbarung mit den
Anforderungen des § 2 II GOÄ im Einklang. Die Honorarvereinbarung wurde schriftlich
verfasst und von beiden Seiten auch zeitlich vor der Behandlung unterzeichnet. Sie
enthält entsprechend § 2 II 2 GOÄ die Nummern und die Bezeichnung der Leistung, den
Steigerungssatz, den vereinbarten Betrag und darüber hinaus auch die Feststellung,
dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in
vollem Umfang gewährleistet ist. Zwar enthält die Honorarvereinbarung den weiteren
Hinweis, dass sonstige Leistungen, die während des stationären Aufenthaltes erbracht
und nach den Bestimmungen der Gebührenordnung abrechnungsfähig sind, im
Rahmen der Gebührenordnung berechnet werden und dass die während der Operation
zusätzlich erbrachten operativen Leistungen in der Rechnung aus
buchungstechnischen Gründen aufgeführt aber nicht zusätzlich berechnet werden.
Dieser Hinweis führt indessen nicht zur Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung, denn
ein Verstoß gegen § 2 II 3 GOÄ liegt insoweit nicht vor.
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Es entspricht dem Zweck der Bestimmung, dass § 2 II 3 GOÄ nicht jedweden weiteren
Hinweis verbietet, sondern dass Hinweise in eng umgrenztem Umfang möglich sind. So
verfolgt die Vorschrift vor allem den Zweck, den Betroffenen vor einer unüberlegten,
leichtfertigen Verpflichtung zur Zahlung einer überhöhten Vergütung zu schützen (BGH,
Urteil vom 19.02.1998 zu § 2 GOZ). Wenn deshalb die Vergütungsvereinbarung weitere
Erklärungen enthält, die geeignet sind, das Augenmerk des Patienten auf andere
Gegenstände zu lenken oder die Gefahr begründen, dass es nicht mit der gebotenen
Sorgfalt gelesen wird, sind diese weiteren Erklärungen nicht zulässig. Nicht
ausgeschlossen sind demgegenüber erläuternde Hinweise zum vorgeschriebenen
Inhalt der Vergütungsvereinbarung, mit denen dem Interesse des Patienten an einer
angemessenen Aufklärung über Inhalt und Folgen der Vereinbarung Rechnung
getragen werden kann oder Hinweise, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der
Vereinbarung einer abweichenden Vergütungshöhe stehen (BGH Urteil vom
19.02.1998, BGH Urteil vom 09.03.2000 jeweils zu § 2 GOZ).
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Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kommt ein Verstoß der Vergütungsvereinbarung
gegen § 2 II 3 GOÄ nicht in Betracht. Soweit die Vergütungsvereinbarung die Erklärung
enthält, dass Leistungen im Rahmen des stationären Aufenthaltes nach der GOÄ
abgerechnet werden, handelt es sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis, der im
Sinn und Interesse des Patienten erläutern soll, dass die mit der Vereinbarung
getroffene abweichende Gebührenhöhe für alle anderen Leistungen nicht gelten soll,
sondern dass insoweit streng nach GOÄ abgerechnet wird. Dem Interesse der
Beklagten an angemessener Aufklärung entsprach auch der weitere Hinweis, dass
während der Operation zusätzlich zu erbringende operative Leistungen nicht gesondert
berechnet, sondern aus buchungstechnischen Gründen allenfalls in der Rechnung
ausgewiesen werden. Diese Erklärung vermittelte der Beklagten die Gewissheit, dass
es sich bei dem Honorar, auf das die Parteien sich in der Honorarvereinbarung geeinigt
haben, um ein solches handelt, von dem je nach Operationsverlauf zu ihrem Nachteil
nicht würde abgewichen werden können.
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Die Kammer folgt dem Amtsgericht auch darin, dass die Klägerin die in den GOÄ-
Nummern 2385, 2392 und 2394 beschriebenen Leistungen, die unstreitig erbracht
wurden, selbständig abrechnen durfte, denn es handelt sich insoweit um eigenständige
Leistungen und nicht etwa um solche, die in der Leistung der Ziffer 2414 aufgehen. Eine
selbständige Abrechnung der streitigen drei GOÄ-Positionen ist insbesondere im
Hinblick auf das in § 4 II a GOÄ verankerte Zielleistungsprinzip nicht zu beanstanden.
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Nach § 4 II 1 GOÄ kann der Arzt Gebühren, die nach Absatz I Vergütungen für die im
Gebührenverzeichnis genannten ärztlichen Leistungen sind, nur für selbständige
ärztliche Leistungen berechnen, wobei prinzipiell alle im Gebührenverzeichnis
beschriebenen Leistungen als selbständige ärztliche Leistungen in Betracht kommen.
Für die Frage, welche von mehreren gleichzeitig oder im Zusammenhang erbrachten
Leistungen selbständig berechnungsfähig sind, ist vor allem die Regelung des § 4 II a
Satz 1 GOÄ heranzuziehen.
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Nach dieser Bestimmung kann der Arzt für eine Leistung, die Bestandteil oder eine
besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, eine
Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Dies
gilt nach § 4 II a Satz 2 GOÄ auch für die methodisch notwendigen operativen
Einzelschritte, die zur Erbringung einer im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen
Leistung erforderlich sind. In den in diesem Fall einschlägigen Allgemeinen
Bestimmungen des Abschnitts L des Gebührenverzeichnisses für den Bereich Chirurgie
und Orthopädie werden Inhalt und Tragweite dieses als Zielleistungsprinzip
bezeichneten Grundsatzes näher verdeutlicht. Es heißt dort:" Zur Erbringung der in
Abschnitt L aufgeführten typischen operativen Leistungen sind in der Regel mehrere
operative Einzelschritte erforderlich. Sind diese Einzelschritte methodisch notwendige
Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung, so
können sie nicht gesondert berechnet werden."
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Für den selbständigen Charakter einer Leistung ist deshalb entscheidend, ob diese
Leistung das Leistungsziel selbst oder nur einen Teilschritt auf dem Weg zur Erreichung
des Leistungsziels darstellt. Es sind also von der Zielleistung Vorbereitungs-, Hilfs- und
Begleitleistungen zu unterscheiden, die keinen selbständigen Leistungscharakter haben
und daher nicht gesondert neben der Gebühr für die Zielleistung abgerechnet werden
können.
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Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine selbständige Leistung jedenfalls dann
vor, wenn sie wegen einer eigenständigen medizinischen Indikation vorgenommen wird
(BGH Urteil vom 13.05.2004). Die weitere Abgrenzung zwischen selbständigen
Leistungen im Verhältnis zur Zielleistung ist in der Rechtsprechung umstritten. Während
ein Teil der Rechtsprechung darauf abstellt, ob eine Maßnahme typischerweise zur
Erfüllung der Zielleistung erfolgt und damit eine abstrakt-typisierende Abgrenzung
vornimmt, stellt die Gegenansicht auf die konkrete Operation und darauf ab, welche
Maßnahmen im Rahmen dieser konkreten Operation erforderlich sind, um den
Operationserfolg zu sichern. Der BGH hat im Urteil vom 05.06.2008 insoweit
entschieden, dass ein abstrakt-genereller Maßstab zur Abgrenzung der Leistungen
vorzunehmen ist (Leitsatz 2). Zur Begründung führt der BGH im Wesentlichen aus, der
Verordnungsgeber sei bei der Festlegung und Bewertung der einzelnen
Gebührenpositionen von solchen allgemeinen Maßstäben ausgegangen, wie sich
beispielsweise aus Abs.1 Satz 1 der allgemeinen Bestimmungen ergebe, der von
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"typischen" operativen Leistungen spreche. Auch aus der differenzierten punktmäßigen
Bewertung werde deutlich, dass der Verordnungsgeber bei der Beschreibung der
verschiedenen Leistungen ein typisches Bild vor Augen hatte, zu dem nach den
Kenntnissen medizinischer Wissenschaft und Praxis ein bestimmter Umfang von
Einzelverrichtungen gehört.
Gemessen an diesen Grundsätzen und unter einer abstrakt-generellen
Betrachtungsweise, der sich die Kammer insoweit anschließt, stellen die mit den Ziffern
2385, 2392 und 2394 erbrachten Leistungen selbständige Leistungen dar und sind
deshalb gesondert abrechenbar. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr.
med. ……. im Gutachten vom 14.09.2008 und den ergänzenden Erläuterungen des
Sachverständigen vom 09.04.2009 ist die Kammer insbesondere davon überzeugt, dass
dem im konkreten Fall gewählten Operationsverfahren eigenständige medizinische
Leistungen im Verhältnis zur Zielleistung der Mammareduktion zugrundelagen.
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Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med ……. bedeutet aus
medizinischer Sicht die eigentliche Leistung einer Mammareduktion, wie sie der GOÄ-
Position 2414 entspricht, die en-bloc-Resektion. Diese Methode ist die einfachste Form
der Reduktion durch dreidimensionale Entfernung von Haut-, Fett und Drüsengewebe
im unteren Anteil der Brust und kommt zur Anwendung, wenn bei nahezu regulärer
Position der Brustwarze eine Brustvergrößerung (Hyperplasie) hauptsächlich im Bereich
der unteren Anteile, d.h. den unteren beiden Quadranten der Brust besteht. Hierbei ist
eine Verlagerung der Position des Mamillen/Areolakomplexes nicht erforderlich. Bei den
meisten Frauen mit einer Brustvergrößerung liegt aber, so der Sachverständige, eine zu
weit nach unten verlagerte Position der Brustwarze vor. Wenn man das Verfahren der
einfachen Mammareduktion hier anwendet, liegt die Brustwarze im Bereich der zu
entfernenden Anteile von Haut, Fett- und Drüsengewebe. Zur Behandlung des
Brustwarzenkomplexes stehen nach neuestem Stand der Wissenschaft deshalb drei
denkbare Verfahren zur Verfügung, die der Sachverständige anschaulich und
nachvollziehbar erläutert. Eines davon ist das hier gewählte, in dem die Brustwarze an
den Milchgängen und am Drüsengewebe gestielt wird, zum Erhalt der blutversorgenden
Gefäßnetze und Nerven sodann gehoben und im späteren Verlauf der Operation in
neuer Position in den neugeformten Brusthügel eingepflanzt wird.
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Auf der Grundlage der sachverständigen Ausführungen geht die Kammer davon aus,
dass die verschiedenen Operationsverfahren schon vom Grundgedanken her jeweils
andere Operationen und damit verschiedene Leistungen im Sinne des Gebührenrechts
darstellen und nicht etwa verschiedene Schwierigkeitsstufen einer einheitlichen
Leistung zur Mammareduktion, die sich allenfalls gebührenrechtlich in der Variation der
Steigerungssätze niederschlagen könnten. Es handelt sich weder um für die Ausführung
der Reduktionsplastik der Mamma notwendige Teilleistungen, noch um Bestandteil oder
besondere Ausführung der Leistung nach 2414 GOÄ, schließlich auch nicht um
methodisch notwendige Einzelschritte.
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Nach alledem stellen deshalb der Vorgang der Brustwarzenentnahme, deren
Aufbereitung und Wiederherstellung sowie die anschließende Formung Leistungen dar,
die mit den Ziffern 2385, 2392 und 2394 gesondert abgerechnet werden konnten.
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Der Anspruch auf Zahlung des restlichen Arzthonorars ist auch nicht etwa durch die von
der Beklagten erklärte Aufrechnung bzw. Hilfsaufrechnung mit einem Gegenanspruch
aus ungerechtfertigter Bereicherung erloschen. Die Beklagte hat den Betrag von 693,65
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Euro, den sie für die Ziffer 2414 GOÄ aus der Rechnung vom 01.04.2004 gezahlt hat,
nicht ohne rechtlichen Grund geleistet, sondern, wie dargestellt, auf der Grundlage einer
wirksamen Honorarvereinbarung. Ein aufrechenbarer Gegenanspruch steht der
Beklagten deshalb nicht zu.
Aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 288, 286 I BGB, hat die Klägerin darüber
hinaus einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz, wobei Zinsen erst ab dem 10.05.2004 geschuldet sind.
Verzugsvoraussetzung ist gemäß § 286 I BGB grundsätzlich eine Mahnung des
Gläubigers nach dem Eintritt der Fälligkeit. Die Rechnung der Klägerin vom 01.04.2004
bestimmt zwar den 15.04.2004 als Zahlungstermin, eine Verzug begründende Mahnung
ist darin jedoch nicht zu erblicken. Verzug konnte deshalb erst durch die erstmalige
Mahnung der Klägerin eintreten, die unstreitig mit Schreiben vom 07.05.2004 erfolgt ist,
wobei ein Zugang dieses Mahnschreibens bei normalem Postlauf am 10.05.2004
angenommen werden konnte.
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Schließlich steht der Klägerin auch ein Anspruch auf Zahlung von Inkassokosten in
Höhe von 171,33 Euro aus §§ 280 I, II, 286 I BGB zu. Zweifellos befand sich die
Beklagte im Zeitpunkt der Einschaltung des Inkassounternehmens …….. in Verzug.
Durch die Beauftragung des Inkassounternehmens hat die Klägerin auch nicht etwa
gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 II S. 1 BGB verstoßen. Grundsätzlich
können die Kosten eines Inkassounternehmens als Verzugsschaden ersetzt verlangt
werden, weil – nach der Einführung des RVG – der Partei erstattbare Kosten auch dann
entstanden wären, wenn sofort ein Rechtsanwalt eingeschaltet worden wäre. Ein
Verstoß gegen § 254 II S. 1 BGB kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die
geltend gemachten Inkassokosten die Sätze des RVG nicht überschreiten. Die Klägerin
hat hier in entsprechender Anwendung von Nr. VV 2300 des RVG Inkassokosten in
Höhe von 171,33 Euro geltend gemacht. Die tatsächlichen Kosten, die durch die
Einschaltung des Inkassounternehmens entstanden sind, haben ausweislich eines
Schreibens der ………. vom 20.10.2006 mit einem Betrag von 293,50 Euro sogar
darüber gelegen. Die Geltendmachung von Inkassokosten in Höhe von 171,33 Euro
verstößt mithin nicht gegen § 254 II S. 1 BGB und ist deshalb möglich.
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Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.
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……
…….
……
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