Urteil des LG Paderborn vom 29.08.2007

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Landgericht Paderborn, 4 O 551/05
Datum:
29.08.2007
Gericht:
Landgericht Paderborn
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 551/05
Tenor:
Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte 1.250,00 € (i. W.
eintausendzweihundertfünfzig Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 29.10.2005 zu zahlen,
ferner ein Schmerzensgeld von noch 5.100,00 € (i. W.
fünftausendeinhundert Euro).
Es wird festgestellt, dass der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten vom
19.10.2005 an allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden zu
ersetzen, den die Beklagte aufgrund des Verkehrsunfalls vom
23.12.2004 in Paderborn, Borchener Straße, erleidet, soweit die
Forderungen nicht an Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergehen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
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Am 23.12.2004 befuhr der Kläger gegen 06.20 Uhr mit seinem PKW Mazda, amtliches
Kennzeichen ..., die Borchener Straße in Richtung Paderborn stadtauswärts.
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An der beampelten Einmündung der Halberstädter Straße in die Borchener Straße
musste er anhalten, weil die Lichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung Rotlicht zeigte.
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Nach Umschalten des Lichtzeichens auf grünes Licht setzte er sein Fahrzeug in
Bewegung, um nach links in die Halberstädter Straße abzubiegen. Dabei kollidierte sein
Fahrzeug mit dem Fahrrad der Beklagten, die ihrerseits bei Grünlicht auf der für
Radfahrer freigegebenen Fußgängerfurt über die Halberstädter Straße stadteinwärts
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fuhr.
Zur Unfallzeit war es dunkel, die Straße war regennass, die Beklagte trug dunkle
Kleidung.
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An dem Fahrzeug des Klägers entstand durch den Zusammenprall ein
Reparaturschaden in Höhe von 475,01 Euro. Für die Reparatur wurde ein Tag in
Anspruch genommen.
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Die Beklagte kam aufgrund des Zusammenpralls mit ihrem Fahrrad zu Fall. Bei der
Unfallaufnahme wurde festgestellt, dass an dem durch den Unfall unter anderem im
Bereich des Vorderrads beschädigten Fahrrad der Dynamo nicht angelegt war, während
bei Anlegen des Dynamos und kurzen Hin- und Herdrehen des Reifens das Licht am
Fahrrad funktionstüchtig war. Seitens der aufnehmenden Polizeibeamten wurde in der
Unfallanzeige die Auffassung vertreten, dass nicht auszuschließen sei, dass der
Dynamo durch den Anstoß oder den verbogenen Reifen ausgeschaltet worden sei.
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Die Beklagte erlitt aufgrund des Unfalls - von der Frage des Verdienstausfalls
abgesehen - einen materiellen Schaden in Höhe von 370,00 Euro. Außerdem wurde sie
verletzt.
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Sie erlitt unfallbedingt Prellungen und Stauchungen, ein Schädel-Hirntrauma ersten
Grades, eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Fraktur der fünften und sechsten Rippe
links sowie eine Schulterprellung links.
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Wegen ihrer Verletzungen war sie in der Zeit vom 23.12.04 bis 12.01.05 in stationärer
Behandlung.
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Mit der Klage macht der Kläger gegen die Beklagte auf der Basis einer
fünfzigprozentigen Haftung Schadensersatzansprüche geltend, wobei er seinen
Schaden auf insgesamt
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535,01 Euro - zusätzlich zu den Reparaturkosten Nutzungsentschädigung in Höhe von
40,00 Euro sowie eine Unkostenpauschale von 20,00 Euro - berechnet.
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Zur Begründung trägt er vor:
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Zu dem Unfall sei es nur gekommen, weil die Sichtverhältnisse schlecht und die
Klägerin dunkel gekleidet gewesen sei und darüber hinaus ohne Fahrtlicht gefahren sei.
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Es sei nicht möglich, dass im Zusammenhang mit dem Zusammenprall der Dynamo,
wenn er am Rad angelegen hätte, abgeschaltet worden wäre (Beweis:
Sachverständigengutachten).
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 267,50 Euro nebst Zinsen
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in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
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dem 01.06.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Widerklagend beantragt sie,
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den Kläger zu verurteilen, an sie 1.540,00 Euro nebst Zinsen
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in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
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Rechtshängigkeit zu zahlen, ferner ein in das Ermessen des
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Gerichts gestelltes Schmerzensgeld unter Berücksichtigung einer
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hierauf bereits geleisteten Zahlung in Höhe von 1.900,00 Euro
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sowie festzustellen, dass der Kläger verpflichtet ist, ihr ab Rechts-
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hängigkeit der Widerklage allen künftigen materiellen und immateriel-
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len Schaden zu ersetzen, den sie aufgrund des Verkehrsunfalls erlei-
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de.
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Zur Begründung trägt sie vor:
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Der Kläger habe den Unfall allein verschuldet, während sie selbst sich verkehrsgerecht
verhalten und insbesondere mit angeschaltetem Fahrlicht gefahren sei.
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Außer dem unstreitigen materiellen Schaden sei ihr - wobei es unstreitig ist, dass die
Klägerin im Unfallzeitpunkt einen bis Ende Februar 2005 befristeten Vertrag über eine
Nebenbeschäftigung als Reinigungskraft hatte und auch in der Vergangenheit immer
Nebentätigkeiten ausgeübt hat - einen Verdienstausfall in Höhe von monatlich 220,00
Euro entstanden, bei einem Ansatz von 100,00 Euro für Dezember 2004 bis
einschließlich September 2005 somit 2.080,00 Euro. Sie sei dem Verkehrsunfall
arbeitsunfähig krank und leide nach wie vor massiv unter den Verletzungen, die sie
durch das Unfallgeschehen erlitten habe.
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Praktisch bei jeder körperlichen Betätigung stellten sich in den verletzten Bereichen
Schmerzen ein, insbesondere das Gehen und die damit verbundenen Anstrengungen
fielen ihr äußerst schwer. Auch im psychischen Bereich habe der Unfall gravierende
Folgen gehabt. Sie leide seit dem Unfallereignis massiv unter Angstzuständen und sei
überhaupt nicht mehr in der Lage Fahrrad zu fahren. Jedenfalls bis zum Zeitpunkt der
Erhebung der Widerklage sei sie zur Fortbewegung auf Krücken angewiesen gewesen.
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Zum Ausgleich ihres immateriellen Schadens sei unter diesen Umständen ein
Schmerzensgeld von insgesamt 7.000,00 Euro mindestens angemessen.
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Der hinter dem Kläger stehende Haftpflichtversicherer hat der Beklagten vorprozessual
pauschal einen Schadensersatzbetrag in Höhe von 3.000,00 Euro zur Verfügung
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gestellt. Diesen Betrag hat die Beklagte in Höhe von 1.900,00 Euro auf
Schmerzensgeldansprüche verrechnet, in Höhe von 540,00 Euro auf den von ihr
errechneten Verdienstausfallschaden für Dezember 2004, für Januar und Februar 2005,
und im übrigen auf sonstige materielle Schäden, die die Beklagte auf insgesamt 560,00
Euro beziffert hat.
Der Kläger beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Er bestreitet, dass die Beklagte im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage und darüber
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hinaus unfallbedingt unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leidet.
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Insbesondere bestreitet er, dass sie arbeitsunfähig sei, und verweist darauf, dass ihr
Beschäftigungsvertrag bis Ende Februar 2005 befristet war.
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Das Gericht hat Beweis erhoben über die Frage, ob und inwieweit die Beklagte
aufgrund des Unfalls gesundheitliche Beeinträchtigungen zurückbehalten hat, durch die
Einholung von schriftlichen Sachverständigengutachten, nämlich eines Gutachtens des
Arztes für Neurologie und Nervenheilkunde Prof. Dr. ... vom 12.12.2006, des Arztes
unter anderem für Unfallchirurgie Prof. Dr. ... vom 11.05.2007 sowie des Facharztes für
Psychiatrie/ Psychotherapie ... vom 30.05.2007.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Einzelheiten der Gutachten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage und Widerklage sind zulässig.
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Jedoch ist die Klage nicht begründet, während die Widerklage im wesentlichen
begründet ist.
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Für den bei dem Unfall entstandenen Schaden hat der Kläger gemäß §§ 7 StVG, 823
BGB allein einzustehen.
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Er hat den Unfall durch ein schuldhaftes Fehlverhalten verursacht, indem er als
Linksabbieger den Vorrang der ihm im Geradeausfahrt entgegenkommenden Beklagten
missachtet hat.
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Dagegen ist nicht festzustellen, dass die Beklagte zu dem Unfallgeschehen ihrerseits
durch schuldhaftes Fehlverhalten beigetragen hat, das eine Haftung gemäß § 823 BGB
bzw. eine Mithaftung gemäß 254 BGB auslösen könnte.
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Die Tatsache, dass sie bei Dunkelheit dunkel gekleidet am Straßenverkehr
teilgenommen hat, reicht dafür nicht aus.
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Dass die Beklagte, wie der Kläger behauptet, ohne angeschaltetes Fahrtlicht gefahren
sei, kann jedenfalls nicht festgestellt werden.
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Insbesondere kann eine entsprechende Schlussfolgerung nicht daraus hergeleitet
werden, dass bei der Unfallaufnahme der Dynamo des Fahrrads nicht angelegt
vorgefunden worden ist.
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Zu dieser Feststellung sieht sich das Gericht aus eigener Sachkunde in der Lage, so
dass die Einholung des von der Klägerseite beantragten Sachverständigengutachtens
nicht erforderlich ist.
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Moderne Dynamos werden im Ruhezustand durch eine Feder auf Abstand von der
Radfelge gehalten. Zum Anlegen an die Felge wird der Dynamo manuell nach unten
und innen gedrückt, wo er sodann einrastet und auf diese Weise an der Felge
festgehalten wird.
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Heftige Erschütterungen können jedoch dazu führen, dass sich der Dynamo aus dem
Rast löst und nach außen abspringt. Wie der erkennende Richter aus eigener Erfahrung
weiß, kann es dafür bereits ausreichen, wenn ein Fahrrad aus dem Stand umfällt. Erst
recht ist ein derartiger Effekt demgemäss aufgrund der ungleich heftigeren
Erschütterung durch den Zusammenprall mit einem PKW möglich.
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Demgemäss ist die Klage nicht gerechtfertigt, während die Widerklage dem Grunde
nach gerechtfertigt ist.
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Bezüglich der Höhe der Widerklageforderung steht dabei aufgrund der durchgeführten
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Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die unstreitigen
körperlichen Verletzungen der Beklagten vollständig ausgeheilt sind und körperliche
Beschwerden nur in der Zeit von zwei bis drei Monaten nach dem Unfall sowie darüber
hinausgehend vielleicht noch einige Monate in geringem Maße und eine
Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit allenfalls bis Ende Januar oder Februar 2005
verursacht haben können.
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Dies ergibt sich aus den entsprechenden überzeugenden Ausführungen der
Sachverständigen Prof. Dr. ... und Prof. Dr. ..., an deren Sachkunde keine Zweifel
bestehen. Wie sich aus den detaillierten und überzeugenden Ausführungen des Sach-
verständigen ... - dessen Sachkunde dem Gericht aus anderen Gutachten gleichfalls
bekannt ist - ergibt, hat das Unfallgeschehen jedoch bei der Beklagten eine
vorangelegte depressive Störung mit Angstsyndromen und somatischen Syndromen
insbesondere in Form von Schwindel und Kopfschmerzen zum Ausbruch gebracht, die
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sich trotz dauerhafter medikamentöser Behandlung chronifiziert hat und zu einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit geführt hat, die der Sachverständige mit 80 % beziffert
hat. Faktisch führt das zu einer Erwerbsunfähigkeit, weil eine Person mit einer
derartigen Behinderung keine Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hat.
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Damit ist - über die unstreitigen materiellen Schäden von 370,00 Euro bis zum Zeitpunkt
der Erhebung der Widerklage hinaus - auch der von der Beklagten geltend gemachte
Verdienstausfallschaden vom Grunde her gerechtfertigt.
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Aufgrund einer von der Beklagten vorgelegten Verdienstbescheinigung steht dabei fest,
dass die Beklagte im Zeitpunkt des Unfalls mindestens 220,00 Euro monatlich verdient
hat.
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Dieser Betrag ist als Schaden nicht nur für die Monate Januar und Februar 2005
anzusetzen, sondern auch für die Folgemonate bis einschließlich September 2005.
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Dies ergibt sich aus einer Schätzung nach § 287 ZPO.
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Da die Beklagte unstreitig in der Vergangenheit stets Nebentätigkeiten ausgeübt hat, ist
davon auszugehen, dass sie auch nach Auslaufen ihres im Unfallzeitpunkt bestehenden
Anstellungsvertrages eine neue Nebentätigkeit aufgenommen und damit ein
vergleichbares Einkommen erzielt hätte.
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Damit ergeben sich bis zur Erhebung der Widerklage materielle Schäden der Beklagten
in Höhe von insgesamt 2.350,00 Euro, so dass nach Verrechnung des Anteils von 1.100
Euro, der von den vorprozessualen Zahlungen nach der seitens der Beklagten anteilig
auf Schmerzensgeld vorgenommenen Verrechnung noch übrig bleibt, noch ein
restlicher Schadensersatzanspruch in Bezug auf materiellen Schaden in Höhe von
1.250 Euro besteht.
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Zum Ausgleich des immateriellen Schadens hält das Gericht unter Berücksichtigung der
von der Beklagten unfallbedingt erlittenen Verletzungen und ihrer Folgen sowie aller
weiteren Umstände in Vergleich mit anderen veröffentlichen
Schmerzensgeldentscheidungen - etwa Hacks-Ring Böhm 24. Auflage, Nr. 1411, 1491,
1507 - ein Schmerzensgeld von insgesamt 7.000 Euro für angemessen und
ausreichend, so dass diesbezüglich noch ein restliche Forderung in Höhe von 5.100
Euro verbleibt.
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Im Hinblick auf die fortbestehenden Unfallfolgen war ferner auch - allerdings mit einer
Einschränkung hinsichtlich eines Übergangs auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte - der geltend gemachte Feststellungsantrag gerechtfertigt.
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Dagegen war die restliche Widerklage - ebenso wie die Klage insgesamt - abzuweisen.
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 266, 288 BGB sowie §§ 92 Absatz 2, 709
ZPO.
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