Urteil des LG Offenburg vom 12.07.2002

LG Offenburg: bahnhof, fahrzeug, körperliche unversehrtheit, fahrlässige tötung, gefährdung, gaststätte, tod, aussetzung, mitfahrer, blutalkoholkonzentration

LG Offenburg Urteil vom 12.7.2002, 1 Ks 10 Js 3709/00
Fahrlässige Tötung und Aussetzung mit Todesfolge: Zurücklassen eines alkoholisierten Fahrgasts nachts bei 0 Grad an einer Bundesstraße
durch einen Taxifahrer
Tenor
Der Angeklagte wurde wegen Aussetzung mit Todesfolge angeklagt. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts verurteilte ihn wegen fahrlässiger
Tötung zu einer Geldstrafe. Das Urteil ist nach Verwerfung der Revision rechtskräftig.
Gründe
1
Feststellungen zum Tatgeschehen
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Der Angeklagte arbeitete auch in der Nacht zum Fastnachtsdienstag als Taxifahrer. In den frühen Morgenstunden hatte ihn der Zeuge Bä. per
Handy zum Bahnhof nach Op. bestellt, um sich von dort nach Ob. fahren zu lassen, wo Bä. wohnt. D. Angekl. kam zur Ausführung dieses
Auftrages zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen 03.30 Uhr und 04.00 Uhr am Bahnhof in Op. an. Zu diesem Zeitpunkt warteten
dort verschiedene Personen und Personengruppen, die an der Straßenfastnacht in Op. teilgenommen hatten, auf Taxis. Bei diesen wartenden
Personen befanden sich u.a. auch der Zeuge Bo. und der später tödlich verunglückte M.
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Als d. Angekl. zwischen 03.30 Uhr und 04.00 Uhr am Bahnhof von Op. ankam, wollten Bo., eine nicht ermittelte dritte Person und M. in sein Taxi
einsteigen. Der Angeklagte lehnte die Beförderung dieser Gäste aber ab, da er von Bä. bestellt worden war.
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Unmittelbar darauf kamen auch die Zeugen Bä., S. und Me. zum Taxistand am Bahnhof in Op.. Auch diese hatten an der Straßenfastnacht
teilgenommen und auf dem Weg zum Bahnhof beschlossen, gemeinsam mit dem von Bä. bestellten Taxi Richtung Ob. zu fahren.
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Bä. und Me. stiegen in das Taxi des Angeklagten ein, wobei Bä. auf dem Beifahrersitz Platz nahm, während Me. hinten rechts einstieg und auf die
linke Fahrzeugseite herüberrutschte. In diesem Moment drängte sich auch M. in das Taxi und kam auf diese Weise rechts neben Me. zu sitzen. S.
seinerseits nahm rechts neben M. auf der Rückbank Platz. In diesem Zusammenhang kam es zwischen den im Fahrzeug Anwesenden zu einem
kurzen Gespräch darüber, ob M. mitfahren dürfe. D. Angekl. forderte ihn auf auszusteigen, da er das Taxi nicht bestellt habe. Einer der anderen
Mitfahrenden, wahrscheinlich Me., erklärte aber, dass M. mitfahren könne, da er ihn kenne. Dies wurde vom Angeklagten akzeptiert, der sodann
mit den vier Fahrgästen losfuhr.
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Seine Fahrgäste waren allesamt deutlich alkoholisiert, wobei die Blutalkoholkonzentration der Zeugen Bä., Me. und S. nicht festgestellt wurde.
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Eine M. um 07.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,91 Promille im Mittelwert. Gegen 04.00 Uhr morgens
lag seine Blutalkoholkonzentration bei mindestens 2,03 Promille. Seine Alkoholisierung zeigte sich daran, dass er unkontrollierten Schluckauf
hatte und hierüber jeweils in unmotiviertes Kichern ausbrach. Auch Sprachduktus und Muskeltonus des M. waren durch die erhebliche
Alkoholisierung geprägt. Seine Bewegungen wirkten fahrig, die Aussprache verwaschen. Andererseits war er noch nicht so stark alkoholisiert,
dass er sich nicht ohne die Hilfe anderer gegen drohende Gefahren hätte zur Wehr setzen können.
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Auch dem Verhalten der anderen Mitfahrer war ihre Alkoholisierung anzumerken. Der rechts von M. sitzende S. schlief auf der Fahrt teilweise; die
Zeugen Bä. und Me. hatten ebenfalls eine zwar noch verständliche, aber verwaschene Aussprache.
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Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls recht bald nach der Abfahrt vom Bahnhof Op. entspann sich zwischen den
Mitfahrern des Angeklagten eine Diskussion über die Beteiligung des M. an den Taxikosten. Es ist nicht auszuschließen, dass M. zunächst
angab, sich an diesen Kosten nicht beteiligen zu wollen. Nach insgesamt ca. 3 km Fahrstrecke forderte der getrennt verfolgte Zeuge Bä. den
Angeklagten auf der Bundesstraße im Bereich von R. in Höhe der dort befindlichen Gaststätte auf, das Taxi anzuhalten. Dieser Aufforderung kam
d. Angekl. an einer ca. 100 m weiter gelegenen Haltebucht nach. Die Diskussion im Fahrzeug über die Beteiligung des M. am Fahrpreis hatte
sich spätestens zu diesem Zeitpunkt dahin entwickelt, dass M. bereit war, sich an den Fahrtkosten zu beteiligen. Bä. war jedoch unterdessen aus
dem Fahrzeug ausgestiegen, hatte die rechte hintere Fahrzeugtür geöffnet und M. mit den Worten zum Aussteigen aufgefordert: "Komm,
aussteigen, lauf den Rest!". M. hielt sich zunächst mit der Hand an der Kopfstütze des Beifahrersitzes fest und weigerte sich auszusteigen.
Hierbei äußerte er, er müsse noch nach "da vorne und dann irgendwie rechts". Der links von M. sitzende Zeuge Me. löste die Hand des M. von
der Kopfstütze und schob ihn zunächst in Richtung der rechten hinteren Fahrzeugtür. Unmittelbar darauf änderte er aber seine Meinung und
äußerte, M. könne im Fahrzeug bleiben. Dieser bot nämlich spätestens ab diesem Zeitpunkt seine Beteiligung an den Fahrtkosten an, indem er
einen Geldschein mit der Bemerkung vorzeigte: "Ich hab' doch Kohle!". Diesen Geldschein wollte M. nicht den anderen Fahrgästen, sondern dem
Angeklagten übergeben. D. Angekl. lehnte die Annahme des Geldes aber ab. Er wollte den gesamten Fahrpreis von dem zuletzt aussteigenden
Bä. kassieren, der sich seinerseits mit seinen Mitfahrern einigen sollte, um eine komplizierte Aufteilung des Fahrpreises zwischen den vier
Gästen zu vermeiden. Me. äußerte in diesem Zusammenhang: "15,00 DM sind okay". Bä. rief von außen weiterhin: "Aussteigen, aussteigen!". Der
rechts neben M. sitzende S. war bereits ausgestiegen und stand abwartend neben dem Fahrzeug. Schließlich verließ auch M. das Fahrzeug,
wobei er möglicherweise von Bä. gezogen wurde und jedenfalls von diesem fortwährend zum Aussteigen aufgefordert wurde.
10 D. Angekl. wäre es in dieser Situation ohne weiteres möglich gewesen zu verhindern, dass M. aus dem Taxi aussteigt. Es sind keinerlei
Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass er bei den Mitfahrern auf irgendeine Form von Widerstand gestoßen wäre, wenn er entschieden hätte, dass
M. weiter mitfährt. Zu diesem Zweck hätte d. Angekl. lediglich entweder den von M. hingehaltenen Geldschein annehmen müssen, wodurch die
Frage der Finanzierungsbeteiligung von M. geklärt gewesen wäre, oder die anderen Fahrgäste anweisen müssen, M. im Auto zu belassen, und
weiterfahren müssen.
11 Statt dessen setzte d. Angekl. seine Fahrt in Richtung Ob. mit den anschließend wieder zugestiegenen S. und Bä. sowie dem ohnehin im
Fahrzeug verbliebenen Me. fort. M. wurde dagegen zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen ca. 03.45 Uhr und 04.15 Uhr an der
Haltebucht zurückgelassen. Auf der Weiterfahrt äußerte d. Angekl. auf die Frage des S., was sei, wenn M. etwas passiere, dass er M. an dieser
Stelle nicht hätte zurücklassen dürfen.
12 Die Außentemperatur betrug in den frühen Morgenstunden um die 0°C. Die Bundesstraße war in der Ortsdurchfahrt von R., einem
eingemeindeten Ortsteil von Op., der aus wenigen Häusern besteht, zu diesem Zeitpunkt nicht beleuchtet. Auf der aus der Fahrtrichtung des
Angeklagten gesehen linken Straßenseite liegen in R. zwei Anwesen. Rechts befindet sich eine Gaststätte. Die Haltebucht, an der M. das Taxi
verließ, liegt bereits außerhalb der durch eine Straßenkreuzung gekennzeichneten Ortsdurchfahrt R. In der Haltebucht befand sich zu diesem
Zeitpunkt ein kleines Wartehäuschen für den Busverkehr aus Drahtglaswänden und einem Eternitdach. Ca. 100 - 120 m außerhalb der
Ortsdurchfahrt befindet sich rechts der Bundesstraße ein weiteres Anwesen. Der zwischen diesem Anwesen und der Gaststätte liegende Hof ist
von der Straße zurückgebaut und nur durch Abbiegen von der Bundesstraße auf eine Zufahrtsstraße zu erreichen.
13 M. verbrachte auf nicht festgestellte Weise ca. 45 - 75 Minuten in diesem Umfeld. Linienbusverkehr herrschte so früh am Morgen noch nicht: Der
erste Bus in Richtung Ob. fuhr am Bahnhof in Op., somit 3,4 km vorher, erst um 05.24 Uhr ab.
14 Ca. um 05.00 Uhr befuhr die Zeugin W. mit dem PKW ihres Ehemannes die Bundesstraße von Op. kommend in Richtung Ob. in R. auf der Höhe
der dortigen Gaststätte. Ca. 150 m nördlich von dieser Gaststätte und ca. 50 m hinter der dort befindlichen Bushaltestelle lief plötzlich und für sie
unvorhergesehen M. mit gestikulierenden Armbewegungen vom linken Fahrbahnrand auf ihren PKW zu. Obwohl sie versuchte, nach rechts
auszuweichen und sogleich bremste, erfasste sie M. in der Mitte ihrer Fahrspur mit der linken vorderen Ecke des von ihr gesteuerten PKW. M.
prallte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe, wodurch er sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zuzog. Hieran verstarb er wenige Tage
später.
15 Der Unfall war von der Zeugin nicht verschuldet, weshalb das zunächst gegen sie eingeleitete Ermittlungsverfahren durch Verfügung der
Staatsanwaltschaft Offenburg vom 16.02.2001 nach Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens eingestellt wurde.
16 D. Angekl. hatte erkannt, dass M. deutlich alkoholisiert war und an der Bushaltestelle in R. nicht aussteigen wollte, sondern das Taxi lediglich
aufgrund der drängenden Aufforderung der Mitfahrer verließ. Ebenfalls hatte er wahrgenommen, dass der Streit zwischen den vier alkoholisierten
Mitfahrern ausschließlich die Beteiligung des M. am Fahrpreis betraf und dass M. zumindest kurz vor dem Aussteigen seine Beteiligung am
Fahrpreis in der Weise angeboten hatte, dass er dem Angeklagten einen Geldschein nach vorne reichte. Er wusste daher, dass kein Grund
bestand, M. des Taxis zu verweisen.
17 Auch hatte er erkannt, dass er M. in R. von den anderen Fahrgästen an einer Stelle aus seinem Taxi weisen ließ, die gegenüber der vorherigen
Situation des jungen, erheblich alkoholisierten Mannes am Bahnhof in Op. im Hinblick auf eine Gefährdung seiner Gesundheit und körperlichen
Integrität wesentlich ungünstiger war.
18 Es war für den Angeklagten auch vorhersehbar, dass der erst 21jährige, deutlich alkoholisierte Fahrgast angesichts der herrschenden Kälte von
ca. 0°C und der vollständigen Dunkelheit an dieser Stelle versuchen würde, ein vorbeifahrendes Fahrzeug anzuhalten, hierbei als typische
Verhaltensweise eines Angetrunkenen die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen außer Acht lassen bzw. die Entfernungen und
Geschwindigkeiten der aus der Dunkelheit herannahenden PKW falsch einschätzen würde und hierdurch in einen folgenschweren Unfall
verwickelt werden könnte. Dass der Zusammenstoß zwischen einem Pkw und einem Fußgänger den Tod des Fußgängers hervorrufen kann, war
für d. Angekl. ebenfalls vorhersehbar.
IV.
19 Rechtliche Würdigung
20 D. Angekl. hat somit durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, Vergehen der fahrlässigen Tötung, strafbar gemäß § 222 StGB.
21 1. Indem der Angeklagte zuließ, dass die anderen Fahrgäste M. gegen seinen Willen aus dem Auto wiesen, handelte er sorgfaltspflichtwidrig.
22 Der Angeklagte hatte die tatsächliche Beförderung des M. übernommen. Hiermit hatte er gleichzeitig die Gewähr für die körperliche
Unversehrtheit seines Gastes zumindest insofern übernommen, als er ihn nicht gegen seinen Willen an einer Stelle absetzen würde, die
gegenüber der vorherigen Position des Fahrgastes im Hinblick auf eine körperliche Gefährdung wesentlich ungünstiger war als seine vorherige.
Er hatte somit diesbezüglich eine Garantenstellung.
23 Unerheblich ist hierbei, ob zwischen dem Angeklagten und M. ein zivilrechtlicher Beförderungsvertrag zustande gekommen ist, da der
Angeklagte diese Gewähr zumindest tatsächlich übernommen hat, indem er vom Bahnhof Op. wegfuhr, wohlwissend, dass M. dieses Taxi nicht
bestellt hatte und sich zunächst ohne den Willen der anderen Fahrgäste mit hineingesetzt hatte.
24 Dem Angeklagten oblag daher die Sorgfaltspflicht, den Fahrgast M. zumindest keinen höheren Gefährdungen auszusetzen, als sie am Bahnhof
in Op. bestanden und als sie mit einer PKW-Fahrt verbunden sind. Hierzu gehört auch die Verpflichtung, einen deutlich angetrunkenen Taxigast
nicht ohne Grund von anderen Fahrgästen aus dem Taxi weisen zu lassen, sondern diese hieran zu hindern, wenn der Transport in der Nachtzeit
und in verlassener Gegend stattfindet und zudem eine Temperatur von um die 0° herrscht. M. hatte sich spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem an
der Bushaltestelle in R. eine Tür des Taxis geöffnet wurde und somit die Videoaufnahme in Gang gesetzt wurde, nichts mehr zu schulden
kommen lassen. Er war bereit, seinen Beitrag für die Beförderungskosten zu leisten. Beleidigungen oder sonstige Unannehmlichkeiten gingen
von M. nicht aus.
25 Unerheblich ist, was gelten würde, wenn M. – eventuell alkoholbedingt – selbst verlangt hätte, an dieser Stelle aus dem Taxi gelassen zu
werden. Um eine solche Fallgestaltung handelt es sich nämlich vorliegend nicht; sie wäre mit den hier festgestellten Tatumständen auch nicht
vergleichbar.
26 2. Das sorgfaltspflichtwidrige Unterlassen des Angeklagten war auch kausal für den Tod von M. Hätte der Angeklagte die anderen Fahrgäste
daran gehindert, den Geschädigten aus dem Taxi zu setzen, wäre es zu dem tödlichen Unfall nicht gekommen. Dieser Geschehensablauf war für
den Angeklagten auch vorhersehbar. Normgerechtes Verhalten war dem Angeklagten auch zumutbar, da keinerlei Anhaltspunkte für irgendeine
Form von Widerstand seitens der anderen Mitfahrer bestehen. Die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens war für d. Angekl. auch erkennbar.
27 3. Der Tod des M. ist dem Angeklagten auch zurechenbar.
28 a) Die Zurechenbarkeit entfällt nicht, weil M. von der Zeugin W. angefahren wurde und an den Folgen dieses Unfalls verstarb. Zum einen hat sich
die Zeugin W. normgerecht verhalten. Zum anderen hat sich hierdurch eine vorhersehbare Kausalitätskette verwirklicht, deren Verhinderung die
Sorgfaltspflicht des Angeklagten gerade diente.
29 b) Die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolges scheitert auch nicht an dem Kriterium der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des M.
30 Zwar ist anerkannt, dass in den Fällen der Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bereits der objektive Tatbestand des §
222 StGB nicht erfüllt wird, da die eigenverantwortlich gewollte und bewirkte Selbstgefährdung ein Geschehen ist, das kein tatbestandsmäßiger
und somit kein strafbarer Vorgang ist, so dass die Mitwirkung hieran ebenfalls nicht strafbar ist (Tröndle/Fischer, 50. Auflage, § 222, Rdn. 28;
BayObLG NStZ 1997, 341; BGHSt 32, 262; OLG Celle NJW 2001, 2816, 2817).
31 Eine solche, den Tatbestand bzw. die Zurechnung ausschließende Selbstgefährdung liegt aber nur dann vor, wenn der Geschädigte sich frei
verantwortlich und in voller Kenntnis des Risikos und der Tragweite seiner Entscheidung in eine Gefahrensituation begibt (BayObLG NStZ 1997,
341); der Grund hierfür liegt letztlich im Prinzip der Selbstverantwortung (vgl. BGHSt 37, 179, 182). Gegenüber erwachsenen, verantwortlichen
Personen erstreckt sich die Garantenstellung nicht auf die Verhinderung vorsätzlicher Selbstschädigungen und -gefährdungen (OLG
Zweibrücken OLGSt § 13 StGB Nr. 3).
32 Vorliegend wurde M. gegen seinen Willen nachts bei 0°C des Taxis verwiesen und am Straßenrand einer Bundesstraße außerhalb einer
geschlossenen Bebauung zurückgelassen. Dass er einige Zeit später vom westlichen Straßenrand auf die gegenüberliegende, nach Ob.
führende Fahrbahn lief, obwohl sich dort mit ca. 70 km/h ein PKW näherte, ist ebenfalls nicht als eigenverantwortliche Selbstgefährdung
anzusehen. Vielmehr ist die Fehleinschätzung der Geschwindigkeit oder Entfernung des herannahenden Autos bzw. dessen Gefährlichkeit auf
die Alkoholisierung des Opfers zurückzuführen, nicht etwa auf dessen freie Entscheidung. Dass M. Suizidabsichten gehabt hätte, ist
auszuschließen.
33 Zwar hat M. sich wissentlich in den alkoholisierten Zustand versetzt. Erst hierdurch sind aber die Sorgfaltspflichten des Angeklagten entstanden,
so dass die bewusste Alkoholisierung des M. den Zurechnungszusammenhang nicht unterbrechen kann. Schutzpflichten für eine gefährdete
Person bestehen unabhängig davon, ob der gefährdete Zustand von der Person verschuldet wurde oder nicht (vgl. BGHSt 26, 35, 38).
34 Zudem sind die Grundsätze der bewussten Selbstgefährdung, die von der Rechtsprechung ursprünglich für die Verantwortlichkeit des
Drogendealers für den Tod des Rauschgiftkonsumenten entwickelt wurden, nicht auf alle Fälle schematisch anzuwenden, in denen durch
deliktisches Verhalten eines Täters ein dritter zu einer sich selbst gefährdenden Handlung veranlasst worden ist. Vielmehr bedarf die
Rechtsprechung selbst im Fall einer bewussten Selbstgefährdung, der hier nicht vorliegt, dann einer Einschränkung, wenn der Täter die nahe
liegenden Möglichkeit der Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche
Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers begründet und damit ein einsichtiges Motiv für anschließende gefährliche Maßnahmen des Opfers schafft
(vgl. OLG Celle NJW 2001, 2816, 2817).
V.
35 Aussetzung mit Todesfolge
36 Nicht bewiesen werden konnte dagegen, dass d. Angekl. sich der Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 3 StGB schuldig gemacht hat.
37 Die Beweisaufnahme hat nicht zur sicheren Überzeugung des Gerichts ergeben, dass M. durch das Aussetzen in eine hilflose Lage geriet, die
eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben mit sich brachte.
38 Hierbei ist zu berücksichtigen, dass M. zwar deutlich alkoholisiert war, aber nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen noch
eigenverantwortlich handeln konnte. Zudem ist davon auszugehen, dass mit dem Verlassen des Taxis durch den vorhergegangenen Streit und
die Kälte außerhalb des Taxis ein gewisser Ernüchterungseffekt eingetreten ist. M. wurde an einer Haltebucht mit Wartehäuschen aus dem Taxi
gewiesen, wo er auch hätte sitzen bleiben und ca. eineinhalb Stunden abwarten können, bis der erste Bus eintraf. Der rechtsmedizinische
Sachverständige hat dargelegt, dass angesichts des zugunsten des Angeklagten zugrunde zu legenden Mindestalkoholgehaltes von M. zum
Zeitpunkt des Verlassens des Taxis sowie der auf dem Videoband feststellbaren Ausfallerscheinungen eine krankhafte seelische Störung, wie
sie beispielsweise für §§ 20, 21 StGB verlangt würde, noch nicht vorgelegen habe. Diese Umstände lassen nicht überwindbare Zweifel daran
bestehen, ob M. zur Zeit der Verweisung aus dem Taxi außer Stande war, sich ohne Hilfe anderer gegen eine sein Leben oder seine Gesundheit
bedrohende Gefahr zu helfen, so dass es nur noch vom Zufall abgehangen hätte, ob die in der Situation angelegte Gefahr sich verwirklichte oder
nicht. Immerhin hat er nach der Verweisung aus dem Taxi noch, wovon zugunsten des Angeklagten ausgegangen werden muss, ungefähr 1 ¼
Stunden in der näheren Umgebung der Bushaltestelle unauffällig verbracht. Insofern ist zwar eine abstrakte Gefährdung durch das Zurücklassen
an der Haltebucht zu bejahen; eine konkrete Gefährdung ist bei dieser Sachlage allerdings nicht sicher zu beweisen.
39 Hinzu kommt, dass auch keine ausreichenden Beweismittel dafür vorliegen, der Angeklagte habe eine solche hilflose Lage und konkrete
Gefährdung in seinen Vorsatz aufgenommen. Die alkoholbedingten Ausfallserscheinungen des M., wie sie auf dem Videoband erkennbar sind,
legen dessen konkrete Gefährdung aufgrund seines Alkoholisierungsgrades jedenfalls nicht so nahe, dass allein hieraus ein zweifelsfreier
Schluss auf einen entsprechenden Vorsatz des Angeklagten gezogen werden kann.