Urteil des LG Münster vom 14.03.2005

LG Münster: selbstbehalt, sozialhilfe, sozialleistung, pfändung, drucksache, gemeinde, auszahlung, zwangsvollstreckung, ermächtigung, datum

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landgericht Münster, 5 T 293/05 LG Münster, 18 M 485/05 AG Steinfurt
26.04.2005
Landgericht Münster
5. Zivil-(Beschwerde-)Kammer
Beschluss
5 T 293/05 LG Münster, 18 M 485/05 AG Steinfurt
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Amtsgericht wird angewiesen, einen Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss entsprechend dem Antrag des Gläubigers vom
14.03.2005 zu erlassen.
G r ü n d e :
Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner wegen
rückständigen und laufenden Unterhalts aus den vollstreckbaren Beschlüssen des
Amtsgerichts U vom 27.01.1997, 29.06.1999 und 08.03.2001. Der Schuldner ist arbeitslos
und bezieht Arbeitslosengeld II bei der Drittschuldnerin. Seit dem 1.1.05 erhält der
Schuldner von der Drittschuldnerin zusätzlich zur Regelleistung (z.Zt. 345,-- € mtl.) einen
befristeten Zuschlag i.H.v. mtl. 160,-- € nach § 24 Abs. 2, 3 Sozialgesetzbuch (SGB) II.
Am 14.03.2005 hat der Gläubiger beantragt, die von der Drittschuldnerin an den Schuldner
gezahlten Sozialleistungen nach Maßgabe des § 850 d ZPO insoweit zu pfänden, als dem
Schuldner lediglich der Sozialhilferegelsatz von 345,-- € mtl. pfandfrei zu belassen sei, der
zusätzlich gezahlte Zuschlag nach § 24 Abs. 2 SGB II jedoch gepfändet werde und an den
Gl. abzuführen sei. Er hat dazu vorgetragen, dass der Schuldner bei seiner Mutter mietfrei
wohne, sodass Sozialhilfeleistungen für Unterkunft und Heizung nicht anfallen würden.
Das Amtsgericht hat im angefochtenen Beschluss den Antrag auf Erlass eines Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses zurückgewiesen, da sich aus dem Sinn der Regelungen
über das Arbeitslosengeld nach dem SGB II ergebe, dass nicht nur die Regelleistung nach
§ 20 SGB II (345,-- € mtl.), sondern auch der befristete Zuschlag nach § 24 SGB II zum
"notwendigen Selbstbehalt" eines Unterhaltsschuldners im Sinne des § 850 d ZPO gehöre.
Das ergebe sich schon aus dem Titel des SGB II, welcher von der "Grundsicherung für
Arbeitssuchende" spreche, auch der Titel des zweiten Abschnitts des SGB II sei mit
"Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" überschrieben, wozu nach der Stellung
der Vorschriften im Gesetz nicht nur die "Regelleistung" nach § 20 SGB II gehörten,
sondern auch der Zuschlag nach § 24 SGB II. Auch dieser Zuschlag diene der
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Unterhaltssicherung und falle somit ebenso wie die Regelleistung nach § 28 SGB XII (
Sozialhilferegelsatz) unter den notwendigen Selbstbehalt im Sinne des § 850 d ZPO und
sei deswegen unpfändbar.
Der Gläubiger begehre daher die Pfändung unpfändbarer Sozialleistungen. Dies sei
unzulässig.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug
genommen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig. Das Verfahren befindet sich
zwar noch im Stadium des einseitigen Antragsverfahrens. Da der Antrag von der
Rechtspflegerin zurückgewiesen worden ist, ist nicht die Erinnerung nach § 766 ZPO,
sondern die Durchgriffserinnerung = sofortige Beschwerde das zulässige Rechtsmittel.
Die Beschwerde hat auch Erfolg.
Die Kammer teilt nicht die Ansicht des Amtsgerichts, dass der befristete Zuschlag nach §
24 SGB II unter die Leistungen fällt, die nach der Rechtsprechung des BGH (Beschl. v.
18.7.03, IX a ZB 151/03, Rpfl. 03, S. 593)) nach den Vorschriften über die Sozialhilfe einem
Schuldner als Mindestselbstbehalt im Sinne des § 850 d ZPO zu belassen ist.
Allein aus der Tatsache, dass das SGB II wie auch das SGB XII an demselben Tage
(01.01.2005) in Kraft getreten sind und dass der Regelsatz des § 20 SGB II und der
aufgrund der Ermächtigung in § 28 Abs .2 SGB XII durch die Landesregierung bestimmte
Regelbedarf identisch sind, läßt sich dies nicht schließen. Es läßt sich aber auch nicht aus
dem Gesetzeszusammenhang der Regelungen der §§ 19 ff. SGB II schließen, dass die
"Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" eines erwerbsfähigen Arbeitssuchenden
in ihrer Gesamtheit notwendigerweise auch den Mindestselbstbehalt eines
Unterhaltsschuldners nach § 850 d ZPO darstellen. Der BGH hat ausdrücklich klargestellt,
dass der Selbstbehalt sich an den Grundsätzen über die Sozialhilfe zu orientieren habe
und daher nicht an der Höhe etwaiger anderer Sozialleistungen. Auch das
Arbeitslosengeld II nach dem SGB II ist eine andere Sozialleistung als die Sozialhilfe nach
dem SGB XII, obwohl nicht verkannt wird, dass das Arbeitslosengeld II in seinen
wesentlichen Grundsätzen und Bemessungsgrundlagen der Sozialhilfe angeglichen
worden ist. Insbesondere hat aber der Zuschlag des § 24 Abs. 2 SGB II keinen
Sozialhilfecharakter. Der Zuschlag soll finanzielle Härten abmildern, die entstehen können,
wenn der Bezug des entgeltbezogenen Arbeitslosengeldes endet und an seine Stelle das
bedarfsorientierte Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau tritt. Der Zuschlag soll in
vertretbarem Umfang einen Teil der Einkommenseinbußen abfedern,die in der Regel beim
Übertritt in die neue Leistung entstehen werden (BT – Drucksache 15/1516, S. 58). Ein
solches Schutzbedürfnis besteht bei einem Unterhaltsschuldner, dem lediglich der
notwendige Selbstbehalt zu belassen ist, nicht. Der Zuschlag ist daher einer grundsätzlich
nach § 54 SGB pfändbaren Sozialleistung mit Einkommensersatzfunktion wie etwa dem
Arbeitslosengeld I gleichzusetzen.
Die gegenteilige Ansicht würde auch zu einem widersprüchlichen Ergebnis führen:
Wird bei einem Unterhaltsschuldner das Arbeitslosengeld I nach §§ 54 SGB, 850 d ZPO
gepfändet, verbleibt ihm lediglich der Sozialhilfesatz. Im Moment des Übergangs in das
Arbeitslosengeld II würde ihm dann zusätzlich der Zuschlag nach § 24 II SGB II verbleiben.
Dies verdeutlicht, dass der Zuschlag grundsätzlich als pfändbar anzusehen ist.
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Da vorliegend auch das Sozialamt der Gemeinde Z1 für die Auszahlung des
Arbeitslosengeldes II zuständig ist, bestehen keine Bedenken, den beantragten Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss zu erlassen, da hier nicht allein eine isolierte Pfändung des
Zuschlags beantragt ist, sondern eine Anordnung dahin, dass dem Schuldner lediglich der
Sozialhilferegelsatz als notwendiger Selbstbehalt nach § 850 d ZPO zu belassen sei und
nicht, wie das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, eine Festlegung
des Selbstbehalts auf 0.00 €.
Die Kammer hat davon abgesehen, den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf die
Beschwerde hin selbst zu erlassen, um dem Schuldner nicht eine Instanz zu nehmen. Dies
vor allem, weil, soweit ersichtlich, die hier behandelte Frage bislang höchstrichterlich noch
nicht entschieden worden ist.