Urteil des LG Mönchengladbach vom 10.11.2005

LG Mönchengladbach: einstweilige verfügung, veröffentlichung, internet, grundversorgung, leistungsverfügung, durchleitung, substitution, transparenzgebot, gefahr, vollstreckung

Landgericht Mönchengladbach, 7 O 116/05
Datum:
10.11.2005
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
1. Kammer für Handelssachen
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 O 116/05
Tenor:
1.
Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 31.August 2005 wird zu
Zif-fer 1. bestätigt.
2.
Ziff. 2 der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 31. August 2005
wird aufgehoben und der Antrag des Verfügungsklägers
zurückgewiesen.
3.
Ziffer 3 der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 31.August 2005
wird dahingehend ergänzt, dass der Verfügungskläger die Mehrkosten
zu tragen hat, die durch die Anrufung des unzuständigen Amtsgerichts
Vier-sen entstanden sind.
4.
Die Verfügungsbeklagte trägt die weiteren Kosten des Verfahrens.
5.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Beklagten .xx.. (im folgenden : Beklagte) seit dem 23. Oktober 1989 mit Strom, Gas und
Wasser beliefert. Nachdem er am 14. Februar 2005 seine Jahresabrechnung erhalten
hatte, teilte er der Beklagten am 20. Februar 2005 mit, dass er die Erhöhungen des
Gasbezugspreises gemäß § 315 BGB als unbillig erachte. Er kürzte die Jahresrechnung
um 52,24 € und kündigte an, zukünftige Abschlagszahlungen nur noch unter Vorbehalt
zu bezahlen, nach seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung war er nur noch zu
einer Hinterlegung bereit.. Die Beklagte kündigte am 13. Juli 2005 zu Kundennummer ...
den "Zahlungsverweigerern auf der Grundlage des § 32 des AVBGasV die
Versorgungsverträge fristgerecht …" zum 31. August 2005.
1
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte müsse ihre Kalkulation offen legen und sei nicht
zur Kündigung berechtigt gewesen. Ihre Kündigung habe sich im Übrigen bezogen auf
die Belieferung mit Gas, Strom und Wasser, erst im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens habe die Beklagte klargestellt, dass sich die Kündigung ausschließlich auf
den Vertrag im Hinblick auf die Belieferung mit Gas beziehe.
2
Die Kammer hat am 31. August 2005 auf Antrag des Klägers folgende einstweilige
Verfügung erlassen:
3
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Haus des Antragstellers in ...
4
5
über den 31. August 2005 hinaus mit Gas zu versorgen. Der weitergehende
Antrag ist erledigt.
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2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Tag der Zuwiderhandlung gegen die
Anordnung zu Ziff.1 ein Ordnungsgeld von 5 € bis zu 250.000 €, für den Fall dass
dieses nicht beigetrieben werden kann ersatzweise für je 500 € 1 Tag
Ordnungshaft zu vollziehen am gesetzlichen Vertreter oder Ordnungshaft von 1
Tag bis zu 6 Monaten ebenfalls zu vollziehen am gesetzlichen Vertreter,
angedroht.
7
8
3. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
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Nachdem die Beklagte Widerspruch eingelegt hat, beantragt der Kläger,
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die einstweilige Verfügung der Kammer vom 31. August 2005
aufrechtzuerhalten, des weiteren erklärt er im Übrigen das einstweilige
Verfügungsverfahren für erledigt.
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Die Beklagte widerspricht der Teilerledigung und beantragt im Übrigen,
13
1. die einstweilige Verfügung des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. August
2005 - Aktenzeichen: 7 O 116/05 – aufzuheben,
14
2. den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
15
Die Beklagte trägt vor, sie habe nur den Gaslieferungsvertrag und nicht die anderen
Verträge gekündigt, auch bedürfe die ausgesprochene fristgemäße Kündigung des
Gaslieferungsvertrages keiner Kündigungsgründe. Eine Weiterbelieferung des Klägers
mit Gas sei ihr wirtschaftlich nicht zumutbar, da der Kläger nicht gewillt sei, die Entgelte
zu zahlen. Zu einer Offenlegung ihrer Kalkulation sei sie nicht bereit. Auch werde sie
keine Angaben zu ihrer Gewinnspanne machen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die eidesstattlichen Versicherungen
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
weitergehende Kostenentscheidung und den Vollstreckungsantrag zu bestätigen.
18
I.
19
Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 36 Abs. 1 S. 1 Energiewirtschaftsgesetz
(EnWG), das am 13. Juli 2005 in Kraft getreten ist, also kurz vor Eingang des Antrages
des Klägers am 26. Juli 2005 im vorliegenden Verfahren.
20
1.
21
Der Gaslieferungsvertrag wurde zum 31. August 2005 fristgemäß durch die Beklagte
gekündigt. Gemäß § 32 Abs. 1 AVBGasV konnte der Vertrag mit einer Kündigungsfrist
von 1 Monat auf das Ende eines Kalendermonats gekündigt werden, und zwar ohne
Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Damit stellt sich auch nicht die Frage der
Treuwidrigkeit gemäß § 242 BGB, denn es bestand kein Anschluss- und
Benutzungszwang zwischen den Parteien, abgesehen davon ist die Frage der
Sicherstellung der Grundversorgung seit 13. Juli 2005 positiv in § 36 EnWG geregelt, so
dass es keines Rückgriffs auf § 242 BGB mehr bedarf.
22
2.
23
Die Voraussetzung des § 36 Abs. 1 EnWG liegen vor.
24
a)
25
Der Kläger ist unstreitig Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG.
26
b)
27
Die Beklagte ist, was von ihr auch nicht in Abrede gestellt wird, Grundversorger im
Sinne des § 36 Abs. 2 S. 1 und zwar noch bis zum 31. Dezember 2006 gemäß § 118
Abs. 3 EnWG.
28
c)
29
Die Beklagte hat im Internet Allgemeine Bedingungen und Allgemeinen Preise für die
Versorgung von Haushaltskunden mit Erdgas veröffentlicht gemäß § 36 Abs. 1 EnWG.
Die Veröffentlichung ist zwar, worauf noch eingegangen wird, unklar, die Beklagte hat
jedoch zumindest ihrer formalen Pflicht zur Veröffentlichung im Internet Genüge geleistet
und muss damit zu "diesen Bedingungen und Preisen" jeden Haushaltskunden
versorgen, also auch den Kläger.
30
3.
31
Eine Ausnahme im Sinne des § 36 Abs. 1 S. 2 EnWG liegt nicht vor. Hiernach besteht
die Pflicht zur Grundversorgung nicht, wenn die Versorgung für das
Energieversorgungsunternehmen "aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist".
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der streitige Rückstand ist von
der Höhe her gering, auch der weitere Umstand, dass der Kläger in der Sitzung erklärt
hat, er sei nicht bereit, die streitigen Beträge unter Vorbehalt zu bezahlen, vermag die
Beklagte nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu bringen, zumal da der Kläger seine
Bereitschaft erklärt hat, streitige Beträge zu hinterlegen. Der Hinweis der Beklagten auf
die Möglichkeit und Gefahr der teilweisen Zahlungsverweigerung durch eine Vielzahl
von Kunden übersieht folgendes:
32
Es ist eine grundlegende gesetzliche Regel des Schuldrechts, dass der Gläubiger das
Entstehen, die Begründetheit und die Fälligkeit seiner Forderung darlegen und
beweisen muss, bevor er Erfüllung verlangen kann. Bei unbegründeten
Schuldnereinwendungen handelt es sich um ein typisches Gläubigerrisiko, dass im
Normalfall durch den Anspruch auf Verzugsschadensersatz hinreichend ausgeglichen
wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2005, Aktenzeichen: X ZR 99/04,
Seite 17/Seite 18). Die Beklagte trägt nichts dazu vor, in welcher Größenordnung sie
Einnahmeausfälle, Verzugsschäden und Rechtsverfolgungskosten erleiden könnte. Des
weiteren macht sie keine Angaben dazu, wie viel Kunden in ihrem Versorgungsgebiet
überhaupt Kürzungen der Rechnungen vorgenommen haben. Bei der Kammer sind
insoweit bisher erst drei einschlägige Verfahren anhängig. Es ist des weiteren zu
berücksichtigen, dass Kunden, die die Rechnung kürzen auch ein erhebliches Prozess-
und Kostenrisiko eingehen und zwar für den Fall, dass das Gericht zur Überprüfung der
Höhe der Forderung Sachverständige, zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, beauftragt,
wodurch erfahrungsgemäß erhebliche Gutachterkosten anfallen.
33
4.
34
Die Beklagte ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nicht zur
vorbehaltlosen Zahlung der Lieferpreise für Gas bereit ist, verpflichtet, die
Grundversorgung zu gewährleisten. Dies ergibt sich aus folgendem:
35
a)
36
Die Beklagte hat im Internet ihre Allgemeinen Bedingungen und Preise veröffentlicht.
Der Ausdruck wurde als Anlage zum Protokoll genommen (Verfahren AZ: 7 0 116/05,
die Parteivertreter erhielten in der mündlichen Verhandlung ebenfalls eine Kopie davon.
Diese Veröffentlichung ist jedoch widersprüchlich und unklar und hält damit der
Inhaltskontrolle des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht stand, so dass der Kläger gemäß § 315
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BGB nur einen nach billigem Ermessen zu bestimmenden Preis bezahlen muss. Die
Beklagte hat nämlich im Hinblick auf die Grundversorgung gemäß § 36 EnWG und die
Ersatzversorgung gemäß § 38 EnWG folgendes veröffentlicht:
"
Allgemeine Preise und Bedingungen
38
der
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zur Verordnung
40
Allgemeine Bedingung
41
für die Gasversorgung von Tarifkunden
42
(AVBGasV)
43
Gültig ab 01. Oktober 2005"
44
Diese Veröffentlichung ist falsch, denn die AVBGasV, auf die hier Bezug genommen
wird, ist nur noch für eine Übergangszeit für
bestehende
anwendbar, nicht aber wie hier für gekündigte Verträge. Die nach § 39 EnWG
vorgesehene neue Verordnung über die allgemeinen Preise sowie die tariflichen
Rechte und Pflichten ist noch nicht in Kraft. Dies bedeutet, die Beklagte verweist in ihrer
Internet-Veröffentlichung auf eine nicht mehr anwendbare bzw. noch nicht erlassene
neue Rechtsverordnung. Der Kunde kann damit nicht seine genauen Rechte und
Pflichten einschätzen und weiß nicht einmal, welche Rechtsfolge bei möglichem
Zahlungsverzug besteht ob jetzt die gesetzliche oder die Rechtsfolge aufgrund der nicht
mehr in Kraft befindlichen AVBGasV eintritt.
45
b)
46
Unabhängig von den formalen Veröffentlichungsmängeln ist das Transparenzgebot bei
der Preisfestsetzung nicht gewahrt. Das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende
Transparenzgebot ist in dem ab 13. Juli 2005 gültigen Energiewirtschaftsgesetz in
vielen Bereichen präzisiert worden.
47
Nach § 1 Abs. 1 EnWG ist Zweck dieses Gesetzes neben anderen Zwecken eine
möglichst "preisgünstige, verbraucherfreundliche, ..." Versorgung der Allgemeinheit mit
Gas.
48
Nach § 17 Abs. 1 EnWG haben die Betreiber von Energieversorgungsnetzen
"Letztverbraucher "… zu… wirtschaftlichen Bedingungen an ihr Netz anzuschließen, die
angemessen, … transparent und nicht ungünstiger sind als die, die von den Betreibern
der Energieversorgungsnetze in vergleichbaren Fällen…angewendet werden".
49
Auch nach § 21 Abs. 1 EnWG müssen Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang
"angemessen, … transparent…" sein.
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Dieser auf angemessene, preisgünstige, verbraucherfreundliche und transparente
Entgelte ausgerichtete Gesetzeszweck kann nach Ansicht der Kammer nur dann in
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vollem Umfang realisiert werden, wenn die Beklagte die Grundlagen ihrer Kalkulation
offen legt. Eine andere Auslegung würde dazu führen, dass der beabsichtigte
Gesetzeszweck insgesamt nicht erreicht werden kann, weil die veröffentlichten Preise
für die Abnehmer nicht mehr überprüfbar sind. Die Beklagte weigert sich, ihre
Kalkulation offen zu legen und auch ihre Gewinnspanne mitzuteilen, und verweigert
damit gerade die im Energiewirtschaftsgesetz vorgesehene Transparenz. Anders als
durch die Offenlegung der Kalkulation ist weder für den Endabnehmer noch für das
Gericht überprüfbar, ob es sich um angemessene, preisgünstige und
verbraucherfreundliche Entgelte handelt. Die Vorlage von Vergleichsübersichten ist
insoweit nicht ausreichend ( a. Ans. im Hinblick auf den angeblichen Marktpreis : Kunth/
Tüngler NJW 2005, 1315), da diese nicht die konkrete Kalkulation des betreffenden
Versorgungsunternehmens begründen können und keinen Schutz vor abgestimmtem
Preisverhalten gewähren..
Die Kammer folgt mit dieser Einschätzung der Rechsprechung des Bundesgerichtshofs.
In seinen Urteilen vom 5. Juli 2005 (X ZR 60/04 und X ZR 99/04) wurde ausgeführt, dem
Kunden eines Versorgungsunternehmens stehe grundsätzlich die Einrede der
unbilligen Tariffestsetzung zu, und zwar bei dem Angebot von Leistungen der
Daseinsvorsorge auf deren Inanspruchnahme der andere Vertragsteil im Bedarfsfall
angewiesen ist. Der diesen Entscheidungen vom 5. Juli 2005 zugrundeliegende
Anschluss- und Benutzungszwang ist zwar vorliegend nicht gegeben, allerdings eine
Monopolstellung der Beklagten, auf die die Grundsätze der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2005 ebenfalls anwendbar sind. Die Beklagte ist
Grundversorger bis spätestens 31. Dezember 2006. Wie in der mündlichen Verhandlung
klargestellt wurde, sind im Hinblick auf den Gasbereich noch keine Verträge mit anderen
Unternehmen auf Durchleitung durch das Netz der Beklagten abgeschlossen worden.
Der Kläger hat insoweit keine Möglichkeit der Einflussnahme auf Vertragsabschlüsse
zwischen der Beklagten und anderen Unternehmen, die auf die Durchleitung durch das
Netz der Beklagten angewiesen sind. Aus der Sicht des Klägers hat damit die Beklagte
im Bereich der Gasversorgung zumindest jetzt noch das Monopol. Der Kläger kann
damit gemäß § 315 Abs. 3 BGB eine Überprüfung der Entgelte der Beklagten nach
billigem Ermessen verlangen, was voraussetzt, dass die Beklagte nicht nur die Billigkeit
der Ermessensausübung bei Festsetzung des Leistungsentgelts darlegt und beweist (
vgl. BGH ZMR 2003, 566 ), sondern vorab als notwendige Vorstufe auch ihre
Kalkulation offen legt ( vgl. Held NJW 2004, 175 ; and. Ans. LG Hannover NJW-RR
1992, 1200). Dass die Tarife mit Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde
festgelegt wurden ist für die privatrechtliche Überprüfung des einseitig festgesetzten
Entgeltes anhand § 315 Abs. 3 BGB nicht präjudiziell, denn es handelt sich um eine rein
öffentlich-rechtliche Wirkung, die für die privatrechtliche Überprüfung nicht präjudiziell ist
(BGH Z 115/ 311,315 ; BGH vom 5.7.2005 X ZR 60/04 Seite 8 ).
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Wie in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. September 2005 (Aktenzeichen:
VIII Z R 38/05) im Rahmen einer Preiserhöhungsklausel bei
Flüssiggasbelieferungsverträgen weiter ausgeführt wird, fehlt es für den Kunden an
einer realistischen Möglichkeit, Preiserhöhungen auf ihre Berechtigung zu überprüfen,
ansonsten hätte ein Vertragspartner einen praktisch unkontrollierbaren
Preiserhöhungsspielraum zur Erzielung zusätzlicher Gewinne zu Lasten des anderen
Vertragspartners. Dieser Gesichtspunkt gilt gerade auch vorliegend, wenn – wie
ausgeführt wurde – aufgrund einer unzutreffenden Veröffentlichung im Internet - ein
Preis vorgegeben wird und damit nicht mehr überprüft werden kann, ob diese einseitige
Preisfestsetzung nicht nur im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB der Billigkeit, sondern auch
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dem Zweck des § 1 EnWG auf preisgünstige und verbraucherfreundliche sowie auf
angemessene (§ 21 I EnWG) Entgelte entspricht. Diese umfassende
Überprüfungsbefugnis nach § 315 Abs. 3 BGB hat der Bundesgerichtshof neuerdings
auch für das Durchleitungsentgelt bejaht bei einer dynamischen Verweisung auf die
jeweils gültigen Preisblätter bei der Durchleitung elektrischer Energie durch fremde
Stromnetze (BGH vom 18. Oktober 2005, Aktenzeichen: KZR 36/05 –
Presseveröffentlichung -).
5.
54
Der Kläger kann nicht auf eine andere Energiequelle verwiesen werden. Der von der
Beklagten hervorgehobene Gesichtspunkt der Substitution lässt unberücksichtigt, dass
der Kläger seit fast 16 Jahren Gas bei der Beklagten bezogen hat und das Ausweichen
auf Kohle oder Erdöl hohe Umbaumaßnahmen mit sich bringen würde, die nicht sofort
realisierbar wären, zumindest nicht mit zumutbarem wirtschaftlichen Aufwand. Die
Umrüstung würde hohe Umbaumaßnahmen mit sich bringen, vorausgesetzt, es würde
überhaupt die Möglichkeit bestehen, zum Beispiel einen Öltank einzubauen. Des
weiteren würde der Verweis auf die Substitution zum Beispiel in Mehrfamilienhäusern
bei einem Mieter dazu führen, dass der Mieter keinerlei Einflussmöglichkeit hat auf den
Vermieter, bauliche Umbaumaßnahmen in dieser Größenordnung vorzunehmen. Der
Kläger ist zwar im vorliegenden Fall nicht Mieter in einem Mehrfamilienhaus, das
Beispiel zeigt jedoch, dass sowohl bei einem Mehrfamilienmietshaus als auch bei
einem Einfamilienhaus der bauliche Zustand im Hinblick auf die Energiequelle auf
Dauer angelegt ist und nicht kurzfristig umgestellt werden kann.
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II.
56
Ein Verfügungsgrund für die erlassene Leistungsverfügung besteht. Der
Verfügungskläger ist auf den sofortigen Erlass der einstweiligen Verfügung angewiesen,
zumal da die von der Beklagten geschuldete Leistung so kurzfristig zu erbringen ist,
dass dem Kläger ein Vorgehen im ordentlichen Verfahren nicht zugemutet werden kann
(vgl. Zöller/Vollkommer, 24. Aufl., ZPO § 940 Rdnr. 6, 8). Die Kammer hat in Erwägung
gezogen den Zeitraum der Geltung der vorliegenden Leistungsverfügung zu begrenzen,
um der Gefahr einer endgültigen und dauerhaften Vorwegnahme der Hauptsache zu
begegnen. Sie hat jedoch aus folgenden Gründen davon abgesehen:
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Die Parteien können das Verfahren beschleunigen durch einen möglichen Antrag nach
§ 926 Abs. 1 mit Fristsetzung zur Klageerhebung. Abgesehen davon wirft bereits das
einstweilige Verfügungsverfahren eine Vielzahl von ungeklärten Rechtsfragen auch im
Hinblick auf das neu erlassene Energiewirtschaftsgesetz auf. Es ist weiterhin nicht
absehbar, wann Obergerichte abschließend diese Rechtsprobleme entschieden haben
werden.. Eine Fristsetzung kann deswegen derzeitig nicht erfolgen, auch weil nicht
absehbar ist, wann die entsprechenden Ausführungsverordnungen zu dem
Energiewirtschaftsgesetz erlassen werden. Sollte insoweit eine Änderung eintreten,
kann nach § 927 Abs. 1 ZPO verfahren werden. Die Pflicht zur Grundversorgung durch
die Beklagte aus § 36 EnWG endet jedenfalls spätestens kraft Gesetzes ( § 118 III
EnWG) am 31.Dezember 2006.
58
III.
59
Soweit die Beklagte der Teilerledigung widersprochen hat, war die Erledigung bereits in
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Soweit die Beklagte der Teilerledigung widersprochen hat, war die Erledigung bereits in
der einstweiligen Verfügung ausgesprochen worden. Hieran wird festgehalten. Die
Beklagte hat am 13. Juli 2005 (Bl. 25/26 d.A.) den "Zahlungsverweigerern auf der
Grundlage des § 32 der AVBGasV die Versorgungsverträge fristgerecht" gekündigt. Die
Kündigung erfolgte zu Kundennummer ......... . Dies war die Kundennummer des Klägers
für die Versorgung mit Gas, Wasser und Strom. Zwar befindet sich im Kopf des
Schreibens vom 13. Juli 2005 unter der Kundennummer der Vermerk "hier: Erhöhung
der Gaspreise". Trotzdem kann aus der Sicht des Empfängers ― hier des Klägers –
nicht eindeutig entnommen werden, dass sich die Kündigung nur auf den Bezug von
Gas bezieht, denn die Beklagte schreibt weiter in ihrem Schreiben vom 13. Juli 2005,
"Eine getrennte Behandlung von Strom, Gas und Wasser ist unter den gegebenen
Bedingungen ebenfalls nicht möglich." und zwar im Kontext einer eingeschränkten
Zahlung. Des weiteren hat die Beklagte unter der einheitlichen – für Gas, Strom, Wasser
und Abwasser - bestehenden Kundennummer die Kündigung ausgesprochen und zwar
für "die Versorgungsverträge", also im Plural und damit nicht nur für den
Versorgungsvertrag für Gas.
60
IV.
61
Ziff. 2 der einstweiligen Verfügung der Kammer war aufzuheben und der entsprechende
Antrag des Kläger zurückzuweisen. Zwar wird teilweise die Rechtsansicht vertreten, die
Vollstreckung müsse nach § 890 ZPO erfolgen ( OLG Hamm JMBlNW 1962,196; LG
Wuppertal WuM 1982,134 zur Beheizung; Peters/Welkerting ZMR 1999,369 zur
Betriebspflicht ). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, denn der Weg über § 890 ZPO
ist nicht praktikabel, da bei jeder Nichtvornahme der Handlung ein Ordnungsmittel
verhängt werden müsste ( Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht Rdn. 1067) und im
übrigen vorliegend eine Handlung – Belieferung mit Gas – erzwungen werden soll (
OLG Köln MDR 1995,95; OLG Hamm NJW 1973,1135; Baumbach/Hartmann, ZPO,
63.Aufl. § 887 Rdn 36 " Sperrung von Energiezufuhr usw."; Thomas/ Putzo, ZPO,
26.Aufl. § 890 Rdn. 4)
62
V.
63
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Soweit der weitergehende Antrag
zurückgewiesen wurde ( Ziff. IV), wird entsprechend § 92 Abs.2 Ziff.2 ZPO verfahren.
Die Beklagte ist mit ihrem wesentlichen Anliegen – Verhinderung der Belieferung des
Klägers mit Gas – nicht durchgedrungen. Die Art der möglichen Vollstreckung – nach §
890 ZPO oder nach §§ 887 bzw. § 888 ZPO – ist eher theoretischer Natur, denn es ist zu
erwarten, dass sich die Beklagte an die einstweilige Verfügung hält, da ihre
Hauptgesellschafterin die ... ist.
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Dem Kläger waren jedoch analog § 281 Abs. 3 S. 2 ZPO die durch die Anrufung des
unzuständigen Amtsgerichts Viersen entstandenen Mehrkosten aufzuerlegen. Durch §
102 Abs. 1 EnWG ist seit 13. Juli 2005 die ausschließliche Zuständigkeit des
Landgerichts begründet worden. Soweit die Beklagte ebenfalls die Verweisungskosten
von der Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen dem Kläger auferlegt haben
will, ist dieser Antrag abzuweisen, denn § 281 gilt nur bei örtlicher und/oder sachlicher
Unzuständigkeit, nicht jedoch bei funktioneller Zuständigkeit.
65
VI.
66
Die Berufung war gem. § 511 Abs.2 Nr.2, Abs.4 Nr. 1 zuzulassen.
67
Die Kammer hat zwar nachfolgend den Streitwert über € 600,-- festgesetzt, bei Zweifeln
über die Höhe der Beschwer ist jedoch über die Zulassung zu entscheiden
(vgl.Thomas/Putzo, ZPO,26.Aufl. § 511 Rdn.22; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25.Aufl. §
511 Rdn. 39 a.E.). Die Zweifel ergeben sich daraus, dass auch die Kammer den
Streitwert in der einstweiligen Verfügung zunächst unter 600 € festegesetzt hatte.
68
Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Auslegung des
neuen Energiewirtschaftsgesetzes, die Reichweite der ausschließlichen Zuständigkeit
des Landgerichts und die Zulässigkeit der Leistungsverfügung.
69
Streitwert :
70
In Abänderung der Streitwertfestsetzung vom 31.8.2005 wird der Streitwert festgesetzt
auf € 1.849,56.
71
Maßgebend hierfür ist folgendes : Die Vorschrift des § 9 ZPO ist nicht anwendbar, denn
ein Dauervertrag läuft regelmäßig kürzer als ein Vertrag der in § 9 ZPO genannten Art
(vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO 63.Aufl. § 9 Rdn. 5 a.E.) Soweit das OLG Bremen ( in :
Der Rechtspfleger 1989,427) bei einem Energielieferungsvertrag allerdings eine
Laufzeit von 5 1/ 2 Jahren zugrundelegt mag dies zwar für die üblicherweise auf Dauer
angelegte Art dieser Verträge ein geeigneter Anhaltspunkt sein – der Kläger war auch
bereits seit 16 Jahren Kunde der Beklagten - , es ist jedoch vorliegend zu
berücksichtigen, dass die Beklagte längstens bis 31.12.2006 Grundversorger gem. §
118 III EnWG ist und damit zu diesem Zeitpunkt ihre Verpflichtung aus § 36 EnWG
spätestens endet. Der Kläger hat einen jährlichen Gasverbrauch von E 1.387,17 (vgl.
Rechnung Bl. 8 d.A.). Für den Zeitraum vom 1.9.2005 bis 31.12.2006 errechnet sich
damit ein Betrag von € 1.849,56. Dieser Betrag ist voll anzusetzen, da es sich um eine
Leistungsverfügung handelt und im Streit zwischen den Parteien nicht nur der
Rückstand sondern die gesamte Belieferung mit Gas ist.
72